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DGB-Chef unterstützt Ausweitung des Euro-Rettungsschirms

Es gebe keine "vernünftige Alternative" zur Ausweitung des europäischen Rettungsschirms, unterstreicht DGB-Chef Michael Sommer. Dennoch müsse Europa an völlig anderen Ecken endlich die Schulaufgaben machen. Dazu gehörten eine vernünftige Besteuerung von Vermögenden und Unternehmen sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk Müller | 28.09.2011
    Dirk Müller: Wird der Rettungsschirm demnächst noch größer werden, als bislang veranschlagt? Was ist, wenn die Griechen ihre Hausaufgaben, ihre Reformen nicht erledigt bekommen? Was ist mit den Plänen, eine europäische Wirtschaftsregierung auf den Weg zu bringen? – Die Kanzlerin geht politisch und auch rhetorisch in die Offensive, versucht, die Kritiker davon zu überzeugen, dass nur eine Zustimmung zum erweiterten Hilfspaket von 440 Milliarden Euro Europa aus der Krise helfen könnte. Doch die Skepsis in Deutschland wächst, immer mehr Milliarden für die Pleitestaaten. Gestern ein kämpferischer Regierungschef aus Athen zu Gast in Berlin.

    Der Kampf gegen die Eurokrise, mit welchen Konsequenzen für die Arbeitnehmer hierzulande? – Darüber sprechen wollen wir nun mit DGB-Chef Michael Sommer. Guten Morgen.

    Michael Sommer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Sommer, vertrauen Sie noch der Kanzlerin?

    Sommer: Ich vertraue darauf, dass es gelingen muss, jetzt das gemeinsame Projekt Europa zu sichern und wenn es geht, auch weiter zu entwickeln. Es gibt Punkte, wo wir der Kanzlerin vertrauen, ohne Frage, es gibt Punkte, insbesondere auch zum Beispiel im Arbeitsrecht, wo wir mehr als eine Frage haben. Das ist nicht eine Frage des generellen Vertrauens, oder des prinzipiellen Vertrauens, sondern hier geht es um das gemeinsame Europa, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum und die gemeinsame Währung, und da sage ich, da gibt es aus unserer Sicht zu dem, was jetzt gemacht wird, nicht wirklich eine vernünftige Alternative.

    Müller: Das heißt, die Kanzlerin hat recht, wenn sie immer wieder sagt, alternativlos?

    Sommer: Nichts auf der Welt ist alternativlos. Ich habe eben sehr bewusst den Begriff der vernünftigen Alternative gewählt. Es wäre unvernünftig, den Euro zu sprengen, es wäre unvernünftig, Spekulationen vom Euroraum auf die Wechselkursspekulationen zu verlagern, sondern vernünftig ist und bleibt es, diesen gemeinsamen Euro zu schaffen. Sie können nicht einen gemeinsamen Binnenmarkt wollen und nicht gleichzeitig eine gemeinsame Währung wollen. Das gehört aus unserer Sicht zusammen. Deutschland zahlt sicherlich auch momentan, andere zahlen übrigens auch, die Franzosen oder andere zahlen auch, es ist ja nicht so, als ob wir alleine zahlen würden. Aber es geht darum, dieses gemeinsame europäische Projekt, diesen Binnenmarkt und diesen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu sichern. Das ist die Aufgabe, vor der wir momentan stehen.

    Müller: Viele, Michael Sommer, kritisieren ja die Linie der Kanzlerin, auch die Linie der Europäischen Union. Es geht um den Rettungsschirm. Da weiß keiner, ob er tatsächlich, wie er jetzt formuliert ist, ausreichen wird. Aus Washington gibt es schon wieder Signale, da muss mehr Geld reingepumpt werden, auch die Banken müssen stärker gestützt werden. Woher nehmen Sie dann den Optimismus, dass Sie vielleicht, wenn Sie im Bundestag sitzen würden, auch zustimmen müssen?

    Sommer: Ich glaube erstens, dass wir an einer völlig anderen Ecke noch unsere Schulaufgaben machen müssen, um das Grundproblem zu lösen. Das Grundproblem ist sicherlich auch eine Überschuldung der Staaten, das muss man zurückführen. Übrigens auch dadurch, dass man sich nicht verschuldet, sondern dass man auf die Einnahmeseite guckt und vernünftig Steuern erhebt, übrigens in Griechenland, in Irland, in Deutschland übrigens auch. Da ist vieles noch zu tun, wo man bei den Reichen und Vermögenden wirklich Steuern einnehmen müsste, um nun auch die Staatsfinanzen zu stabilisieren.

    Aber das eigentliche Grundproblem ist, dass wir momentan seit der Lehman-Krise, spätestens seit der, einer unglaublichen Spekulationswelle ausgeliefert sind, gegen die die Staaten nichts tun. Die haben zuerst im Bankensystem gewettet, jetzt wetten sie gegen die Staaten, sie wetten auch im Zweifelsfall, auch wenn es nicht um den Euro geht, wie sie am Beispiel der Schweiz sehen, gegen den Franken, und solange sie dieser Spekulation nicht Einhalt gebieten, wird Europa, wird die Welt weiter ein Spielball auch dieser Spekulationen sein und sie werden immer neue Milliarden aufbringen müssen.

