Archiv


"Deutschland als Produktionsstandort erhalten"

Der niedersächsische SPD-Chef Jüttner rechnet mit einer einvernehmlichen Lösung beim geplanten Stellenabbau des VW-Konzerns. Belegschaft und Unternehmensführung hätten in schwierigen Situationen der vergangenen Jahre stets einen Kompromiss gefunden, sagte Jüttner Der SPD-Politiker sprach sich in diesem Zusammenhang gegen finanzielle Hilfen des Landes Niedersachsen aus.

    Thoma: Bei VW weht neuerdings ein rauer Wind. Vorbei die Kuschelzeiten zwischen Konzernleitung und Belegschaft. Gestern auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg hat Vorstandschef Bernd Pischetsrieder viele bittere Wahrheiten verkündet. Tausende Stellen muss VW abbauen. Experten meinen, es werden rund 10.000 der insgesamt über 100.000 in Deutschland gestrichen. Der Geländewagen Marrakesch wird nur dann in Wolfsburg gebaut, wenn die Belegschaft Lohnkürzung und andere Arbeitszeiten akzeptiert. In Portugal könnte man das ganze nämlich 1.000 € billiger pro Wagen produzieren. VW-Betriebsrat und IG Metall haben Entgegenkommen signalisiert. Sie pochen allerdings auf den gültigen Tarifvertrag, nach dem bis 2011 keine Entlassungen möglich sind.

    Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sieht die Sanierung von VW als größte Herausforderung der nächsten Jahre in Niedersachsen an. Ja und die SPD? Die hatte ja früher mit Schröder und Gabriel als Regierungschef ordentlich mitgekuschelt bei VW. Wie sieht es jetzt aus? – Am Telefon begrüße ich Wolfgang Jüttner, den SPD-Partei- und Fraktionschef in Niedersachsen. Guten Morgen Herr Jüttner.

    Jüttner: Einen schönen guten Morgen! – Ich glaube der Begriff Kuscheln trifft nicht das, was die Realität bei Volkswagen in den letzten Jahren war. Es war ein ganz bestimmtes Kooperationsmodell, was den Beschäftigten geholfen hat, was für das Land gut war, was aber auch die Wettbewerbsfähigkeit von VW hinreichend gewährleistet hat. Die Situation hat sich verschärft, überhaupt gar keine Frage. VW hat Probleme am Markt. Deshalb werden nach meiner Einschätzung die Unternehmensführung gemeinsam mit dem Betriebsrat und der IG Metall auch auf diese neue Herausforderung angemessene Antworten finden. Im Kern ging es um die Frage Konsensorientierung oder nein. Das hat sich bewährt und ich glaube alle Beteiligten wären gut beraten, sich daran auch durchaus weiter zu orientieren.

    Thoma: Da haben Sie die Frage schon beantwortet, ohne dass ich sie gestellt habe, Herr Jüttner. Aber trotzdem noch einmal: Musste man wirklich warten bis zur Korruptions- und Rotlichtaffäre, bis zum Abgang von Peter Hartz? Hätte man nicht schon früher bei VW klare Entscheidungen treffen müssen, die in diese Richtung gehen?

    Jüttner: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Dinge, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, unabhängig von den Verwerfungen im sagen wir mal nicht unternehmerischen Kernbereich anstehen. Und die Art und Weise, wie mit der Personalie Hartz öffentlich umgegangen wird, die finde ich nicht in Ordnung. Da war wirklich eine zentrale Person. Die hat Tarifgeschichte in Deutschland geschrieben. Das sollte man jetzt nicht im Nachhinein klein reden. In Zeiten, als VW in Krisensituationen war, durch kreative Tarifpolitik Beschäftigung zu sichern, das war doch durchaus ein Erfolg. Ich kann mir vorstellen, dass mit Pfiffigkeit und Kreativität hier auch zukünftig Erfolgsgeschichten geschrieben werden können.

    Das Entscheidende ist doch, dass Deutschland als Produktionsstandort erhalten bleibt. Das brauchen wir alle miteinander und das setzt voraus, dass hier wettbewerbsfähig produziert werden kann. dass die Belegschaft das begriffen hat, hat die gestrige Betriebsversammlung deutlich gemacht. Und wenn man genau hinhört auf die Signale aus Betriebsrat und IG Metall, dann wissen die dort Verantwortlichen doch auch um die Problemlage und sind kooperationsbereit.

