Nutz: Aus Ihrem Ministerium, Herr Riester, war bereits gestern zu hören, sie lehnten das DGB-Modell ab. Warum?
Riester: Zuerst einmal, weil es zu höheren Beiträgen führt. Wir haben ja der Bevölkerung zugesagt, dass wir die Mittel aus der Ökosteuer einsetzen, um die Beiträge abzusenken. Dabei bleiben wir auch, denn das ist ein ganz wichtiges Ziel. Wir haben vor, die Lohnnebenkosten abzusenken. Im übrigen fordert dies auch beschlussmäßig der DGB. Aber dann muss man es eben auch konsequent machen.
Nutz: Wie interpretieren Sie denn den DGB-Vorschlag? Ist ein Prozent Rentensteigerung, den Frau Engelen-Kefer vorgerechnet hat, mehr als Kosmetik?
Riester: Nein. Das Element, was der DGB nennt, dass die Familienbeiträge und das Kindergeld herausgerechnet werden sollen, ist ja zunächst eine vernünftige Sache, weil dafür wird es ja nicht hineingetan, dass man die Renten erhöht. Mir wäre es lieb gewesen, man hätte früher schon so diskutiert, aber es löst das Problem nicht. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine Beitragssteigerung, die enorm ist. Beitrag und Bundeszuschüsse sind insgesamt um 86 Milliarden gestiegen. Man muss sich das einmal vorstellen. Das wäre so, als wenn jedes Jahr ein Prozent Mehrwertsteuer erhöht worden wäre. Das muss korrigiert werden. Wir stehen bei der Bevölkerung im Wort, die Ökosteuer ausschließlich dazu zu benutzen, den Beitrag wieder abzusenken. Es geht nicht nur um zwei Jahre, sondern es geht um eine langfristige Reform der Rentenversicherung, weil es ja wichtig ist, den Rentnern dauerhaft sichere Renten zu machen und gleichzeitig die Beitragszahler auch nicht zu sehr zu belasten. Das ist ein Gesamtkonzept, und so muss man es sehen.
Nutz: Die Gewerkschaften kritisieren vor allem die Konsequenzen Ihres Vorschlages, das heißt den Verlust an Vertrauen bei den Betroffenen, Stichwort: Rente nach Kassenlage. Spielt das für Sie keine Rolle?
Riester: Genau deswegen gehen wir heran. Wir sagen es erst einmal ehrlich. Mein Vorgänger ging durchs Land und sagte, die Renten sind sicher. Dieser Spruch hat nur gestimmt, wenn laufend die Beiträge gestiegen sind, und das machen die Menschen nicht mehr mit. Sie können heute einem 50jährigen oder jüngeren, glaube ich, nicht vermitteln, dass er ständig höhere Beiträge zahlt und anschließend, wenn er in Rente kommt, eine absolut niedere Rente hat. Deswegen bedarf es dieser Reform. Im Kern hat das der DGB bisher auch so gesehen, aber ich sage, zwischen Beschlusslage, Verkündung und den praktischen Konsequenzen gibt es manchmal sehr unangenehme Wege. Wir stellen uns dem, weil wir der Bevölkerung auch ehrlich sagen, wo wir stehen.
Nutz: Wenn wir beim Stichwort Ehrlichkeit sind: Gibt es, Herr Riester, denn eine Garantie, dass diese Inflationsanpassung auf zwei Jahre begrenzt bleiben wird?
Riester: Ja! Wir haben ganz klar öffentlich erklärt, dass wir nach zwei Jahren exakt wieder zur Anpassung der Renten an die Entwicklung der Löhne und Gehälter zurückkehren.
Nutz: Es steht aber, Herr Riester das wissen Sie, noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an, das eher in Richtung Bruttolohnanpassung gehen soll, ein Urteil, das wahrscheinlich noch dieses Jahr kommen wird. Was dann?
Riester: Es geht nicht nur in Richtung Bruttoanpassung. Da wird zur Zeit einiges durcheinandergebracht. Recht haben Sie: Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Frage, ob Renten in höherem Maße besteuert werden sollen. Das hat aber nicht unmittelbar mit der Frage der Rentenanpassung zu tun. Es gibt in der Öffentlichkeit heute eine etwas verwirrte Diskussion darüber, und ich möchte schauen, dass wieder Ruhe dort hineinkommt. Wir haben gesagt, auch der Kanzler ganz klar, nach zwei Jahren gehen wir zurück an die Entwicklung der Renten im Rahmen der Löhne und Gehälter. Es liegt auch ein Punkt darin, denn der DGB-Vorschlag sieht vor, dass zukünftig zusätzlich ein Demographie-Abschlag kommt. Das, glaube ich, ist den Menschen nicht zu vermitteln. Sie brauchen Sicherheit, und deswegen bin ich gar nicht so erfreut, dass jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird und immer neue Vorschläge kommen.
Nutz: Wie wird denn der Ausgang des Urteils je nachdem in Ihrem Konzept berücksichtigt?
Riester: Zuerst einmal müssen wir das Urteil abwarten. Keiner weiß im Moment, wie das Urteil ausgeht. Das ist auch eine sehr spekulative Diskussion. Wir müssen zunächst wissen, was das Verfassungsgericht entscheidet, und dann müssen wir uns entsprechend an diese Entscheidung halten.
Nutz: Aber können Sie denn dann immer noch bei Ihrer Garantie der Zwei-Jahre-Begrenzung bleiben?
