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Deutschland in der Nato
"Wir werden sicherlich gefordert werden, gleiches Risiko wie andere einzugehen"

Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) geht davon aus, dass sich Deutschland in der Nato künftig nicht mehr auf Aufklärungsflüge beschränken und Angriffe anderen Staaten überlassen kann. Diese Arbeitsteilung werde es auf Dauer nicht geben, sagte er im DLF. Auf der heute beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz hofft er auf eine "knallharte Aussprache".

Volker Rühe im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.02.2017
    Bundesminister a. D. Volker Rühe in der Bundespressekonferenz.
    Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe hofft auf mehr Klarheit im Verhältnis der Nato-Staaten. (imago - Metodi Popow)
    Auf der Münchner Sicherheitskonferenz steht vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik der neuen US-Regierung im Mittelpunkt. US-Präsident Donald Trump hat seit seinem Amtsantritt alles in Frage gestellt, was die Welt auf internationaler Ebene bisher zusammenhält, nämlich unter anderem internationale Organisationen wie Uno oder die Nato. Im Januar hatte Trump das westliche Militärbündnis als veraltet bezeichnet und einen größeren Beitrag der Europäer in militärischen Fragen gefordert.
    Vor diesem Hintergrund erhofft sich der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe von der Münchner Konferenz eine "knallharte Aussprache". Der CDU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, es gehe darum, mehr Klarheit in die politischen Prozesse zu bekommen. "Es ist unbestritten, die Europäer müssen einen größeren Teil der Lasten im Bündnis tragen, aber sie können die USA auch nicht ersetzen", sagte Rühe. Die Vereinbarung, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in den Verteidigungsetat zu stecken, könne nicht der einzige Maßstab sein. "In Deutschland würde das bedeuten, zu den 36 Milliarden Euro noch mal gut 25 Milliarden zusätzlich auszugeben", konkretisiert der CDU-Politiker. Das sei seriös gar nicht machbar.
    Rühe sagte, dass Deutschland auch in anderen Bereichen mehr tun könnte, beispielsweise bei Militäreinsätzen gleiches Risiko wie andere einzugehen. "Die Arbeitsteilung; die wir jetzt erleben, dass wir Aufklärung machen und andere europäische Nationen Angriffe durchführen, diese Arbeitsteilung wird es auf die Dauer auch nicht geben", betontE Rühe. Darüber hinaus hätten die USA aber auch ein Eigeninteresse an der Nato – nämlich die Stabilität auf der Gegenseite des Atlantiks.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Syrien, die Ukraine, der Brexit und dann auch noch Donald Trump und der aktuelle Streit um die NATO - es gibt viele Krisen und Unwägbarkeiten zurzeit in der internationalen Politik. Entsprechend viel Gesprächsbedarf gibt es ab heute bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Selten wurde dieses Treffen mit so viel Spannung erwartet wie in diesem Jahr.
    Am Telefon ist jetzt Volker Rühe, CDU-Politiker, bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und in den 90er-Jahren war er Bundesverteidigungsminister. Schönen guten Morgen, Herr Rühe.
    Volker Rühe: Ja. Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Rühe, kann so ein Treffen wie die Sicherheitskonferenz in München, kann das mehr sein als eine Art Debattierklub in einem sehr schönen Münchener Hotel?
    Rühe: Das hört sich so harmonisch an. Ich hoffe, dass es eine knallharte Aussprache gibt, und wenn sie mehr Klarheit bringt über die Positionen, dann ist das allemal wert, sich zu treffen, und eine große Leistung von Wolfgang Ischinger, wen er da alles zusammenbringt: Das erste Mal den amerikanischen Vizepräsidenten. - Also es geht nicht um ein schönes Hotel und eine nette Diskussion, sondern es geht darum, mehr Klarheit in die politischen Prozesse zu bringen.
    "Die Europäer müssen einen größeren Teil der Lasten im Bündnis tragen"
    Armbrüster: Klarheit wird da ja von den Amerikanern zurzeit vor allem gefordert. Sie wollen, dass die Europäer endlich ihre Versprechungen wahr machen und deutlich mehr an Verteidigungsausgaben zahlen. Warum hinken die Europäer, auch die Deutschen mit diesen Ausgaben, mit dem Wehretat so hinterher?
    Rühe: Man muss sich das genau anschauen. Ich glaube, es ist unbestritten, die Europäer müssen einen größeren Teil der Lasten im Bündnis tragen. Aber sie können die USA auch nicht ersetzen. Und die zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, das kann auch nicht der einzige Maßstab sein. Im Übrigen würde das bedeuten, in Deutschland zu den 36 Milliarden noch mal gut 25 Milliarden zusätzlich auszugeben. Das ist seriös gar nicht machbar. Das wäre auch eine radikale Aufrüstung, die die politischen Prozesse, die wir weiter verfolgen müssen, völlig erschlagen würde. Und man muss auch sagen, Deutschland könnte auch neben mehr Geld, was sicherlich notwendig ist, in anderen Bereichen noch mehr tun, und da werden wir sicherlich gefordert werden, nämlich gleiches Risiko wie andere einzugehen.
