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"DGB muss sich durch moderne Konzepte nach vorne schieben"

Der Bundesvorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, sieht die zentrale Aufgabe des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) darin, die Interessen der Arbeitnehmer zu bündeln. Mit einem Dachverband könne man besser reden als mit Einzelgewerkschaften. Gleichzeitig forderte Laumann von den Einzelgewerkschaften, sich bei politischen Fragen mehr zurück zu halten.

    Elke Durak: Am Telefon ist Karl-Josef Laumann, IG-Metaller und Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, auch Bundesvorsitzender der CDA. Guten Morgen Herr Laumann!

    Karl-Josef Laumann: Schönen guten Morgen!

    Durak: Herr Laumann, wo sehen Sie denn die Zukunft des DGB, dieser Dachorganisation? Die Aufgabe ist ja eigentlich nur, die Gewerkschaften politisch zu vertreten, also auch Ihnen gegenüber zum Beispiel.

    Laumann: Ich glaube, dass der DGB dann, wenn er sich weiterhin in Deutschland Mühe gibt, auch eine Einheitsgewerkschaft zu sein, eine gute Zukunft hat. Zum Beispiel heute die Personalentscheidung, Ingrid Sehrbrock zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden zu wählen, ist ja seit vielen Jahren wieder ein Lichtblick in dieser Richtung. Ich glaube der DGB wird wenig Akzeptanz haben, wenn er sich als fünfte Kolonne der SPD versteht, sondern er muss sich verstehen als eine kraftvolle Vertretung der Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und er muss dabei auch durchaus moderne Konzepte nach vorne schieben.

    Durak: Dann lassen Sie uns doch noch mal über die Personen sprechen. Wenn ich Sie so höre, welchen Unterschied macht es, dass das CDU-Mitglied Sehrbrock stellvertretende Bundesvorsitzende ist, oder das SPD-Mitglied Engelen-Kefer?

    Laumann: Ich will mich jetzt zu beiden Personen nicht äußern, aber es ist nun mal so, dass nach dem Krieg der DGB entstanden ist aus den ehemaligen christlichen Gewerkschaften und den ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaften, weil man richtigerweise der Meinung war, dass wir eine Bündelung der Arbeitnehmerinteressen in diesem Land brauchen. In den letzten 20 Jahren ist der DGB immer mehr von dieser Idee von Hans Böckler abgerückt, dass auch diese Einheitsgewerkschaft in der Art, wie sie sich artikuliert, auch mit Personen, mit denen sie auftritt, sichtbar wird. Wenn jetzt die große Koalition in Berlin vielleicht den Anstoß gegeben hat, dieses wieder stärker zu tun, begrüße ich dies allemal, denn wenn Menschen aus politischen Gründen nicht mehr Mitglied des DGB werden, dann haben wir ein Problem.

    Durak: Brauchen wir denn eine solche große Dachorganisation? Die entscheidenden Fragen, Tarifauseinandersetzungen, werden doch von den Einzelgewerkschaften geregelt.

    Laumann: Ja gut, aber wir haben auf der anderen Seite natürlich auch den Verband der deutschen Arbeitgeberverbände. Das ist in etwa genau das gleiche auf der anderen Seite wie der DGB. Ich glaube schon, dass es richtig ist, dass gegenüber der Politik, auch gegenüber den Medien und der Gesellschaft die Einzelgewerkschaften halt einen Dachverband haben. Es wäre zu wünschen, dass auch die Einzelgewerkschaften sich dann in der allgemeinen politischen Frage ein bisschen mehr zurückhalten, damit der DGB auch hier das Vertretungsrecht und den Vertretungsanspruch besser darstellen kann. Ich bin sehr dafür, dass es auch Dachverbände gibt, und der DGB ist ein Dachverband, der es bündelt. Es macht uns im Übrigen das Geschäft ja auch in den Parlamenten und in der Politik etwas einfacher, denn man kann besser mit einem Dachverband reden als mit zig Einzelgewerkschaften.

