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"Die Amerikaner haben viel zu lange zugesehen"

Professor Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, hat den Rating-Agenturen eine Mitschuld an der Finanzkrise gegeben und stärkere staatliche Kontrollen gefordert. Die USA müssten außerdem ihre aus der Krise entstandenen Probleme selbst lösen. Dennoch könne es notwendig werden, dass auch Banken in Europa aus Wettbewerbsgründen staatliche Hilfen benötigten, sagte Bofinger.

Professor Peter Bofinger im Gespräch mit Elke Durak | 23.09.2008
    Durak: Politiker und Finanz- wie Wirtschaftsexperten fordern, den Finanzmarkt international stärker zu reglementieren. Das ist eine Folgeforderung aus der weltweiten Finanzkrise. Aber was heißt das konkret, stärker regulieren? - Darüber will ich jetzt mit Professor Peter Bofinger sprechen, der dem Sachverständigenrat angehört. Außerdem: welche Folgen kann die Krise für das deutsche Wirtschaftswachstum haben? Herr Bofinger sagt, 2009 gibt es unter Umständen eine Stagnation. Das ganze natürlich im Zusammenspiel mit der zurückgehenden Konjunktur. Guten Morgen, Herr Bofinger.

    Bofinger: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Eine stärkere Regulierung des Finanzmarktes ist richtig, weil?

    Bofinger: Es ist einfach so: Wenn Sie sich eine Landstraße vorstellen, wo nun massiv Unfälle passieren, schwere Unfälle passieren, dann wird man überlegen, dass die Regulierung so nicht vernünftig ist, dass man stärkere Regulierungen braucht, dass man die Höchstgeschwindigkeit heruntersetzen muss. Und wenn man nun erlebt, in welchem Maße die Finanzmärkte zusammenbrechen, welche massiven Anstrengungen die Staaten, die Notenbanken unternehmen müssen, um dieses System am Leben zu halten, dann ist ziemlich eindeutig, dass man nicht einfach so weitermachen kann wie bisher, sondern dass man grundlegend die Regulierung überdenken muss.

    Durak: Nun gibt es ja Unfallverursacher, um bei Ihrem Bild zu bleiben, und wenn der Unfallverursacher die Schilder am Straßenrand mit Geschwindigkeitsbegrenzungen etc. schlicht und ergreifend nicht beachtet werden, müsste er nicht zur Verantwortung gezogen werden?

    Bofinger: Es sind ja doch die Banken sehr massiv zur Verantwortung gezogen worden - in dem Sinne, dass die Bankaktien in den letzten Monaten massiv an Wert verloren haben. Wer in Banken investiert hat, der ist schon massiv bestraft worden.

    Durak: Die USA - und das meinte ich damit - haben sich ja bisher geweigert, internationale Vorschriften zur Kreditvergabe und zum Kredithandel von Banken umzusetzen. Nun fordern sie die Beteiligung an Rettungsmaßnahmen. Darf man ihnen die Hilfe verweigern?

    Bofinger: Zunächst einmal muss man ja positiv sehen, dass die Amerikaner jetzt tatsächlich die Verantwortung für ihr Finanzsystem übernehmen, und damit übernehmen sie ja auch die Verantwortung für das globale Finanzsystem, sorgen also dafür, dass auch unsere Banken sicher sind. Immerhin haben unsere Banken rund 700 Milliarden Forderungen an die USA und da ist es schon auch für uns ganz vital, dass das amerikanische Finanzsystem am Leben bleibt. So gesehen ist es zunächst mal sehr positiv, dass die Amerikaner sich verhalten, so wie sie das tun, obwohl Sie natürlich Recht haben. Die Amerikaner haben viel zu lange zugesehen, haben auch Anstöße, die ja von Deutschland, von der Bundesregierung gekommen sind, zumindest kleine Regulierungen bei den Hedgefonds einzuführen, abgelehnt. Dort sind auch wirklich massive Fehler bei den USA gemacht worden.

    Der Punkt, ob wir in Deutschland uns an einem solchen Rettungspaket beteiligen sollen, da würde ich auch die Haltung der Bundesregierung teilen, dass es richtig ist, dass die Amerikaner das Problem verursacht haben, dass das Problem in den USA liegt und dass sie natürlich das ganze auch selber lösen müssen.

    Durak: Aber Sie fordern, Herr Bofinger - das ist nachzulesen heute in der "Berliner Zeitung" -, Finanzspritzen für deutsche Banken. Wie das?

    Bofinger: Ja. Man muss sich überlegen, dass natürlich jetzt amerikanische Banken, wenn es ihnen möglich ist, ihre Bilanzen zu säubern, wenn es ihnen also möglich ist, die schlechten Forderungen an den Staat zu verkaufen und sich dadurch wieder zu stabilisieren, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Banken haben, denen das nicht möglich ist. Das heißt, man wird in Deutschland prüfen müssen, gibt es Banken, die nun auch sehr stark in diese Geschäfte involviert sind und die dadurch einen Wettbewerbsnachteil erhalten, wenn in den USA die Bilanzen gesäubert werden und wenn das in Deutschland oder Europa nicht der Fall ist.

    Durak: Das heißt, der Steuerzahler in Deutschland soll indirekt doch beteiligt werden an den Rettungsmaßnahmen für die Banken international?

