Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv


"Die amerikanischen Wähler haben die Nase voll vom Krieg"

Bei dieser US-Wahl werde ein Präsident gewählt, der Amerikas Rolle in der "neuen Welt" definiere, sagt Fred Kempe. Der Präsident des Amerikanischen Atlantikrates ergänzt, dass die USA nicht dominant, sondern künftig auf internationaler Ebene durchdachter auftreten müssten.

Reinhard Bieck im Gespräch mit Fred Kempe | 24.10.2012
    Bettina Klein: Vor genau vier Jahren, beim inzwischen legendären Wahlkampf 2008 und dem Rennen um das Weiße Haus in Washington, war es auch Bob Schieffer, der fast legendäre erfahrene Fernsehjournalist von CBS, der die letzte der drei TV-Debatten zwischen den Kandidaten moderierte. Damals waren es John McCain und Barack Obama. Damals ging es nicht um Außenpolitik, sondern um neun verschiedene Bereiche, unter anderem der damals ganz aktuellen Finanzkrise gewidmet, und damals war es möglicherweise ein Faktor, der zum Sieg Obamas knapp drei Wochen später beigetragen hat. Und diesmal? - Obama gab sich kämpferisch bei der letzten Debatte gestern früh deutscher Zeit. Es ging um Außenpolitik, ein Feld, auf dem er einfach punkten konnte. Aber sind die Wähler jetzt irgendwie schlauer?

    Diese Frage ging gestern Abend an Fred Kempe, er ist Präsident des Atlantic Council, einer Denkfabrik in den USA. Er war lange Jahre Journalist und mein Kollege Reinhard Bieck wollte von ihm wissen, wen die Bürger der Vereinigten Staaten denn nun am 6. November wählen werden.

    Fred Kempe: In den neuesten Umfragen liegen Obama und Romney fast gleich. Bei uns sagt man, it's to close to call, und das stimmt auch. In den nächsten Tagen kann noch einiges passieren, aber wahrscheinlich wird die Wahl durch neun Swing States von unseren 50 Bundesstaaten entschieden und Ohio ist der wichtigste. Noch nicht hat ein republikanischer Kandidat gesiegt, ohne dass er auch in Ohio gewonnen hat. Sie werden eine Menge von Werbungen sehen in den nächsten Tagen von beiden Seiten. Die Mannschaften werden Ohio besuchen. Man wird wirklich einen Kampf sehen um diesen Staat und natürlich die acht anderen.

    Reinhard Bieck: Wie sieht es denn jetzt ganz konkret im Moment in Ohio aus?

    Kempe: Zurzeit steht Obama vor, und das ist, weil er so viel gemacht hat, um die Autoindustrie zu retten. Man hat das auch in der Debatte gestern Abend gehört. Das war natürlich eine Außenpolitikdebatte, aber es hat sehr, sehr viel mit Innenpolitik zu tun gehabt. Sogar hat die "Washington Post" heute Morgen das Thema Außenpolitik als Verlierer der Debatte bezeichnet. Aber Romney hat gegen das Gesetz zur Rettung von General Motors und Chrysler gekämpft. Romney sagt, dass Obama zu wenig gegen China und die Verlagerung von Jobs nach Asien tut. Das ist auch ein großes Thema in Ohio. So viel von der Debatte gestern Abend hat gerade mit Ohio zu tun gehabt.

    Bieck: Trotzdem ist ja eines schwer zu verstehen: Es wird immer wieder gesagt, diese Fernsehauftritte seien gar nicht wahlentscheidend. Auf der anderen Seite hört man, mit seiner schwachen Leistung in der ersten Runde habe sich Obama sehr schwer geschadet. Was stimmt denn nun eigentlich?

