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Deutschland, deine Museen

Das 19. Jahrhundert war eine Zeit der Suche nach nationaler Identität, Begriffe wie Patriotismus, germanisch oder Vaterland hatten Hochkonjunktur. Eine wichtige Rolle spielten dabei Museen, vor allem Kunst- und Geschichtsmuseen; viele entstanden zwischen dem Ende der napoleonischen Herrschaft und dem neuen Kaiserreich. Eine , unterstützt von der Uni Göttingen und der Thyssen-Stiftung, hat sich damit beschäftigt.

Von Christian Forberg | 17.10.2013
    Im Jahre 1815 unternimmt der Weimarische Staatsminister von Goethe eine ausgedehnte Westreise. Ziel sind "Kunst und Althertümer", die an Rhein und Main in Sammlungen bewahrt werden. Er will sie anschauen, bewerten und Vorschläge für eine weitere Nutzung unterbreiten. Darin hat er bereits einige Erfahrung, sagt die Literaturwissenschaftlerin Constanze Breuer aus Halle an der Saale:

    "Goethe hat ja in seinem Leben sehr viele Sammlungen besucht, vor allem in Italien. Und die Weimarer Erfahrung, also die Entwicklung der dortigen Museen vor allem in Jena, hat ihm vielleicht diese Managerexpertise auch verschafft, so dass er Situationen an Rhein und Main sehr gut beurteilen konnte."

    Seinerzeit lagen Sammlungen weitgehend in privater Hand von Adligen, Professoren oder anderen begüterten Bildungsbürgern. Aber, so Constanze Breuer:

    "Sind die in der Lage, diese Sammlungen gut zu betreuen? Einigen spricht er das ab, bei anderen sagt er: Wunderbar, das kann so weitergehen, nur braucht das Ganze finanzielle Unterstützung. Aber er ist davon überzeugt, dass das Ganze irgendwie öffentlich, dem öffentlichen Wesen gewidmet sein muss, damit das Bestand hat."

    Dass Goethes Bestreben zumindest teilweise Früchte trug, belegt das Fortbestehen solcher Sammlungen wie Städel und Senckenberg in Frankfurt am Main oder Wallraf in Köln. Womit ein weiteres seiner Ziele deutlich wird: Ihm ging es um den Erhalt der Sammlungen am Ort, um Dezentralisierung und nicht um eine Zentralisierung, wie sie Napoleon im Louvre praktizierte.

    1842, ein Jahrzehnt nach Goethes Tod, sollte sein Wohnhaus in Weimar zu einer Art Nationalmonument erklärt werden, und zwar vom preußischen König. Einige Privaträume zum nationalen Gedenkort zu erklären - das wäre ein Novum! Den Anstoß dazu, sagt Paul Kahl, Germanist an der Uni Göttingen, habe der weitgehend unbekannte bayerische Schriftsteller Melchior Meyer mit einer Denkschrift gegeben:

    "Das ist sozusagen das komplexe 19. Jahrhundert: Auf dem Weg von München nach Berlin kommt er über Weimar und besichtigt das Goethehaus. Wobei die Frage natürlich gut ist: Was interessiert den preußischen König an Goethe? Denn Friedrich Wilhelm war ein Romantiker, der eigentlich in eine stimmungsmäßig andere Richtung gegangen ist als der Klassizist Goethe. Vermutlich ist es das nationale Anliegen: Das Goethehaus eignet sich als ein Ort, der für alle in Deutschland symbolische Bedeutung haben kann."

    Zum Nationalmuseum wird es jedoch erst 1885. Solange verhindern die Enkel die Nutzung des Privathauses. Da steht das Schiller-Wohnhaus bereits bald vier Jahrzehnte als Gedächtnisort offen. Doch Schiller, so Paul Kahl, hatte einen Makel:

    "Schiller hätte sich vielleicht mehr geeignet als Nationaldichter vor allem des Bürgertums. Aber er erschien für den Adel wiederum zu bürgerlich. Goethe war ja auch ein Vertreter des alten Regimes: Er war Mitarbeiter eines Herzogs gewesen."

