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Die Akte Grünenthal

55 Jahre nach Einführung des Medikaments Contergan rückt einer der größten Arzneimittelskandale der Medizingeschichte wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Während der deutsche Conterganprozess vor mehr als 40 Jahren eingestellt wurde, steht die Herstellerfirma Grünenthal nun in Australien wegen Schadensersatzforderungen erneut vor Gericht.

Von Marieke Degen | 12.11.2012
    "Also, das heißt, ich fange an, und ihr sprecht nach – okay."

    Stolberg, 31. August. Es regnet, Andreas Meyer und seine Mitstreiter haben sich in eine Einkaufspassage am Kaiserplatz zurückgezogen.

    Andreas Meyer: "Grünenthal!"
    Mitstreiter: "Grünenthal!"
    Andreas Meyer: ""Grünenthal!"
    Mitstreiter: "Grünenthal!"
    Andreas Meyer: ""Wirtz!"
    Mitstreiter: "Wirtz!"
    Andreas Meyer: "Deine Mahnmale rufen dich!"
    Mitstreiter: "Deine Mahnmale rufen dich!"

    Andreas Meyer hat weder Arme noch Beine. Seine Hände sitzen direkt an den Schultern. Sein Gesicht ist goldfarben geschminkt, sein Elektrorollstuhl in ein langes goldenes Tuch gehüllt.

    Andreas Meyer: "Wir sind die Denkmäler deiner Skrupellosigkeit und Profitgier!"
    Mitstreiter: "Wir sind die Denkmäler deiner Skrupellosigkeit und Profitgier!"

    Einen Kilometer entfernt, im Kulturzentrum, wird wenig später das Denkmal für Contergan-Opfer enthüllt. Eine Bronzeskulptur, bezahlt von der Firma, die das Schlafmittel 1957 auf den Markt gebracht hatte und damit einen der größte Arzneimittelskandale aller Zeiten auslöste. Für den Contergan-Geschädigten Andreas Meyer ist der Fall klar.

    "Die Firma Grünenthal und die Familie Wirtz, deren Eigentümer, brauchen positive Presse, weil sie in den letzten Jahren unter einen maßgeblichen Druck gekommen ist. Und zwar, eine gerechte Entschädigung zu zahlen. Und davon möchte man ablenken, mit kleinen Taten, mit Bonbönchen, die die Betroffenen ruhigstellen und auch die Öffentlichkeit ruhigstellen sollen."

    Andreas Meyer und seine Mitstreiter planen eine Gegendemonstration vor dem Kupferhof in der Steinfeldstraße, dem Stammsitz der Familie Wirtz.

    Andreas Meyer: "Wir mahnen dich!"
    Mitstreiter: "Wir mahnen dich!"
    Andreas Meyer: "Wir mahnen dich, solange wir leben!"
    Mitstreiter: "Wir mahnen dich, solange wir leben!"

    Vier Jahre war Contergan in Deutschland auf dem Markt, von 1957 bis 1961. Etwa 5000 Kinder sind damals mit Fehlbildungen zur Welt gekommen, mit verkürzten Armen, verkürzten Beinen, manche ohne Augen oder Ohren, manche mit schweren Organschäden. Nur zwei Drittel haben das erste Jahr überlebt. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass etliche Kinder schon im Mutterleib gestorben sind. Doch es hat nicht nur Opfer in Deutschland gegeben, sondern weltweit - auch in Australien. In Melbourne läuft zurzeit ein gerichtliches Verfahren gegen die Grünenthal GmbH. Das Verhalten der Firma während des Skandals könnte neu beleuchtet werden – mehr als 50 Jahre später.

    Am Nachmittag dieses 31. August werden die Nachrichtenagenturen melden, dass sich Grünenthal beim Festakt erstmals bei den Contergan-Opfern entschuldigt hat. Harald Stock, seit 2009 Geschäftsführer, spricht über das tiefe Mitgefühl für die Betroffenen und bedauert, dass die Firma 50 Jahre lang nicht den Weg zu den Geschädigten gefunden hat.

    "Wir bitten sie innig, unsere lange Sprachlosigkeit als ein Zeichen der Erschütterung zu sehen, die ihr Schicksal bei uns bewirkt hat. Wir wünschten, das Contergan-Unglück wäre niemals geschehen."