    Durak: Sie sind Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen. Wozu brauchen Sie diesen Dachverband, der, wenn es denn so kommt, wie der bisherige DGB-Chef Sommer sagt, die Zukunft in der Internationalisierung sieht, in der Vereinigung mit anderen europäischen Dachverbänden?

    Laumann: Ich will Ihnen mal ein ganz konkretes Beispiel hier aus der Landespolitik nennen. Wir sind zurzeit dabei, dass wir für theorieschwache Kinder und praktikstarke Kinder neue Berufsbilder finden. Dieses geht nur, wenn sie das in einem gesellschaftlichen Konsens machen wollen, wo sie das natürlich auch mit den Gewerkschaften besprechen. Da ist zum Beispiel der DGB als Dachverband eine sehr kompetente Einrichtung hier bei uns im Land, auch mit guten Leuten aus der Berufsbildung, die wirklich etwas davon verstehen. So gibt es viele Fragen in der praktischen Alltagspolitik, wo man natürlich in Deutschland auch die Absprachen in Konsens sucht mit den so genannten Sozialpartnern. Da spielt natürlich der Verband der Arbeitgeberverbände, aber auch eben halt der DGB die entscheidende Rolle.

    Durak: Die gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen, Herr Laumann, machen ja deutlich, wie schwer es Gewerkschaften auch haben zu überleben. Nehmen wir ver.di, den öffentlichen Dienst. Ver.di ist gerade mal so eben heil aus diesen Auseinandersetzungen herausgekommen. Der Marburger Bund führt ver.di vor. Die Zukunft der Flächentarifverträge ist vielleicht vorbei, die der großen Gewerkschaften und auch Gewerkschaftsbünde auch. Befinden sich die Gewerkschaften in einer Überlebenskrise?

    Laumann: Ich glaube, dass ver.di erhebliche Probleme hat, weil die ver.di-Gewerkschaft aus meiner Sicht der Wahrnehmung am meisten von einer Modernisierung entfernt ist. Aber schauen Sie mal, wie stark die IG Chemie in ihrem Bereich dasteht. Sie hat einen hohen Organisationsgrad. Sie hat mit Herrn Schmoldt einen medienwirksamen Vertreter ihrer Sache und sie hat Flächentarifverträge mit einer Flexibilität, die auch dazu führt, dass die Unternehmensseite in diesem Wirtschaftsbereich fast ausschließlich tarifgebunden ist.

    Wenn ich an den neuerlichen Tarifabschluss der IG Metall denke, wo wir zum ersten Mal auch bei der IG Metall eine betriebliche Komponente der Entlohnung durchgesetzt haben. Das heißt also, dass auch auf die wirtschaftliche Situation der Betriebe für bestimmte Lohnbestandteile Rücksicht genommen wird, dass man die Weiterbildung der Belegschaften zu einem Punkt in diesem Tarifvertrag gemacht hat. Da hat der DGB unter Führung von Detlef Wetzler hier aus Nordrhein-Westfalen für ganz Deutschland einen der modernsten Tarifverträge geschmiedet.

    Ich glaube, dass man an diesen Beispielen sieht, dass die Tarifautonomie nicht zu Ende ist. Sie muss nur flexibler werden. Sie muss mehr auf die Betriebe bezogen sein. Ich glaube, dass dann auch Tarifverträge, die wir ja brauchen in einer Gesellschaft und in einer Arbeitswelt, um nicht im Übrigen jeder Art und Weise von Lohndumping Tür und Tor zu öffnen, aber auch von Wettbewerbsverzerrung für die Unternehmensseite Tür und Tor zu öffnen, eine Zukunft haben. Ich freue mich zum Beispiel darüber, dass es der IG Metall gelungen ist, mit einem modernen innovativen Gewerkschafter einen solchen Tarifvertrag auf die Beine zu bringen. Die Zeiten von Herrn Peters gehen zu Ende.

