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"Deutschlands Rolle ist wichtig"

US-Vize-Außenminister Richard A. Boucher hat Deutschland aufgefordert, an der Anti-Terror-Mission Enduring Freedom in Afghanistan festzuhalten. Einen Rückzug der Bundeswehr hielte er für einen Fehler, denn Enduring Freedom sei in erster Linie eine Ausbildungsmission für afghanische Soldaten und Polizisten.

Moderation: Wolfgang Labuhn |
    Wolfgang Labuhn: Wie bewerten Sie die Gesamtlage in Afghanistan 6 Jahre nach dem Sieg über das Taliban-Regime?

    Richard A. Boucher: In mancher Hinsicht haben wir sehr Gutes geleistet. Wir haben eine Regierung eingesetzt. Der "Bonn-Prozess" wurde vollendet mit demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Wir haben über 4000 Kilometer Straßen gebaut, darunter die Ringstraße, die das Land vereint. 80 Prozent der Bevölkerung werden medizinisch versorgt. 50.000 mehr Neugeborene überleben deshalb jedes Jahr, schätzt die Regierung Karzai. Es ist uns also gelungen, eine Regierung zu errichten, und jetzt sind wir dabei, ihre Geltung zu erweitern. Das bedeutet die Bekämpfung von Aufständischen, aber auch von Drogenbaronen und so weiter, damit die Afghanen im ganzen Land eine gute Regierung erhalten.

    Labuhn: Die deutsche Regierung hat ihr neues Afghanistan-Konzept präsentiert, in dem sie den zivilen Wiederaufbau Afghanistans in den Vordergrund stellt. Die dafür vorgesehenen Mittel werden um 25 Millionen auf 125 Millionen Euro aufgestockt. Die amerikanische Regierung gibt dafür weitaus mehr Geld aus. Was genau geschieht damit?

    Boucher: Unser Etat dafür beträgt für die Jahre 2007 und 2008 11,6 Milliarden Dollar. Davon fließen etwa 2 Milliarden Dollar direkt in den zivilen Wiederaufbau, rund 8,5 Milliarden Dollar sind für die Ausbildung von Polizisten und Soldaten vorgesehen. Wir unternehmen also wirklich große Anstrengungen. Eine Überprüfung unserer Afghanistan-Politik im vergangenen Jahr hatte ergeben, dass wir weiterkämpfen müssen, dass wir auch das Drogenproblem bekämpfen müssen, dass wir aber auch mehr Strassen bauen müssen, für mehr Elektrizität sorgen müssen, der Regierung bei Ausbildungsprogrammen helfen müssen - das alles gehört zusammen. Deutschland zählt zu den größten Unterstützern Afghanistans und ist an allem beteiligt, am NATO- und ISAF-Aspekt ebenso wie an den militärischen Anstrengungen der Operation Enduring Freedom (OEF) und ihrer maritimen Komponente und auch am zivilen Wiederaufbau. Ich begrüße den deutschen Beitrag außerordentlich und insbesondere auch die Anhebung für den zivilen Bereich.

    Labuhn: Wie bewerten Sie den militärischen Beitrag Deutschlands? In der deutschen Innenpolitik fordern ziemlich viele Stimmen den Rückzug Deutschlands aus OEF in Afghanistan. Was sagen Sie dazu?

    Boucher: Offen gesagt, wir hielten das für einen Fehler. Deutschlands Rolle ist wichtig, weil Deutschland an allen wichtigen Aspekten dieser Operation beteiligt ist. OEF hat spezielle Aufgaben. OEF ist größtenteils eine Ausbildungsmission. Über 6000 unserer Leute in OEF bilden Soldaten und Polizisten aus. OEF ist ferner eine maritime Mission und eben auch eine Anti-Terror-Mission. OEF bildet also einen sehr wichtigen Teil des militärischen Aspektes, der breiter ist als OEF. Und der Gesamtprozess besteht aus militärischen, politischen und wirtschaftlichen Elementen.

    Labuhn: Sollte Deutschland seinen militärischen Beitrag erhöhen?

    Boucher: Darüber muss Deutschland selbst entscheiden. Auf NATO-Ebene gibt es noch immer einige Engpässe, und wir bitten die Verbündeten ständig, sich einen Ruck zu geben, um die Engpässe zu überwinden. Es gibt zum Beispiel einen großen Bedarf an Ausbildern für die Polizei und die Armee, und das haben wir auch bei meinen Gesprächen hier erörtert.

    Labuhn: Wie lange müssen westliche Staaten wie die USA und Deutschland in Afghanistan bleiben?

    Boucher: Wir werden lange, lange Zeit in Afghanistan bleiben. Aber nächstes Jahr sollten wir andere Dinge machen als jetzt.

    Labuhn: Zum Beispiel?

    Boucher: Nun, wir gehen mehr in die Provinzen und Bezirke Afghanistans, wir schicken auch mehr afghanische Streitkräfte weiter draußen an die Front und übernehmen mehr Unterstützungs- und Ausbildungsaufgaben. Und während wir in Afghanistan weiter vorrücken, bilden wir mehr Regierungsbeamte aus, damit diese in den Provinzen mehr staatliche Dienste anbieten können. Ich sehe hier also eine Progression. Von der nationalen Ebene aus haben wir Fähigkeiten auf Provinzebene aufgebaut und bewegen uns jetzt darüber hinaus auf die Bezirksebene zu.

    Labuhn: Wer ist in letzter Instanz verantwortlich für eine Lösung des Drogenproblems?

    Boucher: Wir alle. Die afghanische Regierung natürlich, schließlich ist es ihr Land, aber wir alle sind auch dafür verantwortlich, sie dabei auf unsere Weise zu unterstützen. Wir haben es hier mit einem kombinierten Programm zu tun, das informiert, in dessen Rahmen aber auch das Gesetz erfüllt wird mit Verhaftungen und so weiter, Vernichtung eines Teils der Mohnfelder und das den Menschen auch andere Möglichkeiten eines Lebensunterhaltes gibt. Das Drogenproblem hängt mehr und mehr mit dem der Aufständischen zusammen. Etwas weniger als die Hälfte der afghanischen Provinzen, 13 verglichen mit sechs im Vorjahr, sind jetzt schlafmohnfrei. Und mehr und mehr der Drogenproduktion im großen Stil findet sich nun im Süden, dort, wo es auch die Aufständischen gibt.

    Labuhn: Führt ein Sieg über die Aufständischen also auch zum Sieg über das Drogenproblem?

    Boucher: Wir müssen die Aufständischen und das Drogenproblem besiegen. Wir müssen uns beidem gleichzeitig widmen, denn beides hängt zusammen.