    Der Fall Contergan – eine unvermeidliche Katastrophe? Oder fahrlässige Tötung aus Profitgier? Hätte die Firma die Katastrophe abwenden oder zumindest abmildern können? Nein, sagt Harald Stock in seiner Rede beim Festakt und bleibt damit bei der Position, die Grünenthal seit Jahren vertritt.

    "Grünenthal hat bei der Entwicklung von Contergan nach dem damaligen Kenntnisstand gehandelt und alle Industriestandards für das Testen neuer Medikamente entsprochen zu haben, die in den 50er- und 60er-Jahren maßgeblich waren. Wir bedauern sehr, dass durch die Tests, die wir durchgeführt haben, die teratogene, also das fruchtschädigende Potenzial von Contergan nicht festgestellt werden konnte, bevor es eingeführt wurde."

    Das Verhalten einiger leitender Angestellter der Firma Grünenthal war auch Gegenstand des strafrechtlichen Verfahrens in Deutschland. Anfang 1970 bot das Pharmaunternehmen den betroffenen Eltern einen Vergleich an. Im Dezember 1970 wurde das Verfahren eingestellt. Auf der Website von Grünenthal hieß es noch vor ein paar Jahren:

    "Andererseits bestätigte es - das Gericht -, dass die Wirkung von Thalidomid auf Schwangere für Grünenthal nicht vorhersehbar gewesen sei und daher kein Versäumnis von Grünenthal vorlag."

    Der Satz ist inzwischen von der Website verschwunden. Und eine derart klare Aussage sucht man auch im Einstellungsbeschluss von 1971 vergeblich. Ob Grünenthal die fruchtschädigende Wirkung des Contergan-Wirkstoffs Thalidomid hätte vorhersehen können, ist juristisch niemals geklärt worden. Das Verfahren wurde vorher eingestellt, entsprechendes Beweismaterial der Staatsanwaltschaft nicht vollständig ausgewertet. Das Gericht kam zwar zu dem Schluss, dass eine fruchtschädigende Wirkung des Thalidomids nur schwer vorhersehbar gewesen sei - schließlich waren auch viele Ärzte davon überrascht. Die Richter schrieben aber auch:

    "Die eigentliche Beweisaufnahme ist insoweit nicht durchgeführt worden. Die Kammer hält es für möglich, dass danach die Vorhersehbarkeit der Missbildungen zu bejahen sein würde."

    Das Material der Staatsanwaltschaft liegt seit 40 Jahren im Landesarchiv in Düsseldorf. Jetzt interessieren sich wieder Juristen dafür - in Melbourne, wo Grünenthal und die damalige britische Lizenzfirma Distillers zurzeit auf Schadenersatz verklagt werden. Michael Magazanik, einer der Rechtsanwälte, die die australischen Thalidomid-Opfer vertreten, hat einen Teil der Dokumente erneut gesichtet und dem australischen Gericht zur Verfügung gestellt.

    "Nachdem wir viel Zeit in dem Archiv verbracht haben, ist mir klar, dass die wahre Geschichte über das, was Grünenthal über die Fehlbildungen wusste oder hätte wissen sollen oder können, nie richtig erzählt worden ist."

    Der Contergan-Skandal liegt mehr als 50 Jahre zurück. Was Grünenthal damals hätte wissen sollen oder können, wird sich wohl nie vollständig rekonstruieren lassen. Auch das Material von Michael Magazanik zeigt nur einen kleinen Ausschnitt. Puzzleteile, die sich erst im Nachhinein zum richtigen Bild fügen? Oder Hinweise, aus denen die Firma schon damals die richtigen Schlüsse hätte ziehen müssen? Darüber muss jetzt das Gericht in Melbourne entscheiden.

    Grünenthal hatte Contergan 1957 auf den Markt gebracht. Damals war es den Herstellern überlassen, wie sie neue Medikamente testen. Im Tierversuch erwies sich Thalidomid als nicht tödlich, auch bei extrem hohen Dosen. Grünenthal bezeichnete es zu diesem Zeitpunkt als völlig ungiftig.

    Michael Magazanik: "Harald Stock sagt immer wieder, dass Grünenthal vor der Markteinführung alles gemacht hat, was damals erwartet worden ist. Nun – wir sagen, das war einfach nicht der Fall."

