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"Deutschland gehört zum Westen"

Die enge Zusammenarbeit mit den USA sei weiterhin im deutschen Interesse, doch stelle sich die Frage, wie sehr man sich jetzt noch vertrauen könne, meint Ruprecht Polenz (CDU). Wie in der Wirtschaft üblich gelte es, seine Betriebsgeheimnisse zu schützen.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 02.11.2013
    Jürgen Zurheide: Wir wollen noch mal auf die Affäre der NSA und von Herrn Snowden kommen - das war ja so eine Art Ströbele-Show, die wir da in den letzten zwei Tagen erlebt haben. Und wir wollen uns in diesem Zusammenhang fragen, was heißt das eigentlich für die Konstellation der Großmächte, das Verhältnis Deutschland/USA auf der einen Seite, Deutschland/Russland auf der anderen Seite. Und darüber wollen wir reden mit Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, der jetzt bei uns am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Polenz!

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal, das Vertrauen in die USA hat ja gelitten, das sagen wir so einfach, auf der einen Seite, auf der anderen Seite möchte ich fragen: Ist es nicht vielleicht auch eine naive Vorstellung gewesen, dass die Freunde nicht auch da mithorchen?

    Polenz: Na ja, es gibt einen Ausspruch eines Amerikaners: Wenn wir das Handy von der Bundeskanzlerin abgehört haben, dann sollte das eigentlich die geringste Sorge der Deutschen sein, nach dem Motto, es können ja dann auch wohl andere geschafft haben. Und das ist natürlich richtig. Die elektronische Kommunikation ist auf dieser Welt, solange es Länder wie Nordkorea oder die Mafia, gibt, eben nicht sicher, und davor muss man sich schützen.

    Zurheide: Es gibt ja auch diesen berühmten Satz, den will ich noch mal bemühen, den wir alle kennen: Es gibt in der Außenpolitik ohnehin keine Freunde, sondern es gibt Interessen. Auch richtig - hilft uns das in dem Moment?

    Polenz: Ein bisschen schon, denn wenn ich von den Interessen ausgehe, komme ich natürlich sehr schnell zu dem Ergebnis, wie sehr eine enge deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in unserem deutschen Interesse liegt und dass wir auch darauf angewiesen sind. Ob es um die Regulierung der Finanzmärkte geht, ob es um wirtschaftliche Fragen geht, ob es um Fragen unserer Sicherheit über die NATO geht, also wir sind immer auf eine enge Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen. Auf der anderen Seite ist eben die Frage, wie groß ist jetzt die Möglichkeit, sich zu vertrauen, in dem Sinne, dass man vor Ausspionierung sicher ist. Und natürlich geht es nicht, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, dass man sich gegenseitig sozusagen auf höchster Ebene versucht auszuspionieren. Es hat solche Vorfälle allerdings immer wieder gegeben, ich denke auch hier beispielsweise an Vorfälle, wo die Israelis in den USA spioniert haben. Das ist aufgeflogen, die Amerikaner haben sich ziemlich drüber aufgeregt.

    Zurheide: Was sagt eigentlich diese Art von Bespitzelung über die innere Verfassung der USA aus, denn da gibt’s oder beginnt ja eine Diskussion, aber so, wie ich das wahrnehme, nur eine sehr vorsichtige Diskussion, so unter der Überschrift: Na ja, die Administration sagt auch, der Präsident angefangen, alles, was technisch möglich ist, sollten wir nicht mehr tun. Was sagt das über die USA aus?

    Polenz: Zunächst einmal muss man festhalten, das Datenschutzinteresse ist in Deutschland sicherlich weltweit mit am höchsten. Das liegt einfach daran, dass bei uns historisch die Erfahrung zweimal gemacht wurde, der Staat ist der Feind der Bürger. Das war zur Zeit des Nationalsozialismus so und der kommunistischen Diktatur in der DDR. Diese Erfahrungen haben die Amerikaner in der Form nie gemacht. Sie erwarten von ihrem Staat, dass er sie schützt, und zwar vor allen Dingen schützt gegen etwas, was am 11. September passiert ist. Das darf nie wieder passieren, das erwartet jeder Amerikaner von seiner Regierung. Und die Geheimdienste haben in der öffentlichen Diskussion jetzt auch immer wieder der Bevölkerung versucht deutlich zu machen, das, was wir tun, hat einen Sinn gehabt, wir haben Anschläge verhindert, und wenn wir das nicht mehr dürfen, dann steigen die Gefahren. Deshalb ist die Debatte in Amerika etwas anders als bei uns.

    Zurheide: Jetzt gibt es den Satz: Wenn wir den Herrn Snowden möglicherweise, wo auch immer, befragen können, sollten wir das möglicherweise tun, aber wir sollten die USA nicht zu sehr verärgern. Ist dieser Satz so richtig?

    Polenz: Na, man muss erst mal wissen, was ist jetzt unser Erkenntnisinteresse. Auch wenn ich jetzt höre, wir wollen einen Untersuchungsausschuss haben, was soll der rausfinden und wie wollen wir da mit den Ergebnissen umgehen. Es ist doch jetzt schon klar, dass das, was der BND ankündigt, wir müssen unsere Spionageabwehr neu organisieren – ich würde mal sagen, von einer 180-Grad-Spionageabwehr wird es mehr eine 360-Grad-Spionageabwehr werden, was im Übrigen ja deutsche Firmen auch schon machen. Wenn Sie mal in einer Firma waren, die sensible Produkte herstellt, dann ist da ein sehr intensiver Schutz, und zwar in alle Richtungen, ob Richtung USA, China, Russland oder sonst wer, man schützt seine Betriebsgeheimnisse. Und das werden wir in Zukunft auch tun müssen.

    Zurheide: Was heißt das eigentlich, was wir im Moment erleben, im Verhältnis zu Russland? Gibt es da eine Abkühlung zu den USA, eine Annäherung an Russland möglicherweise?

    Polenz: Das wäre verheerend, denn wir müssen ja sehen, dass die russische internationale Politik nun nicht gerade so vorgetragen wird, dass die Ergebnisse in unserem Interesse liegen. Schauen Sie, was die Russen in Syrien machen, schauen Sie … sie helfen zwar beim Iran etwas mit, aber tragen auch auf der anderen Schulter, dass ein Iran jedenfalls keinesfalls sich wieder näher an die USA bewegen soll. Also die Russen machen international eine sehr problematische Politik im Augenblick. Und wie gesagt, auch die innere Verfassung Russlands - wir haben gerade zehn Jahre dieses Urteil gegen Chodorkowski erinnert, noch ist der Mord an Politkowskaja ja nicht aufgeklärt. Eine wirkliche Opposition hat es in Russland außerordentlich schwer. Also es wäre verheerend, wenn wir hier wieder unser Koordinatensystem aus dem Blick verlieren würden. Deutschland gehört zum Westen, und der Westen muss allerdings immer wieder auch daran arbeiten, dass er selbst entsprechend seiner Wertvorstellungen miteinander und untereinander umgeht.

    Zurheide: Das war Ruprecht Polenz, der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Herr Polenz, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Polenz: Bitte schön, Herr Zurheide!


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