Archiv


Die Affäre Möllemann

    Lange: Ein Rekonvaleszent meldet sich zurück. Pünktlich zum Ende seiner offiziellen Krankschreibung hat sich Jürgen Möllemann gestern Abend erstmals im Fernsehen zu den Vorwürfen geäußert, die in den letzten Wochen gegen ihn erhoben worden sind. Kernpunkte des Gesprächs waren das Eingeständnis zweier Fehler und der Vorwurf an die FDP-Führung, nie das Gespräch mit ihm gesucht zu haben. Statt dessen werde ihm ein politischer Prozess gemacht. Zu den aufmerksamen Zuschauern dieses Auftritts von Jürgen Möllemann gehörte gestern Abend auch Hermann Otto Solms, Finanzexperte der FDP, früher ihr Schatzmeister und nun Bundestagsvizepräsident. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Solms.

    Solms: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Es ist in der FDP ja üblich geworden, die mentale Verfassung von Jürgen Möllemann zu thematisieren. Ich welcher Verfassung haben Sie ihn denn gestern Abend erlebt.

    Solms: Er ist aufgetreten wie ein reuiger Sünder, der um Gnade bittet. So habe ich es jedenfalls empfunden. Aber der Sachverhalt ist ja nun einigermaßen geklärt. Die Partei hat nun keinerlei Alternative, als nun die Konsequenzen zu ziehen.

    Lange: Das heißt, aus Ihrer Sicht gibt es keinerlei Ansatzpunkte, die einen Parteiausschluss womöglich überflüssig machen?

    Solms: Das ist ein schwerer Prozess. Wir haben alle 30 Jahre mit ihm zusammen gearbeitet. Wir haben gemeinsam Erfolge erstritten und Niederlagen erlebt. Wir haben gemeinsame Arbeit gemacht, aber uns auch innerparteilich häufig miteinander auseinander gesetzt. Es ist schwierig, einen solchen Trennungsstrich zu ziehen. Aber man muss es ganz nüchtern beurteilen. Wenn in einem Vorstand der Chef der Öffentlichkeitsarbeit eine Kampagne startet, obwohl er weiß, dass der gesamte Vorstand anderer Meinung ist, dann wird er anschließend entlassen. Da gibt es gar keine Frage. Warum sollte das in einer Partei anders sein.

    Lange: Jürgen Möllemann sieht sich nun als Opfer einer Kampagne. Er spricht von einem politischen Prozess, der ihm gemacht werde, weil er versucht habe, die Partei zu öffnen. Und er wirft dem Präsidium der FDP vor, nie das Gespräch mit ihm gesucht zu haben. Hat das Präsidium den Kontakt zu Möllemann gemieden?

    Solms: Zwei Dinge sind dazu zu sagen. Erstens kann es ihm schlecht gelingen, sich zum Opfer zu machen, obwohl er der Täter war. Es ist ja nun eindeutig so, dass er gegen den geschlossenen Willen der gesamten Parteiführung, sogar des gesamten Parteitages eine Kampagne inszeniert hat, die der FDP erheblich geschadet hat, obwohl er versprochen hatte, dieses nach dem ersten Ansatz im Mai diesen Jahres einzustellen. Zweitens hat natürlich die FDP Kontakt zu ihm gesucht. Sie hat ihn ja schriftlich mehrfach aufgefordert, Stellung zu nehmen. Sie hat sogar eine Klage gegen ihn gerichtet, Auskunft zu erteilen. Das hat er nicht getan. Er war in der Lage, Rundfunk- und Fernsehinterviews zu geben. Er war in der Lage, die Bild-Zeitung am Krankenbett zu empfangen. Er hätte ja nur ein paar Fakten liefern müssen. Das hat er aber bis heute nicht getan.

    Lange: Was wiegt denn aus Ihrer Sicht schwerer? Der politische Schaden oder der materielle Verlust, den er der Partei zugefügt hat?

    Solms: Eine Partei ist in einer viel schwierigeren Situation als ein Unternehmen. Ein Unternehmen kann jemanden, der Fehler macht, entlassen. Eine Partei kann das nicht, aus gutem Grund. Er sind sehr hohe Hürden für einen Parteiausschluss gelegt worden, und zwar aus den Erfahrungen diktatorischer Regime des Nationalsozialismus, aber auch des Kommunismus. Eine Partei kann Mitglieder, die nicht bootmäßig sind, nicht einfach entlassen. Der eigentliche Grund für die Trennung von Möllemann ist der, dass er der Partei eine Kampagne hat aufzwingen wollen, die nicht mit den Inhalten des Parteiprogramms und auch nicht mit dem Stil der Partei übereinstimmt. Das hätte aber vermutlich rechtlich für einen Ausschluss nicht gereicht. Nun ist nach einem langen mühsamen Aufklärungsprozess dazu gekommen, dass bei der Finanzierung eben Unregelmäßigkeiten stattgefunden haben, die offenkundig gegen das Parteigesetz gerichtet sind. Das gibt rechtlich noch mal die Unterstützung für einen solchen Ausschluss. Deswegen haben wir solange warten müssen, um diese Frage zu klären, um auch zum Ergebnis zu kommen, dass ein Parteiausschluss rechtlich gesichert ist.