    Durak: So ähnlich wie Sie argumentieren ja auch eine ganze Reihe von Arbeitgebern. Herr Thumann, BDI-Präsident, gestern erst wieder. Der Anteil variabler Vereinbarungen in Tarifverträgen müsste deutlich erhöht werden, der Anteil flexibler Regelungen überhaupt. Das heißt auf Betriebe verlagern. Dazu braucht man aber keine Gewerkschaften?

    Laumann: Aber selbstverständlich brauchen sie dafür Gewerkschaften. Sie brauchen auf der einen Seite den bindenden Flächentarifvertrag und wir brauchen auf der anderen Seite Bestandteile dieses Tarifvertrages, der sehr auf betriebliche Belange und auf die Unterschiedlichkeit unterschiedlicher Betriebe Rücksicht nimmt, damit das auch in der Vielschichtigkeit, die wir halt haben, in der größeren Flexibilität, die wir heute haben, durch diese Wissensgesellschaft, in der wir leben, Rechnung trägt. Wer soll denn diese Tarifverträge sonst Betrieb für Betrieb aushandeln? Dann kriegen sie ja, wie es in anderen Ländern in Europa üblich ist, die so genannten Haustarifverträge, die auch unter Umständen auch im Gewerkschaftsjargon Häuserkämpfe genannt werden. Ob uns das weiter hilft, das weiß ich nicht. Ich bin da sehr vorsichtig. Deswegen sagen ja zum Beispiel auch sehr besonnene Leute wie unser Bundespräsident, aber auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, dass die Flächentarifverträge in dieser flexiblen Form eine große Zukunft haben. Wenn man das natürlich dann verbindet etwa mit einer guten betrieblichen Alterssicherungspolitik, wenn man das verbindet mit Kapitalbeteiligung für Arbeitnehmer, da wo es dann gut läuft, dass auch gewinnorientierte Entlohnungssysteme eine Rolle spielen, dann macht das schon großen Sinn, dass dieses auch in einen Tarifvertrag und auch von starken Arbeitnehmervertretern, aber auf der anderen Seite auch von handlungsfähigen Arbeitgebervertretern ausgehandelt wird. Unser Land ist eigentlich mit diesem sozialen Konsens in der Vergangenheit – das heißt, dass wir unter den Sozialpartnern die Arbeitsbedingungen bestimmt haben – doch alles in allem gut gefahren.

    Durak: Sie haben den Bundespräsidenten erwähnt. Der hat gestern gesprochen beim DGB-Kongress. Er sagte gleich zu Beginn, "Ich rede wieder zur Sache", und forderte unter anderem, die Mehrwertsteuererhöhung noch mehr als bisher vorgesehen für die Senkung von Lohnnebenkosten zu verwenden und den Sozialstaat mehr als bisher über Steuern zu finanzieren. Geben Sie ihm Recht?

    Laumann: Ich persönlich gebe dem Bundespräsidenten grundsätzlich Recht, dass wir es schaffen müssen, die soziale Sicherung in Deutschland vom sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ein gutes Stück abzukoppeln. Wir können nicht 26 Millionen Arbeitsplätze, die Form der Arbeitsplätze, die die Menschen unbedingt brauchen, nämlich das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis, einseitig belasten in dieser Zeit mit der Finanzierung des Sozialstaates. Deswegen ist es zum Beispiel wichtig, dass zumindest ein Teil dieser Mehrwertsteuererhöhung in diese Richtung eingesetzt wird. Das ist zumindest ein Zeichen in die Richtung. Aber mir scheint, dass es viel wichtiger ist, dass zum Beispiel jetzt bei der anstehenden Gesundheitsreform ein weiterer Schritt erfolgt.

    Durak: Danke schön! Karl-Josef Laumann war für uns im Interview, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen und Bundesvorsitzender der CDA. Danke Herr Laumann für das Gespräch. Auf Wiederhören!

    Laumann: Danke schön! Auf Wiederhören!