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Deutschlands Rolle im Nahen Osten

Liminski: Ein neuer Anschlag in Israel, sechs Tote, die Vermittlungsmission des amerikanischen Außenministers steht auf der Kippe. Darüber sprechen wir jetzt mit Christoph Moosbauer, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für den Nahen und Mittleren Osten im Auswärtigen Ausschuss, so sein offizieller Titel. Er ist auch Vorsitzender des Unterausschusses Vereinte Nationen und Vizepräsident der deutsch-arabischen Gesellschaft. Zunächst mal: Guten Morgen!

    Moosbauer: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Moosbauer, die jüngste Attentäterin war Mitglied der Al-Aqsa-Brigaden, die zu Arafats Fatah gezählt werden. Das ist auch ein Affront für alle, die mit Arafat verhandeln sollen oder wollen, weshalb der amerikanische Außenminister auch zögert, Arafat wie geplant zu treffen. Sein Treffen für heute wurde zunächst einmal abgesagt. Soll Powell Arafat nun morgen treffen?

    Moosbauer: Ich bin der Überzeugung ja. Ich denke, dass auch der jüngste Anschlag natürlich im Lichte der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten zu sehen ist und ich mich frage, inwieweit Arafat tatsächlich noch in der Lage ist, seine Leute zu steuern. Jeder internationale Kontakt und jedes Signal, dass wir Arafat weiterhin als Gesprächspartner akzeptieren und auch ihn als demokratisch gewählten Repräsentant der Palästinenser, als Partner verstehen, wird seine Stellung auch innerhalb der Palästinenser stärken und ermöglichen, dass er wieder so einen Einfluss auf seine Leute hat, dass er so etwas in Zukunft vielleicht verhindern kann.

    Liminski: Aber wenn er keine Kontrolle mehr über die Radikalen oder über die Palästinenser hat, lohnt sich dann ein Gespräch mit ihm überhaupt noch? Muss man da nicht mit anderen reden, wenn überhaupt?

    Moosbauer: Die Frage ist: Mit wem? Solange die jetzige Situation dazu führt, dass es solche verzweifelten Anschläge gibt, findet man keinen adäquaten Gesprächspartner, um das zu stoppen. Arafat ist als gewählter Repräsentant der Palästinenser der legitime Ansprechpartner. Einen anderen sehe ich im Moment nicht, und das ist die Frage, die man stellen muss an alle, die sagen: Arafat ist nicht mehr der, mit dem man verhandeln kann. Die müssen die Frage beantworten: Mit wem denn dann?

    Liminski: Für die Amerikaner ist der 11. September eine Zeitenwende. Das geht aus Äußerungen hervor, wie sie zum Beispiel der Minderheitsführer im Senat gestern in CNN gemacht hat. Er sagte, Israel habe in den letzten Wochen im Verhältnis zu seiner Bevölkerung mehr Terroropfer zu beklagen als die USA am 11. September. Verstehen das die Europäer noch? Können die das noch nachvollziehen? Argumentiert man hier nicht schon auf zwei Ebenen, einmal Kampf gegen den Terror und zum anderen Kampf um das Staats- und Existenzrecht für Israel und Palästinenser.

    Moosbauer: Das Existenzrecht des Staates Israel sehe ich nicht in Frage gestellt, auch nicht von den Palästinensern. Es gibt natürlich eine kleine Minderheit, die das tun, die gerne das Palästina vom Jordan bis zum Meer unter ihrer Herrschaft wissen wollen. Diese Minderheit könnte zu einer Mehrheit werden, je länger der Konflikt andauert und je länger die Besatzung andauert. Ich selbst habe lange in Israel gewohnt, während der ersten Intifada, ich gehe sozusagen nicht deduktiv mit meiner Erfahrung an den Terrorismus heran, sondern ich kenne das. Aber bei allem Verständnis, dass auf einen Terrorismus, der mit militärischen Mitteln geführt wird, auch militärisch geantwortet wird, müssen wir doch sehen, dass die politische Perspektive momentan von der israelischen Regierung nicht in Aussicht gestellt wird. Das was früher der Fall bei den früheren israelischen Regierungen, das verlangen wir auch und das halte ich für wichtig. Die politische Perspektive ist wichtig. Beide Völker werden in Zukunft miteinander auskommen müssen, und nichts gefährdet die Sicherheit und die Existenz des Staates Israels mehr als der Versuch, über ein anderes Volk zu herrschen.

    Liminski: Wir stochern hier ein bisschen im Nebel, weil wir uns tatsächlich in einer Dilemma-Position befinden. Wo sehen Sie denn Auswege aus diesem nahöstlichen Dilemma?

    Moosbauer: Ich glaube, dass natürlich der Frieden zwischen beiden Partnern vor Ort gemacht werden muss, aber dass es dazu vor allen Dingen sehr große internationale Bereitschaft geben muss, sich positiv in diesen Prozess einzubringen. Das entscheidende ist jetzt, dass wir dazu kommen, die aktuellen militärischen Auseinandersetzungen zu stoppen. Das kann natürlich auch unter internationaler Vermittlung geschehen. Und dann muss der Weg beschritten werden, der von Tennett und Mitchell vorgezeichnet worden ist. Das heißt eine Abkühlungsphase und dann der Einstieg in Verhandlungen. Ich bin übrigens nicht der Ansicht, dass man sofort wieder in die Verhandlungen über einen Endstatus eintreten sollte, sondern zunächst mal eine Analyse machen sollte der bislang sieben bilateralen Vereinbarungen, die es zwischen Israel und Palästina gibt. Schauen, was ist umgesetzt worden und dann einen Plan machen, was umgesetzt werden muss, damit diese Abkommen auch wirklich umgesetzt sind, um dann erst in die Endstatusverhandlungen zu gehen. Und da kann die internationale Gemeinschaft eine große Rolle spielen, weil wenn es parallel einen israelischen und einen palästinensischen Staat mit voller Souveränität geben sollte, dann muss vor allen Dingen Europa, aber auch die Amerikaner umfassende wirtschaftliche Garantien und auch Sicherheitsgarantien geben, damit dieses Projekt ein Erfolg wird.

