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Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris

Ich kann dieses Buch nicht lesen. Das heißt, kaum beginne ich einen Satz, höre ich schon Stimmen, höre ich die Stimme von Georg Stefan Troller. Die kommt von weit her. Sie gehört zum Klangkörper der Bundesrepublik wie die Stimme von Heinrich Böll oder Willy Brandt, und sie dürfte im intimen Schallarchiv der Älteren eine gewisse Rolle spielen. Doch es ist nicht nur die Stimmfarbe, sondern erst zusammen mit dem Rhythmus seiner Worte und der unnachahmlichen Schnittechnik seiner Texte und Filme entsteht der spezifische Troller-Sound.

Walter von Rossum |
    Ich erinnere mich nicht genau, wann ich zum ersten Mal sein "Pariser Journal" im Fernsehen sehen durfte. Meine Eltern machten ein gewisses Aufheben, wenn es um diese Sendung ging. Obwohl sie sie geliebt haben, meinten sie darin etwas für Jugendliche nicht Geeignetes zu entdecken. Oder vielleicht haben sie sie deshalb geliebt, denn davon gab es im deutschen Fernsehen sonst eher wenig. Es gab auch ein Buch mit dem Titel "Pariser Journal". Vielleicht habe ich in diesem Zusammenhang das Wort erotisch zum ersten Mal gehört. Jedenfalls widerfuhr dem Wort durch die Berührung mit dem "Pariser Journal" seine dunkle Aufladung, die es bis heute für mich behalten hat. Als ich heimlich dann das Buch nach unanständigen Stellen durchsuchte, wurde ich enttäuscht: Da zog sich niemand aus. Das würde ich heute wohl anders sehen. Georg Stefan Troller verstand es, sehr viel mehr von Menschen zu sehen zu geben, als man sonst von ihnen hätte erfahren können. Und was für Menschen! Ausländer mit verwegenen und gebrochenen Lebensläufen, Einzelgänger, Künstler mit einer Aura, die bei uns niemand zu haben schien. Doch vielleicht gab es bloß niemanden, der solche Menschen so in Szene zu setzen verstand wie Troller.

    Wenn man sich dereinst mal darauf besinnen wird, sich mit Glanz und Elend des Fernsehens, seiner Geschichte und seiner Ikonographie anders als summarisch und kategorisch zu beschäftigen, dann wird man sich auch ausführlich mit Georg Stefan Troller beschäftigen müssen. Er hat unseren Eltern und damit uns einen Hauch von Welt in die bis zur Unfruchtbarkeit aufgeräumten Wohnzimmer gebracht – und die Ahnung vielleicht, dass das Leben ein abenteuerliches und poetisches Unternehmen sein kann. Oder um es in den Worten von Nathalie Clifford Barney zu sagen: Daring and manner, Wagemut und Lebensart. Solche Damen wie Nathalie Clifford Barney, Amerikanerin in Paris und berüchtigte Brecherin weiblicher Herzen, solche Wesen schmuggelte Troller in den 60er Jahren dem deutschen Publikum ins Gemüt – ohne seine Helden vorzuführen und ohne dass dabei didaktische Absichten erkennbar gewesen seien. In seinen "literarischen Streifzügen durch Paris" erinnert er sich an diese Begegnung mit Nathalie Clifford Barney, die einmal geschrieben hatte: "Ich habe vielleicht mehr aus meinem Leben geholt, als in ihm war."

    Mit neunzig habe ich die einstige ‚Päpstin von Lesbos‘ kennengelernt, eine echte Pariserin voll Medisance, die komischerweise aus dem Mittelwesten stammte, auf Französisch feinsinnige Gedichte und Aphorismen schrieb (...), aber sich die Kultur der einstigen angelsächsischen Oberschicht bewahrt hatte. Damit und mit einfühlsamem Kunst- und Künstlerverständnis begabt, zog sie 1909 ihren berühmten Freitagssalon auf, in dem sich, über dreißig Jahre hinweg, die aufregendsten Literaten der Zeit trafen: Proust, Valéry, d’Annunzio, Gide, Colette, Rilke ... Zusammen mit jungen Künstlerinnen, die – von ihr als ‚Académie des femmes‘ zusammengefaßt – hier ihre Werke zeigen und vortragen durften.

