Junker: Guten Morgen, Herr Remme.
Remme: Herr Junker, die USA sind offenbar bereit, auch ohne ein Mandat der UNO Krieg führen zu wollen. Joschka Fischer spricht von einer möglichen epochalen Zäsur. Übertreibt er dabei?
Junker: Ein wenig. Ich sehe das ein bisschen differenzierter. Die Politik von Bush liegt einerseits in der Kontinuität der amerikanischen Weltpolitik seit 1941. Andererseits gibt es in der Tat, und zwar schon vor dem 11. September, ein neues Element. Vielleicht darf ich beide Dinge kurz nennen. Was ist die Kontinuität? Es ist einerseits die Fähigkeit und der Wille der USA, weltweit Macht und Einfluss auszuüben und andererseits das Versprechen von Freiheit. In klassischer Diktion: Imperium et libertas oder Macht und Mission. Oder anders ausgedrückt: Wie keine andere Nation der Gegenwart verbinden die Amerikaner einen weltweiten Machtanspruch, die Fähigkeit zur globalen Machtprojektion mit dem Anspruch eines auserwählten Volkes das amerikanische Sendungsbewusstsein der Freiheit zu erfüllen.
Remme: Das heißt, die Wurzeln dieser Veränderung sehen Sie schon vor dem 11. September angelegt?
Junker: Nein. So weit steht die Politik Bushs in der Kontinuität der amerikanischen Politik seit 1941. Das Neue ist, und das knüpft auch an Ihren Beitrag an, dass die Definition der Eigeninteressen ein wenig verschoben worden ist. In der Interpretation dieser neuen Bush-Administration, und zwar schon vor dem 11. September, heißt es: Die Welt ist - zumindest in militärisch-strategischer Hinsicht - unipolar geworden. Es gibt keine rivalisierende Machten mehr und so soll es nach Ansicht der Falken um Bush auch bleiben. Was heißt das konkret? Die Sicherheit der USA und die Ordnung der Welt können nicht mehr durch ein globales System von Checks und Balances annähernd gleicher Mächte, auch nicht durch internationale Organisationen und multilaterale Verfahren bewahrt werden, sondern im Ernstfall durch das Militärpotenzial der USA.
Remme: Herr Junker, diese Spaltung, die wir jetzt am Beispiel Irak erleben, war die vermeidbar? Sehen Sie Fehler, die auf beiden Seiten des Atlantiks zu der jetzigen Situation geführt haben?
Junker: In gewisser Hinsicht sind solche Fehler immer vermeidbar. Wenn man sich aber die Person Bush genau anguckt, die Art und Weise wie er ins Amt gekommen ist, die Art und Weise wie er seine Rolle definiert, dann war das schwer zu vermeiden. Wir übersehen meiner Ansicht nach oft die zentrale Bedeutung von Bush, seines Selbstverständnisses, seines Sendungsbewusstseins, seines protestantischen Fundamentalismus. All diese Elemente lassen es schwer erscheinen, dass man eine andere Politik betrieben hätte. Ich kann das schwer sehen. Auf der anderen Seite ist es so: Bush ist ja von Powell gedrängt worden, über den Sicherheitsrat zu gehen. Es gab in Washington eine große Debatte zwischen Powell und Bush im letzten August, und da sagte Powell zum Präsidenten fast wörtlich: "Mr President, it's all fine to do it alone except we can`t". Dieser enorme Kampf um die Stimmen im Sicherheitsrat, der ja auch von den Amerikanern geführt ist, bedeutet, dass selbst Bush lieber die Sache mit dem Sicherheitsrat machen würde. Nur, seine immer wiederholte Aussage bis heute hin und vor einigen Tagen ist: Wenn der Sicherheitsrat uns nicht zustimmt, dann machen wir es alleine.
Remme: Sie kommen gerade aus den USA zurück und haben sich dort mit vielen Gesprächspartnern unterhalten. Wird die Sichtweise des Präsidenten und seiner Mannschaft weitgehend geteilt?
Junker: Meine Gesprächspartner waren Leute aus der Politik und aus der Wirtschaft in New York, und sie waren sehr gespalten. Ich hatte zehn oder zwölf ernsthafte Gesprächspartner. Ein oder zwei Gesprächspartner haben die Position von Bush geteilt, einige waren ablehnend, und es kommt ja nicht von ungefähr - Sie haben es vorhin in Ihrem Beitrag zitiert -, dass die New York Times ablehnt. Eine ganze Serie von Beratern des ehemaligen Präsidenten Bush des Älteren sind gegen die Art und Weise und gegen diesen Krieg. Die amerikanische Nation ist darüber mehr gespalten, als es von außen erscheint. Das Problem ist, dass CNN und FOX offensichtlich eine patriotische, heroische Stimmung anführen und so teilweise ein verfälschtes Bild geben. Es gibt allerdings einige ganz radikale Vertreter der Position Bush im Kongress - im Senat und Repräsentantenhaus -, und das hat auch damit zu tun, dass diese protestantische Erweckungsbewegung des Südens eben auch ein Teil des Kongresses erreicht hat.