    In den 50er-Jahren sei in der Wissenschaftsszene längst bekannt gewesen, dass Medikamente das ungeborene Kind schädigen können, sagt Michael Magazanik. Entsprechende Fachartikel seien auch in Deutschland veröffentlicht worden. Und schon damals habe man bei trächtigen Tieren eine fruchtschädigende Wirkung von Arzneimitteln nachweisen können. Solche Versuche waren damals zwar noch nicht üblich, aber einige US-amerikanische und europäische Pharmafirmen haben sie gleichwohl in Auftrag gegeben – auch ohne gesetzliche Vorgabe.

    In den Düsseldorfer Akten finden sich die Aussagen eines Pathologen, der in den USA schon seit 1945 untersucht hat, wie sich Medikamente auf Tierföten auswirken.

    In den zehn Jahren, die dem Erscheinen des Thalidomids vorausgingen, und das war um 1959, ist von verschiedenen Forschern von Japan über die Vereinigten Staaten über England bis Frankreich für nicht weniger als 25 Verbindungen gezeigt worden, dass sie den Fötus in der Gebärmutter beeinflussen, sei es, dass sie viele Fötusse töteten oder sei es, dass sie Missbildungen herbeiführten. Im Falle von Thalidomid gingen die Versuche am Menschen der Erforschung im Tierversuch voraus.

    Im November 1961 unterrichtet der Genetiker Widukind Lenz die Firma Grünenthal, dass er Contergan für die Fehlbildungswelle bei Kindern verantwortlich mache. Innerhalb von zwölf Tagen nimmt die Firma das Arzneimittel vom Markt. Im Dezember 1961, nur einen Monat später, weisen Grünenthal-Forscher bei Mäusen und Ratten nach, dass Thalidomid durch die Plazenta zum Fötus gelangt. Drei Monate danach, im März 1962, zeigen Forscher der Firma Distillers, dass Thalidomid Fehlbildungen bei einer bestimmten Kaninchenart hervorruft - dem weißen Neuseeländer. Die Mitarbeiter der britischen Lizenzfirma schicken Fotos an Grünenthal - mit folgender Bemerkung:

    Sie werden die Ähnlichkeit mit den Fehlbildungen bei Menschen feststellen.

    Nun stellt sich die Frage, ob man die fruchtschädigende Wirkung des Medikaments schon früher hätte erkennen können. Denn Versuchstiere reagieren, je nach Spezies, sehr unterschiedlich auf Thalidomid. Bei Ratten sieht der Nachwuchs normal aus. Aber: Die Rattenweibchen resorbieren einen Teil der Embryos, sie saugen sie praktisch im Unterleib wieder auf. Das haben Grünenthal-Forscher kurz nach der Marktrücknahme sogar selbst im Labor beobachtet. Ob man schon in den 50ern die fruchtschädigende Wirkung von Thalidomid im Tierversuch hätte erkennen können, ist in der Fachwelt umstritten. Der Pathologe aus den USA ist 1968 davon überzeugt:

    Zusammenfassend muss man sagen, dass alle Methoden, die später bei dem Versuch gebraucht wurden, um die Wirkungen des Thalidomids auf den Embryo genau zu bestimmen, schon vor dem Jahre 1959 bekannt und eingeführt waren.

    Das bestätigt unter anderem ein deutscher Anatomie-Professor und ergänzt 1969:

    Es hätten in dieser Zeit auch zweifellos embryologisch erfahrene Fachleute als Berater zur Verfügung gestanden.

    Hinweise darauf, dass Grünenthal vor November 1961 entsprechende Tierversuche gemacht oder in Auftrag gegeben hätte, gibt es nicht. Im September 2012 sagt Geschäftsführer Harald Stock in der Wirtschaftswoche:

    "Es gibt bis heute keine Tests, die die fruchtschädigende Wirkung verlässlich nachweisen. Es gab auch keine geeigneten Labortierversuche, die wir hätten anwenden können."