    Lange: Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki meint, die Parteiführung bekäme ein riesiges Problem, wenn Möllemann am Ende keine strafrechtliches Verhalten nachzuweisen sei. Sehen Sie das auch so?

    Solms: Wenn das so wäre, ist das so. Ich habe die Aufklärung nicht betrieben, ich kann das nicht abschließend erkennen. Aber alles deutet darauf hin, dass der Versuch der Verschleierung jedenfalls ein solcher Tatbestand ist. Der ist nun offenkundig von ihm vorgenommen worden. Menschlich kommt ja dazu, dass er eine Reihe von Mitarbeitern der Partei mit in dieses Schlamassel hineingezogen hat und nichts zu deren Schutz tut. Ich glaube, dass dieses mit der politischen Frage zusammen genommen ausreichend ist für ein solches Verfahren.

    Lange: Nun reden wir ja nicht von irgend jemandem, sondern von einem ehemaligen Wirtschaftsminister dieser Republik, der sogar einmal Vizekanzler war. Wenn den nun einmal die Orientierung verlässt und er einmal einen Fehler begeht, das wäre ja unter bestimmten Voraussetzungen verzeihlich. Aber wenn sich jetzt herausstellt, dass der ja immer schon so war, das liegt an seiner Persönlichkeitsstruktur. Was sagt das aus über die Partei, in der er groß werden konnte oder die ihn so groß werden ließ?

    Solms: Alle Auseinandersetzungen, die wir früher mit ihm hatten, haben sich im normalen Bereich politischer Auseinandersetzungen befunden. Hier ist es eben doch deutlich einen Schritt weiter gegangen. Wir haben das nicht erwartet und ihm auch nicht zugetraut, dass er, nachdem er das ausdrücklich versprochen hatte, zum Schluss diesen Flyer mit der Wiederholung seiner Kampagne an der Partei, an den Gremien vorbei gestartet hat und natürlich auch an der Partei vorbei finanziert hat. Das zeigt ja auch die Absicht, es an der Partei zu tun. Er hat sich davon einen besonderen politischen Erfolg erhofft. Der ist nicht eingetreten. Jetzt ist ein großer Schaden für die Partei eingetreten, und dann muss man so etwas auch verantworten. Ich verstehe dieses Jammern nicht, was jetzt kommt. Man muss doch zu seinen Taten stehen. Er hat das zu verantworten. Er hat das schlechte Wahlergebnis der FDP, aber das ist nicht das Entscheidende. Er hat den Rufschaden zu verantworten, und dazu muss er stehen und sich bekennen.

    Lange: Jürgen Möllemann hat in diesem Interview nun angedeutet, dass er sich die Gründung einer neuen Partei zutraut. Wie ernst nehmen Sie das?

    Solms: Ob er das tut oder nicht, kann kein Maßstab für uns sein. Wir müssen diesen Trennungsstrich wohl oder übel ziehen. Das tun wir gar nicht gerne, das muss ich noch mal sagen. Wir tun das überhaupt nicht gerne, aber wir müssen diesen Trennungsstrich ziehen. Wir können nicht riskieren, dass so etwas erneut eintritt. Wir sind getäuscht worden, und wir fühlen uns getäuscht. Wir können aufgrund dieser Basis kein Vertrauensverhältnis mehr entwickeln. Deswegen muss ein Trennungsstrich gezogen werden, unabhängig davon, was die Konsequenzen sein werden. Wenn er eine Partei gründen will, ist das seine Sache. Ich gebe dem keinen Erfolg.

    Lange: Ein Buch schreibt Möllemann auch. Ist das für die FDP gefährlicher als eine neue Partei?

    Solms: Das Buch wird sicherlich eine große Auflage erzielen. Dann wird er seine Sicht der Dingen noch einmal darlegen und versuchen, vielleicht den einen oder anderen zu beschädigen. Aber das ist doch durchsichtig.

    Lange: Herr Solms, wie beschädigt ist denn der Parteichef Guido Westerwelle? Der ist ja eigentlich im Tandem mit Möllemann an den Parteivorsitz gekommen, als er Herrn Gerhard beerbt hat. Hat er sich zu lange und zu eng mit ihm eingelassen?

    Solms: Er hat daran geglaubt, dass in der Zusammenarbeit ein gutes Ergebnis für die FDP zu erzielen ist. Er ist ja eigentlich der Hauptbetrogene bei der Geschichte. Ich muss ihn ausdrücklich in Schutz nehmen. Er ist der Hauptbetrogene, denn er hat Möllemann in der ersten Phase der Karsli-Aktivitäten von Möllemann dazu gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen und den Parteigremien zu versprechen, dieses einzustellen. Das hat Möllemann getan. Er hat es versprochen. Er hat dann im letzten Moment an Westerwelle vorbei diesen Flyer in die Welt gebracht. Natürlich ist der Parteivorsitzende Westerwelle als Person besonders beschädigt. Das sehen Sie ja auch jetzt an der öffentlichen Diskussion. Er kann ja diesen Parteivorsitz gar nicht weiter ausüben, wenn er hier nicht einen klaren Trennungsstrich zieht.

    Link: Interview als RealAudio