Riester: Da können wir auf jeden Fall bleiben. Wenn das Bundesverfassungsgericht von sich aus in die Rentenanpassungsformel eingreift, dann ist das eine Entscheidungsform des Verfassungsgerichtes. Das wird aber nichts daran ändern, dass wir nach zwei Jahren die Renten wieder an die Entwicklung der Löhne und Gehälter anpassen.
Nutz: Sie sagen immer "Anpassung an Löhne und Gehälter". Dennoch noch einmal die Frage: Nettolöhne oder Bruttolöhne?
Riester: Frau Nutz, das ist nicht so furchtbar entscheidend. Wir hatten früher Brutto, jetzt haben wir Netto. Netto ist ja weniger wie Brutto. Die Rentendämpfung ist ja genau durch die Nettoentwicklung gekommen. Deswegen ist es etwas verwirrend, wenn jetzt Leute, zum Teil auch Fachleute sagen, wir gehen wieder zur Bruttoanpassung zurück. Dadurch werden allmählich die Leute verwirrt.
Nutz: Man geht ja davon aus, dass die Nettolöhne dank der Steuerreform, so sie denn kommt, ja steigen.
Riester: Ja, das ist aber eine sehr kurzfristige Betrachtung. Wir betrachten jetzt zwei, drei Jahre Steuerreform, die mal den Hebel umgeworfen hat und den Leuten netto mehr belässt. In der Rentenversicherung müssen sie in Kategorien von 10, 15, 30 Jahren in bestimmten Entscheidungen rechnen. Hätten wir die Bruttoanpassung 1993 belassen, dann wäre die Belastung der Rentenversicherung um ein Vielfaches höher als sie jetzt ist.
Nutz: Herr Riester, so ganz alleine kann die Regierung ja nicht mehr mit ihrem Sparpaket umgehen und entscheiden. Die Mehrheit im Bundesrat verändert sich zusehends und wird sich wahrscheinlich durch die kommenden Wahlen noch weiter verändern. Gibt es von Ihnen unter diesen neuen Verhältnissen ein neues konkretes Gesprächsangebot zum Thema Rente an die Opposition?
Riester: Ja, das Gesprächsangebot haben wir gemacht. Ich selbst habe dem Herrn Schäuble drei Briefe geschrieben. Sie lehnen ein Gespräch ab, weil sie es im Moment für opportun halten, Leute zu verunsichern, alte Menschen. Das sind Verhetzungscampagnen, die laufen. Gerade die Rentenfrage ist hoch problematisch. Ich kann die Opposition nicht an den Gesprächstisch zwingen, will das auch nicht. Das ist ihre eigene Verantwortung. Wie gesagt, das Gespräch haben wir formal und informell angeboten. Mehr können wir nicht machen.
Nutz: Haben Sie denn dort eine Kompromisslinie angeboten und wo kann die sein?
Riester: Wir haben angeboten, dass wir über das gesamte Paket sprechen. Wir haben ja ein Paket einer langfristigen Sicherung der Renten. Es geht ja nicht nur um die zwei Jahre. Die Opposition hat abgelehnt, darüber zu sprechen. Das muss ich im Moment hinnehmen.
Nutz: Wird es denn darauf hinauslaufen, dass die Rentenpläne aus dem Sparpaket ausgekoppelt werden, um den Bundesrat zu umgehen?
Riester: Das haben wir nicht vor. Wir haben es so, wie wir es beschlossen haben. Im Kabinett werden wir es in die parlamentarische Beratung hineingeben. Wie wir uns dann letztendlich verhalten auf der Ebene des Bundesrates, da muss man sich entscheiden, wenn man so weit ist.
Nutz: Herr Riester, das Leben wird ja nicht leichter mit dem Sparpaket. Die "Süddeutsche Zeitung" meldet heute morgen, die Bundesregierung plane offenbar weitere Einschnitte bei den Arbeitslosen. Das Finanzministerium dränge Sie, den Arbeitsminister, auf diesem Weg 1,8 Milliarden Mark einzusparen. Sie sollen sich dem heftig widersetzt haben, heißt es. Was ist daran?
Riester: Es wird keine weiteren Einschnitte in dieser Frage geben. Nicht bei den Arbeitslosen, sondern bei den Arbeitslosenhilfeempfängern haben wir die Zuzahlung der Rentenbeiträge auf den Zahlbetrag. Das ist ein komplizierter Vorgang. Darüber hinaus gibt es keine weiteren Einschnitte.
Nutz: Aber Sie stehen dort nicht unter Sparzwang oder doch? Gibt es dort Druck vom Finanzministerium?
Riester: Unter Sparzwang stehen wir alle. Darüber sollte sich die Bevölkerung mal freuen, dass eine Regierung auch den Mut hat, das zu machen. Die anderen haben immer die Steuern erhöht, und wir konsolidieren die großen Haushaltslücken und die großen Fehlbeträge der ehemaligen Regierung, sind der Kritik ausgesetzt, müssen aber durch.
Nutz: Zum guten Schluss noch eine ganz andere Frage. Andere Zeitungen berichten, Ihr neuer Kabinettskollege im Verkehrsressort soll Reinhard Klimmt heißen. Können Sie das bestätigen?
Riester: Das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Ich habe diese Nachricht auch den Zeitungen und der Berichterstattung der "Tagesschau" entnommen. Mehr weiß ich dazu auch nicht.
Nutz: Das heißt, man darf in allen Themen- und allen Personenfragen gespannt sein?
Riester: Genau, so ist das Leben!
Nutz: Bundesarbeits- und -Sozialminister Walter Riester zur anhaltenden Rentendebatte. - Herr Riester, wir bedanken uns für dieses Gespräch.
Link: (Walter Riester: Die Rentenversicherung (16.2.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/185.html)