Remme: Wir erleben ja in diesem Zeiten - Sie haben das geschildert - eine starke Überlegenheit der USA. Die militärische Stärke ist da ja nur ein Aspekt. Jetzt mal unabhängig von moralischen Maßstäben: Können sich die USA diese "Rücksichtslosigkeit" auf Dauer leisten, und andersherum gefragt, können wir uns auf Dauer ein gespanntes Verhältnis zu Washington leisten?
Junker: Der Ausgang über die Zukunft ist natürlich der schwierig. Der große Pferdefuß der amerikanischen Position liegt in ökonomischen Fragen. Ich kann nicht sehen, wie sich die amerikanische Nation, die ein riesiges Zahlungsbilanzdefizit in einer unglaublichen Größenordnung hat, diesen Krieg wird leisten können, um so mehr, wenn die Bereitschaft der ausländischen Investoren, in den Dollar zu investieren, abnimmt. Das ist übrigens auch ein Hauptargument der Kritiker. Selbst wenn wir uns das militärisch leisten können, so können wir uns das ökonomisch nicht leisten. Da sehe ich große Probleme. Das Gegenargument ist: Wenn das ein schneller Krieg wird, und darauf setzt offensichtlich die Administration Bush, dann kann es nach einigen Monaten wieder zu einem Aufschwung der Weltwirtschaft kommen. Aber da ist natürlich eine ganz große Gefahr, dass sich die amerikanische Wirtschaft übernimmt. Die zweite große Gefahr für Amerika ist, dass es seine moralische Legitimität in der Welt verspielt. Das war ja ein ganz großes Guthaben der Amerikaner während des Kalten Krieges. Sie waren eine hegemoniale, keine imperiale Macht. Sie versuchten, die Interessen ihrer Verbündeten mit einzubeziehen und für den Fall, dass die Amerikaner das allein machen, können die Kosten gewaltig sein.
Remme: Hat sich der Stellenwert dieses moralischen Führungsangebots für die Riege, die jetzt im Weißen Haus tätig ist, verändert?
Junker: Sie hat sich noch erhöht. Bush ist, wenn Sie wollen, ein Freiheitskrieger im Namen Gottes oder ein Gotteskrieger im Namen der Freiheit. Er steht damit in einer ganz alten amerikanischen Tradition seit der Unabhängigkeit. Ich darf an Präsident Wilson erinnern, der seinen Krieg gegen Deutschland 1917 mit den berühmten Worten legitimiert: "to make the world safe for democracy". Er steht in einer Tradition. Andererseits ist er sehr, sehr stark von seinem religiösen Glauben geprägt, und das sagt er auch jedermann in jeder Rede.
Remme: Herr Junker, lassen Sie uns noch auf das deutsch-amerikanische Verhältnis schauen. Ich habe es in der Anmoderation erwähnt: Gerhard Schröder hat sich im Bundestagswahlkampf, aus was für Motiven auch immer, an die Spitze derer gestellt, die nun in dem anderen Lager stehen. Was wird das für die deutsch-amerikanischen Beziehungen bedeuten?
Junker: Für die Administration Schröder nichts Gutes. Nach meinen Gesprächen in Washington und New York gibt es kaum einen Politiker, der so eine Persona non grata in Washington ist, wie Schröder. Er hat sich also aus dem Spiel herausmanövriert. Auf der anderen Seite hat Bush vor drei oder vier Tagen selbst gesagt, dass Frankreich und Deutschland Freunde bleiben werden. Eine ganz wichtige Botschaft, dass es also nicht zu einer Katastrophe im deutsch-amerikanischen Verhältnis kommen wird. So sehe ich das übrigens auch. Es gibt auf beiden Seiten des Atlantiks sehr viele Gegenkräfte, die sagen: Der größte anzunehmende Unfall der Weltgeschichte wäre, wenn sich die beiden einzig verbliebenden, demokratischen Wohlstandsregierungen der Welt, eben Europa und die USA, auseinanderdefinieren. Dann könnten wir kein einziges Weltproblem mehr lösen, und es gibt eben viele auch innerhalb der Administration Bush, in der amerikanischen Politik und übrigens auch in der Wirtschaft, die das genau so sehen, das heißt, noch ist das nicht irreparabel. Es kommt natürlich jetzt auch darauf an, wie die Geschichte weitergeht.