    Müller: Also hat die Politik hier, Herr Sommer, versagt bislang?

    Sommer: Ja, bislang hat die Politik versagt, eindeutig. Sie haben die Lehren aus der Lehman-Krise nicht gezogen. Wir haben damals immer gesagt, wir unterstützen auch den Bankenrettungsschirm, das waren 480 Milliarden Euro, das vergessen die meisten ja, wo wir bis heute nicht wissen, ob Garantien gezogen werden oder nicht, oder ob das ausgereicht hat, das Geld einfach nur zur Verfügung zu stellen, so wie heute auch bei Griechenland. Das wissen wir alles nicht, ob Garantien gezogen werden oder nicht. Nein, der entscheidende Punkt ist, dass damals versäumt worden ist, zum Beispiel die Verursacher zur Kasse zu bitten über eine Finanztransaktionssteuer, und das Zweite ist, es ist versäumt worden, der Spekulation Einhalt zu gebieten und übrigens auch dem Treiben von Ratingagenturen Einhalt zu gebieten oder eine europäische Ratingagentur aufzubauen, damit wir nicht ausgeliefert sind den Moody's und Konsorten. Und ich sage Ihnen, genau dort hat die Politik versagt, und das ist der Punkt, der nachgearbeitet werden muss. Aus unserer Sicht gibt es momentan keine vernünftige Alternative dazu, den Euro zu stabilisieren, auch mit diesem Rettungspaket, aber die Schulaufgaben müssen gemacht werden, Regulierung der Finanzmärkte und die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsraums, in dem wirklich gewirtschaftet werden kann. Das heißt, wir müssen auch in Europa investieren, auch übrigens in neue Arbeitsplätze und in neue Innovationsfelder. Das ist die Aufgabe.

    Müller: Viele meiner Kollegen, Michael Sommer, erinnern sich noch daran, Sie waren vor gut zwei Jahren bei uns im Deutschlandfunk zu Gast und haben damals gesagt, als es eigentlich gar nicht so schlecht aussah, diese Krise ist noch lange nicht zu Ende. Wussten Sie damals schon, dass es noch schlimmer kommt?

    Sommer: Ich glaube, als ich bei Ihnen zum Redaktionsbesuch war, habe ich damals gesagt, wenn nicht dieser Spekulation Einhalt geboten wird, dann werden diese Spekulanten weitermachen. Ich habe auch irgendwann mal in einem persönlichen Gespräch der Bundeskanzlerin gesagt, woher nehmen Sie eigentlich die Hoffnung, wenn sie immer neue Milliarden reinschießen, ohne gleichzeitig der Spekulation ein Ende zu bereiten, dass die nicht sagen, dann wollen wir doch mal austesten, wie viel die Staaten noch bereit sind zu geben. Wir sind jetzt in einer Notsituation, wo wir nur vor der Frage stehen, geht der Euro kaputt oder geht er nicht kaputt. In dieser Situation haben die deutschen Gewerkschaften eindeutig erklärt, wir stehen zum Euro, wir stehen zum gemeinsamen europäischen Projekt. Aber die anderen Aufgaben, nämlich die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit in Europa und die Spekulationen und die Eindämmung der Spekulationen muss weitergehen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, wenn wir es nicht schaffen, überall in Europa Leerverkäufe zu verbieten, wenn wir es nicht schaffen, den Derivatehandel einzuschränken, wenn wir es nicht schaffen, dem Treiben von Hedgefonds Einhalt zu gebieten, wenn wir es nicht schaffen, mit einer Finanztransaktionssteuer, und zwar einer wirklich echten Finanztransaktionssteuer, die Spekulanten zur Kasse zu bitten, dann wird das Treiben weitergehen.

    Müller: Wir sind ja verabredet, Michael Sommer, um auch über die Konsequenzen für die Arbeitnehmer zu reden. Jetzt gibt es diese politische Strategie, die politische Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung. Wie groß ist dann das Risiko für die deutschen Arbeitnehmer, Federn lassen zu müssen?

