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Deutschland : Argentinien
Eher Freundschaftsspiel als Revanche

Anderes Ambiente, der gleiche Gegner: Heute Abend spielt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Argentinien. Philipp Köster, Chefredakteur des Magazins "11 Freunde" erwartet ein lockeres Freundschaftsspiel. Die Mannschaft müsse sich jetzt neu justieren.

Philipp Köster im Gespräch mit Sandra Schulz | 03.09.2014
    Philipp Köster, Chefredakteur von 11 Freunde, dem Magazin für Fußballkultur
    Philipp Köster, Chefredakteur von 11 Freunde, dem Magazin für Fußballkultur (dpa / picture-alliance / Jörg Carstensen)
    Löw werde das Spiel nutzen, um die Mannschaft sich warm spielen zu lassen. Das Qualifikationsspiel gegen Schottland am 9. September sei bedeutend wichtiger.
    Schweinsteiger als neuer Kapitän
    Die Entscheidung für Bastian Schweinsteiger hat sich nach Ansicht von Köster "aufgedrängt, gerade nach seiner Leidensgeschichte." Er glaube, dass Schweinsteiger ein Übergang sein wird. In Anbetracht seines Alters könnte sein, "dass er ein Kapitän wird, der nur jedes zweite Spiel spielt". Löw habe einen altgedienten Recken belohnt, ein Zeichen in Richtung Jugend wäre allerdings gut gewesen, sagte Köster.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Die K-Frage ist geklärt seit gestern Mittag. Nach dem Rückzug von Philipp Lahm wird Bastian Schweinsteiger neuer Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft. Das musste Bundestrainer Joachim Löw jetzt auch entscheiden, vor dem Testländerspiel des Fußballweltmeisters heute Abend in Düsseldorf. Das Ambiente dürfte ein anderes sein als beim WM-Finale vor gut sieben Wochen in Rio, aber der Gegner ist der gleiche, nämlich Argentinien. Dass die Argentinier Revanche wollen, das ist klar, aber ohne Rachegelüste.
    Wir müssen darüber sprechen. Am Telefon ist Philipp Köster, Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Guten Morgen!
    Philipp Köster: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Schulz: Herr Köster, wenn Marx recht hat und die Geschichte sich nur als Tragödie oder als Farce wiederholt - das verkürze ich jetzt mal bewusst -, was passiert dann heute Abend?
    Köster: Ich denke, das wird eher in Richtung Farce und Komödie gehen. Klar ist natürlich, dass man das Fluidum dieses Rio-Endspiels nicht wiederholen können wird. Ganz, ganz viele Leute sind dann auch nicht dabei, die dieses Finale geprägt haben, wie Messi, wie Khedira, wie Schweinsteiger. Von daher wird man, glaube ich, eher so ein lockeres Freundschaftsspiel erleben, natürlich ein bisschen angefeuert durch die Historie und diese etwas merkwürdige Konstruktion, dass man sich jetzt ein paar Wochen nach diesem Finale schon wieder trifft, aber insgesamt eher Freundschaftsspiel als Revanche.
    "Argentinier müssen sich neu sortieren"
    Schulz: Wir haben die Stimmen aus Argentinien gerade gehört, und Sie sagen es auch gerade noch mal: Das wird keine Revanche. Warum sind die so zurückhaltend? Liegt das etwa am Gaucho-Song?
    Köster: Nein, nicht unbedingt. Ich glaube, das ist wirklich nur eine Petitesse gewesen, so eine Randnotiz. Eher wird es so sein, dass natürlich Joachim Löw dieses Spiel noch ein bisschen benutzen wird, um seine Mannschaft ein bisschen warm zu spielen für das eigentlich wichtigere Spiel gegen Schottland in der EM-Qualifikation. Die Argentinier müssen sich natürlich auch erst mal neu sortieren, weil dieses WM-Finale, dieses verlorene, hat bei ihnen natürlich auch so ein paar Schockwellen geworfen, auch wenn man jetzt trotzig sagt, das war alles nur der Schiedsrichter und die eigene Blödheit bei der Chancenauswertung. Aber trotz allem: Solche Spiele nach einer WM sind immer erst mal ein bisschen Neujustierung, und das wird Jogi Löw, denke ich, auch in den Vordergrund stellen.
    Schulz: Das musste er ja auch machen, weil sich Kapitän Lahm zurückgezogen hat. Jetzt ist Schweinsteiger erst mal für zwei Jahre neuer Kapitän. Den Job kann er, oder?
    Köster: Den Job kann er natürlich und er drängte sich natürlich auch auf, gerade nach seiner Leidensgeschichte im WM-Finale, wo er ja getackert und verbunden und noch mal getreten wurde und sich da so ein bisschen als Lazarus präsentiert hat. Ich glaube, für die nächsten zwei Jahre ist das ganz okay. Man hätte sich eventuell gewünscht, dass Joachim Löw auch ein Zeichen in Richtung Jugend gesetzt hätte. Er hätte natürlich auch so jemanden wie Manuel Neuer oder vielleicht auch Mats Hummels zum Kapitän machen können. Aber ich glaube, da wollte Jogi Löw vor allen Dingen Verdienste vergangener Jahre ehren, und insofern ist Schweinsteiger da schon eine ganz logische Lösung.
    Schweinsteiger: "Altgedienter Recke"
    Schulz: Und das ist auch der Grund für die Nominierung nur für zwei Jahre?
    Köster: Denke ich mal. Dann wird Schweinsteiger ja im für Fußballer schon ordentlichen Alter von 34 Jahren sein. Er hat ja jetzt auch schon immer wieder verletzt gefehlt, fehlt auch in seinem ersten nominellen Spiel als offizieller DFB-Kapitän, was ein bisschen andeuten könnte, dass er vielleicht auch ein Kapitän sein wird, der nur die Hälfte der Spiele tatsächlich auf dem Rasen gestaltet. Man wird dann auch schauen, wer der Zweitkapitän wird. Momentan ist es ja Manuel Neuer. Vielleicht schält sich ja auch noch so ein zweiter Anführer dieser Truppe heraus.
    Schulz: Wofür steht Schweinsteiger denn jetzt? Bei uns hier in der Redaktion ist die Zuspitzung gefallen "moderner Teutone". Trifft das?
    Köster: Wunderschön! Es war ja gestern in der Pressekonferenz so, dass Joachim Löw immer mal wieder Schweinsteiger den "Leader" genannt hat. Das ist eine etwas merkwürdige Formulierung, weil natürlich solche modernen Mannschaften eigentlich nicht mehr den einen Anführer brauchen, sondern die schon als Organismus funktionieren und jeder so seine Aufgabe erledigen muss. Aber er ist natürlich jemand, der gezeigt hat, dass er kämpfen kann. Er ist ja auch schon seit 2004 dabei, er ist ein altgedienter Recke, und all das, glaube ich, summiert sich dazu, dass er, glaube ich, auch jetzt momentan einer ist, zu dem die jungen Spieler aufgucken können.
    Schulz: Und jetzt - das haben Sie auch gerade schon gesagt - sind natürlich viele Führungspersonen weg: Lahm, Mertesacker, Klose. Wer übernimmt die Jobs als Führungskraft?
    Köster: Zunächst mal ist es so, dass eine richtige Lücke ja in der Nationalmannschaft wirklich nur auf der Position von Philipp Lahm besteht. Da gibt es Lichtjahre entfernt niemanden, der ansatzweise diese Rolle ausführen könnte. Alle anderen kann man, glaube ich, ersetzen. Es kommen ja neue Leute hinzu, die verletzt gefehlt haben, wie Marco Reus, aber auch Mario Gomez ist wieder dabei, den man ja nicht abschreiben sollte und der ja auch nur gefehlt hatte, weil er nach seiner Verletzung in den ersten Monaten des Jahres nicht so in Form gekommen ist. Es gibt keinen großen Umbruch, aber es gibt ein paar hoffnungsvolle Spieler, die jetzt nachrücken. Insbesondere Marco Reus steht da, glaube ich, dafür. Insofern kann Jogi Löw, glaube ich, auch ganz optimistisch in die Zukunft gucken.
    Neuer Co-Trainer: Überraschende Personalie
    Schulz: Lahm tritt ja relativ jung ab. Ist das auch Zeichen für einen neuen Erschöpfungszustand, den es gibt bei Fußballern, die auch noch sehr jung sind?
    Köster: Ja das ist so ein Phänomen. Es gibt eine ganze Menge wirklich großer Stars, die relativ früh dann auch gesagt haben, diese Belastung kann ich mir nicht mehr antun. Es gibt ganz tragische Fälle wie Ronaldinho zum Beispiel, der nur wirklich wenige Jahre unter dieser weltbesten Elite war. Bei Philipp Lahm war es so, dass der natürlich auch gesehen hat, dass die Belastung beim FC Bayern nicht weniger wird, und es ist natürlich auch eine große Versuchung zu sagen, mein letztes Spiel war das gewonnene WM-Finale in Rio. Ich glaube, dieser Versuchung haben auch andere wie Per Mertesacker nachgegeben. Insofern war es ein logischer Schritt.
    Schulz: Und was ist mit dem zweiten Namen, der gestern bekannt wurde? Der neue Co-Trainer heißt Thomas Schneider. Ist das eine gute Nachricht?
    Köster: Das war zunächst mal eine überraschende Personalie, weil zunächst ja zwei andere Kandidaten, Marcus Sorg, der U19-Trainer, und Frank Wormuth, der Chef der Trainerausbildung beim DFB, gehandelt wurden. Thomas Schneider ist dann erst später ein bisschen in den Fokus geraten, ist aber eigentlich eine ganz logische Lösung. Er hat ja beim VfB [Stuttgart, Anm. d. Red.] viel für die Jugendarbeit getan, hat sich dann ja ein bisschen glücklos auch als Bundesliga-Trainer versucht, aber er ist jemand, der taktisch auf der Höhe ist, der, glaube ich, auch diese Position von Hansi Flick wunderbar übernehmen kann. Insofern war es auch eine Lösung, die, glaube ich, bei den Journalisten und auch in den Verbänden sehr, sehr positiv aufgenommen worden ist.
    Schulz: Heute Abend trifft der Weltmeister wieder auf den Vizeweltmeister. Deutschland spielt gegen Argentinien in Düsseldorf. Einschätzungen dazu waren das von Philipp Köster, dem Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde" hier heute im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank Ihnen!
    Köster: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.