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Die Albschnecke ist zurück

Jahrzehntelang galt die Albschnecke als ausgestorben. Der Grund: Die Tiere wurden für den Verzehr zu früh gesammelt. Doch die Essgewohnheiten änderten sich und die Schnecke war von den Tellern verschwunden. Langsam aber sicher kroch das Tier zurück auf die Speisekarten.

Von Uschi Götz | 14.05.2013
    Eine Wiese, ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Ein kniehoher grüner Zaun drum herum. Nichts zu sehen, nichts zu hören. "Schneckengarten" ist auf einem holzgeschnitzten Schild zu lesen. Und nur so lässt sich erahnen, was sich hinter dem Zaun verbirgt. Albschnecken.

    "Das ist der Schneckengarten hier in Rietheim. Natürlich ist es sehr ruhig jetzt, alle Schnecken schlafen noch."

    Rund 50.000 Schnecken schlafen auf der Wiese, oben in Rietheim bei Münsingen auf der rauen schwäbischen Alb. Die Schnecken schlafen in ihren Schneckenhäusern. Die Tür zum Häusle haben sie mit einem Kalkdeckel dichtgemacht. Wer jetzt noch pennt, hat es geschafft und wird ein weiteres Jahr mit frischen Kräutern und Salat durchgefüttert. Im Unterschied zu Mastschnecken aus anderen Regionen gilt gerade die über viele Jahre aufgewachsene Albschnecke als Delikatesse:

    "Da, da sieht man eine liegen, die holen wir mal raus, sie graben sich teilweise bis zu zehn Centimeter ein."

    Rita Goller züchtet gemeinsam mit ihrem Mann die Albschnecke. "Ein Hobby, reich wird man davon nicht", sagt Frau Goller und nimmt eine Schnecke hoch:

    "13 bis 14 Gramm wird die jetzt haben, die hätte aber bestimmt 16 Gramm gehabt, also sie nimmt ab im Laufe des Winters und drum, wenn sie im Winterschlaf sind, sollte man es dann im Prinzip relativ schnell rausernten, weil da hat man dann noch richtig das Fette, das sie sich angefressen haben für den Winterschlaf. Sobald sie dann im Winterschlaf sind, werden die ersten Schnecken herausgeholt und kommen so dann in das kochende Wasser das ist ein Sekundentod und im Schlaf zu sterben ist der schönste Tod."

    Die Kochtöpfe warten in Indelhausen im Lautertal, nicht weit vom Schneckengarten entfernt. Die Schnecken waren bereits im Wasser und werden nun weiter verarbeitet:

    "Dann werden sie aus dem Haus herausgezogen mit einer Gabel, der Darm und die Eingeweide werden weggezogen, und dann werden sie noch einmal im Gewürzkräutersud noch einmal 90 bis 100 Minuten gekocht."

    Es geht langsam weiter in der Küche, sehr langsam. Slow Food. Während die Schnecken weich kochen, bereitet Wirt und Küchenchef Franz Kloker die weiteren Zutaten vor. Zu den Schnecken serviert er heute Spätzle, Alblinsen und Saitenwürstel. Kulinarisch geht’s fast nicht mehr Schwäbischer:

    "Das ist ein Saitenwürstle, und bevor wir die warm machen, bearbeiten wir die ein bisschen und schneiden die in ganz lange, schmale Streifen … Das sieht nachher auf dem Teller dann ganz interessant aus, wenn man so eine Saitenwurst in langen Streifen schneidet."

    Küchenchef Kloker verwendet nur regionale Produkte. Seine Gäste schätzen das, die feine Küche in Indelhausen gilt unter Gourmets als Geheimtipp. Bis nach Frankfurt reicht der Kundenstamm:

    Genug geschwätzt, meint der Chef und holt die Schnecken aus dem Topf.

    "So, zunächst tun wir mal unsere Schnecken anbraten, dazu brauche ich noch ein bisschen Zwiebelringe. Pro Gericht gibt es zwölf Schnecken."

    "Zwiebel kommen in die heiße Pfanne rein."

    Lange war es ruhig um die Schnecke. Erst als regionale Produkte auch wieder in Restaurantküchen Einzug hielten, entdeckten die Schwaben ihre Albschnecke neu. Denn in entbehrungsreichen Jahren galten die Kriechtiere als arme Leute-Essen. Viele Älbler hielten die eiweißreichen Tiere im eigenen Schneckengarten.

    Was zuhause in der Not gegessen wurde, galt woanders als Kostbarkeit. Weit über die Grenzen der schwäbischen Alb hinaus wurde die Albschnecke vor allem in Klöstern entlang der Donau geschätzt. Händler von der Alb zogen einst bis Wien mit ihren Schnecken. Zurück an den Herd:

    "Das sind jetzt sauer Linsen, Alblinsen, mit ein bisschen Gemüsestreifen drin. Etwas mit Essig und Rotwein abgeschmeckt, dazu macht man eine Mehlbrenne. Parallel machen wir in der zweiten Pfanne unsere Spätzle warm … mit Butter … und in die heiße Pfanne mit Zwiebeln und Schnecken geben wir jetzt noch unsere langgeschnittenen Saitenwürstle, und mit dem Saitenwürstle passiert jetzt etwas: Sie rollt sich ein wie eine Schnecke."

    Echte und falsche Schnecken in einer Pfanne - eine kuriose Kreation. Jetzt dauert es nicht mehr lange und das Essen ist – endlich fertig. Die Spätzle werden auf den Tellern verteilt:

    "Darauf geben wir das Alblinsenragout, etwas sauer mit Rotwein abgeschmeckt. Dann drapieren wir jetzt die eingerollten Saitenwürstle um die Spätzle, setzen dann unsere Schnecken einfach dazu, das sieht dann aus, wie wenn sie in der Saitenwurst sitzen."

    Über alles kommen noch ein paar Gemüsestreifen.

    "Und zum Schluss machen wir noch ein bisschen frischgemahlenen Pfeffer. So! Das wäre jetzt unser Gericht: Albkornspätzle mit Alblinsenragout und Schnecken. Albschnecken. Guten Appetit wünsche ich Ihnen."