    Thoma: Glauben Sie denn mit Peter Hartz wären die Wahrheiten bei VW genauso bitter ausgefallen?

    Jüttner: Ich glaube Peter Hartz wäre klug genug gewesen, die jetzt notwendigen Antworten auch zu formulieren und zu geben. Daran hängt das nicht, dass das Klima dort jetzt vorgeblich härter wird. Es hat auch in früheren Jahren natürlich harte Auseinandersetzungen gegeben, aber dann haben sich alle Beteiligten zusammengerauft. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das diesmal auch passiert, dass der Geländewagen in Wolfsburg gebaut wird und zwar zu wettbewerbsfähigen Bedingungen.

    Dann ist die Frage natürlich: ist das eine Geschichte, die sich ausschließlich zu Lasten der Beschäftigten realisieren lässt, oder wird ein bisschen mit Schwung geguckt, an welchen Stellen lässt sich auch noch optimieren. Das hat Volkswagen in der Vergangenheit eigentlich ausgezeichnet, nicht nur den kurzen schnellen Weg Personalkostenreduktion zu suchen, sondern umfassend zu gucken, wie verbessere ich die Wettbewerbsbedingungen in Deutschland.

    Thoma: Auch Bundeswirtschaftsminister Clement hat gestern moniert, bei VW sollte man schon darauf achten, dass man das Ganze nicht nur mit Stellenstreichungen macht oder möglicherweise sogar Entlassungen, sondern dass man dort mehr Phantasie an den Tag legen könnte. Sie haben das Pfiffigkeit genannt. Wie würden Sie das denn genau machen?

    Jüttner: Hier sind die Tarifvertragsparteien gefragt. Wir sollten uns dort mit öffentlichen Ratschlägen zurückhalten. Ich habe den Eindruck, dass Herr Pischetsrieder genau weiß, dass er den Tarifvertrag einhalten muss. Das heißt Kündigungen sind damit ausgeschlossen. Aber unterhalb dieser Ebene Kündigung wird es sicher eine ganze Menge an Möglichkeiten geben, die Wettbewerbsbedingungen herbeizuführen, damit der Geländewagen in Deutschland, in Wolfsburg gebaut werden kann. Alle Beteiligten wissen, wie ernsthaft die Situation ist und da alle am Erfolg von Volkswagen und an einer möglichst hohen Zahl von Beschäftigten interessiert sind, wird das in den nächsten Wochen mit Sicherheit zu einem guten Ende führen.

    Thoma: Von der IG Metall hat man aber auch schon schärfere Töne gehört. Von Wildwestmethoden war dort die Rede. Bei der Konzernleitung, bei VW gestern war das schon wieder ein bisschen runtergefahren. Da hat man dann schon wieder leisere Töne gehört.

    Jüttner: Klappern gehört natürlich auch zum Geschäft. Das gilt für beide Seiten. Herr Bernhard hat kräftig hingelangt und dass dann die IG Metall in der Lage ist, in der gleichen Schärfe sich rhetorisch zu wehren, das ist doch vollkommen normal.

    Thoma: Wenn Christian Wulff, der Ministerpräsident, von der größten Herausforderung für die nächsten Jahre spricht, wie stark sollte sich das Land, die Regierung überhaupt dort noch einmischen? Noch ist man im Aufsichtsrat. Die EU hätte gerne, dass man das nicht mehr ist?

    Jüttner: Wir sind uns mit der Landesregierung einig, dass das VW-Gesetz Zukunft behalten muss. Das ist für das Land Niedersachsen von zentraler Bedeutung. Ich rate der Landesregierung, sich aus dem Alltagsgeschäft rauszuhalten. Das ist nicht Sache von Aufsichtsratsmitgliedern. Ob das die größte Herausforderung ist, wird sich zeigen. Es gab auch welche in der Vergangenheit und das wird in Zukunft auch so bleiben. VW muss wie jedes andere Unternehmen sich auch am Markt behaupten und da gibt es keine Sonderbedingungen, nur weil das Land Anteilseigner ist. Natürlich hat man eine Verantwortung gegenüber den Beschäftigten, der Region, wo produziert wird, und auch dem Land, aber das müsste auch selbstverständlich sein.

