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Deutschland fängt diplomatisch in Ägypten bei "null" an

Michael Lüders hält die politische Lage in Ägypten für unübersichtlich: Es sei schwer zu ermessen, welche Gruppierung künftig den Ton angeben werde. Der Westen und Deutschland müssten sich neue Ansprechpartner suchen.

15.02.2011
    Jasper Barenberg: Meinen es die Generäle in Kairo ernst mit dem Versprechen, die Grundlagen zu legen für ein neues, ein demokratisches Ägypten? Darauf wird die Protestbewegung mit Argusaugen achten. Schließlich hat sie ihre Macht gerade eindrucksvoll unter Beweis gestellt. 18 Tage hat sie gebraucht, um ein Regime zu Fall zu bringen, das 30 Jahre mit eiserner Hand geherrscht hat. Wie aber ist diese Bewegung zusammengesetzt? Wer spielt dort eine Rolle, wer nicht? Welche Kräfte werden den Wandel vorantreiben und gestalten? – Ein stück Orientierung erhoffen wir uns jetzt im Gespräch mit einem Kenner der Region. Schönen guten Morgen, Michael Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Lüders, eine ganze Reihe von Gruppen hat die Massenproteste der vergangenen Tage und Wochen organisiert. So ist es jedenfalls zu lesen. Welche von ihnen geben den Ton an?

    Lüders: Das ist im Augenblick schwer zu ermessen. Es ist eine sehr unübersichtliche Lage, es gibt verschiedene Gruppen und Strömungen, aber nichts ist kohärent oder gut organisiert, es gibt noch keine wirklich gewachsenen Strukturen, es ist alles im Umbruch. In der Vergangenheit war es so, dass es zwar Parteien gab, sie waren aber gegängelt beziehungsweise verboten, obwohl es sie in der Realität doch gab. Das gilt für die Muslimbrüder. Die Wafd-Partei ist zum Beispiel eine solche Partei. Sie spielte eine große Rolle im Jahr 1952, als damals unter Gamal Abdel Nasser die Armee putschte und damit die Unabhängigkeit von Großbritannien vorbereitete, und auch in der Demokratiebewegung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war sie bedeutend. Heute ist sie völlig marginalisiert, es ist nur noch ein Honoratiorenverein. Das heißt, für deutsche Politik und westliche Politik, wenn sie Ansprechpartner sucht in Ägypten, wird sie wirklich bei Null anfangen müssen, sich neu zu orientieren und zu schauen, welche Bewegungen hier eine Rolle spielen, beziehungsweise wer gerade dabei ist, sich zu konstituieren. Es sind vor allem Bewegungen der jungen, die hier vorwärts strömen. Das sind Leute aus dem Umfeld des Internets, der Telekommunikation, der Twitter-Gemeinde. Das klingt sehr allgemein, es ist es auch, und aus diesem diffusen Umfeld nun diejenigen herauszupicken, die ein Ansprechpartner sein könnten, das ist die Kunst. Und hinzu kommen natürlich die alten Garden, Leute wie Amr Musa, der langjährige Generalsekretär der Arabischen Liga, oder eben Mohammed el-Baradei, der langjährige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde. Es fehlt nicht an Personal, den Übergang zu organisieren. Die Frage ist nur, inwieweit die Generäle bereit sein werden, tatsächlich Macht abzutreten, denn die Armee wird auch weiterhin im Hintergrund versuchen, die Fäden zu ziehen.

    Barenberg: Wie lassen sich denn diese Gruppen und Strömungen, von denen Sie gesprochen haben, selbst wenn das alles noch sehr diffus ist, wie lassen sie sich politisch einordnen?

    Lüders: Zunächst einmal sind es sehr pragmatische Gruppierungen. Sie sind in keiner Weise festgelegt, sie haben auch keine Ideologie. Sie wollen weder linke Fortschrittsideologien umsetzen, noch sind sie arabisch-nationalistisch, sie sind aber auch nicht islamisch-fundamentalistisch in ihrer Mehrheit eingestellt. Es sind Jugendliche, die verstanden haben, dass Ägypten ein großes Potenzial hat, das aber von den bisherigen Regierenden nicht genutzt wurde. Es war eine blockierte Entwicklung, eine kleine Elite, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht hat teilhaben lassen an einer besseren Zukunft und sie ausgeschlossen hat von der Ressourcenverteilung. Und diese Revolution der Jugend, als welche sie der Nachrichtensender Al-Dschasira in den Tagen der Revolution bezeichnet hat. Sie wird die neuen Maßstäbe setzen, aber die Gefahr ist natürlich sehr groß, dass diese politisch noch unerfahrenen Kräfte von den Profis an den Rand gedrängt werden und am Ende sich dann doch Politiker durchsetzen, die still und leise und heimlich in Zusammenarbeit mit dem Militär versuchen, Fakten zu schaffen und letztendlich das alte Regime mit einer neuen Fassade wiederauferstehen zu lassen.

    Barenberg: Welche, sagen wir, alten Kräfte sind es denn, die möglicherweise jetzt die Chance nutzen, ihre Professionalität ins Spiel zu bringen?

    Lüders: Das sind vor allem die Militärs in Zivil, Leute, die in Zivilkleidern als ehemalige Militärs, früh pensioniert, Führungsposten übernommen haben in der Verwaltung und in der Wirtschaft und in der Vergangenheit große Reichtümer angehäuft haben, zum Beispiel indem ihnen Monopole zugeteilt wurden, Monopole etwa im Bereich des Handy-Vertriebes oder des Imports von Luxusgütern. Diese Leute halten sich jetzt noch im Hintergrund und warten ab, wie sich die Dinge entwickeln. sie werden aber mit Sicherheit nach vorne kommen, wenn sie ihre Chance gekommen sehen. Diese Leute haben natürlich sehr viel Geld im Hintergrund und sie genießen wie gesagt die Unterstützung der Armee, und das macht es so ein bisschen gefährlich. Wenn es gut läuft, dann schafft Ägypten den demokratischen Aufbruch und es wird nach einer schwierigen Phase des Überganges eine neue Parteienlandschaft entstehen. Wenn es schlecht läuft, dann ist die Gefahr groß, dass ähnlich wie in der DDR nach 1989 die vielen Bewegungen, die einen anderen, dritten Weg versuchten zu gehen, sehr schnell marginalisiert wurden. Ein solches Szenario ist auch für Ägypten denkbar, dass in einem halben Jahr diese Jugend, die die Revolution gemacht hat, politisch keine Rolle mehr spielt.

    Barenberg: Der Islam-Wissenschaftler, Autor und Berater Michael Lüders. Herzlichen Dank für diese Einschätzungen.