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Die Abstimmung des türkischen Parlaments über eine Stationierung von US-Truppen in der Türkei

Simon: Das türkische Parlament soll heute über eine Stationierung von 62.000 Soldaten der US-Armee für einen Krieg gegen den Irak entscheiden. Wochenlang hat es die Entscheidung vertagt. Die türkische Regierung hat inzwischen vorgestern der Bitte der USA zugestimmt. Aber, wie gesagt, es hängt am Parlament. Washington hat es eilig. Vor türkischen Mittelmeerhäfen warten bereits seit Wochen US-Kriegsschiffe darauf, mehrere Tausend US-Soldaten und tonnenweise Kriegsmaterial zu entladen. Die USA brauchen ihre Truppen in der Türkei, um bei einem Krieg den Norden des Irak absichern zu können. Dementsprechend groß war der Druck auf Ankara in den letzten Wochen. Ich bin jetzt mit Onur Öymen verbunden. Er ist sozialdemokratischer Abgeordneter der Opposition, und er war Botschafter der Türkei in Bonn und bei der NATO. Guten Morgen, Herr Öymen!

    Öymen: Guten Morgen, Frau Simon!

    Simon: Herr Öymen, glauben Sie, dass sich das türkische Parlament für die Stationierung entscheiden wird?

    Öymen: Unser Partei wird eine negative Stimme geben, denn wir sind dagegen. Aber vielleicht wird die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungspartei zustimmen. Das Problem ist, dass nach unserer Verfassung das Parlament so entscheiden kann, wenn es eine Situation im Rahmen einer internationalen Legitimation gibt. Unsere Partei glaubt, dass es in diesem Fall keine Legitimität einer amerikanischen Operation im Irak gibt. Viele Abgeordnete der Regierungspartei haben auch Zweifel an der Legitimität einer solchen Operation. Das ist im Moment die Frage. Als Oppositionspartei haben wir keine Zweifel. Wir glauben, dass eine solche Entscheidung durch unser Parlament unter diesen Bedingungen gegen unser Grundgesetz ist.

    Simon: Sie sprechen ja auch mit den Abgeordneten der Regierungspartei, die potentiell für die Stationierung von US-Truppen stimmen werden. Wie wohl ist es denn den dafür stimmenden Abgeordneten, wenn sie sehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine solche Stationierung ist?

    Öymen: Das ist richtig. Über 90 Prozent unserer Bevölkerung sind gegen einen Krieg im Irak. Das beeinflusst auch einige Abgeordnete. Einige Abgeordnete der Regierungspartei haben gesagt, dass sie mit Nein stimmen werden. Sie sind ebenfalls gegen diese Entscheidung der Regierung.

    Simon: Ankara soll ja für seine Kooperation mit den USA Geld bekommen. Die Rede ist von 30 Milliarden Dollar Finanzhilfen, Kredite und Streichungen von Altschulden. Auch vor zwölf Jahren, beim ersten Golfkrieg, hat Ankara für seine Hilfe Milliarden versprochen bekommen. Dieses Versprechen wurde aber später nicht eingelöst. Glauben Sie, dass es dieses Mal anders kommen wird?

    Öymen: Man darf nicht glauben, dass wir für Geld in den Krieg ziehen. Das ist nicht unsere Politik. Wir haben jedoch während des Golfkrieges über 40 Milliarden Dollar verloren. Deswegen hat die Regierung wahrscheinlich mit den Amerikanern über die finanziellen Aspekte einer Teilnahme an einer Operation gesprochen.

    Simon: Sie sprechen den Golfkrieg an. Damals ging ja der Türkei der wichtigste Handelspartner als Nachbar, der Irak, verloren. Aber das Geld ist damals nicht aus den USA gekommen. Glauben Sie, dass Sie dieses Mal für die Folgeschäden in der Türkei Geld bekommen?

    Öymen: Wir sind nicht sicher, denn wir brauchen eine Entscheidung des amerikanischen Kongresses. Wir wissen, dass das nicht einfach ist. Es gibt einige Lobbyisten im amerikanischen Kongress, die gegen die Türkei arbeiten. Dazu gehören die armenische und die griechische Lobby. Wir wissen zur Zeit nicht, ob das einen Einfluss auf diese Entscheidung haben wird. Ich glaube nicht, dass der amerikanische Regierungspräsident genug Möglichkeiten hat, über eine solche finanzielle Hilfe zu entscheiden. Wir brauchen auf jeden Fall eine Zustimmung des amerikanischen Kongresses.

    Simon: Wie groß ist denn das Risiko für die Türkei bei einem Krieg mit dem Irak, auch wenn Sie an eine autonome kurdische Region im Nordirak denken?

    Öymen: Die Amerikaner haben in der Öffentlichkeit gesagt, dass dieser Krieg einen unabhängigen kurdischen Staat im Norden Iraks unterstützen würde. Auf jeden Fall waren dort an der Grenze zur Türkei in den letzten Jahren türkische Truppen, die für unsere Sicherheit gesorgt haben. Die türkische Regierung hat auch dieses Mal gesagt, dass sie wieder türkische Truppen für die Sicherheit für unsere Grenze in den Nordirak schicken wird. Wir brauchen eine Garantie für die Stabilität im Nordirak und für die Sicherheit der Türkei.

    Simon: Ist denn dann nicht die Gefahr eines Konfliktes mit den Kurden im Nordirak sehr groß? Die haben ja schon gesagt, dass sie keine türkischen Soldaten wollen.

    Öymen: Ich glaube das nicht, weil es in der Vergangenheit keinen Krieg zwischen den Türken und den Kurden im Nordirak gab. Die türkischen Soldaten waren vielleicht zehn Mal im Nordirak, um gegen Terroristen zu kämpfen. Da gab es ein gutes Verständnis zwischen den türkischen Truppen und den kurdischen Parteien. Der kurdische Parteiführer ist auch sehr oft in Ankara gewesen. Ich glaube nicht, dass es da ein Problem geben wird.

    Simon: Ganz herzlichen Dank, Herr Öymen!

    Link: Interview als RealAudio