Zoller: Guten Tag.
Zagatta: Als Teilnehmer von afghanischer Seite werden heute die sogenannte Peshawar-Gruppe genannt, mit Vertretern der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit, ansonsten noch Vertreter des früheren Königs - da heißt es -, der sogenannten Rom-Gruppe, dann noch Exil-Afghanen, die sogenannte Zypern-Gruppe und eine sogenannte Bonn-Frankfurt-Gruppe. Herr Zöller, ich nehme an, Sie können die auseinander halten. Meinen Sie denn, dass sich diese unterschiedlichen Gruppen überhaupt auf ein gemeinsames Konzept einigen können?
Zoller: Ja, ich denke, das dürfte sehr schwierig werden, denn wenn man sich etwas die afghanische Geschichte anschaut, dann sieht man, dass das Land eigentlich immer sehr wenig Koherenz besessen hat. Es gab ja das paschtunische Königshaus, das Afghanistan zwar über 250 Jahre mehr oder weniger nominell regiert hat. Es gab jedoch eine Reihe von Stämmen, die sich dieser zentralen Instanz nur sehr bedingt unterworfen haben. Und das hat sich eigentlich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Also, ich denke, das Problem wird sein, eine ganz starke zentrale Institution zu schaffen, der sich alle Stämme und Volksgruppen des Landes anschließen können.
Zagatta: Ist das denn realistisch, dass das gelingen wird, denn der aus dem Exil zurückgekehrte afghanische Präsident, Rabbani, hat Agenturmeldungen zufolge ja schon gesagt, dass er nicht allzu viel von der Konferenz erwarte. Heißt das, man muss da pessimistisch sein?
Zoller: Ich denke schon. Also, ich sehe das auch eher pessimistisch. Ich meine, Rabbani beansprucht ja nach wie vor offizieller Staatspräsident Afghanistans zu sein, aber natürlich wird er in dieser Funktion jetzt von verschiedenen anderen Gruppen nicht anerkannt. Ich denke, dass gerade der Gegensatz - Rabbani gehört zur Volksgruppe der Tadschiken -, dass die Hauptgegenspieler der Tadschiken, die Paschtunen ziemlich viel Widerstand leisten werden.
Zagatta: Was bedeutet das für den internationalen Einsatz, der dort nach wie vor auch nach der Konferenz noch gefragt ist. Kann man Afghanistan, politisch gesehen, von der politischen Verwaltung her, sich selbst überlassen?
Zoller: Kurz- oder mittelfristig sicher nicht. Ich denke, um eine gewisse Stabilisierung des Landes zu erzielen, ist es natürlich besonders wichtig, dass die ökonomische Situation ganz entscheidend verbessert wird: Erstens die ökonomische Situation und zweitens muss auch sehr viel auf dem Bildungssektor getan werden. Praktisch die ganze intellektuelle Elite hat ja in den letzten 10-15 Jahren das Land verlassen, und - wie allgemein bekannt ist - haben die Taliban ja die Ausbildung von Frauen nicht zugelassen. Ich denke, es ist ein ganz entscheidender Punkt: Wenn da in dieser Richtung investiert wird, lässt sich mittel- und längerfristig eine Stabilisierung aufbauen, die sich auch positiv auf die ganze Region auswirkt.
Zagatta: Sie haben das Thema Frauen selbst schon angesprochen - wie kann das in Afghanistan aussehen? Wir haben Bilder gesehen, Kinosäle, die es nun wieder in Kabul gibt, aber in die auch unter der Nord-Allianz nun nach wie vor Frauen nicht hinein dürfen. Es ist die Forderung auf dem SPD-Parteitag erhoben worden, man müsse jetzt beispielsweise durchsetzen, bei dieser Konferenz in Afghanistan, für die volle Gleichberechtigung von Frauen zu sorgen. Ist das mit der Nord-Allianz überhaupt denkbar?
Zoller: Ich glaube nicht, dass das so passieren wird. Afghanistan ist ein multi-ethisches Land, und die Situation der Frauen ist doch relativ unterschiedlich von Region zu Region. Also, die Nord-Allianz ist sozusagen etwas liberaler im Vergleich zu den Paschtunen: Unter der Nord-Allianz durften beispielsweise auch Mädchen in die Schule gehen. Allerdings ist es so, dass die Geschlechtertrennung, also dass die Frauen nur zu Hause sein sollen und nicht in die Öffentlichkeit treten sollen - keine Sache ist, die die Taliban erfunden haben, sondern die geht auf den traditionellen Ehrenkodex der Paschtunen, der Paschtunwali, zurück. Der besagt einfach, dass Frauen sozial niedriger stehen als Männer. Außerdem sind sie körperlich und moralisch schwächer als die Männer. Daran wird sich garantiert nichts in der nächsten Zeit ändern. Also, von der völligen Gleichberechtigung kann überhaupt nicht die Rede sein.
