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"Die Agenturen machen die Sache schlimmer"

"Das Grundproblem wurde durch diesen Kompromiss nicht gelöst", sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. So haften Ratingagenturen nur für falsche Bewertungen, wenn ihnen grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Und die sei "schwer zu beweisen", so Giegold.

Sven Giegold im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Ratingagenturen haben seit Beginn der Euro-Schuldenkrise eine schlechte Presse bei uns. Für viele Politiker gelten sie als Brandbeschleuniger, die mit schlechten Noten und Abwertungen ganze Staaten in finanzielle Schwierigkeiten bringen können. Die EU will die Ratingagenturen deshalb künftig stärker kontrollieren. Darauf haben sich Kommission, Europaparlament und die Mitgliedsstaaten in dieser Woche geeinigt. Unter anderem sollen die Agenturen künftig für grobe Fehlurteile haftbar sein. Sie müssten dann zum Beispiel Schadensersatz zahlen, wenn etwa ein Unternehmen falsch beurteilt wird. Außerdem soll es den Agenturen nur noch an bestimmten, vorher festgelegten Terminen möglich sein, Bewertungen von Staaten abzugeben. – Am Telefon ist jetzt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen.

    Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Giegold, was meinen Sie: Setzt bei den Ratingagenturen jetzt das Zittern und Zähneklappern ein?

    Giegold: Ja also vielleicht ein bisschen. Eher mehr deshalb, weil sie in einigen anderen Ländern erfolgreich derzeit verklagt werden, zum Beispiel in Australien. Aber man muss sagen, das Grundproblem wurde durch diesen Kompromiss nicht gelöst. Das war eine sehr bittere Erfahrung, diese Monate der Verhandlungen zwischen Europaparlament und Rat, denn das Parlament hatte eine ganze Reihe von weitergehenden Vorschlägen zur Veränderung der Marktmacht und Änderung der Marktmacht der Ratingagenturen und die Arbeiten des Rates, der Mitgliedsländer, inklusive der Bundesregierung, waren geprägt von Nein, Nein und noch mal Nein und wir haben jetzt einen eher schwachen Kompromiss.

    Armbrüster: Wer waren denn die Neinsager?

    Giegold: Ach das waren viele Länder, ehrlich gesagt, grob gesagt die Länder, die jetzt viel unter Ratingagenturen zu leiden hatten. Sie erinnern sich, dass die Abwertungen oft direkt vor den Gipfeln abgegeben wurden und Ähnliches. Da gab es Unterstützung aus Frankreich, Spanien und so weiter. Aber aus Schweden, aus Großbritannien, aus Deutschland, Niederlande, das war eine illustre Koalition derjenigen, die im Grunde wollten, dass es so bleibt wie es ist.

    Armbrüster: Aber die deutschen Abgeordneten wollten allesamt stärkere Regulierungen, also auch die von CDU und FDP?

    Giegold: Ja. Sagen wir mal so: Der Kollege von der FDP, Klinz, an einigen Stellen hat der auch Nein gesagt, aber im Parlament gab es insgesamt eine übergreifende Mehrheit, links wie rechts.

    Armbrüster: Was fehlt Ihnen denn nun, Herr Giegold, in dieser Reform?

    Giegold: Was mir vor allem fehlt ist, dass nichts geändert wird daran, dass drei große Firmen einen Marktanteil von 90 Prozent haben und Gewinne erzielen in Höhe von 40 Prozent ihres Umsatzes. Davon träumt ein ehrliches Unternehmen, 40 Prozent Umsatzrendite. das Mindeste wäre gewesen zu versuchen, diese Marktmacht systematisch zu beschränken, und dafür hat das Parlament auch Vorschläge gemacht – zum Beispiel dadurch, dass man eine Ratingstiftung, die unabhängig ist, die nicht gewinnorientiert arbeitet, einrichtet. Das Einzige, was wir erreichen konnten, war, dass das jetzt von der Kommission geprüft werden muss, immerhin das. Aber alleine so weit zu kommen war ein sehr zäher Prozess, und diese Konzentration im Ratingmarkt, die gehört eigentlich nicht in eine soziale Marktwirtschaft. Deshalb habe ich mich auch gewundert, dass zum Beispiel die Bundesregierung die Vorschläge des Parlaments zur Aufbrechung der Strukturen nicht unterstützt hat.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal, Herr Giegold, blicken auf einige Punkte, die diese Reform nun tatsächlich festlegt, die beschlossen wurden. Unter anderem heißt es, dass Ratings von Euro-Krisenstaaten künftig komplett untersagt sein werden. Das heißt, es darf keine Ratings mehr etwa geben für Griechenland, aber auch nicht für Spanien oder auch für Portugal. Mit welcher Berechtigung kann man einem Unternehmen verbieten, solche Urteile abzugeben?

