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Deutschtest für ausländische Kinder?

Zagatta: Die Pisa-Studie liegt den Bildungspolitikern hierzulande noch schwer im Magen. Ein Grund für das schwache Abschneiden an den deutschen Schulen ist auch der oft hohe Anteil von Ausländerkindern in bestimmten Klassen und damit verbundene mangelnde Deutschkenntnisse. Was das angeht, hat sich jetzt Hessens Ministerpräsident Roland Koch zu Wort gemeldet. Er fordert sinngemäß: Ausländerkinder in ganz Deutschland sollten nur noch dann die Grundschule besuchen dürfen, wenn sie zuvor einen Deutschtest bestanden haben. Sinnvoll oder nicht? Ist es sogar höchste Zeit, solche Maßnahmen zu ergreifen? Das haben wir vor der Sendung Eva-Maria Stange gefragt, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

    Stange: Also es ist höchste Zeit, dass Kinder aus ausländischen Familien besser vorbereitet werden auf den Schulbesuch und auch eine intensivere Förderung bekommen. Aber es ist falsch, den Kindern sozusagen aufzuerlegen, vor der Schule bereits einen Test abzulegen, ob sie die deutsche Sprache beherrschen. Dann müsste man das doch auch mit jedem deutschen Kind machen.

    Zagatta: Aber was können denn Kinder an deutschen Schulen lernen, wenn sie die Sprache nicht verstehen?

    Stange: Ich hatte angedeutet, die Kinder müssen bereits vor dem Eintritt in die Schule bereits eine bessere Sprachförderung erhalten, d.h. über die Kindertagesstätten, über den Kindergarten eine intensive Entwicklung in der Sprachkompetenz, sowohl in der Muttersprache als auch in der deutschen Sprache. Und dazu können Kindergärten sehr viel leisten. Dann ist es auch unproblematisch, dass sie eingeschult werden. Und das Zweite ist, dass die Grundschule viel besser darauf vorbereitet sein muss, Kinder, die nicht die deutsche Sprache ausreichend beherrschen, intensiv zu fördern, eventuell sogar individuell zu fördern, aber sie nicht vom Schulbesuch zurückzustellen, denn das wäre das erste negative Erlebnis, das diese Kinder im Alter von sechs, sieben Jahren mit der Schule haben.

    Zagatta: Der Ministerpräsident von Hessen sagt jetzt, diese Deutschprüfung für Grundschüler gehe natürlich einher mit verbesserten Sprachkursen, sogar mit einer Verdopplung der Sprachkurse. Ist das nicht ein Mittelweg, der zum Erfolg führen könnte?

    Stange: Sicher müssen die Sprachkurse intensiviert werden. Nur: Es gibt keine Möglichkeit, Eltern zu zwingen, vor dem Beginn der Schulpflicht ihre Kinder in solche Sprachkurse hineinzubringen oder zu verpflichten. Es gibt nur die Möglichkeit, dass man die Kindergärten entsprechend ausrüstet, auch damit, dass sie Sprachkompetenz entwickeln.

    Zagatta: Jetzt gibt es aber doch immer wieder Klagen von Lehrern, dass eben Erstklässler in die Grundschule kommen und unter Umständen kein Wort Deutsch sprechen. Wie kann man mit ihnen umgehen?

    Stange: Diese Kinder brauchen eine ganz intensive Förderung. Und wenn sich die Lehrer darüber beschweren, dann hängt das damit zusammen, dass wir viel zu viele Schüler in den Klassen haben, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, und natürlich ist ein einzelner Lehrer damit überfordert, 30 Schüler gleichzeitig zu fördern. Man sollte da den Blick über die Grenzen Deutschlands hinweg richten, zum Beispiel nach Schweden, Finnland oder Kanada, wo eine intensive Betreuung der Kinder in der Grundschule stattfindet: Gruppen von nicht mehr als 15 Schüler, zwei Lehrkräfte oder wenigstens eine Lehrkraft und ein Assistent, intensiver Unterricht in der Muttersprache und in der Mehrheitssprache, dann können auch die Kinder die Hürde nehmen.