Zagatta: Was raten Sie denn da westlichen Politikern? Sie haben ja lange in der Region gelebt. Soll man da auf diese Gleichberechtigung drängen?
Zoller: Ich denke, man muss auch sehen, dass sie nicht den Stand der Gleichberechtigung, den wir heute im Westen haben, haben. Es hat ja auch Hunderte von Jahre gedauert bis wir so weit gekommen sind, und man kann nicht von einem Land wie Afghanistan erwarten, dass die sich von heute auf morgen völlig ändern. Das ist völlig ausgeschlossen. Ich denke, man muss auch zwei weitere Sachen sehen: Wenn man in die Länder, etwa nach Tadschikistan oder nach Usbekistan, schaut, die ja noch während der Sowjetzeit ziemlich verwestlicht waren, sieht man, dass dort inzwischen viel mehr Frauen verschleiert auftreten als das vorher der Fall gewesen ist. Der Grund ist, dass dort ein Bedürfnis entsteht, sich Russland, sich dem Westen gegenüber, ein Stück abzugrenzen. Der zweite Punkt ist - und das ist meine Erfahrung, die ich in der Regierung gemacht habe -, dass die Frauen selbst, so weit gehende Gleichberechtigung gar nicht wollen. Im Gegenteil: Gerade unter den paschtunischen Frauen ist es so, dass deren sehr strenger Ehrenkodex, wobei es auch viel um Blutrache geht, vor allem von den Frauen verteidigt wird. Also, diese Forderungen, die da gestellt wurden, gehen, denke ich, gegen einen hohen Prozentsatz der Frauen Afghanistans. Die wollen das gar nicht.
Zagatta: Das war Klaus-Peter Zoller vom Südostasien Institut der Uni Heidelberg. Herr Zoller, schönen Dank für das Gespräch.
Zoller: Bitteschön.
Zagatta: Als Teilnehmer von afghanischer Seite werden heute die sogenannte Peshawar-Gruppe genannt, mit Vertretern der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit, ansonsten noch Vertreter des früheren Königs - da heißt es -, der sogenannten Rom-Gruppe, dann noch Exil-Afghanen, die sogenannte Zypern-Gruppe und eine sogenannte Bonn-Frankfurt-Gruppe. Herr Zöller, ich nehme an, Sie können die auseinander halten. Meinen Sie denn, dass sich diese unterschiedlichen Gruppen überhaupt auf ein gemeinsames Konzept einigen können?
Zoller: Ja, ich denke, das dürfte sehr schwierig werden, denn wenn man sich etwas die afghanische Geschichte anschaut, dann sieht man, dass das Land eigentlich immer sehr wenig Koherenz besessen hat. Es gab ja das paschtunische Königshaus, das Afghanistan zwar über 250 Jahre mehr oder weniger nominell regiert hat. Es gab jedoch eine Reihe von Stämmen, die sich dieser zentralen Instanz nur sehr bedingt unterworfen haben. Und das hat sich eigentlich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Also, ich denke, das Problem wird sein, eine ganz starke zentrale Institution zu schaffen, der sich alle Stämme und Volksgruppen des Landes anschließen können.
Zagatta: Ist das denn realistisch, dass das gelingen wird, denn der aus dem Exil zurückgekehrte afghanische Präsident, Rabbani, hat Agenturmeldungen zufolge ja schon gesagt, dass er nicht allzu viel von der Konferenz erwarte. Heißt das, man muss da pessimistisch sein?
Zoller: Ich denke schon. Also, ich sehe das auch eher pessimistisch. Ich meine, Rabbani beansprucht ja nach wie vor offizieller Staatspräsident Afghanistans zu sein, aber natürlich wird er in dieser Funktion jetzt von verschiedenen anderen Gruppen nicht anerkannt. Ich denke, dass gerade der Gegensatz - Rabbani gehört zur Volksgruppe der Tadschiken -, dass die Hauptgegenspieler der Tadschiken, die Paschtunen ziemlich viel Widerstand leisten werden.
