Samstag, 27. April 2024

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Die Aliens sind unter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter

Still ist es um sie geworden, die Fundamentalgegner der bundesrepublikanischen Konsens-Gesellschaft, die mit asketischer Härte – und durchaus nicht immer friedlichen Mitteln – den Ausstieg aus dem Wohlstandsparadies predigten: weniger verbrauchen, urtümlicher leben, selbstbestimmter arbeiten. Ende der achtziger Jahre schien es fast, als könnten sie auf eine breite Wählerschaft zählen, als sei mit einem möglichen Kanzler Lafontaine und einem Außenminister Fischer der "dritte Weg" in den ökologischen Kapitalismus – oder demokratischen Ökosozialismus – möglich.

Florian Felix Weyh | 01.12.1999
    Doch dann fiel die Mauer und damit die letzte Option, sich innerhalb der überkommenen dualen Weltordnung eine gemütliche Nische zu suchen, in der ideologischer Anspruch und gesellschaftliche Wirklichkeit nicht gänzlich auseinanderklafften. Heute ist Joschka Fischer Außenminister, aber er ist nicht mehr Joschka Fischer, sondern ein Alien, und niemand würde sich ernstlich wundern, träte er der FDP bei oder ließe sich von der grünen Urmutter SPD endgültig einkaufen.

    Auch um die undogmatische Linke ist es still geworden, die jahrzehntelang davon profitierte, sich gegen beide Systeme abgrenzen zu können. Das Weltkind in der Mitten war unschuldig an den Irrläufen des realen Sozialismus und selbstredend unbeteiligt an den kapitalistischen Ausbeutungsexzessen in der zweiten und dritten Welt. Von den Zwängen zur eigenen Theoriebildung verschont, verschwand mit dem eisernen Vorhang allerdings auch die eigene Identität, und glaubt man Christoph Spehr, läßt sie sich nicht historisch rekonstruieren, sondern nur zeitgenössisch wiederbeleben. In diesem Fall mit Hilfe eines großen kapitalistischen Trivialmythos.

    "Die Aliens sind unter uns!" warnt Spehr und baut auf dem Erfindergeist von Hollywoodautoren ein ganzes politisches System auf. Demokratie ist Alienismus, Kapitalismus sowieso, Sozialismus nicht minder, denn die historischen Trennlinien verlaufen weitaus früher, nämlich zwischen der Einzelherrschaft von Monarchen – blutig wiederholt in den Anknüpfungsversuchen des Faschismus – und der selbstregulativen technischen Zivilisation des industriellen Zeitalters. Ob demokratisch bemäntelt oder nicht, bedarf diese Herrschaftsform einer Funktionselite bar jeglicher Verbindung zu ihrem ursprünglichen Menschsein, Aliens eben, die sich vor Beziehungsarbeit und Eigenverantwortung drücken, in Hierarchien Deckung suchen und parasitär von der Leistung anderer leben.

    Natürlich kennen wir alle Aliens dieser Art, ob sie nun als BDI-Präsidenten oder Talkmaster ihr Unwesen treiben, und Christoph Spehr kann sich der breiten Zustimmung seiner Leserschaft gewiß sein: Aliens, das sind immer die anderen! Der vergnügliche und intellektuell anregende Essay zwischen Parodie und Pamphlet scheut durchaus keine Tabubrüche – etwa in seiner Analyse des nicht auf eine Epoche begrenzten, sondern strukturell überall virulenten Faschismus –, doch stößt er in der Mitte des Buches an eine Grenze. Nur der Nicht-Alien kann Aliens analysieren, aber was ist er, wenn er nicht dazugehört? Spehr macht zwei weitere Kategorien auf. Zum einen die der "Zivilisten" unterhalb der Managementebene, also der Mehrheit von Mitläufern und Konsumenten. Zeigen sie sich ambitioniert, steigen sie manchmal in die Funktionärselite auf, doch meistens begnügen sie sich mit ihrem Dasein am unteren Ende der Hierarchie. Zum anderen die Kämpfer – und da entlarvt sich das Buch als geschickt getarntes Remake vergilbter Revolutionstraktate. Nach dem Tarnnamen der französischen Résistance nennt Spehr diesen Gesellschaftsbereich "Maquis", jenes Unterholz, in das weder Zivilisten noch Aliens vordringen. Hier hausen die Feministinnen, die Anti-Rassisten, die Befreiungskämpfer jedweder Couleur – und mit Leichtigkeit vermag jeder Anhänger der ehemals undogmatischen Linken hier seine Parzelle zu bebauen. Kämpfer sind Heroen, auf ihnen ruht die Hoffnung der Welt, und leider meint Spehr das nicht mehr ironisch, sondern erschreckend affirmativ. Wie im politischen Anarchismus des 19. Jahrhunderts erscheint ihm jede Reformanstrengung als "alienistischer" Trick, dem es sich zu widersetzen gilt. Nur ein ständiger Guerillakrieg, nur die Fundamentalopposition gegen Außerirdische vermag Gerechtigkeit in die Welt zu bringen – doch wie sieht ihr Antlitz wohl aus?

    Eine düsteres Reich selbstgefälliger Moralisten bleckt einem da aus dem Buch entgegen, gespeist von der naiven Romantik unentfremdeter Arbeit und herrschaftsfreier Kommunikation. Seinem Wunschdenken verhaftet, gelingt dem Autor zwar die luzide Analyse des gegnerischen Systems, doch die morschen Fundamente des eigenen bleiben undurchleuchtet. Daß im "Maquis" die Grundstimmung paranoid sei, weil man überall Verräter und Überläufer wittere, räumt Christoph Spehr zwar ein, plädiert aber trotz aller Exzesse der letzten Jahre für "politicial correctness" als Mittel des Minderheitenschutzes. Je pathetischer sein Heldengesang auf die lebenslangen Kämpfer gegen den Alienismus, desto kälter läuft es einem den Rücken herunter, bis man zum Schluß zu Schlips und Kragen greift und einen Aufnahmeantrag bei den Aliens stellt. Ihre "repressive Toleranz" ist nämlich eine weit angenehmere und durchaus nicht unmoralischere Lebensform als die Besserwisserei der Spehrschen Kampftruppen. Gerechtigkeit für alle gibt es nur im Kompromiß – und den fürchten Randgruppenideologen mehr als jeder Alien.