    Zagatta: Niedersachsens Ministerpräsident Gabriel will das Problem jetzt lösen, indem er eine Ausländerquote an Grundschulen einführt. Also er sagt: Mehr als 25 Prozent Ausländer in einer Klasse soll es nicht mehr geben. Halten Sie so eine Quote für durchsetzbar?

    Stange: Die Quote wird nicht durchsetzbar sein. Es gibt gescheiterte Experimente dieser Art, zum Beispiel in Berlin, wo man versucht hat, Kinder auf verschiedene Bezirke aufzuteilen, was schon mal problematisch ist, denn wir haben ja genau die Schulbezirksbindung, dass wir eine gute Durchmischung in den Schulen haben. Viel sinnvoller, als das Geld für Busse einzusetzen, wäre es, wenn man die Klassen zunächst kleiner macht, vor allen Dingen dort, wo sehr viele ausländische Kinder sind, und zum anderen wenn man dafür Sorge trägt, dass Familien ausländischer Herkunft auch bezahlbaren Wohnraum in anderen Gebieten bekommen, denn das Problem liegt ja eigentlich daran, dass wir eine Ballung von Familien ausländischer Herkunft in bestimmten Wohnbereichen haben.

    Zagatta: Aber das ist - zumindest kurzfristig - noch schwieriger umzusetzen, als jetzt beispielsweise durch einen Austausch von Schülern zwischen Schulen oder möglicherweise innerhalb von Schulen für eine sinnvolle Mischung zwischen Ausländern und Deutschen zu sorgen. Ist da das, was Niedersachsen vorhat, nicht doch irgendwo sinnvoll?

    Stange: Also es ist auf alle Fälle sinnvoll, wenn die Klassen zu 70 oder 80 Prozent nur Kinder haben, die nicht deutscher Herkunft sind. Das ist keine gute Durchmischung, denn dann wird das ganze Problem auch für die Schule sehr schwierig. Ich habe erwähnt, dass Berlin ein solches Experiment gewagt hat. Dieses Experiment ist aus finanziellen Gründen gescheitert, und es ist auch deshalb gescheitert, weil man weder die Eltern noch die Kinder dazu zwingen kann, aus ihrem angestammten Umfeld herauszukommen. Es sind immerhin Kinder, sechs bis zehn Jahre alt sind, die kurze Beine haben, kurze Wege zu ihren Schulen haben sollen, und Sie werden kaum Eltern dazu zwingen können, diesen Kindern einen Schulweg von einer Stunde oder länger aufzuerlegen.

    Zagatta: Die Vielzahl von Ausländerkindern an deutschen Schulen, ist das eigentlich auch der Grund, warum Deutschland im internationalen Vergleich so schlecht abgeschnitten hat?

    Stange: Die Vorschauer der internationalen Pisa-Studie haben für Deutschland mal die ausländischen Schüler einfach rausgerechnet, und es stellt sich heraus, dass Deutschland auch dann unter dem Mittelwert der OECD-Länder liegen würde, also das ist keineswegs die Ursache. Und zum anderen sehen wir, dass Länder wie Schweden oder Kanada, es mit gleichem Ausländeranteil viel besser meistern, diese Integration hinzubekommen und gute Ergebnisse bei der internationalen Studie zu erreichen.

    Zagatta: Es wird in Deutschland schon seit Monaten über diese Pisa-Studie und Konsequenzen daraus diskutiert. Hat sich denn aus Ihrer Sicht als Konsequenz dieser Studie schon irgendetwas an unseren Schulen geändert?

    Stange: Also bisher hat sich noch nichts Deutliches geändert. Ich denke, das, was momentan die Kultusminister machen, ist eher ein hektisches Experimentieren als tatsächlich ein klares Konzept. Wenn man sich allein ansieht, was die Veränderung des Schulgesetzes in Hessen bewirkt, eine stärkere Auslese von Schülern, die zu einer noch stärkeren sozialen Selektion führt, dann ist das genau das, was die Pisa-Studie gezeigt hat, nämlich dass deutsche Schulen soziale Selektion hervorragend beherrschen. Was wir nicht können und geleistet werden muss, ist eine stärkere individuelle Förderung von Kindern, und zwar vom Kindergartenalter an, und da sehe ich viel zu wenig an Schritten.

    Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio