Montag, 25. September 2023

Deutschlandticket
Umstrittener Erfolg, umstrittene Finanzierung

Bundesverkehrsminister Volker Wissing jubelt: Elf Millionen Mal wurde das Deutschlandticket im ersten Vierteljahr abonniert. Doch sind diese Zahlen tatsächlich ein Erfolg? Fraglich ist auch die Finanzierung der Fahrkarte ab dem kommenden Jahr.

13.08.2023

    Ein Mann geht am Hauptbahnhof mit seinem Fahrrad zwischen der Werbung für das Deutschlandticket und einer Regionalbahn vorbei.
    49 Euro im Monat für den Nahverkehr statt Tarifdschungel: Das Deutschlandticket macht den ÖPNV attraktiver. Aber steigen Autofahrer deshalb um? (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
    Für 49 Euro im Monat kann man seit dem 1. Mai 2023 mit dem Deutschlandticket den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der ganzen Bundesrepublik nutzen, also Regionalzüge, Busse, U-Bahnen und mehr. Doch ob das so bleibt, ist unklar: Die Bundesländer sehen die Zukunft des Tickets gefährdet, da ab kommendem Jahr die Finanzierung des Tickets ungewiss ist. Bundesverkehrsminister Volker Wissing will sich an möglichen Mehrkosten für die Jahre 2024 und 2025 nicht beteiligen. Ein Überblick.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie erfolgreich ist das Deutschlandticket nach drei Monaten?

    Seit dem Start des Deutschlandtickets im Mai 2023 wurden elf Millionen Abos verkauft, die man digital erwerben und monatlich kündigen kann. Für Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist das Ticket ein „bombastischer Erfolg“. Er spricht von einer Million Neukunden für den ÖPNV. Auch die Bahn berichtet von einem Anstieg der Fahrgäste in den Nahverkehrszügen um 25 Prozent.
    Der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zieht eine kritischere Bilanz. Die Bahn habe mit dem 49-Euro-Ticket praktisch keine neuen Kunden gewonnen, sagt er. Das Deutschlandticket werde von Menschen nachgefragt, die vorher teurere Abos gehabt hätten oder Gelegenheitskunden gewesen seien. Noch immer nutzten weniger Menschen als vor der Pandemie die öffentlichen Verkehrsmittel. Und Autofahrer seien mit dem 49-Euro-Ticket „nicht wirklich zu begeistern“. Dafür sei der Preis zu hoch. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen geht zudem bereits davon aus, dass der Preis für das Deutschlandticket steigen wird.
    Auch der Bundesverband der Verbraucherzentrale übt Kritik am Deutschlandticket. Dabei geht es vor allem um den Zugang zum Ticket, der in einigen Regionen nur digital möglich ist. Zudem müsse der Bestell- und Kündigungsprozess vereinfacht werden, heißt es.

    Warum ist die Finanzierung des Deutschlandtickets unklar? 

    Die Finanzierung ist nur für dieses Jahr vollständig geklärt, nicht aber für die kommenden Jahre: Grundsätzlich tragen Bund und Länder für den Zeitraum von 2023 bis 2025 die jährlichen Kosten des Tickets in Höhe von drei Milliarden Euro je zur Hälfte. Für das erste Jahr hat sich der Bund zudem verpflichtet, auch mögliche Mehrkosten zur Hälfte mitzutragen, die beispielsweise bei der Einführung und Digitalisierung des Tickets angefallen sind. Für die Jahre 2024 und 2025 fehlt diese Zusage jedoch. Hier befürchten die Länder auf etwaigen inflationsbedingten Mehrkosten sitzenzubleiben. Darum dreht sich der aktuelle Streit.
    Die Finanzierung war von Beginn an umstritten: Das Deutschlandticket ist der Nachfolger des über 50 Millionen Mal verkauften 9-Euro-Tickets. Zu diesem monatlichen Preis konnte man von Juni bis August 2022 den öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland nutzen. Das 9-Euro-Ticket wurde mit 2,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt finanziert. Im Anschluss verhandelten Bund und Länder über die dauerhafte Weiterführung eines bundesweit gültigen Tickets für den Nahverkehr. Erst nach monatelangem Streit einigte man sich Ende März 2023 bei der Finanzierung.

    Wie positionieren sich Bund und Länder?

    Ende Juli haben sich die Länder mit einem Brandbrief an die Bundesregierung gewandt, aus dem die "Süddeutsche Zeitung" zuerst zitiert hat. Darin heißt es, „der Bund und vor allem Bundesverkehrsminister Wissing müssen sich jetzt endlich zu dem von ihm selbst initiierten Projekt bekennen und auch in den kommenden Jahren die Hälfte der Kosten des Deutschlandtickets übernehmen“. Ohne eine Einigung in offenen Finanzfragen für die Zeit nach 2023 "sehen die Länder die Fortführung des Deutschlandtickets oder zumindest dessen flächendeckende Anwendung ernsthaft gefährdet".
    Wortführer sind die grünen Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, Winfried Hermann, und aus Nordrhein-Westfalen, Oliver Krischer. Letzterer ist derzeit auch Vorsitzender der Länderverkehrsministerkonferenz und der Verfasser des Brandbriefs.
    Das Bundesverkehrsministerium lässt mitteilen, man begrüße, dass die Länder bereit seien, ihren Teil zur weiteren Finanzierung des Deutschlandtickets zu übernehmen. Doch die Diskussionen würden "durch die angespannte Haushaltslage" und die "damit notwendige Priorisierung des Mitteleinsatzes erschwert".
    Das Ministerium stehe aber mit den Ländern und der Branche in engem Austausch, um weitere Details zu klären. Ziel sei eine rechtssichere Umsetzung des Vorhabens.

    Wieso kommt die Debatte über die Zukunft des Deutschlandtickets erst jetzt?

    Die Länder und ihre Verkehrsverbünde befürchten, beispielsweise auf inflationsbedingten Mehrkosten sitzenzubleiben. Um die Nutzung des Deutschlandtickets auch über den Jahreswechsel hinaus garantieren zu können, müssten in den kommenden Wochen die Tarife angepasst werden, heißt es in dem Schreiben. Ohne Finanzierungszusagen sei das kaum möglich. Deswegen müsse „bis spätestens Oktober Klarheit über den Preis und die Finanzierung des Deutschlandtickets herrschen", heißt es in dem Brief.
    Für Alexander Kissler von der „Neuen Zürcher Zeitung“ handelt es sich hier aber auch um einen über Bande gespielten innerkoalitionären Streit. Auf der einen Seite die grünen Landesverkehrsminister, auf der anderen Seite Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Bundesfinanzminister Christian Lindner, beide von der FDP.
    Die Fronten seien dabei verhärtet, heißt es in der "Süddeutschen Zeitung" mit Verweis auf Regierungskreise. Es laufe ein harter Poker um Geld für den Nahverkehr insgesamt, der wohl im Herbst entschieden werde, wird ein Beteiligter darin zitiert.

    Hat das Deutschlandticket eine Zukunft? 

    Nach Einschätzung von Beobachtern wie Alexander Kissler kann sich die Bundesregierung ein Scheitern des Deutschlandtickets nicht leisten, da es zu ihren wenigen Sympathieprojekten gehöre. Es werde sicherlich zu einer Einigung über die Finanzierung für die Folgejahre kommen. Doch ob es das Ticket dauerhaft geben werde, sei unklar.
    Mobilitätsforscher Alexander Knie hat jedenfalls Vorschläge, wie man das Deutschlandticket attraktiver machen könnte. Zunächst sollte man den Preis auf 29 Euro reduzieren. Dadurch käme man auf ungefähr die gleichen Einnahmen durch doppelt so viele Ticketverkäufe. Außerdem sollte man es um den Fernverkehr und Anrufsammeltaxi-Angebote erweitern. So würde man auch jene Menschen erreichen, die bisher keinen ÖPNV nutzen.
    ckr