    Liminski: Mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft fordern Sie. Bisher galt immer der Grundsatz: Die Europäer spielen eine komplementäre Rolle in Nahost, Hauptakteure aber sind die USA. Ändert sich das, soll, kann es sich ändern?

    Moosbauer: Ich halte es für richtig, dass wir eine komplementäre Rolle haben, das heißt, dass wir mit den Amerikanern Schulter an Schulter in der Sache vorgehen. Der Nahe Osten ist kein Feld, auf dem wir einen Wettlauf für Friedensnobelpreise machen oder in eine Wettbewerb eintreten, wer wem Frieden bringt. Wir sind gut beraten, wenn wir das berücksichtigen, was auch Außenminister Fischer gesagt hat: Nämlich, dass wir nur zusammen mit Russland, mit den Vereinigten Staaten, mit den Vereinten Nationen, mit China und auch mit den gemäßigten arabischen Nationen an einem Strang ziehen. Die Europäer können ein ganz eigene Rolle in der Situation spielen, nämlich indem sie einen reichen Erfahrungsschatz mit einbringen, wie man aus einer konfrontativen Situation durch Kooperation im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich hinkommt zu einer friedlichen Koexistenz, in der Auseinandersetzungen über politische Themen mit militärischen Mitteln undenkbar geworden sind. Alleine dieser Erfahrungsschatz und natürlich auch unsere wirtschaftliche Kraft verbunden mit den Sicherheitsgarantien, die nur eine militärisch starke Nation wie die Vereinigten Staaten bringen kann, könnte hier beiden Seiten eine Lösung aus dem Dilemma bieten.

    Liminski: Die Deutschen haben eine besondere Funktion zwischen Israel und Europa. Ist das eher Last oder Chance?

    Moosbauer: Eine Last ist es sicher nicht. Wir haben als Deutschland natürlich besondere Beziehungen zu Israel. Das hat zwei Wurzeln, natürlich unsere besondere Geschichte, aber die zweite Wurzel ist, dass wir seit mehreren Jahrzehnten exzellente Beziehungen zu Israel aufgebaut haben im wirtschaftlichen Bereich, aber vor allem im gesellschaftlichen Bereich. Es gibt eine Menge Schüleraustausch, es gibt Austausch zwischen den Gewerkschaften, zwischen verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft. Das heißt auch da ist sozusagen eine besondere Beziehung zu Israel gewachsen. Dennoch haben wir es natürlich schwieriger, wenn es darum geht, die aktuelle Politik der israelischen Regierung zu kritisieren. Ich bestehe immer darauf, dass ich sage: Wir kritisieren nur die Politik der israelischen Regierung, das ist kein Aufkündigen der Solidarität mit Israel - ganz im Gegenteil. Aber hier hat Deutschland natürlich eine besondere Rolle. Aber diese Last aus der Geschichte kann auch eine besondere Chance sein. Nämlich, dass wir die Rolle annehmen, dass wir uns besonders verantwortlich für Israel fühlen und uns nicht damit zufrieden geben, dass es jetzt einen Krieg im Nahen Osten gibt. Bei vielen Leuten hier höre ich auch, dass sie sagen: Naja, die können nicht, die wollen nicht, da schauen wir nur noch zu, da mischen wir uns nicht mehr ein. Aber unsere historische Verantwortung ist in der Tat, dass wir uns einmischen, dass wir das nicht dulden, dass es dort Blutvergießen gibt, und dass wir mithelfen, zu einer friedlichen Lösung beizutragen.

    Liminski: Herr Moosbauer, Sie sind auch stellvertretender Vorsitzender der deutsch-arabischen Gesellschaft. Ihr Präsident Möllemann hat in jüngster Zeit mit extrem einseitigen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. Israel sei selbst schuld an den Selbstmordattentaten, auch er würde sich gegen die Besatzung wehren. Das gleich einem Aufruf zur Gewalt. Was halten Sie von solchen Parolen?

    Moosbauer: Ich habe, gleich nachdem diese Möllemann-Äußerungen gefallen sind, das scharf verurteilt. Ich weiß nicht, welche Motivation er hat. Sicherlich hilft es nicht, den momentanen Konflikt im Nahen Osten zu entschärfen und es hilft übrigens auch nicht den berechtigen Anliegen der arabischen Staaten. Das hat sich ja die deutsch-arabische Gesellschaft zur Aufgabe gemacht, für die arabischen Staaten hier zu werben in Deutschland. Möllemann hat diesen Staaten einen Bärendienst erwiesen. Durch seine überzogene Kritik, die in vielen Punkten ja auch keiner Überprüfung standhält, hat er die legitimen Interessen der arabischen Staaten diskreditiert. Das habe ich ihm auch vorgeworfen und ich denke, man muss innerhalb der deutsch-arabischen Gesellschaft und dem Vorstand reden, mit wem und wie man weiter hier auch Politik macht. Ich sehe die Äußerungen von Möllemann wirklich nur in dem Zusammenhang, dass er sich mal wieder wichtig machen will, durch Provokation in die Schlagzeilen kommen will. Aber zielführend ist das sicher nicht.

    Liminski: Das war Christoph Moosbauer, Nahost-Experte der SPD und stellvertretender Vorsitzender der deutsch-arabischen Gesellschaft. Besten Dank für das Gespräch, Herr Moosbauer.

    Moosbauer: Ich danke Ihnen.