    Doch als er sich mit Nathalie Clifford Barney in ihrem Pariser Haus trifft, ist die Überraschung groß, weil er da auf einen dunklen Gast trifft, der im Teig der Pariser Boheme einst eine fermentierende Rolle gespielt hatte, bevor er sich selbst ins Exil gejagt hat:

    Da stand er nun, als ich Nathalie besuchte, in ihrem stets verdunkelten Wohnzimmer, darin die Tapeten sich leise raschelnd von den Wänden lösten: der Mann, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte (er steckte zeitweilig im Irrenhaus), ein bärtiges, zerfurchtes Löwenhaupt. Neben sich eine der zwei Frauen, mit denen dieser Bigamist sein Leben teilte, die Geigerin Olga Rudge. Es ist der Lyriker Ezra Pound, der seit Jahren stumm und verbiestert in Venedig vor sich hindämmert. Und den Nathalie telefonisch gebeten hat, nach Paris zu kommen, weil er es der Nachwelt schulde, ein einziges Mal im Fernsehen über sich Auskunft zu geben‘. Der große Dichter der "Cantos" und Förderer vieler Talente hatte ja im Krieg von Italien aus im Radio faschistische Propagandasprüche losgelassen, nachher steckten ihn dann die Amerikaner in die Klapsmühle, um ihn nicht als Verräter auf den elektrischen Stuhl schicken zu müssen. Jetzt schlurfte er geistesabwesend an Nathalie Barneys Arm durch die herbstlichen Blätter ihres damals wohlgepflegten Gartens.

    Mister Pound, fragen wir, haben Sie Sehnsucht nach den alten Zeiten? Er murmelt: ‚Nein.‘ Waren Sie glücklich hier in diesem Haus? ‚Ich glaube ja.‘ Meinen Sie, dass die Welt sich undankbar benommen hat Ihnen gegenüber? ‚Nein.‘ Sie sind nicht verbittert? ‚Nein.‘ Sie beklagen nicht, dass man sie vergessen hat? ‚Leider nicht vergessen.‘ Möchten Sie Ihr Leben von neuem beginnen? (Ein Aufschrei): ‚Gott! Ja!‘ Was würden Sie anders machen? ‚Fast alles.‘ Glauben Sie, dass Sie zuviel gesagt haben, was Sie nicht hätten sagen sollen? ‚Ja. Aber ich habe auch viel Gutes getan.‘ Auch viel Böses? ‚Wer hat das nicht?‘ Zu viel? ‚Zu viel.‘ Mister Pound gibt es noch etwas, das wir wissen sollten? Eine Botschaft? ‚Dankbarkeit für alle, die mir halfen ... und Bewunderung für ihren Mut.‘ (...) Danach versinkt Pound wieder in sein psychopathisches Schweigen. Olga bringt ihn zurück zum Taxi. Im selben Jahr wie Nathalie, 1972, ist er dann gestorben.

    Als nachfahrender jüngerer Kollege traut man seinen Augen und Ohren nicht, wenn man dieses Interview mit Ezra Pound liest. Hätte man nicht Dutzende anderer Interviews mit Troller gehört, würde man es gar nicht glauben. Wer von uns würde es schon wagen, mit einer solchen Leichtigkeit einem Ezra Pound zu begegnen: diesem genialen Dichter und völlig durchgeknallten Antisemiten? Vielleicht stellt Troller ja auch gar keine Fragen im klassischen Sinne, sondern er wirft kommunikative Zurufe in die Runde – von ebenso unbegreiflicher Leichtigkeit wie Direktheit. Troller macht Pound nicht zum hundertsten Male einen Prozeß den man nur gewinnen kann, und den man gegen andere nie auch nur einmal geführt hat. Troller läßt einen Überlebenden dieser Prozesse zu Wort kommen, eine geschundene Ikone. Alles weitere erübrigt sich – oder begänne hier überhaupt erst.

