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"Die Amerikaner werden an neuen Schulden nicht vorbei kommen"

Die automatische Ausgabenkürzung in den USA werde die amerikanische Wirtschaft nicht kaputt machen, sagt Robert Halver, Chefvolkswirt der Baader Bank. Die Zinsen blieben niedrig und das Land werde neue Schulden machen, um die Wirtschaft zu stabilisieren.

Robert Halver im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Letzter Vermittlungsversuch im US-Haushaltsstreit. Barack Obama spricht heute noch einmal mit den Fraktionschefs der beiden Parteien im Senat und im Repräsentantenhaus. Bisher hat das nichts gebracht und wenn es dabei bleibt, dann ist der Präsident verpflichtet, noch vor Mitternacht seine Unterschrift unter die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgabenkürzungen zu setzen. Nur hier geht es nicht um Peanuts, sondern um bis zu 85 Milliarden Dollar.

    Kurz vor dieser Sendung habe ich Robert Halver, den Chefanalysten der Baader Bank, gefragt, ob über die Haushaltskürzungen an der Börse auch gesprochen wird.

    Robert Halver: Es ist ein Thema an der Börse. Immer wenn Amerika politische Probleme hat, ist das ein Thema. Aber wenn man mal diese Sparmaßnahmen, die jetzt drohen, abklopft auf die Realität, stellen wir fest: Bis September werden es 42 Milliarden sein. Das macht die amerikanische Wirtschaft alles andere als kaputt. Es gibt also kein automatisches Kaputtsparen. Die fiskale Klippe ist eher ein fiskalisches Klippen. Es ist eher bedenklich, dass Amerika bis jetzt keinen Kompromiss gefunden hat. Amerika ist ja für viele Börsianer das Land, wo man alle Probleme mit Pioniergeist lösen kann. Das bleibt bis jetzt aus.

    Heinemann: Sie rechnen aber nicht damit, dass das US-Wachstum jetzt auf Talfahrt ginge?

    Halver: Es wird etwas gebremst, das Wachstum der USA, sicherlich, aber nicht so, dass man jetzt Angst haben müsste. Denn zeitgleich ist ja festzustellen, dass die Notenbank weiterhin ihren sehr üppigen Liquiditätskurs beibehält. Das heißt, die Zinsen in den USA bleiben sehr weit unten. Und ich kann mir vorstellen, dass die Notenbank damit eigentlich die Scharte der Politik auswetzen kann.

    Heinemann: Und bleibt das langfristig so? Es wurde schon mal laut nachgedacht über einen Kurswechsel.

    Halver: Wir müssen immer überlegen, was politisch im Augenblick opportun ist und was aber realitätswirtschaftlich unheimlich wichtig ist. Dass die Politik jetzt von beiden Seiten natürlich den Untergang Amerikas über diese Verschuldung propagiert, die andere Seite sagt, wir können keine Steuererhöhung gebrauchen, ist klar. Aber in der Realität ist klar: Die Amerikaner werden an neuen Schulden nicht vorbei kommen. Amerika hat ja ein neues Ziel, sie wollen ja wieder Export- und Industrienation werden, dazu brauchen wir neue Schulden zur Finanzierung. Also wenn Amerika aufhören sollte, neue Schulden zu machen, bin ich im Rentenalter.

    Heinemann: Das ist noch etwas hin, glaube ich?

    Halver: Ja!

    Heinemann: Herr Halver, wenn ein hoch verschuldetes Land spart, freiwillig oder automatisch, wie es jetzt möglicherweise kommen wird, dann müsste die Börse doch eigentlich jubeln. Wieso jubelt die Börse in diesem Fall nicht?

    Halver: Schulden sind ja für die Staatsanleihemärkte und für die Rentenmärkte nicht gut. Aber Schulden sind ja für die Börsen positiv, weil mit Schulden natürlich auch Ausgaben finanziert werden. Das heißt, die Unternehmen, nehmen wir den Straßenbau, haben ja mehr Aufträge, haben mehr Gewinne und das stützt auch ihren Aktienkurs. Von daher sind Schulden immer sehr, sehr wichtig, sie stützen ja die Wirtschaft. Das ist ein sehr klares Signal, das wir schon aus den guten alten Zeiten von Ronald Reagan und beiden Bush-Präsidenten kennen. Mehr Schulden sorgen für mehr Wachstum und das sorgt für stärkere Aktienkurse.

    Heinemann: Und wieso wird in Europa jeder Kleinstaat in die Zange genommen, während die USA fast ungeschoren dann bis unter die Halskrause verschuldet sein kann?

    Halver: Schauen wir uns die Länder in der Eurozone mal an. Bis auf Deutschland machen alle Länder neue Schulden und ich bin mir sicher: Nach der Italienwahl werden wir auch feststellen, dass Italien mehr Schulden machen darf. Eine neue Welle der Solidarität ist ja bereits politisch ausgebrochen. Und wenn Sie feststellen, dass in vielen Ländern der Eurosüdzone der Konsum nicht mehr läuft, die Investitionen nicht mehr laufen, der Export lahmt, bleibt nur eine Möglichkeit: Mit neuen Schulden für eine wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Das hat mit Stabilität im Sinne der deutschen Bundesbank oder das, was wir in Deutschland immer gerne hochhalten, nichts zu tun. Aber ohne neue Schulden würden diese Wirtschaften in die Rezession, sogar vielleicht in Depression verfallen. Das wird wirtschaftlich zu verhindern sein und auch politisch und wir können davon ausgehen, dass die Notenbank mit ihrem Chef Draghi eigentlich zum großen Schuldendecker werden wird.