    Kempe: Ja ich glaube, gestern Abend war besonders wichtig für beide Männer. Bei Außenpolitik macht man im Wahlkampf normalerweise keine Versprechen wie bei Steuersenkungen oder Budgetkürzungen. Aber bei außenpolitischen Debatten sollen die Kandidaten zeigen, ob sie auch Commander and Chief, also Oberbefehlshaber sein können. Es war sehr, sehr wichtig, dass Obama seine Stärke zeigt, dass er wirklich Commander and Chief, Oberbefehlshaber ist, dass er alle Fakten beherrscht und dass er nach der ersten Debatte so stark vorkommt. Aber Romney hat das Wort Frieden mehrmals erwähnt. Er versucht, Wähler zu überzeugen, dass er kein gefährlicher Präsident wäre. Obama hat wahrscheinlich gestern Abend gewonnen, aber Romney hat nicht verloren.

    Bieck: Die Außenpolitik ist, was man so aus den USA hört, den Wählern nicht so wichtig. Man sieht aber in vielen Fenstern zum Beispiel Plakate mit der Aufschrift "Support our Troops", nicht selten auch mit dem Zusatz "Bring them home". In US-Supermärkten gibt es sogar Ecken, da kann man Naschwerk und edle Konserven für die Soldaten fern der Heimat spenden. Also spielt die Außenpolitik nicht doch eine große Rolle?

    Kempe: Kurz gesagt: Die amerikanischen Wähler haben die Nase voll vom Krieg. Die wollen kein Afghanistan mehr, kein Irak mehr, und das stimmt für Republikaner und für Demokraten. Aber die Frage ist, wie kann man immer noch stark bleiben, ohne vom Krieg zu sprechen, und das ist die Wirtschaftspolitik, dass Amerika seine Stärke in der Welt verliert, wenn wir nicht zurecht kommen mit unseren Defiziten und Wachstum noch mal kommt. Was ich befürchte, ist, dass man so wage war in Fragen der Außenpolitik gestern Abend. Sie kam leider viel zu kurz in beiden Lagern. Und wir haben einen Haufen von drängenden Problemen: Iran und Atomwaffen, Gewalt in Syrien, die neuen fragilen Demokratien in Ägypten, Libyen und Tunesien. Die amerikanischen Staatsschulden sind sehr, sehr wichtig, aber im ersten Jahr von einem neuen Präsidenten oder einem wiedergewählten Obama, ich glaube, wir werden doch Überraschungen in der Außenpolitik haben, wofür wir vielleicht noch gut vorbereitet sind.

    Bieck: Ist das jetzt von Ihnen ein Plädoyer für eine stärkere Führungsrolle der USA in der Welt?

    Kempe: Ich bin der Meinung, dass wir in einer veränderten Welt sind. Stärkere Führung doch, aber auf einer anderen Weise. Wir sind an einem historischen Wendepunkt. Die Verteilung von politischer und wirtschaftlicher Macht in der Welt verändert sich. In Ländern wie China, Brasilien, Türkei wächst die relative Macht. Das heißt, bei dieser Wahl wird ein Präsident gewählt, der Amerikas Rolle in dieser neuen Welt definieren muss, und das ist nicht militärische Macht, wirtschaftliche Macht, soziale Macht, es ist alles von dem. Das ist eine Vorreiterrolle und beide Kandidaten plädieren dafür, aber nicht eine dominante Rolle wie in der Vergangenheit. Das können wir nicht leisten und das will die Welt auch nicht, sodass es ein Führungsstil bedeutet: weniger dominant, mehr durchdacht.

    Bieck: Was bedeutet denn in diesem Zusammenhang, dass Europa gestern mit keinem Wort erwähnt worden ist?

    Kempe: Ja ist das nicht interessant? Ich glaube, Europa wird betrachtet eher als ein wirtschaftliches Problem, das zurzeit die amerikanische Wirtschaft gefährdet, und weniger als ein strategischer wichtiger Partner. Es wird natürlich nach dem Wahlkampf ein sehr wichtiges strategisches Thema und auch wirtschaftliches Thema.

    Klein: Fred Kempe, Präsident des Atlantic Council, im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck über den US-Wahlkampf.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.