    Mit Sicherheit darf man Troller hier keine naive Unbefangenheit unterstellen. Er wurde 1921 in Wien geboren. 1938 emigrierte das Kind jüdischer Eltern auf komplizierten Umwegen in die USA, wo er sich mit bescheidensten Mitteln durchschlug. 1943 kehrte er als amerikanischer Soldat nach Europa zurück. Später studierte er in Los Angeles und New York. 1949 zog er als Rundfunkreporter nach Paris, wo er bis auf den heutigen Tag lebt – übrigens mit amerikanischem Paß. 1962 begann er schließlich mit dem "Pariser Journal". Ab 1972 belieferte er über zwei Jahrzehnte das ZDF mit seinen "Personenbeschreibungen". Und er arbeitete auch als Drehbuchautor. Seine Autobiographie "Wohin und zurück" wurde 1993 von Axel Corti verfilmt und vielfach preisgekrönt.

    So lebt also seit über fünfzig Jahren dieser gebürtige Wiener mit amerikanischer Staatsbürgerschaft in Paris und berichtet für das deutsche Fernsehen. Interessanterweise hat Troller meines Wissens nie versucht, diese faszinierende Stadt ins Visier einer Totalen zu nehmen. Wem übrigens wäre das auch gelungen? Troller versteht sich als Flaneur. Über diese typische Pariser Gestalt hat Walter Benjamin im Anschluss an Baudelaire folgendes geschrieben.

    Es ist der Blick des Flaneurs, dessen Lebensform die kommende trostlose des Großstadtmenschen noch mit einem versöhnenden Schimmer umspielt. Der Flaneur steht noch auf der Schwelle, der Großstadt sowohl wie der Bürgerklasse. Keine von beiden hat ihn noch überwältigt. In keiner von beiden ist er zu Hause. Er sucht sich ein Asyl in der Menge. (..) Im Flaneur begibt sich die Intelligenz auf den Markt. Wie sie meint, um ihn anzusehen, und in Wahrheit doch schon, um einen Käufer zu finden.

    Troller interessiert sich nicht für Zusammenhänge, sondern nur für Menschen und Begegnungen. So ist auch sein Buch über die "Dichter und Bohemiens" ausgefallen. Selbst wer sich in Paris nicht sonderlich gut auskennt, der wird nach ein paar Seiten der Lektüre schnell merken, dass einem kaum etwas anderes übrig bleibt als unsystematisch vorzugehen. Es sei denn man schriebe ein vieltausendseitiges Kompendium über Paris als permanente Walfahrtstätte der Literatur und Künste. In den letzten Jahrhunderten haben in Paris derart viele Künstler gelebt und gearbeitet, dass man mit der Produktion einiger Hausnummern in bestimmten Strassen schon halbe Regale mit sogenannter Weltliteratur füllen könnte.