    Dabei dachte man – so geht aus den Akten der Staatsanwaltschaft hervor - in den 50er-Jahren bei Grünenthal über weitere Tests nach. Kurz bevor Contergan 1957 in den Handel kommt, schreibt ein Mitarbeiter an die Universitätsfrauenklinik Bonn: Ob sie Contergan nicht an schwangeren Frauen testen könnten. Der Klinikdirektor erklärt später, sich nicht an den Brief erinnern zu können. In einer Münchner Privatklinik ist Contergan zwar an 160 stillenden Müttern erprobt worden – nicht aber an Schwangeren. Die Mitarbeiter bei Grünenthal wussten offenbar nicht, wie Thalidomid auf das ungeborene Kind wirkt. In einer Aktennotiz eines leitenden Angestellten vom März 1961 heißt es:

    Zum Thema Thalidomid und Schwangerschaft beziehungsweise. diaplazentarer Übertritt auf den Foeten haben wir keine eigenen Erfahrungen. Tierversuche sind hier vielleicht nützlich, obwohl ich nicht mit einer Beeinflussung des Foeten rechnen würde.

    Trotzdem wurde Contergan gegenüber Ärzten jahrelang als sicher in der Schwangerschaft dargestellt. Der australische Anwalt Michael Magazanik behauptet außerdem: Grünenthal habe Hinweise auf Nebenwirkungen von Contergan nicht ernst genug genommen. Der Vorwurf ist nicht neu. Hans Helmut Günter, einer der Staatsanwälte im deutschen Contergan-Prozess, erinnert sich:

    "Das war der Vorwurf der Anklageschrift. Und das ist auch heute noch meine Überzeugung, dass auf diese Hinweise nicht angemessen, also fahrlässig und falsch reagiert worden ist."

    Ende der 50er-Jahre treten die ersten schweren Nebenwirkungen von Contergan auf: Polyneuritiden, Nervenschädigungen. Vor allem ältere Patienten leiden an Taubheit und Schmerzen in Armen und Beinen. Zumindest ein Arzt weigert sich, Contergan weiter einzusetzen. Erst im August 1961 wird Contergan verschreibungspflichtig – in den Bundesländern Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Manche Ärzte fordern, das Mittel sofort aus dem Handel zu nehmen.

    "Die Argumentation der Anklage ging dahin, dass aus der Fülle der Fälle, in denen Nervenschäden behauptet und an die Firma herangetragen worden waren, für die Firma dann auch erkennbar war, dass Thalidomid nicht mehr der sichere Stoff sein könne, den sie so bezeichnet hatten beim Vertrieb. Und deshalb hätten sie mit dem Auftreten auch andersartiger Nebenwirkungen, zum Beispiel auch Fruchtschäden, rechnen müssen. Trotzdem geschah nichts, jedenfalls nicht in sofortiger Weise, und das war der Vorwurf bezüglich der Fahrlässigkeit bei den Kinderschäden."

    Ein direkter Zusammenhang zwischen Nerven- und Fruchtschäden ist zwar nicht belegt. Aber das Material der Staatsanwaltschaft legt nahe, dass es auch damals schon direkte Hinweise auf Fruchtschäden gegeben hat. Ein Arzt will bereits 1959 einen befreundeten Grünenthal-Mitarbeiter gefragt haben, ob Contergan für die Behinderungen seines Sohnes verantwortlich sein könnte. Im November 1960 fragt ein Apotheker schriftlich bei Grünenthal an, ob Thaildomid hinter den Organschäden des Babys einer Kundin steckt. Grünenthal antwortet:

    Sehr geehrter Herr Apotheker,
    Nach allen uns bisher vorliegenden Beobachtungen und Befunden, insbesondere aus gynäkologischen Abteilungen, können wir hier einen ursächlichen Zusammenhang verneinen.


    Der Apotheker verkauft Contergan weiter und wird später der Staatsanwaltschaft sagen:

    Ich bin selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Wissenschaftler in Stolberg sich mit der Problematik der Durchdringung ihres Contergans durch die Plazenta und einer eventuellen Beeinflussung des Foetus schon befasst hatten oder sich aber aufgrund meines Schreibens damit beschäftigt hatten.

    Im Februar 1961 fragt eine amerikanische Pharmafirma nach Erfahrungen mit Thalidomid in der Schwangerschaft. Sie hätten keine, antwortet Grünenthal. Im Sommer 1961 will ein Arzt aus Finnland wissen, ob Thalidomid die Plazenta durchdringen könne. Nicht bekannt, notiert Grünenthal. Auf die Frage, ob es den Fötus schädigen könne, merkt die Firma an: nicht wahrscheinlich. In den USA wird Contergan nicht zugelassen, weil die zuständige Behörde erhebliche Sicherheitsbedenken hat. Wie aus Zeugenaussagen hervorgeht, wird in dieser Zeit firmenintern sehr wohl über Nebenwirkungen diskutiert. Ein Mitarbeiter berichtet den Staatsanwälten von einem Gespräch mit einem Kollegen im Sommer 1961:

