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Die Angst als neuer kategorischer Imperativ

Köhler: Bundespräsident Rau hat in einer seiner letzten Reden darauf hingewiesen, die Deutschen seien Meister darin, auf hohem Niveau zu klagen, vieles mies zu machen, schlecht zu reden. Man könne sich da hineinsteigern und die tatsächliche Lage verkennen. Ja, Angst vor der Zukunft sei immer auch ein bisschen bequem und ein schlechter Berater.

Moderation: Michael Köhler |
    Leitender Gedanke des Publizisten und Autors Christian Ankowitsch ist es, dass genau dieses Gefühl der Angst Konjunktur hat, ihm ja sogar eine große Zukunft noch bevorsteht. Vor zwei Jahren hat er das Buch "Generation Emotion" verfasst, und seine These ist einfach: Emotion besiegt Rationalität. Gefühl besiegt Verstand, weil es stärker ist, wirkungsmächtiger. Es ist irgendwie nicht ganz neu, gilt aber in Meinungs-, Stimmungs- und Gefühlsdemokratien mehr als sonst wo. Deshalb möchte ich mit ihm darüber sprechen.

    Es ist also ein beliebtes, ein verbreitetes Gefühl, Angst. Sie haben mal dazu geschrieben, Angst sei ein Gefühl mit Zukunft, denn sie sei quasi immer dabei. Ich erreiche Sie in Wien, wo Sie mit Ihren Kindern unterwegs sind. Ist die Angst jetzt auch dabei?

    Ankowitsch: Ja, eigentlich schon. Mit den Kindern beginnt sie nämlich eine neue Dimension, eine neue Qualität zu kriegen. Man fängt nämlich an, den Blick von den eigenen Dingen abzuwenden und auf Subjekte, auf zwei andere Subjekte zu wenden. Die Angst ist deswegen etwas größer, weil noch ungewisser ist, was mit ihnen passiert.

    Köhler: Angst ist quasi eine Art neuer kategorischer Imperativ, der all unser Handeln und Denken bestimmt, wenn ich Sie richtig da verstehe. Ich frage mich aber, wie sich das, sagen wir mal, von Gefahr oder Risiko unterscheidet, denn Einwilligung in modernes Leben ist ja schlechthin riskant, gefährlich und angstvoll.

    Ankowitsch: Sie überspitzen berechtigterweise und aus journalistischer Hinsicht verständlich meine Kernthese. Aber ich habe, glaube ich, schon in dem Text, auf den Sie mich ansprechen, etwas differenzierter argumentiert. Ich habe gesagt, Angst steht eine große Zukunft bevor, weil die Möglichkeiten, Angst zu empfinden und dass sie zu einem übermächtigen Gefühl wird, stärker werden.

    Ich habe als Belege unter anderem die neue Form vom Terrorismus in Form von Bin Laden zitiert und meinte eben in dem Kontext, wenn Feinde anfangen zu verschwinden, wie zum Beispiel durch Schläfer, also diese Leute, die jahrelang in unserer Mitte leben und dann plötzlich zu fundamentalistischen Kämpfern werden, dann ist es eine völlig neue Dimension von Bedrohungsszenario, die auch eine neue Form von Angst herbeiführt. Ich glaube aber nicht, dass sozusagen der allgemeine Angstpegel wie der Wasserpegel steigt, sondern dass sich die Gewichte des mit Angst Besetzten verschieben. Also die Thematik der Angst verschiebt sich auf andere Problemfelder oder energetische Felder.

    Köhler: Also Angst kann wie eine moderne Waffe eingesetzt werden?

    Ankowitsch: Also das ist der Gedanke, den ich eigentlich am interessantesten finde, wo ich am längsten darüber nachgedacht habe, dass Mind Bombs entstehen. Das klingt sehr groß, aber es ist in letzter Konsequenz die einfache Regel, dass durch das Verschwinden äußerer Gegner, durch die neue Form der terroristischen Bedrohungen und dadurch, dass wir keinen Gegner vor uns haben, wir auf unsere ureigenen Fantasien zurückgeworfen werden. Wie wir alle wissen, sind diese Fantasien selten freundlich, sondern meistens unfreundlich. Das heißt, dieser Form des Terrorismus gelingt es, die Waffe Angst einzusetzen und uns deren Scharfmachung quasi zu überlassen. Das halte ich schon für eine neue Qualität, die so in letzter Konsequenz, glaube ich, noch nicht durchgedrungen ist.

    Köhler: Was ist denn, wenn ich das jetzt mal umdrehe und die Angst nicht vom Objekt her bedenke, das mich bedroht, sondern die Angst von mir her denken, denn die ist doch eigentlich immer geschichtstreibend, kulturtreibend gewesen? Also im Beispiel, wer kein Fell hat und Angst vor Kälte hat, der strickt sich einen Mantel. Soll heißen: Angst ist auch kulturtreibend.