    Man muß jedoch immer wieder daran erinnern: Paris, die Ville de Paris, die Stadt innerhalb des heutigen boulevard periphérique, des Autobahnrings, dieses Paris ist vergleichsweise winzig klein. Mit ein wenig Ausdauer läßt es sich zu Fuß durchlaufen. Dafür ist Paris an Einwohnern reichlich überbelegt. Verrechnet man die wenigen Quadratkilometer mit der Zahl der hier entstandenen Meisterwerke und mit der Zahl der Künstler, die hier gelebt haben, dann ergibt sich ein schwindelerregender Quotient von Geist pro Quadratmeter, der wohl mit keiner anderen Stadt der Welt zu vergleichen ist. Das hat natürlich auch mit dem französischen Zentralismus zu tun, der den Rest des Landes automatisch zur Provinz macht. Es dürften grob geschätzt nur 1% der nationalen Kunstproduktion außerhalb von Paris entstanden sein. Andererseits war Paris ein magischer Ort für Künstler aus der ganzen Welt – besonders im 20. Jahrhundert. Warum eigentlich? Was suchten Joyce, Beckett, Gertrude Stein, Ernest Hemingway, Scott Fitzgerald oder Rainer Maria Rilke in Paris? Darüber erfahren wir bei Troller sehr wenig. Er ist vollauf damit beschäftigt durch die Strassen zu schlendern und die Viertel mit den Namen zu möblieren, die hier einst schrieben und soffen, den Lorbeer der Unsterblichkeit suchten und manchmal fanden, wenn sie nicht auf dem Flohmarkt ihres Lebens endeten. Trollers Beschreibung geht nach Vierteln vor – also: Montparnasse, Quartier Latin, Montmartre, Saint Germain usw. Und selbst wer die literarische Vergangenheit der Stadt einigermaßen gut kennt, wird durch Trollers Buch viel Neues erfahren. Ohne Geheimtippgetue öffnet er das Tor zu manchem Hinterhof, gesäumt von den Räumen und Träumen längst verblichener Dichter. Da entdecken wir auch ein Paris jenseits der präparierten und ein wenig sterilen Pracht der Boulevards und der kulturellen Zurichtungsarbeit. Und obwohl einen manchmal die Fülle der Namen, die Unzahl prägnanter Anekdoten und die Masse liebevoll ausgesuchter Zitate schier erschlagen, möchte man Troller trotzdem auf die Schulter tippen und ihn daran erinnern, dass hier Albert Camus gelebt, da der Roman von Gide seine berühmte Wendung genommen hat und in jenem Café das Feuerwerk einer ganzen Epoche gezündet wurde. Doch das wüßte Troller wahrscheinlich selbst. Was soll er machen bei so viel Stoff? Er tut das einzig Richtige: er reiht nach Lust und Laune und verrät dabei nie den impressionistischen Vorsatz. Und wundersamer Weise – doch wir dürfen bei Troller getrost Absicht und Geschick unterstellen – entsteht dabei mehr als ein wildes Namensallerlei im Zeichen zufälliger Flaniererei. Eher als einen literarischer Reiseführer hat Troller einen Dokumentarroman über Paris als Poetenparadies geschrieben. Vielleicht ist es ihm auch deshalb gelungen, weil er sich nicht nur für die Meisterwerke der Weltliteratur und die Fürsten von Parnass interessiert, sondern auch für das Anekdotische und fast Vergessene. So erzählt er beispielsweise die Entstehungsgeschichte der "Histoire d’O.", der "Geschichte der O." – einer der letzten Skandalromane der erotischen Literatur.

    Für das renommierte [Verlags]Haus [Gallimard] arbeitete um 1940 ein nicht mehr ganz junges Provinzmädchen namens Anne Desclos, die sich, als sie in die Widerstandsbewegung eintrat, den Decknamen Dominque Aury zulegte. Dort traf sie dann Jean Paulhan, den zeitweiligen Herausgeber von Gallimards mächtiger Verlagszeitschrift ‚Nouvelle Revue Francaise‘, kurz NRF genannt, und Diktator des literarischen Zeitgeschmacks. Die Kleine entbrannte in Liebe zu dem älteren Mann mit dem Cäsarenprofil, er begann ein Verhältnis mit ihr, verschaffte ihr auch einen Posten bei seinem Blatt, blieb aber im übrigen anderweitig verheiratet. Sie, die bislang nur als Herausgeberin einer religiösen Anthologie in Erscheinung getreten war, beginnt ihm Briefe zu schicken, intime Briefe, Briefe, in denen sie nicht nur ihr Herz ausschüttet, sondern ihre geheimsten erotischen Phantasien offenbart. Paulhan wittert große Bekenntnisdichtung, fordert sie auf weiterzumachen, ja sich zu steigern. Jeden Morgen übersendet sie ihm ein neues Kapitel, in Eile hingeworfen, ohne Durchschlag, wird immer mutiger, macht sich schließlich Luthers Devise ‚pecca fortifer‘, sündige mutig, zu eigen. Sie gesteht, dass sie sich in seinen Armen nach tausend weiteren Armen sehnt, nach einer Art sadistischem Geheimkult, der die ihm ausgelieferten Frauen erniedrigt, ihnen Hundehalsbänder und Ketten anlegt, sie unterwirft, peitscht und vergewaltigt. Als er die ‚Geschichte der O‘ abgeschlossen vorliegen hat, notiert Paulhan: ‚Es ist der exorbitanteste Liebesbrief, den je ein Mann erhielt.‘ Jahrelang versuchte er vergeblich seine Patron Gaston Gallimard zu überreden, das Manuskript herauszubringen, natürlich unter einem neuerlichem Pseudonym, Pauline Réage. Schließlich erscheint das Buch 1954 bei einem kampfeslustigen jungen Verleger, Jean-Jacques Pauvert, der gerade unter schweren Geldbußen für seine Neuauflagen des Marquis de Sade zu leiden hat, in nur 600 Exemplaren. Innerhalb weniger Jahre werden daraus 850 000! Albert Camus urteilt weise, es handle sich hier um typisch dreckige Männervorstellungen, niemals könne eine Frau dergleichen niedergeschrieben haben. Literaturgreis François Mauriac beklagt, ‚die heutigen Musen schwirren über Gefängnislatrinen‘, muß aber zugeben, das Buch nie gelesen zu haben. (...) Andererseits befaßt sich auch die zu dieser Zeit noch bestehende ‚Brigade Mondaine‘ der Polizei mit dem Buch, obwohl sonst eher für Prostitution und Orgien zuständig. Sie will das Werk verbieten lassen, muß aber vorher die Identität des Autors kennen. Pauvert verweigert gesetzeswidrig jede Auskunft. Aber es gibt eine echt pariserische Lösung. Die Ärztin der Autorin ist auch die Geliebte des damaligen Justizministers Corniglion. Ein Mittagessen wird organisiert, der Minister zeigt sich von der jungen Schriftstellerin angetan, danach ist nicht mehr von Zensur die Rede. Dominique Aury, [später] als Generalsekretärin der Zeitschrift NRF tätig, bleibt still und anonym. Erst 1995, inzwischen 88 Jahre alt, bekennt sie sich in einem Artikel für den ‚New Yorker‘ als Verfasserin des berüchtigten Buches.