    Thoma: Wenn es darum geht, tatsächlich Arbeitsplätze zu erhalten, wird das Land möglicherweise dort auch unterstützend tätig werden, eventuell auch finanziell?

    Jüttner: Ich glaube, dass Volkswagen diese Herausforderung aus seiner eigenen Kraft bewerkstelligen muss.

    Thoma: Und das Land soll sich dann doch ganz raushalten in diesem Fall?

    Jüttner: Auf jeden Fall, wenn es darum geht, die Auseinandersetzungen zu führen, die tarifvertraglichen Regelungen zu präzisieren. Das ist nicht Sache der Anteilseigner. Das ist nicht Sache des Aufsichtsrats. Da sind nach Rechtslage andere gefragt und die sind in der Lage, das schon miteinander zu regeln.

    Thoma: Herr Jüttner das hört sich so an, als wären in diesem Punkt SPD und CDU-Regierung in Niedersachsen ganz auf einer Linie?

    Jüttner: Das ist ja auch nicht unbedingt ein Weltuntergang. Wir wissen alle um die Bedeutung von Volkswagen und dass die in einer komplizierten Lage sind und dass es vernünftig ist, öffentliche Ratschläge an der Stelle lieber zu unterlassen.

    Thoma: Der Geländewagen Marrakesch, möglicherweise wird er doch in Portugal produziert. 1.000 € billiger geht es dort. Das haben wir schon gehört. Wie weit kann man dort tatsächlich dann Einschnitte machen? Wie weit sollten die Arbeitnehmer bereit sein, auf Lohn zu verzichten und möglicherweise auch auf flexiblere Arbeitszeiten einzugehen?

    Jüttner: Sehen Sie, das gehört zum Thema öffentliche Ratschläge. Der Betriebsratsvorsitzende hat gestern deutlich gemacht, dass der abgeschlossene Tarifvertrag vom letzten Herbst durchaus Raum bietet, Teile der Kostensenkung, die die Konzernleitung realisieren will, auch zu organisieren, aber nicht zu 100 Prozent. Darum verhandelt werden müssen, aber nicht auf dem offenen Markt.

    Thoma: Nun sind oder waren Sie ja auch IG Metall-Mitglied. Wie stark sind Ihre Kontakte noch dahin?

    Jüttner: Oh, ich bin immer noch Mitglied, ja. – Meine Kontakte sind gut. Wir sind als SPD an einer intensiven Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften interessiert. Das ist überhaupt gar keine Frage. Das soll auch so bleiben. Auch das hat zur Konsequenz: keine öffentlichen Ratschläge!

    Thoma: Ja gut, aber immerhin war Niedersachsen und VW auch ein Modell. Das muss man auch sagen. Ein Modell für diese Zusammenarbeit; wir haben es vorhin Kuschelkurs genannt. Man kann es einfach auch sehr positiv sehen. Das waren einfach Modelle, wo tatsächlich Arbeitnehmer und Betriebsleitung gut zusammengearbeitet haben. Das 5.000 X 5.000-Modell zum Beispiel. Das hat nun wirklich europaweit Schlagzeilen gemacht. Ist diese Zeit vorbei?

    Jüttner: Ich habe hingewiesen auf die Erfolgsgeschichte von Tarifpolitik bei Volkswagen. Das ist ein Kooperationsmodell zwischen Belegschaft, Unternehmensleitung und Öffentlichkeit, wenn man so will Gesellschaft, mit einer ganz bestimmten Anwendung von Mitbestimmung. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Kooperationsmodell sich überhaupt nicht überlebt hat und wir davon durchaus noch lernen können. Und die jetzt die Gelegenheit nutzen, durch Fehlverhalten einzelner das Mitbestimmungsmodell von VW zu diskreditieren, die sind auf dem Holzweg.

    Thoma: Und der Standort Niedersachsen für VW ist als Fazit jetzt auf keinen Fall gefährdet?

    Jüttner: Nein, überhaupt nicht!

    Thoma: Wolfgang Jüttner war das, der SPD-Fraktionschef in Niedersachsen, zur Krise bei VW und zum harten Kurs, der gestern vom Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder angekündigt worden ist. Herr Jüttner, danke schön für das Gespräch!

    Jüttner: Bitte schön!