    Es waren in der Regel die Fürsten der deutschen Länder, die nationale Gedenkorte und Museen entstehen ließen - wenn sie daran interessiert waren und "huldvolles Wohlwollen" gegenüber den Ideen ihrer Untergebenen zeigten, auch in finanzieller Hinsicht. Bürger hatten doppelten Anteil: zuerst als Gestalter, dann als Besucher. So auch 1830 am Bau des Königlichen, des heute "Alten Museums" am Berliner Lustgarten. Bärbel Holtz:

    "Immerhin hat ein Karl Friedrich Schinkel daran mitgewirkt, ein Wilhelm von Humboldt die Konzeption geschrieben, und es war von Anfang an ein Publikumsmagnet - nicht nur fürs Berliner Publikum, sondern für viele, viele Ausländer, was also bestätigte, dass dies ein sehr gelungenes Ensemble gewesen ist."

    Bärbel Holtz leitet die Arbeitsstelle "Preußen als Kulturstaat" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie hebt vor allem den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. heraus, der 1840 die Regierung übernahm. Ein Schöngeist, der die Museumsbauten auf der Spreeinsel als eine Art Sammlungsstadtteil anschob. Maßstab für das, was geschah, war allerdings allein der König.

    "Das ist mein Kunstgeschmack, und das ist der Richtige. Und den hat er dann auch gefördert. Er hat nicht die vielen Maler gefördert, die gerade in den 30er, 40er Jahren als Beruf die Malerei ausgeübt haben. Das machten dann die bürgerlichen Kunstvereine in den Städten."

    Von unten initiiert und von oben geduldet war die Gründung zweier noch heute herausragender Museen. Im Juli 1852 kamen in Dresden Vertreter der rund 40 Altertumsvereine im deutschsprachigen Raum zusammen und gründeten einen Gesamtverein. Zwei Monate später in Mainz beschlossen sie, zwei zentrale Geschichtsmuseen zu schaffen: eines für die Zeit vor Karl dem Großen, dem "Christianisierer Germaniens". Das entstand im Mainzer kurfürstlichen Palais als Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Hier arbeitet die Archäologin Anette Frey:

    "Es hieß in beiden Fällen, einerseits die wissenschaftliche Sammlung aufzubauen, andererseits aber für Forscher, aber auch für Laien den Überblick zu geben. Also es war von Anfang an bei beiden Institutionen so geplant, ein Museum zu haben - nicht nur eine Sammlung, sondern von vornherein auch gedacht zum Präsentieren, zum Bilden, zum Darstellen."

    Das andere Museum für die Zeit nach der erfolgten Christianisierung wurde das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg. Auch hier konnte man das Zusammenspiel von Initiator und Monarch verfolgen. König war seinerzeit Maximilian II., Initiator der fränkische Freiherr Hans von Aufseß, sagt Frank Matthias Kammel, Kunsthistoriker und Leiter der Skulpturensammlung des Museums.

    "Man darf nicht vergessen, dass Aufseß schon seit 1832 etwa, als 20 Jahre lang versucht hat, diese Institution zu etablieren, und die entscheidenden Gegner eigentlich seine eigenen Leute waren, die Gelehrtenwelt."

    Aber "Kini Maximilian" hatte den Ehrgeiz, Bayern zu einer dritten Macht nach Preußen und Österreich zu entwickeln. Und da kam ihm das Prestigeobjekt eines solchen Zentralmuseums - nationale Größe, aber fest in seiner Hand - gut zupass. Weshalb Aufseß auch die Immobilie für das Museum aus des Königs Hand bekam: das alte Kartäuserkloster.

    Kammel: "Alter reichsstädtischer Besitz, der an das Königreich Bayern gefallen war. Aber es bedeutete schon eine relativ ausführliche Überzeugungskraft. Auch in Nürnberg war man eigentlich gegen dieses Museum, weil es lange Zeit in der Ära Aufseß als Privatinitiative angesehen worden ist."

    Was änderte sich mit der Reichsgründung von 1871 an dieser Mischung aus Initiative von unten und Gnade von oben? Das Geld kam nun vom Staat, was fürstliche Zugaben nicht ausschloss. Befreit seien Kunst und Kultur dadurch aber nicht geworden, sagt Bärbel Holtz mit Blick auf Preußen:

    "Unter Wilhelm II. bekam das Ganze ja noch einmal einen ganz anderen Ton, weil er sich selber eben auch anmaßte, ein Künstler und ein Architekt zu sein, und es geschmacklich in eine Richtung ging, die man nicht mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichen kann."
    Muss Goethe in Stockholm einpacken?
    Goethes Wohnhaus wurde zum Nationalmuseum. (AP Archiv)