    Georg Stefan Troller ist ein Impressionist, der im Großen und Ganzen sein Handwerk blendend beherrscht. Doch manchmal verfällt er in eine allzu behäbige Optik und manches Detail gerät schief oder schlicht falsch. Gelegentlich hat man den Eindruck, er interessiert sich mehr für den bunten Folkloreteppich als für problematische Einzelheiten. So stellt er zum Beispiel Simone de Beauvoir – deren Photo immerhin den Umschlag ziert – als "Sartrine" vor. Das ist, erstens, falsch, denn die misogyne Fraktion der Pariser Intelligenzija pflegte die Freundin von Jean-Paul Sartre als "Sartreuse" oder gar "Grande Sartreuse" zu desavouieren. Und es ist, zweitens, ziemlich unerträglich eine Frau, die ein äußerst eigenständiges und sehr erfolg- wie folgenreiches Werk geschrieben hat als den blassen Schatten von Sartre abzutun.

    Sartre starb 1980, Simone de Beauvoir. Danach kommt in Trollers literarischen Beschreibung von Paris nichts mehr. Man könnte spekulieren, die Neugier des heute 82jährigen Troller in Bezug auf die literarischen Zeitgenossen wäre erschöpft. Man könnte aber auch vermuten: da ist auch nicht mehr viel, was an die große, ja übergroße Tradition anschließen könnte. Gewiß der hochbetagte Nobelpreisträger Claude Simon verbringt einige Monate des Jahres in Paris (und den Rest in der Provence). Und dann gäbe es da noch die Phalanx der sogenannten poststrukturalistischen Theoretiker wie Derrida, Barthes, Foucault, Deleuze oder Baudrillard. Doch die meisten sind bereits tot oder unterrichten für viel mäzenatischen Lohn an kalifornischen Privatuniversitäten. Im Übrigen ist es diesen Autoren und Denkspezialisten nie auch nur annähernd gelungen, im öffentlichen Leben an die Präsenz ihrer Vorgänger anzuschließen. Die sogenannten "nouveaux philosophes" bedienen zwar alert den enormen Bedarf an intellektuellen Aufgeregtheiten, den Paris sich schuldig zu sein glaubt, aber die Halbwertzeit ihrer Werke kann man gar nicht gering genug einschätzen.

    So wird das Buch am Ende auch zu einer heimlichen Verlustanzeige. Um so bemerkenswerter, dass Georg Stefan Troller aus seinen literarischen Spaziergängen durch Paris keine museale Beschwörung gemacht hat.