    Hinsichtlich Contergan seien nach seinem Dafürhalten noch wesentlich schwerwiegendere Schäden zu erwarten als die bereits bekannten. Er meinte damit andere Schäden als die Polyneuritiden. Innerhalb desselben Zeitraums meinte Dr. W. im Rahmen einer BKS - einem Meeting - man müsse die Frage des diaplacentaren Übertritts von Contergan im Tierversuch prüfen, um feststellen zu können, ob eine Schädigung der Leibesfrucht möglich sei.

    Erst im November 1961, nachdem mehrere Ärzte einen Zusammenhang zwischen Contergan und den Fehlbildungen vermuteten, nimmt Grünenthal das Mittel aus dem Handel. Kurz darauf berichtet eine Grünenthal-Mitarbeiterin, dass Contergan in Bonn auch als Abtreibungspille bekannt sei. Contergan hat zeitweise fast die Hälfte des gesamten Inlandsumsatzes der Firma Grünenthal ausgemacht.

    Michael Magazanik: "Wenn Harald Stock sagt, dass das alles eine unvermeidliche Tragödie gewesen ist – da frage ich mich, ob Herr Stock sich jemals diese Dokumente angesehen hat. Danach würde er, wenn er ein anständiger Mann ist, das Verhalten von Grünenthal anders sehen."

    Der Pressesprecher von Grünenthal, Frank Schönrock, will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

    "Bei den Punkten, die Gegenstand des Verfahrens in Australien sind, bitte ich um Verständnis, dass ich dazu leider nichts sagen kann. Das wird durch das Gericht bewertet werden, voraussichtlich im kommenden Jahr. Und von daher gesehen kann ich dazu keine Stellungnahme abgeben."

    Im Juli 2012 hat Michael Magazanik die Dokumente an das Gericht in Melbourne gegeben. Ein paar Tage später hat sich die Firma Diageo, zu der die britische Lizenzfirma Distillers heute gehört, mit der Hauptklägerin auf einen Vergleich geeinigt. Angeblich über mehrere Millionen australische Dollar. Grünenthal beteiligt sich nicht daran. Frank Schönrock:

    "Wir sind der Ansicht, dass wir damals nach den gängigen Standards der Wissenschaft gehandelt haben. Und aus diesem Grund werden wir uns auch verteidigen."

    Das Verfahren in Australien ist derzeit unterbrochen, weil Diageo Vergleichsverhandlungen mit weiteren Opfern führt. Gegen Grünenthal laufen außerdem noch Klagen in Irland, Spanien und in den USA. In Deutschland kann Grünenthal nicht mehr auf Schadenersatz verklagt werden. 1972 wurde die heutige Contergan-Stiftung gegründet. In die Stiftung flossen umgerechnet etwa 105 Millionen Euro - Grünenthal zahlte etwa 55 Millionen Euro, der Rest wurde aus Steuermitteln finanziert. Damit sind sämtliche Ansprüche der Betroffenen erloschen. 2009 hat Grünenthal noch einmal 50 Millionen Euro in die Contergan-Stiftung eingezahlt – freiwillig. Nach einer einmaligen Zahlung bekommen die Geschädigten von der Contergan-Stiftung heute eine monatliche Rente von maximal 1152 Euro und eine jährliche Sonderzahlung. Geld, das oft nicht ausreicht. Die Betroffenen sind jetzt über 50. Vielen geht es körperlich schlecht. Sie können nicht mehr arbeiten und müssen oft Rentenabschläge hinnehmen.

    Im Jahr 2011 hat Grünenthal eine Härtefallinitiative ins Leben gerufen. Für Contergan-Geschädigte in Not zahlt die Firma den Umbau des Badezimmers, Hörgeräte oder Gehhilfen. Um die 100 Anträge seien bislang eingegangen, sagt Pressesprecher Frank Schönrock. 75 Betroffene habe man unterstützt.

    "Dort haben wir sehr unbürokratisch, persönlich, weil wir im persönlichen Gespräch mit den Betroffenen sind, und schnell helfen können."

    Ausgerechnet bei Grünenthal um Hilfe zu bitten – es gibt Contergan-Geschädigte, für die das nicht infrage kommt.

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