    Wir haben unsere Soldaten in Afghanistan nicht durch eigene Flugzeuge geschützt, close air support, sondern haben das die Amerikaner machen lassen. Und die Arbeitsteilung, die wir auch jetzt erleben, dass wir Aufklärung machen, Flugzeuge, die fotografieren, und andere europäische Nationen, auch kleinere, die Angriffe durchführen, diese Arbeitsteilung, die wird es auf die Dauer auch nicht geben.
    Im Übrigen, was die USA angeht: es gibt natürlich auch ein Eigeninteresse der USA an diesem Bündnis. Die Stabilität auf der Gegenseite des Atlantiks, das ist im Interesse der USA. Wir waren zweimal im Krieg im letzten Jahrhundert und deswegen ja, ein größerer Beitrag, aber es ist nicht so, dass sie in Europa sind, nur um den Europäern einen Gefallen zu tun; sie vertreten auch berechtigte eigene Sicherheitsinteressen.
    Sehen Sie dazu auch: Prof. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, über die Auswirkung der geänderten Haltung der USA zur NATO auf die europäische Sicherheitspolitik und wie sich Deutschland künftig positionieren muss.
    Armbrüster: Aber habe ich Sie dann richtig verstanden, Herr Rühe? Sie wären dafür, dieses Zwei-Prozent-Versprechen wieder zurückzunehmen?
    Rühe: Man muss es ja nicht zurücknehmen. Das ist gegeben worden nach dem Motto, das wird schon nicht so heiß gegessen werden, wie das angerichtet ist.
    "Die Europäer müssen enger zusammenarbeiten"
    "Natürlich bringt es was, wenn Sie mehr ausgeben"
    Armbrüster: Aber es bringt ja nicht viel, wenn es nicht eingehalten wird.
    Rühe: Natürlich bringt es was, wenn Sie mehr ausgeben, und das ist unbestritten, habe ich ja gesagt. Einen größeren Anteil. Aber wollen Sie wirklich 25 Milliarden noch mal zusätzlich ausgeben für die Rüstung? Das zerschlägt alle politischen Prozesse und das ist auch gar nicht seriös machbar. Wofür wollen Sie das denn ausgeben?
    Noch einmal: Es gibt auch andere Dinge, wo wir was tun müssen, nämlich dasselbe Risiko einzugehen wie die anderen europäischen Nationen und im Übrigen auch dafür zu sorgen, dass wir die gemeinsamen militärischen Instrumente, dass nicht jede Nation alle Dinge vorhält, sondern die Europäer müssen enger zusammenarbeiten, gegenseitig sich absprechen, wer was macht, und sich aufeinander verlassen, und hier ist die Bündnisfähigkeit und die Verlässlichkeit Deutschlands gefragt, die in der Vergangenheit nicht immer gegeben war.
    "Wir haben eine klare Grundlage, bei uns entscheidet das Parlament"
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns darüber sprechen. Sind die Deutschen zu zögerlich mit Auslandseinsätzen?
    Rühe: Nein. Wir haben eine klare Grundlage, bei uns entscheidet das Parlament, und das halte ich auch nicht für eine Schwäche und nicht für zögerlich. Wer das Parlament nicht überzeugen kann, wer den Deutschen Bundestag nicht überzeugen kann, der kann die deutsche Bevölkerung auch nicht überzeugen. Wir haben diese Kommission vor drei Jahren gegründet auf Initiative von dem Kollegen Schockenhoff, der leider verstorben ist, der aber ein großes Verdienst hat an der Arbeit dort.
    Armbrüster: Da reden Sie über Ihre Kommission, die Rühe-Kommission, die diese Vorschläge gemacht hat, solche Auslandseinsätze künftig auf neue Füße zu stellen und vor allen Dingen einfacher zu machen.
    Rühe: Ja.
    Armbrüster: Da können wir direkt drüber reden!
    Rühe: Nein, nein. Da geht es auch direkt um das Thema von München. Es geht darum: Die Bündnisfähigkeit Deutschlands, die Verlässlichkeit Deutschlands, die hat diese Bundesregierung, unionsgeführt, in den letzten zehn Jahren zweimal die AWACS-Aufklärungszeuge verlassen. Die werden von elf Nationen gemeinsam betrieben und wir stellen ein Drittel des Personals. Das hat diese Flugzeuge fast ruiniert und deswegen ist es wichtig, dass das nie wieder passiert, und dazu haben wir Vorschläge gemacht, wie es bei der Mitwirkung des Parlaments bleibt, der Entscheidung des Parlaments, aber gleichzeitig es einen besonderen Schutz gibt für die militärischen Einrichtungen, die übernational betrieben werden. Und die Verteidigungsministerin sagt ja zurecht auch, dass wir immer mehr Dinge in Europa gemeinsam zwischen den Nationen tun müssen.
    "Im Moment sehe ich viel Orientierungslosigkeit und Unberechenbarkeit"
    Armbrüster: Aber die Vorschläge, die Sie da gemacht haben mit Ihrer Kommission, die hat die Koalition jetzt abgelehnt. Das wird nicht realisiert, haben wir in dieser Woche erfahren. Haben Sie da jetzt umsonst gearbeitet?
    Rühe: Nein. Die Koalition hat es nicht abgelehnt, sondern die Führung der CDU/CSU-Fraktion. Und wir haben überhaupt nicht umsonst gearbeitet, denn man wird auf jeden Fall auf die Sachen zurückkommen. Im Übrigen hat die Verteidigungsministerin mich vor 14 Tagen angerufen und gesagt, sie würde zu 100 Prozent das Arbeitsergebnis der Kommission für richtig halten.
    Wissen Sie, ich bin ja schon ein bisschen länger in der Außen- und Sicherheitspolitik und seit 1963, über 50 Jahre Mitglied der CDU. Es war immer ein Markenzeichen der CDU, in der Sicherheitspolitik die richtigen Weichen zu stellen.
    Im Augenblick sehe ich aber viel Orientierungslosigkeit und Unberechenbarkeit. Davon haben wir eigentlich schon genug in der Welt und deswegen vertraue ich darauf, dass es hier noch zu den notwendigen Einsichten kommt, dass wir sehr wohl unsere Mitwirkungsrechte des Parlaments verbinden können damit, dass es dann auch zu einer gesicherten Einsatzfähigkeit kommt, indem einmal im Jahr die Bundesregierung - das ist der zentrale Vorschlag dieser Kommission - dem Parlament einen Bericht gibt über die Fähigkeiten, die uns eben nicht alleine gehören, zum Beispiel AWACS-Flugzeuge, zum Beispiel gemeinsame Hauptquartiere oder auch die europäischen Battlegroups. Deswegen ist das so wichtig dafür, dass Deutschland ein verlässlicher Bündnispartner ist. Nur diejenigen, die sich auf uns verlassen können, werden mit uns auch gemeinsame militärische Vorhaben starten.
    Rühe: Union muss Orientierungslosigkeit überwinden
    Armbrüster: Aber was sendet das denn für ein Signal aus, wenn da jetzt die CDU in Deutschland und damit im Grunde ja die Koalition sagt, das wird erst mal nichts mit dieser Neuregelung?
    Rühe: Ja, kein gutes. Ich gebe ja sonst keine Interviews mehr, wie Sie vielleicht gemerkt haben. Das ist kein gutes und deswegen habe ich ja auch gesagt, ich muss mich in der Situation äußern. Das ist nicht die CDU, deren Markenzeichen immer eine weitsichtige, strategisch denkende Außen- und Sicherheitspolitik gewesen ist, und deswegen muss man dafür sorgen - es gibt ja viele gute Außenpolitiker, die das auch unterstützt haben, viele Kollegen -, dass die Union hier die Orientierungslosigkeit überwindet.
    Armbrüster: Und woran liegt das denn, diese Orientierungslosigkeit bei der CDU?
    Rühe: Das weiß ich nicht. Wir haben das sorgfältig abgesprochen, der Kollege Kolbow mit den Sozialdemokraten. Das ist ja auch ein Wert an sich für die Bundeswehr, dass wir hier eine Gemeinsamkeit der beiden großen Parteien haben, und wird auch für die Zukunft wichtig sein. Ich habe es auch mit dem Fraktionsvorsitzenden abgesprochen, mit Hasselfeldt von der CSU während des Prozesses. Und noch mal: Der Kollege Schockenhoff, der hat die eigentliche Idee gegründet und man trampelt auch auf seinem politischen Erbe in einer Weise herum, wie mir das überhaupt nicht gefällt.
    "Dann wären wir kein verlässlicher Partner"
    Armbrüster: Und das ist jetzt Schuld der Union?
    Rühe: Ich glaube, ich habe deutlich gesagt, die Sozialdemokraten sind bereit, zu dem zu stehen, was wir vereinbart haben. Ich habe den Eindruck, dass das aufseiten der Führung der Unions-Fraktionen nicht der Fall ist. Aber es gibt ja noch die Hoffnung, die Sozialdemokraten wollen mit der Verteidigungsministerin sprechen, wenn sie international glaubwürdig sein will und sie betreibt zurecht weitere Projekte, in denen europäische Staaten gemeinsame militärische Instrumente entwickeln, dass sie denen auch dann die Verlässlichkeit geben muss, dass diese auch eingesetzt werden, Assured Availability, um den englischen Begriff zu nennen, und genau das ist es, was wir in dieser Kommission erarbeitet haben. Dass wir aus den AWACS-Maschinen aussteigen, aus den Hauptquartieren aussteigen, das darf sich nicht wiederholen. Dann wären wir kein verlässlicher Bündnispartner.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Volker Rühe, der ehemalige Bundesverteidigungsminister. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Rühe: Alles klar. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.