    Heinemann: Nur mit Schulden senken die Ratingagenturen die Daumen.

    Halver: Die Ratingagenturen werden, unter uns gesagt, nicht mehr so ernst genommen an den Finanzmärkten, weil man genau weiß: Selbst wenn sie die Bonität der Länder runterstufen, es nützt ja nichts, weil die Notenbanken ja sagen, wir stützen diese Staatsanleihemärkte. Und wenn die Notenbanken mit ihrem unbegrenzt großen Portemonnaie weiterhin ganz massiv Staatspapiere kaufen sollten, oder es auch nur androhen, werden die Zinsen weiter unten bleiben. Das heißt, die Ratingagenturen haben mehr oder minder zahnlose Münder.

    Heinemann: Rechnet die Börse mit Blick auf die USA noch mit einer Einigung?

    Halver: Die Einigung kann da jeden Tag kommen. Wir haben ja jetzt keinen Hammerschlag, dass sofort jetzt diese Sparmaßnahmen auch dann zum Vorschein kommen. Das dauert ja teilweise Wochen, wenn nicht sogar Monate. Das heißt, wir haben noch genügend Zeit, uns zu einigen. Und Amerika hat sich in Situationen, wo es spitz auf Knopf stand, immer geeinigt, auch Republikaner, auch Demokraten. Ich erinnere immer an die zweiten Amtsperioden von Clinton und Reagan. Da hatten beide Präsidenten eine andere Farbe im Parlament als Gegenposition. Man hat sich immer wunderbar geeinigt und das waren eigentlich die guten Jahre der Präsidenten.

    Heinemann: Herr Halver, nach den vielen hundert Milliarden Euro, die europäische Steuerzahler für unfähige und leichtsinnige Banker auf den Tisch legen mussten, hat das Europäische Parlament und die Ratspräsidentschaft sich jetzt auf Boni für Bankmitarbeiter geeinigt. Die sollen beschränkt werden, und zwar auf maximal die Höhe eines Jahresgrundgehaltes. Wird das die Zocker zur Vernunft bringen?

    Halver: Das wird die Zocker nicht zur Vernunft bringen, definitiv. Erstens: Sie können ja woanders zocken, sie können in Amerika zocken. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Die Hedgefonds, die sind ausgeschlossen von diesen Regelungen. Das heißt, gerade die Hedgefonds sind ja diejenigen, die besonders stark spekulative Elemente in den letzten Jahren gezeigt haben. Die hätte man an die Kette legen sollen, das hat man eben nicht gemacht. Und wenn man jetzt mal einen Banker nimmt, wenn man mal die wenigen nimmt, die böse Absichten haben, die werden ja dann wahrscheinlich ein höheres Fixum, ein höheres Fixgehalt bekommen, so dass auch dann die Bonifikation höher ist. Also wir werden damit das Problem, dass mit bösartigen Spekulationen gegen die Eurozone, gegen ihre Banken und Länder argumentiert werden kann, nicht beheben.

    Heinemann: Was hätte stattdessen beschlossen werden müssen?

    Halver: Wir müssten das ganze weltweit machen. Das ist sehr entscheidend. Das ist das große Problem. Ich weiß natürlich, dass sich Länder wie England und Amerika hier nicht einbinden lassen, weil ihre Finanzwirtschaft deutlich größer ist und noch viel wichtiger ist für das Bruttoinlandsprodukt. Aber das Problem ist immer, dass man zu kurz springt. Man löst es damit nicht. Entscheidend ist, dass die Eurozone eine Politik macht, wie wir zurück zu einer Stabilität kommen. Dann beißen sich die Finanzmärkte die Zähne aus. Das ist wie bei einem Gemüse, um es mal lakonisch zu sagen. Ist das Gemüse gesund, kann keine Schnecke etwas ihm anhaben.

    Heinemann: Reden wir über das Gemüse oder die Gesellschaft. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn wir einerseits über einen Mindestlohn von 8,50 Euro streiten und andererseits ein Bonus in Höhe eines Jahresgehalts als zu gering empfunden wird?

    Halver: Nun ist die Frage, ob es so gering empfunden wird. Sie müssen mal die Banker sich vor Augen führen, die tatsächlich diese hohen Bonifikationen bekommen. Das sind ja nicht viele. Also ich kann mich da ausnehmen, ich bekomme nicht so einen Bonus, definitiv. Das heißt also, wir reden hier über nicht sehr viele Banker. Und diese Banker sitzen auch eher in England oder in Amerika. Wir stellen fest, dass in Deutschland die Bonifikation schon deutlich niedergefahren worden ist. Wir haben nicht mehr diese hohen Bonifikationen, die wir mal hatten. Die Zeiten sind endgültig vorbei.

    Heinemann: Der Bundestag möchte auch den computergestützten Hochfrequenzhandel einschränken. Die Betreiber werden von der Aufsicht BAFIN künftig kontrolliert und bei hohen Preisschwankungen soll der Handel unterbrochen werden. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung, um Exzesse zu verhindern?

    Halver: Darüber kann man nachdenken. Aber ich würde hier gerne noch mal darauf verweisen: Ist die Eurozone und ihre Länder, ihre Stabilität, die politische Harmonie klar, kann kein Hochfrequenzhandel hier über spekulative Elemente uns an den Rand eines Eurokollaps bringen. Das funktioniert einfach nicht. Das schaffen Finanzmärkte definitiv nicht. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Sie werden weiterhin in Amerika Hochfrequenzhandel betreiben können. Sie werden es in Asien betreiben können. Das heißt, das Problem ist nicht gelöst, nur verlagert.

    Heinemann: Robert Halver, der Chefanalyst der Bader Bank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.