Zagatta: Was bedeutet das für den internationalen Einsatz, der dort nach wie vor auch nach der Konferenz noch gefragt ist. Kann man Afghanistan, politisch gesehen, von der politischen Verwaltung her, sich selbst überlassen?
Zoller: Kurz- oder mittelfristig sicher nicht. Ich denke, um eine gewisse Stabilisierung des Landes zu erzielen, ist es natürlich besonders wichtig, dass die ökonomische Situation ganz entscheidend verbessert wird: Erstens die ökonomische Situation und zweitens muss auch sehr viel auf dem Bildungssektor getan werden. Praktisch die ganze intellektuelle Elite hat ja in den letzten 10-15 Jahren das Land verlassen, und - wie allgemein bekannt ist - haben die Taliban ja die Ausbildung von Frauen nicht zugelassen. Ich denke, es ist ein ganz entscheidender Punkt: Wenn da in dieser Richtung investiert wird, lässt sich mittel- und längerfristig eine Stabilisierung aufbauen, die sich auch positiv auf die ganze Region auswirkt.
Zagatta: Sie haben das Thema Frauen selbst schon angesprochen - wie kann das in Afghanistan aussehen? Wir haben Bilder gesehen, Kinosäle, die es nun wieder in Kabul gibt, aber in die auch unter der Nord-Allianz nun nach wie vor Frauen nicht hinein dürfen. Es ist die Forderung auf dem SPD-Parteitag erhoben worden, man müsse jetzt beispielsweise durchsetzen, bei dieser Konferenz in Afghanistan, für die volle Gleichberechtigung von Frauen zu sorgen. Ist das mit der Nord-Allianz überhaupt denkbar?
Zoller: Ich glaube nicht, dass das so passieren wird. Afghanistan ist ein multi-ethisches Land, und die Situation der Frauen ist doch relativ unterschiedlich von Region zu Region. Also, die Nord-Allianz ist sozusagen etwas liberaler im Vergleich zu den Paschtunen: Unter der Nord-Allianz durften beispielsweise auch Mädchen in die Schule gehen. Allerdings ist es so, dass die Geschlechtertrennung, also dass die Frauen nur zu Hause sein sollen und nicht in die Öffentlichkeit treten sollen - keine Sache ist, die die Taliban erfunden haben, sondern die geht auf den traditionellen Ehrenkodex der Paschtunen, der Paschtunwali, zurück. Der besagt einfach, dass Frauen sozial niedriger stehen als Männer. Außerdem sind sie körperlich und moralisch schwächer als die Männer. Daran wird sich garantiert nichts in der nächsten Zeit ändern. Also, von der völligen Gleichberechtigung kann überhaupt nicht die Rede sein.
Zagatta: Was raten Sie denn da westlichen Politikern? Sie haben ja lange in der Region gelebt. Soll man da auf diese Gleichberechtigung drängen?
Zoller: Ich denke, man muss auch sehen, dass sie nicht den Stand der Gleichberechtigung, den wir heute im Westen haben, haben. Es hat ja auch Hunderte von Jahre gedauert bis wir so weit gekommen sind, und man kann nicht von einem Land wie Afghanistan erwarten, dass die sich von heute auf morgen völlig ändern. Das ist völlig ausgeschlossen. Ich denke, man muss auch zwei weitere Sachen sehen: Wenn man in die Länder, etwa nach Tadschikistan oder nach Usbekistan, schaut, die ja noch während der Sowjetzeit ziemlich verwestlicht waren, sieht man, dass dort inzwischen viel mehr Frauen verschleiert auftreten als das vorher der Fall gewesen ist. Der Grund ist, dass dort ein Bedürfnis entsteht, sich Russland, sich dem Westen gegenüber, ein Stück abzugrenzen. Der zweite Punkt ist - und das ist meine Erfahrung, die ich in der Regierung gemacht habe -, dass die Frauen selbst, so weit gehende Gleichberechtigung gar nicht wollen. Im Gegenteil: Gerade unter den paschtunischen Frauen ist es so, dass deren sehr strenger Ehrenkodex, wobei es auch viel um Blutrache geht, vor allem von den Frauen verteidigt wird. Also, diese Forderungen, die da gestellt wurden, gehen, denke ich, gegen einen hohen Prozentsatz der Frauen Afghanistans. Die wollen das gar nicht.
Zagatta: Das war Klaus-Peter Zoller vom Südostasien Institut der Uni Heidelberg. Herr Zoller, schönen Dank für das Gespräch.
Zoller: Bitteschön.