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Deutschland und die Türkei in der Verantwortung

Seit mehr als drei Jahren sitzt der Bremer Murat Kuraz in Guantanamo. Sein Anwalt Bernhard Docke wirft der deutschen und türkischen Regierung vor, zu wenig für die Freilassung Kuraz' zun tun. In Guantanamo müsse er unschuldig Folterungen über sich ergehen lassen.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Die deutsche und die türkische Regierung würden zu wenig für die Freilassung des deutsch-türkischen Guantanamohäftlings Kurnaz tun, beklagt dessen Bremer Anwalt Bernhard Docke, und er beruft sich auf neue Erkenntnisse, die die Unschuld des Mannes belegten. Er weist auch auf die anderen Vorgehensweisen von Frankreich und Großbritannien hin, zum Beispiel was deren eigene Häftlinge angeht. Herr Docke, welche neuen Erkenntnisse sind denn das?

    Bernhard Docke: Ja, es ist so, dass ein großer Teil der amerikanischen Akte zu diesem Murat Kurnaz mittlerweile öffentlich zugänglich ist, jedenfalls zwischenzeitlich öffentlich zugänglich war. Inzwischen sagt das Pentagon, es soll wieder alles geheim sein, aber der Geist wird nicht mehr in die Flasche zurückzubringen sein. Die Washington Post hat letzten Sonntag auf der Titelseite einen großen Artikel vom Fall Murat Kurnaz gebracht, und sie kommt nach Auswertung dieses Aktenmaterials zu dem Schluss, dass die Regierung seit zwei Jahren weiß, dass Murat Kurnaz tatsächlich nicht
    tatsächlich nicht den Kriterien für Guantanamogefangene entspricht,
    ,dass sie keine Beweise gegen ihn haben, dass er quasi unschuldig ist und in Guantanamo eigentlich nichts zu suchen hätte. Trotzdem sitzt er noch dort, und trotzdem ist er im Herbst letzten Jahres von einem Militärtribunal als so genannter feindlicher Kämpfer abgestempelt worden.

    Elke Durak: Dass Sie als Anwalt Ihren Klienten verteidigen, liegt auf der Hand - es ist Ihre Profession. Dennoch: Weshalb, meinen Sie, hat sich die deutsche Regierung bisher so zurückgehalten im Fall Kurnaz?

    Bernhard Docke: Die deutsche Regierung sagt, er ist nun mal nicht unser Staatsangehöriger, und ich hatte den Eindruck, man versteckt sich hinter diesem Fakt auch ganz gerne. Murat Kurnaz ist hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, hat immer hier gelebt, hat hier dauerhaft Aufenthaltsrechte. Insofern besteht hier auch eine deutsche Mitverantwortung, auch wenn er nun mal die türkische Staatsangehörigkeit hat. Wenn es denn so ist, dass die Amerikaner sagen, wir lassen euch, also die Deutschen, gar nicht über diesen Einzelfall reden, weil ihr gar nicht konsularisch in der Pflicht seid, sondern die Türken sind es, dann hätte man sich von deutscher Seite her mit der türkischen Seite in Verbindung setzen und gemeinsam eine diplomatische und politische Lobby für Murat Kurnaz aufbauen können. Nur: Da vermisse ich Aktivitäten, und genau erklären, warum diese Zurückhaltung an den Tag gelegt wird, kann ich nicht. Ich meine auch, dass es eine grundlegende menschenrechtliche Frage ist, wo Politik gefordert ist, wo man sich nicht verstecken kann. Guantanamo, das ist ein solcher Kulturbruch mit den ganzen westlichen Werten und Rechtssystemen, dem Völkerrecht. Das geht nicht an, dass man da schlicht zuschaut.

    Elke Durak: Was tut denn die türkische Seite?

    Bernhard Docke: Meiner Ansicht nach hat sie bisher auch zu wenig getan, und wenn, dann auch nur im stillen Kämmerlein. Ich meine, dass sich die Deutschen und Türken zusammentun sollten, um, ähnlich wie es Frankreich und England gemacht haben, lautstark und auch öffentlich die faire Behandlung ihrer Staatsangehörigen einzufordern und die Freilassung in die Heimatländer zu fordern. Das vermisse ich bislang. Ich hoffe, dass sich da in Kürze etwas dran ändert.

    Elke Durak: Sie haben ja Kontakt zu dem Mann, zu Murat Kurnaz, auch über Ihren amerikanischen Partner, der ihn getroffen hat. Was erzählt er, was berichtet er, wie geht es dem Häftling?

    Bernhard Docke: Ja, mein amerikanischer Kollege hat ihn im Oktober und zuletzt Ende Januar noch mal über viele Stunden getroffen, unter vier Augen, möglicherweise nicht unter vier Ohren mit ihm geredet. Es ist so, Murat Kurnaz ist, wie wir mittlerweile wissen, schwer gefoltert worden. Das ist natürlich bei jedem Häftling, der da sitzt, empörend. Hinzu kommt, dass Murat Kurnaz offensichtlich zu dem Zeitpunkt, als er gefoltert wurde, von amerikanischer Seite selbst für unschuldig gehalten wurde. Das setzt dem Ganzen noch eine zusätzliche Krone auf. Trotz dieser Behandlung, trotz der Folter ist er einigermaßen gut zu Wege, einigermaßen gut zusammen. Er ist nicht gebrochen. Er wird aber sicher, wenn er nach Deutschland oder in die Türkei zurückkommt, zunächst einmal in ärztliche Behandlung gehen müssen. Er hat jedenfalls seinen Humor behalten, und er ist auch in der Lage, alles das, was passiert ist, sehr exakt und detailliert zu schildern. Also mein Kollege war beeindruckt davon, wie er mit ihm reden konnte und was er ihm alles erzählt hat.

    Elke Durak: Was er alles erzählt hat und was er erzählen könnte, der Guantanamohäflting, könnte das ein Grund sein, weshalb die Amerikaner ihn nicht freilassen?

    Bernhard Docke: Wenn mal jemand auf Grund einer Fehleinschätzung rechtswidrig inhaftiert wurde, dann tut sich eine Regierung immer schwer damit, diese Situation aufzulösen, und keiner will dann die Verantwortung übernehmen. Das mag ein Grund sein, warum er dort noch sitzt. Ein anderer Grund mag der sein, dass bislang nicht lautstark genug die Freilassung von außen gefordert wurde. Ob es weitere Gründe gibt, kann ich im Moment nicht sagen, aber die Regierung tut sich natürlich schwer, weil sie auch befürchten muss, dass Gefangene - die englischen freigelassenen haben es ja auch getan - anschließend die Regierung auf Schadenersatz verklagen.

    Elke Durak: Haben Sie, die Anwälte der verschiedenen Guantanamohäftlinge, Kontakt untereinander? Sprechen Sie sich ab, beraten Sie sich, oder arbeitet jeder an seinem eigenen Fall?

    Bernhard Docke: Nein, wir haben einen hohen Grad von Kommunikation untereinander, stimmen rechtliche Schritte miteinander ab, informieren über das Neue in den jeweiligen Einzelfällen. Also das läuft sehr professionell, sehr kollegial, und das macht, jetzt mal rein beruflich gesehen, großen Spaß, mit den amerikanischen Kollegen zusammenzuarbeiten.

    Elke Durak: Vielen Dank für das Gespräch.