    Giegold: Ehrlich gesagt scheint mir das ein Stück eine Fehlwahrnehmung zu sein. Das gilt nur für ganz konkrete Notsituationen und ansonsten ist es so, dass auch der Vorschlag des Parlaments, feste Kalenderdaten festzulegen, an denen die Ratings erscheinen sollen, um zu verhindern, dass die eben politisch zu bestimmten Zeitpunkten genutzt werden, da gibt es in Zukunft auch die Möglichkeit von abzuweichen. also eine strikte Regelung wurde abgelehnt. Hintergrund dieser Vorschläge – und ich höre ja den kritischen Ton Ihrer Frage, den man verstehen kann -, das ist natürlich, dass die Agenturen scheinbar fast unter Marketing-Gesichtspunkten ihre Bewertung gerade dann abgegeben haben, wenn sie das Gefühl hatten, das bestimmte Land steht sowieso unter dem Blickwinkel der Öffentlichkeit und dann schieben wir noch mal ein scharfes Rating hinterher. Das wäre alles kein Problem, wenn es diese hohe Marktmacht nicht gäbe. Es sind aber nur drei Unternehmen, die so viel Einfluss haben, und wenn die ihren Daumen heben oder senken, hat das automatisch große Effekte im Finanzmarkt, und eine solche Marktmacht sollte es eigentlich in einer sozialen Marktwirtschaft – lesen Sie bei Eucken und so weiter nach – nicht geben.

    Armbrüster: Sie haben jetzt gesagt, es gibt da scheinbar einen Anlass dafür, dass es sich um Marketingbestrebungen handeln könnte. Haben Sie dafür Belege?

    Giegold: Na ja, man kann das schwer beweisen. Aber man kann sehr klar sehen, dass doch sehr zielgerichtet von einzelnen Agenturen immer vor kritischen Euro-Gipfeln Bewertungen gesenkt wurden. Das ging ja auch durch die Presse und war offensichtlich, und ich kann Ihnen nur sagen, bei den Bürgerveranstaltungen, die ich habe: Eine der großen Fragen, die jedes Mal gestellt wird, warum nehmt ihr denen nicht diese Macht. Die Menschen verstehen nicht, warum die Politik nicht in der Lage ist, diese Macht wirklich effektiv einzuschränken.

    Armbrüster: Es sollen nun auch Haftungsregeln eingeführt werden. Das würde dann heißen, dass eine Ratingagentur zahlen muss, wenn sie ein Unternehmen oder auch einen Staat falsch bewertet. Das allein müsste doch auf viele Ratingagenturen sehr abschreckend und zähmend wirken.

    Giegold: Na ja, das fürchte ich nicht. In Ihrer Einleitung muss man dazu ergänzen, dass das nur gilt, wenn man nachweisen kann, dass die Ratingagentur bewusst falsch ein Urteil abgegeben hat, oder wenn das grobe Fahrlässigkeit war. Und grobe Fahrlässigkeit ist schwer zu beweisen. Fahrlässigkeit kann man recht leicht beweisen, aber grobe Fahrlässigkeit ist schwierig zu beweisen. Und das bedeutet, dass in der Realwelt vermutlich am Schluss es kaum zu Verurteilungen kommen wird.
    Ich möchte auch sagen, dass ich das im Bereich der Staatenratings in der Regel nicht das Problem fand. Die Staaten sind ja tatsächlich in großen Problemen und es sind nicht die Ratingagenturen, die daran schuld sind. Aber trotzdem darf es eine solche Marktmacht in einer sozialen Marktwirtschaft nicht geben.

    Armbrüster: Michel Barnier, der Binnenmarktkommissar, der sagt jetzt, mit diesen neuen Regeln werde das Risiko einer künftigen Finanzkrise spürbar verringert. Hat er damit recht?

    Giegold: Ich hätte mich nicht zu dieser Bemerkung verstiegen. Ich glaube, dass erst mal die Probleme, in denen wir sind, zuvorderst nicht von den Agenturen ausgelöst wurden. Die Agenturen machen die Sache schlimmer und sie passen nicht in unsere eigentlichen wirtschaftlichen Spielregeln. Aber dass das nun ein solcher Durchbruch ist? Es ist ein Schritt zu mehr Kontrolle, das ist auch gut, aber auch nicht mehr.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt sagen, die Agenturen sind nicht Schuld an dieser Krise, heißt das, die Agenturen werden manchmal auch zu Unrecht kritisiert?

    Giegold: Ja, das würde ich schon sagen. Es gab auf jeden Fall auch Formen der Kritik und Beschimpfung, die aus meiner Sicht der Sache nicht angemessen sind. Man muss einfach sehen, dass die Abwertungen, die vorgenommen wurden, ja auch begründet waren dadurch, dass Staaten tatsächlich Probleme an Wettbewerbsfähigkeit und Schuldentragfähigkeit haben. Allerdings muss man sich schon fragen, wann diese Bewertungen abgegeben wurden und warum private Institutionen, wenn sie ein Urteil ändern, einen so großen Einfluss auf den Markt haben. Viele Investmentfonds zum Beispiel, die sehen vor, wenn ein Rating unter eine bestimmte Schwelle fällt, dann wird automatisch abverkauft, und solche Regeln wirken natürlich brandbeschleunigend.

    Armbrüster: …, sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Vielen Dank, Herr Giegold, für das Gespräch heute Morgen.

    Giegold: Danke, Herr Armbrüster.


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