Link: Interview als RealAudio
Remme: Herr Junker, die USA sind offenbar bereit, auch ohne ein Mandat der UNO Krieg führen zu wollen. Joschka Fischer spricht von einer möglichen epochalen Zäsur. Übertreibt er dabei?
Junker: Ein wenig. Ich sehe das ein bisschen differenzierter. Die Politik von Bush liegt einerseits in der Kontinuität der amerikanischen Weltpolitik seit 1941. Andererseits gibt es in der Tat, und zwar schon vor dem 11. September, ein neues Element. Vielleicht darf ich beide Dinge kurz nennen. Was ist die Kontinuität? Es ist einerseits die Fähigkeit und der Wille der USA, weltweit Macht und Einfluss auszuüben und andererseits das Versprechen von Freiheit. In klassischer Diktion: Imperium et libertas oder Macht und Mission. Oder anders ausgedrückt: Wie keine andere Nation der Gegenwart verbinden die Amerikaner einen weltweiten Machtanspruch, die Fähigkeit zur globalen Machtprojektion mit dem Anspruch eines auserwählten Volkes das amerikanische Sendungsbewusstsein der Freiheit zu erfüllen.
Remme: Das heißt, die Wurzeln dieser Veränderung sehen Sie schon vor dem 11. September angelegt?
Junker: Nein. So weit steht die Politik Bushs in der Kontinuität der amerikanischen Politik seit 1941. Das Neue ist, und das knüpft auch an Ihren Beitrag an, dass die Definition der Eigeninteressen ein wenig verschoben worden ist. In der Interpretation dieser neuen Bush-Administration, und zwar schon vor dem 11. September, heißt es: Die Welt ist - zumindest in militärisch-strategischer Hinsicht - unipolar geworden. Es gibt keine rivalisierende Machten mehr und so soll es nach Ansicht der Falken um Bush auch bleiben. Was heißt das konkret? Die Sicherheit der USA und die Ordnung der Welt können nicht mehr durch ein globales System von Checks und Balances annähernd gleicher Mächte, auch nicht durch internationale Organisationen und multilaterale Verfahren bewahrt werden, sondern im Ernstfall durch das Militärpotenzial der USA.
Remme: Herr Junker, diese Spaltung, die wir jetzt am Beispiel Irak erleben, war die vermeidbar? Sehen Sie Fehler, die auf beiden Seiten des Atlantiks zu der jetzigen Situation geführt haben?
Junker: In gewisser Hinsicht sind solche Fehler immer vermeidbar. Wenn man sich aber die Person Bush genau anguckt, die Art und Weise wie er ins Amt gekommen ist, die Art und Weise wie er seine Rolle definiert, dann war das schwer zu vermeiden. Wir übersehen meiner Ansicht nach oft die zentrale Bedeutung von Bush, seines Selbstverständnisses, seines Sendungsbewusstseins, seines protestantischen Fundamentalismus. All diese Elemente lassen es schwer erscheinen, dass man eine andere Politik betrieben hätte. Ich kann das schwer sehen. Auf der anderen Seite ist es so: Bush ist ja von Powell gedrängt worden, über den Sicherheitsrat zu gehen. Es gab in Washington eine große Debatte zwischen Powell und Bush im letzten August, und da sagte Powell zum Präsidenten fast wörtlich: "Mr President, it's all fine to do it alone except we can`t". Dieser enorme Kampf um die Stimmen im Sicherheitsrat, der ja auch von den Amerikanern geführt ist, bedeutet, dass selbst Bush lieber die Sache mit dem Sicherheitsrat machen würde. Nur, seine immer wiederholte Aussage bis heute hin und vor einigen Tagen ist: Wenn der Sicherheitsrat uns nicht zustimmt, dann machen wir es alleine.
Remme: Sie kommen gerade aus den USA zurück und haben sich dort mit vielen Gesprächspartnern unterhalten. Wird die Sichtweise des Präsidenten und seiner Mannschaft weitgehend geteilt?
Junker: Meine Gesprächspartner waren Leute aus der Politik und aus der Wirtschaft in New York, und sie waren sehr gespalten. Ich hatte zehn oder zwölf ernsthafte Gesprächspartner. Ein oder zwei Gesprächspartner haben die Position von Bush geteilt, einige waren ablehnend, und es kommt ja nicht von ungefähr - Sie haben es vorhin in Ihrem Beitrag zitiert -, dass die New York Times ablehnt. Eine ganze Serie von Beratern des ehemaligen Präsidenten Bush des Älteren sind gegen die Art und Weise und gegen diesen Krieg. Die amerikanische Nation ist darüber mehr gespalten, als es von außen erscheint. Das Problem ist, dass CNN und FOX offensichtlich eine patriotische, heroische Stimmung anführen und so teilweise ein verfälschtes Bild geben. Es gibt allerdings einige ganz radikale Vertreter der Position Bush im Kongress - im Senat und Repräsentantenhaus -, und das hat auch damit zu tun, dass diese protestantische Erweckungsbewegung des Südens eben auch ein Teil des Kongresses erreicht hat.