    Sommer: Das ist dann groß, wenn dieser Prozess einer europäischen Wirtschafts- und Finanzregierung nicht transparent und nicht demokratisch wäre. Das was Frau Merkel und Herr Sarkozy verabredet haben, dort bei diesem Krisentreffen Anfang August in Paris, ist meines Erachtens der falsche Weg. Da wird über die Tätigkeit der Staats- und Regierungschefs dann das Wort Regierung gelegt und wird schon Finanzregierung gesagt, ohne dass es das ist. Was wir brauchen ist eine Finanz- und Wirtschaftsregierung, die tatsächlich in der Lage ist, demokratisch legitimiert und demokratisch kontrolliert Wirtschaftspolitik in Europa zu betreiben und Finanzpolitik. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass man durchsetzt, durch eine europäische Wirtschafts- und Finanzregierung, dass überall in Europa vernünftige Unternehmenssteuern und Reichensteuern erhoben werden. Wenn sie heute zum Beispiel nach Irland gucken, die übrigens ja auch Teil des Rettungspaketes sind – da geht es ja nicht nur um Griechenland -, wenn sie heute nach Irland gucken und sehen diese unglaublich niedrigen Sätze für die Unternehmensbesteuerung, die die aus einer reinen Situation des Wettbewerbsdumpings machen, dann kann ich ihnen nur sagen, das geht nicht, da muss eine europäische Wirtschafts- und Finanzregierung kontrolliert durch ein Europäisches Parlament und legitimiert durch ein Europäisches Parlament eingreifen.

    Müller: Herr Sommer, wenn Sie jetzt fordern, dass es um eine Harmonisierung geht – diese Diskussion, diese Forderung gibt es ja auch schon seit 20 Jahren -, in der Steuerpolitik, dann heißt das ja auch für die Politik beispielsweise der Arbeitnehmerrechte. Haben Sie da keine Befürchtung, dass sich dann die deutschen Verhältnisse, die ja immer noch recht gut sind, hinterher anpassen müssen an die schlechteren Verhältnisse, Italien, Portugal, Irland?

    Sommer: Ja natürlich habe ich auch Befürchtungen, aber es gibt auch Situationen im Leben, wo man sich entscheiden muss: Will man den Schritt zurückgehen, oder den nächsten Schritt nach vorne. Und wir sind der Auffassung, man muss das europäische Projekt weiterentwickeln, was ja nicht heißt, dass wir zum Ausverkauf der Rechte der Arbeitnehmer das Wort reden wollen oder sonst irgendwas, sondern es geht darum, den nächsten Schritt zu tun und Rechte zu harmonisieren. Ich sage Ihnen mal: Deutschland ist ja nicht überall vorne. Wenn ich darauf gucke, dass wir sicherlich bei der Frage der Tarifautonomie und bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifautonomie weit vorne sind, aber nicht alleine.

    Müller: Und damit auch bei den Löhnen!

    Sommer: Auf der anderen Seite sind wir zum Beispiel hinten, wenn wir die Frage der Mindestlöhne ansehen. Also wir könnten bei einem gemeinsamen Projekt durchaus auch etwas gewinnen, wenn wir dieses gemeinsame Projekt fahren und es gemeinsam entwickeln.

    Müller: Das heißt, Sie haben nichts dagegen, wenn Italiener und Portugiesen demnächst auch darüber in einem demokratisch legitimierten Prozess reden, wie die Arbeitnehmerrechte, wie die Tarifautonomie in Deutschland zu handhaben ist?

    Sommer: Nein. Wenn, dann geht es ja nicht um die Handhabung der Tarifautonomie in Deutschland, sondern dann geht es um die Frage einer gemeinsamen Gestaltung eines gemeinsamen Europas, und dann kann es nicht nach dem Motto gehen, am deutschen Wesen wird die Welt genesen. Wir sind ein starkes Land, wir sind übrigens auch eine starke Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und wir würden da schon unsere Stimme erheben, gegen Sozialdumping und gegen Abbau von Rechten und für die Verbesserung von Rechten. Aber es kann doch nicht sein, dass in einem gemeinsamen Europa alleine die Deutschen entscheiden. Es geht nicht darum, ob Portugiesen oder Italiener über Deutschland entscheiden, sondern es geht darum, ob wir ein gemeinsames Europa gemeinsam gestalten. Darum geht es.

    Müller: Aber eine gemeinsame Wirtschaftsregierung verstehen ja so viele, dass dementsprechend andere, neue Einflüsse dazukommen?

    Sommer: Ja natürlich kommen neue, andere Einflüsse dazu, aber sie müssten dann auch demokratisch legitimiert werden. Wogegen wir uns wehren ist, dass da einige Staats- und Regierungschefs über die Zwangslage der Kasse versuchen, Politik zu machen, zum Beispiel auch die Tarifautonomie einzuschränken. Wenn sie Merkel und Sarkozy genau lesen, dann stellen sie fest, dass sie Lohnleitlinien einführen wollen. Auf der anderen Seite wird man auch mit unseren europäischen Kollegen darüber diskutieren müssen, dass man Lohnsteigerungen nicht nur alleine an Inflationsraten orientieren kann, sondern zum Beispiel auch am Wirtschaftswachstum und am Produktivitätswachstum. Da müssen wir in eine gemeinsame Diskussion eintreten, und vor der habe überhaupt keine Angst. Wir haben so viel Positives in Deutschland geschaffen, von der Mitbestimmung bis zur Tarifautonomie, dass ich glaube, das wäre auch ein Modell für Europa und nicht ein Modell gegen Europa.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk DGB-Chef Michael Sommer. Vielen Dank nach Berlin und auf Wiederhören.

    Sommer: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.