Heinlein: Fühlen Sie sich persönlich verletzt durch die Angriffe von Kardinal Meisner?
Reiche: Nein, das fühle ich nicht.
Heinlein: Wie wichtig ist denn für Sie das C im Namen Ihrer Partei?
Reiche: Für mich ist das C als Christin, die auch zu DDR-Zeiten in einem christlichen Elternhaus groß geworden ist, die christliche Praxis lebt, sehr wichtig. Wir halten am christlichen Menschenbild fest, das heißt für uns Freiheit und Solidarität, das heißt für uns Nächstenliebe und Verantwortung mit Schwächeren, heißt aber auch Eigenverantwortung und Subsidiarität. Dieses Menschenbild zieht sich durch alle Politikbereiche, ob es die Familien-, die Gesundheits- oder auch die Wirtschaftspolitik ist. Ich möchte daran festhalten, und trotzdem bleibt die Aussage, dass eine politische Partei nicht die Politik einer Kirche vertreten kann, sondern für viele Menschen offen sein muss.
Heinlein: Nun hat Kardinal Meisner gefordert, das C aus dem Namen der CDU und der CSU zu streichen. Wie empfinden Sie eine solche Forderung?
Reiche: Wir werden der Aufforderung und der Bitte von Kardinal Meisner nicht Folge leisten.
Heinlein: Sind Sie denn als junge, unverheiratete Frau Teil einer neuen, politischen Generation in Ihrer Partei, die nicht mehr so eng mit den christlichen Kirchen, mit der katholischen Kirche verbunden ist?
Reiche: Ich komme aus einer Generation, wo es für Männer und Frauen selbstverständlich ist, dass sie Chancen in der Familie, aber auch Chancen im Beruf gleichberechtigt wahrnehmen möchte. 70 Prozent aller Frauen wollen Familie und Beruf miteinander verbinden. Meine Bekenntnis zur Ehe und zur Familie, zu deren unbedingtem Schutz auch im Grundgesetz, stehe ich, und daran halten wir auch als Union fest. Nichtsdestotrotz müssen wir erkennen, dass die Lebensformen und Lebensentwürfe der Menschen vielfältiger geworden sind und dass Politik die Aufgabe hat, diese nicht nur zu respektieren, sondern Rahmen zu schaffen, damit Menschen sich ihr persönliches Glück schaffen können.
Heinlein: Nun gab es ja nicht nur Kritik an ihrer Person von Seiten der Kirche, sondern auch parteiintern gab es Stimmen, die sagten: Katharina Reiche ist nicht die richtige Vertreterin für das Familienbild der Union. Wie haben Sie diese Kritik empfunden?
Reiche: Ich kenne diese Kritik nur aus der Zeitung. Persönlich an mich hat sich niemand gewandt. Ich habe nur sehr viel Rückhalt innerhalb der Fraktion, der Partei, aus Vereinigungen, der Frauenunion, von Landesverbänden, von jung und alt erfahren, und das ist mir wichtig und gibt mir Kraft für die kommenden Wochen.
Heinlein: Welche Wähler sollen denn durch ihre Nominierung in das Stoiber-Kompetenzteam angesprochen werden?
Reiche: Ich möchte Frauen, junge Menschen und Familien verschiedener Couleur und verschiedener Herkunft ansprechen. Unser Familienentwurf lässt Platz für die vielfältigsten Lebensformen. Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir wollen aber durch das Familiengeld, durch die Verbesserung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf und durch die Erziehungskompetenz dazu beitragen, dass Deutschland wieder ein kinderfreundliches Land wird, dass mehr Kinder geboren werden, denn eine Gesellschaft, in der es zunehmend weniger Kinder gibt, wird eine arme Gesellschaft sein, arm an Kreativität, arm an Menschen und arm an Zukunft.
Heinlein: Aber ist diese Familiengeld, das Sie gerade erwähnt haben, nicht eher ein rückwärts gewandtes Modell? Ist es nicht viel wichtiger Ganztagsbetreuung zu ermöglichen, um gerade für Mütter die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zu ermöglichen?
Reiche: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für uns eine ganz wesentlicher Baustein. Dazu gehören sowohl Länder und Kommunen, aber auch vor allem die Wirtschaft. Die Wirtschaft muss, und ich glaube, die Wirtschaft hat akzeptiert, dass wir es uns nicht leisten können, gut ausgebildete Frauen nicht zurück an den Arbeitsmarkt zu lassen, beziehungsweise ihnen den Ausstieg und die Entscheidung zu beidem, zu Kind und Beruf, zu erschweren. Das Familiengeld, was einkommensunabhängig ist, was dynamisiert ist, was auch frei ist von Steuer und Sozialabgaben, soll einen Beitrag zur Wahlfreiheit leisten. Ich persönlich möchte keiner Frau vorschreiben, wie lange und wie intensiv sie sich um ihr Kind kümmern kann. Wenn sich eine Frau für ihr Kind und für die Erziehungsleistung entscheidet, soll dies genau so möglich sein, wie eine Frau, die sagt: Ich nutze dieses Geld und bezahle davon eine Betreuung für mein Kind außerhalb meines Haushaltes. Beide Dinge müssen möglich sein, und da leistet das Familiengeld einen ganz wesentlichen Beitrag. Zudem wird es Kinder aus der Sozialhilfe holen und verhindern, dass die Entscheidung für ein Kind nicht zu einem Armutsrisiko für Familien wird.
Heinlein: Gibt es denn Punkte in der Familienpolitik, in denen Sie mit der rot-grünen Bundesregierung eher übereinstimmen als mit dem konservativen, christlichen Flügel innerhalb Ihrer Partei?
Reiche: Ich sehe, dass Rot-Grün die Situation von Familien verschlimmert hat. Die Öko-Steuer führt zu einer zusätzlichen Belastung von Familien, ebenso die gestiegenen Beiträge bei den Krankenversicherungen. Alleinerziehende wurden schlechter gestellt durch die Streichung des Haushaltsfreibetrages. Die versprochenen vier Milliarden Euro des Kanzlers finden sich in keinem Haushalt wieder, und die Fixierung auf die teilzeitarbeitende Mutter halte ich auch für ein sehr einschränkendes Modell für Frauen. Hier, glaube ich, haben Frauen sehr viel mehr verdient.
Heinlein: Frage zum Schluss, Frau Reiche: Es gab schon einmal eine sehr junge Familienministerin, Claudia Nolte, unter dem Altbundeskanzler Helmut Kohl. Ist denn Frau Nolte eine Art Vorbild für Sie?
Reiche: Claudia Nolte hat als Ministerin viele entscheidende Beiträge geleistet, Deutschland nach vorne zu bringen. Ich erinnere nur daran, dass sie es war, die durchgesetzt hat, einen Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz ab drei Jahren zu haben, die auch das Tabuthema Gewalt in der Ehe thematisiert hat. Sie hat als Familienministerin viel geleistet.
Heinlein: Was würden Sie denn anders machen als Frau Nolte?
Reiche: Ich vergleiche mich hier noch nicht, zumal ich noch nicht in der Situation bin. Ich möchte jetzt meinen Beitrag im Stoiber-Team, im Kompetenzteam dafür leisten, dass wir am 22. September die Wahlen gewinnen, dass wir stärkste Fraktion werden, und über alle anderen Dinge müssen wir nach der Wahl entscheiden.
Link: Interview als RealAudio