    Bofinger: Wie gesagt, man muss das prüfen, ob dort Wettbewerbsnachteile bestehen, wie groß die Wettbewerbsnachteile sind. Und es ist ja auch so, dass die Übernahme von Forderungstiteln durch den Staat nicht unbedingt bedeuten muss, dass das langfristig den Staat etwas kostet, denn das Problem ist ja, dass diese ganzen Immobilienforderungen im Augenblick natürlich sehr wenig wert sind, weil keiner sie will, weil dort ein sehr starker Abgabedruck ist. Lang- und mittelfristig kann das sich durchaus wieder anders darstellen. Hinter jeder dieser Forderung steht ja auch ein Häuschen in den USA. Das sind ja alles abgesicherte Titel. Das heißt, in 5 oder 10 Jahren, wenn der Staat jetzt die Papiere übernimmt. ist es nicht zwingend, dass das auch in gleicher Höhe mit Kosten für den Steuerzahler verbunden ist.

    Durak: Im Augenblick sind diese Häuschen aber ziemlich wenig wert. - Kommen wir mal zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurück, zur Regulierung des Finanzmarktes. Was soll man darunter verstehen, neben den Geschichten, dass sich die USA an den internationalen Vorschriften beteiligen? Was kann wie wo reguliert werden?

    Bofinger: Ein Punkt, an den man denken muss, sind die Rating-Agenturen. Die haben massiv versagt. Die haben auch wesentlich Schuld an der Krise, weil sie diese Titel viel zu günstig bewertet haben. Und die Frage ist sicher die, ob man nicht eine staatliche Rating-Agentur errichten soll, die eben nicht an kurzfristigen Gewinninteressen orientiert ist, sondern in erster Linie an der Stabilität des Bankensystems orientiert ist. Die Rating-Agenturen, so wie sie heute existieren, sind ja auch nicht optimal im Sinne einer Marktwirtschaft. Es gibt nur drei. Es ist also kein richtiger Wettbewerb zwischen ihnen. Und was auch wichtig ist: Sie haften überhaupt nicht für das, was sie tun. Sie bezeichnen sich als Journalisten und können also auch völlig ungestraft und ohne materielle Konsequenzen unangemessene Urteile machen. Deswegen meine ich schon sollte man überlegen, ob diese ganz, ganz zentrale Funktion der Rating-Agentur, die auch gerade in den neuen Bestimmungen von Basel II noch mal aufgewertet wird, dort gut aufgehoben ist, wo sie im Augenblick ausgeführt wird.

    Durak: Basel II, das hat was mit den internationalen Vorschriften zur Kreditvergabe und zum Kredithandel zu tun.

    Bofinger: Genau.

    Durak: Man muss sich ja nicht an die Empfehlungen dieser Rating-Agenturen halten, zumal man ja als Experte, als Manager in einer Bank wissen sollte, dass diese Rating-Agenturen bestimmte Finanzprodukte zum einen entwickeln oder strukturieren und dann eben auch begutachten. Man muss sich ja daran nicht halten.

    Bofinger: Na ja, aber eben gerade in Basel II gibt es zwei Formen, wie man das machen kann: entweder durch Rating-Agenturen oder durch eigenes Urteil. Aber das eigene Urteil - das hat die Erfahrung der letzten Monate gezeigt - ist ja auch nicht so furchtbar zuverlässig.

    Durak: Wenn wir die Rating-Agenturen zum einen nehmen; man könnte ja auch staatliche, europäische, nationale einführen wie auch immer. Sollten Regulierungen per Gesetz stattfinden oder durch freiwillige Vereinbarungen, wie es die Bundeskanzlerin empfiehlt?

    Bofinger: Eine staatliche Rating-Agentur wäre wie gesagt einfach ein zusätzliches Angebot zur Bewertung solcher Papiere und das wäre dann die Frage, ob das freiwillig ist oder ob das zwangsweise übernommen wird. Auf jeden Fall wäre ein zusätzlicher Anbieter da, der eben nicht von solchen kurzfristigen Gewinninteressen geleitet ist, wie das die derzeitigen Rating-Agenturen ganz offensichtlich sind.

    Durak: Welche internationalen Maßnahmen wären noch zu empfehlen? Und ich denke daran, dass noch in dieser Woche beim Bundesfinanzminister ein Bankengipfel über nationale und internationale Konsequenzen stattfinden soll. Was würden Sie empfehlen, falls Sie nicht selbst teilnehmen?

    Bofinger: Wir haben beim Sachverständigenrat vorgeschlagen, das Modell des Kreditregisters international auszuweiten. Das Kreditregister ist sozusagen eine Art Schufa für Banken, bei der die Banken alle großen Kredite melden müssen - eine zentrale Stelle. Wir haben das bereits in Deutschland; wir haben es auch in anderen europäischen Ländern. Wir haben vorgeschlagen, dieses Modell des Kreditregisters international auszuweiten, denn eines der zentralen Probleme in der Krise ist ja die mangelnde Transparenz und ganz offensichtlich auch Transparenz für die Aufsichtsbehörden. Wenn man zu wenig sieht, dann muss man eben das Licht anmachen, und wir haben da eben in Deutschland schon mit dem Kreditregister ein Instrument, das in Deutschland gut funktioniert, mit dem die Banken in Deutschland auch gut zurecht kommen. Das international auszuweiten, würde es eben den Aufsichtsbehörden erlauben zu erkennen, wo Risiken sich klumpen, und dann auch entsprechend einzugreifen.

    Durak: Danke schön. - Professor Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Seine Empfehlungen, die des Sachverständigenrates für Lösungen innerhalb der internationalen Finanzkrise. Danke, Herr Bofinger, für das Gespräch. Einen schönen Tag noch!

    Bofinger: Sehr gerne.