    Ankowitsch: Definitiv ja. Es wäre jetzt eine unzulässige Ideologisierung der Angst, wenn wir jetzt nur diesen einen Aspekt betrachten würden.

    Köhler: Eben. Denn ich hatte Sie verdächtigt, ganz alte Kulturkritik zu betreiben.

    Ankowitsch: Um Himmels Willen, nein. Da bin ich weit davon entfernt. Da bin ich viel zu pragmatisch und katholisch dafür. Angst ist natürlich, wie Sie ganz richtig sagen, ein wesentlicher kulturtreibender Faktor. Von Peter Hanke gibt es sinngemäß diesen schönen Satz, an den ich immer wieder denken muss: Du sagst, die Angst soll aufhören, dann sag doch gleich, dass das Leben aufhören soll. Es ist ein integraler Bestandteil.

    Angst ist auch etwas, was unheimlich die Kreativität fördert, wie jeder weiß, der zum Beispiel Abgabetermine auf sich zurauschen lässt, denn durch die gesteigerte Angst, mit dem Arbeiten nicht fertig zu werden oder Termine nicht zu erreichen, wird ein großes Kompendium an Fähigkeiten in uns stimuliert, die uns zu Höchstleistungen anspornen, zu denen wir sonst nicht in der Lage sind. Das heißt, Leute, die zum Beispiel Deadlines oder Abgabetermine an sich ranrauschen lassen und in letzter Sekunde zu arbeiten anfangen, haben tendenziell eine ganz gute Strategie gewählt, mit ihren Aufgaben fertig zu werden, weil durch die Angst, die sie empfinden zum Beispiel die Hirntätigkeit unheimlich angeregt wird.

    Es ist ein chemischer und physikalischer Vorgang im Hirn, der sich relativ genau nachzeichnen lässt. Unter der Prämisse, dass die Angst nicht überwölbend stark wird, ist sie ein unheimlich treibender positiver Faktor. Plötzlich habe ich zum Beispiel im Zusammenhang mit diesen ganzen Gehirnforschungsthemen entdeckt, dass ich immer eine ganz gute Strategie angewandt habe. Ich habe relativ lange gewartet, bis etwas fertig sein musste, und habe es dann in letzter Sekunde gemacht.

    Köhler: Bleiben wir noch eine Sekunde im Bereich des Poetischen. Der Philosoph Plessner hat mal von den Deutschen gesagt, sie seien eine verspätete Nation. Der Ankowitsch würde sagen, sie ist eine elegische Nation, ein Klagevolk, ein Angstvolk?

    Ankowitsch: Wissen Sie, das sind so große Kategorien, und ich als Österreicher bin da besonders vorsichtig. Ich habe natürlich von einzelnen Städten in Deutschland ein relativ genaues Bild, von Hamburg und Berlin, und in Berlin sehe ich zum Beispiel kein Angstvolk, sondern eher eines, das sich relativ resignativ auf eine Abwärtsbewegung eingelassen hat und dem auch gewisse Kategorien des Positiven abgewinnen kann, was wiederum gut ist. Aber ich glaube, dass wo diese ganze Debatte um Veränderungsdruck und Veränderungsmöglichkeiten herrscht, in Deutschland eine - ganz vorsichtig formuliert - zu große Ängstlichkeit vorherrscht, die dann einen gewissen Modernisierungsschub eher bremst. Also das ist eher die negative Auswirkung.

    Köhler: Wer sich ängstigt, lebt in Sorge. Das ist erst mal noch nicht schlecht, auch nicht zwingend defensiv. Wir reden ja neuerdings so viel von emotionaler Intelligenz. Gibt es nicht auch so etwas wie ängstliche Intelligenz oder Intelligenz des Ängstlichen?

    Akowitsch: Definitiv ja. Da stimme ich Ihnen sehr zu. Dieses Denken in diesen Formen von Gegensätzen kommt mir sehr entgegen. Ich würde auch immer den kulturtreibenden Faktor der Angst betonen wollen. Um auf Ihre Frage nach der Ängstlichkeit der Deutschen zu kommen, die die Reformen ein bisschen behindert, da wird es eben als defensive Angst oder als eine hindernde Angst empfunden, die eigentlich nur sieht, was wird mir weggenommen. Es wird immer projiziert die Vorstellung einer Reform und des Angstlosen auf die anderen, aber es wird nie individualisiert. Insofern herrscht - und wir tun das gerade auch ein bisschen - ein relativ abstrakter Diskurs, haben die Deutschen Angst oder nicht? Was fehlt, ist dieser Individualisierungsschritt dahingehend, dass man es schafft, in die einzelnen Köpfe hineinzubringen, ich bin Teil dieser ganzen Geschichte, und es betrifft mich unmittelbar bis runter in die existentiellsten einfachen Schichten.

    Köhler: Vielen Dank für das Gespräch.