Sonntag, 28. April 2024

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Deutschland und Nord Stream 2
Russisches Gas und seine politische Dimension

US-Präsident Trump hat die deutsche Beteiligung an Nord Stream 2 scharf kritisiert. Deutschland sei dadurch abhängig von Russland. Die Zahlen aber sagen etwas anderes, erklärte Russland-Kennerin Gesine Dornblüth im DLF. Doch die Bundesregierung trägt durch die Gas-Käufe eine besondere Verantwortung.

Gesine Dornblüth im Gespräch mit Anne Raith | 12.07.2018
    US-Präsident Trump mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 11.7.2018 in Brüssel
    US-Präsident Trump kritisiert auf dem Nato-Gipfel Deutschlands Beteiligung an Nord Stream 2 (AP / dpa / Pablo Martinez Monsivais)
    Energieimporte und Handelspartner
    Anne Raith: Wie eng sind die Bande zwischen Deutschland und Russland und wie abhängig ist Deutschland energiepolitisch?
    Gesine Dornblüth: Deutschland ist auf Energieimporte angewiesen. Russland ist der weltweit größte Exporteur von Erdgas und Erdöl und der wichtigste Energielieferant Deutschlands. Russland deckt etwa ein Drittel des deutschen Bedarfs ab. Gas macht allerdings im Energiemix der Bundesrepublik nur rund ein Viertel aus.
    Jenseits von Gas und Öl steht Russland in der Liste der deutschen Handelspartner lediglich auf Platz 14. Umgekehrt ist Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner der Russen. So gesehen ist die Abhängigkeit Russlands von Deutschland sogar höher, besonders weil die Energieexporte einen wesentlichen Anteil der russischen Staatseinnahmen ausmachen.
    Gas-Einnahmen und politische Abhängigkeiten
    Anne Raith: In welchen NATO-Mitgliedsländern wird Trump mit seiner Kritik an Nord Stream 2 auf offene Ohren gestoßen sein?
    Gesine Dornblüth: Die neue Gaspipeline Nord Stream 2 trifft besonders dort auf Skepsis, wo Politiker die Sicherheit ihrer Länder und der EU durch Russland bedroht sehen: im Baltikum, in Polen, aber auch in den anderen Visegrád-Staaten und in Skandinavien.
    Die Argumentation ist folgende: Nord Stream 2 bringt eine zu große Abhängigkeit von russischem Gas, die EU müsse die Energielieferungen diversifizieren. Man möchte dem russischen Staat keine weiteren Einnahmen liefern und es gibt auch die Befürchtung, dass Russland Gas als politisches Mittel einsetzen könnte.
    Im Vordergrund steht ein Mann in gelber Warnweste und beobachtet einen Bagger, der Pipelinerohre hebt.
    Nord Stream 2 ist nicht nur ein wirtschaftliches Projekt. Auch politische Faktoren sind zu berücksichtigen (dpa)
    "Spagat für die Bundesregierung"
    Anne Raith: Wieviel Politik steckt in diesem - von deutscher Seite - privatwirtschaftlichen Projekt? Wie schwierig ist der Spagat für die Bundesregierung?
    Gesine Dornblüth: Es ist insgesamt kein privatwirtschaftliches Projekt, da auf der russischen Seite Gazprom beteiligt ist und der russische Staat Mehrheitseigner ist. Und auch die Bundeskanzlerin hat im Frühjahr gesagt, dass es sich nicht nur um ein wirtschaftliches Projekt handelt, sondern dass auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind.
    Und so ist es tatsächlich ein Spagat: Wirtschaftlich verweist die Bundesregierung auf die jahrzehntelang guten und stabilen Lieferungen aus Russland, auch in schwierigen Zeiten. Politisch allerdings geht es in erster Linie um Solidarität mit der Ukraine. Bisher wird ein großer Teil des russischen Gases über die Ukraine nach Europa geleitet, doch der Transitvertrag läuft 2019 aus. Russland will ihn nicht verlängern. Für die Ukraine ist der Transit aber wichtig, wirtschaftlich, aber auch sicherheitspolitisch. Er ist - aus Sicht der Ukraine - eine Art Versicherung gegen eine mögliche Ausweitung der russischen Aggression. Deutschland spielt eine zentrale Rolle beim "Minsker Friedensprozess" und bemüht sich in diesem Zusammenhang, die Ukraine zu stabilisieren. Das Ende des Transits steht dagegen.
    "Knackpunkt wirtschaftlicher Nutzen"
    Anne Raith: Deutschland will sich bemühen, den Transit von Erdgas durch die Ukraine auch für die Zukunft sicherzustellen - wie realistisch ist dieses Bemühen?
    Gesine Dornblüth: Wirtschaftsminister Peter Altmaier war deshalb im Mai in der Ukraine und in Russland und hat neulich in Berlin noch einmal betont, dass die Ukraine auch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 einen Anspruch darauf habe, dass ein "substantieller Teil" des Transits durch die Ukraine läuft. Das klingt, als würde die Bundesregierung Bedingungen stellen. Nach einem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim russischen Präsidenten Wladimir Putin habe dieser betont, die Lieferungen würden verlängert, wenn es wirtschaftlich begründet und sinnvoll sei.
    Der wirtschaftliche Nutzen ist der Knackpunkt: Russland sagt, wenn wir eine neue Pipeline bauen, dann wollen wir sie auch füllen. Für eine Fortführung des Transits müssten die maroden Leitungen in der Ukraine renoviert werden. Fraglich ist auch, ob die Ukraine einem Kompromiss mit einer sehr viel kleineren Durchleitungsmenge zustimmen würde, in Kiew hat man ein großes Problem mit der Verlässlichkeit russischer Versprechen und Verträge. Es sind also noch viele Fragen offen.