Remme: Wir erleben ja in diesem Zeiten - Sie haben das geschildert - eine starke Überlegenheit der USA. Die militärische Stärke ist da ja nur ein Aspekt. Jetzt mal unabhängig von moralischen Maßstäben: Können sich die USA diese "Rücksichtslosigkeit" auf Dauer leisten, und andersherum gefragt, können wir uns auf Dauer ein gespanntes Verhältnis zu Washington leisten?
Junker: Der Ausgang über die Zukunft ist natürlich der schwierig. Der große Pferdefuß der amerikanischen Position liegt in ökonomischen Fragen. Ich kann nicht sehen, wie sich die amerikanische Nation, die ein riesiges Zahlungsbilanzdefizit in einer unglaublichen Größenordnung hat, diesen Krieg wird leisten können, um so mehr, wenn die Bereitschaft der ausländischen Investoren, in den Dollar zu investieren, abnimmt. Das ist übrigens auch ein Hauptargument der Kritiker. Selbst wenn wir uns das militärisch leisten können, so können wir uns das ökonomisch nicht leisten. Da sehe ich große Probleme. Das Gegenargument ist: Wenn das ein schneller Krieg wird, und darauf setzt offensichtlich die Administration Bush, dann kann es nach einigen Monaten wieder zu einem Aufschwung der Weltwirtschaft kommen. Aber da ist natürlich eine ganz große Gefahr, dass sich die amerikanische Wirtschaft übernimmt. Die zweite große Gefahr für Amerika ist, dass es seine moralische Legitimität in der Welt verspielt. Das war ja ein ganz großes Guthaben der Amerikaner während des Kalten Krieges. Sie waren eine hegemoniale, keine imperiale Macht. Sie versuchten, die Interessen ihrer Verbündeten mit einzubeziehen und für den Fall, dass die Amerikaner das allein machen, können die Kosten gewaltig sein.
Remme: Hat sich der Stellenwert dieses moralischen Führungsangebots für die Riege, die jetzt im Weißen Haus tätig ist, verändert?
Junker: Sie hat sich noch erhöht. Bush ist, wenn Sie wollen, ein Freiheitskrieger im Namen Gottes oder ein Gotteskrieger im Namen der Freiheit. Er steht damit in einer ganz alten amerikanischen Tradition seit der Unabhängigkeit. Ich darf an Präsident Wilson erinnern, der seinen Krieg gegen Deutschland 1917 mit den berühmten Worten legitimiert: "to make the world safe for democracy". Er steht in einer Tradition. Andererseits ist er sehr, sehr stark von seinem religiösen Glauben geprägt, und das sagt er auch jedermann in jeder Rede.
Remme: Herr Junker, lassen Sie uns noch auf das deutsch-amerikanische Verhältnis schauen. Ich habe es in der Anmoderation erwähnt: Gerhard Schröder hat sich im Bundestagswahlkampf, aus was für Motiven auch immer, an die Spitze derer gestellt, die nun in dem anderen Lager stehen. Was wird das für die deutsch-amerikanischen Beziehungen bedeuten?
Junker: Für die Administration Schröder nichts Gutes. Nach meinen Gesprächen in Washington und New York gibt es kaum einen Politiker, der so eine Persona non grata in Washington ist, wie Schröder. Er hat sich also aus dem Spiel herausmanövriert. Auf der anderen Seite hat Bush vor drei oder vier Tagen selbst gesagt, dass Frankreich und Deutschland Freunde bleiben werden. Eine ganz wichtige Botschaft, dass es also nicht zu einer Katastrophe im deutsch-amerikanischen Verhältnis kommen wird. So sehe ich das übrigens auch. Es gibt auf beiden Seiten des Atlantiks sehr viele Gegenkräfte, die sagen: Der größte anzunehmende Unfall der Weltgeschichte wäre, wenn sich die beiden einzig verbliebenden, demokratischen Wohlstandsregierungen der Welt, eben Europa und die USA, auseinanderdefinieren. Dann könnten wir kein einziges Weltproblem mehr lösen, und es gibt eben viele auch innerhalb der Administration Bush, in der amerikanischen Politik und übrigens auch in der Wirtschaft, die das genau so sehen, das heißt, noch ist das nicht irreparabel. Es kommt natürlich jetzt auch darauf an, wie die Geschichte weitergeht.
Link: Interview als RealAudio