Zagatta: In Bremen tagt heute die Konferenz der Länder-Innenminister mit einer umfangreichen Tagesordnung. Die reicht von Maßnahmen gegen terroristischen Bedrohungen bis hin zur möglichen Abschiebung von in Deutschland lebenden Flüchtlingen. Ein besonders heikles Thema ist der von den Unions-Ländern gewünschte Einsatz der Bundeswehr auch im Inland. Damit wollen wir jetzt auch beginnen, wenn wir jetzt mit Günter Beckstein, dem bayerischen Innenminister, sprechen. Guten Morgen, Herr Beckstein.
Beckstein: Guten Morgen!
Zagatta: Die Bundeswehr im Inland einzusetzen, wie Sie das wünschen, wird ja von den SPD-regierten Ländern und von Bundesinnenminister Schily eindeutig abgelehnt. Hat Ihr Vorstoß da überhaupt Aussichten auf Erfolg?
Beckstein: Wir wissen, dass es hier ideologische Bedenken gibt, aber wir meinen, dass es unter allen Umständen notwendig ist, wenn man die Gefahr der Bedrohung zum Beispiel mit ABC-Waffen durch Terroristen für möglich hält. Deshalb wollen wir, dass man die Fähigkeiten der Bundeswehr zur Bekämpfung solcher Gefahren einsetzt. Die Bundeswehr hat hier eine hohe spezialisierte Ausbildung, wird weltweit eingesetzt, um ABC-Gefahren abzuwehren. Sie wird von Afghanistan bis Kuwait und Balkan eingesetzt. Es macht aus unserer Sicht wenig Sinn, die besondere Fähigkeit zur ABC-Abwehr dann in Deutschland nicht einsetzen zu können.
Zagatta: Stellt sich die Frage in der Praxis? Denn SPD-Politiker argumentieren, dass man bei extremer Gefahr eine Notstandstandssituation nach Paragraph 87 des Grundgesetzes erklären müsse. Dann könnte die Bundeswehr bei jetziger Rechtslage genauso eingesetzt werden. Warum reicht Ihnen das nicht?
Beckstein: Ich halte es nicht für vertretbar, dass man in einer Notlage die Verfassung bricht.
Zagatta: Aber das ist doch in der Verfassung in Notstandssituationen vorgesehen.
Beckstein: In einer echten Notstandssituation ist das nicht vorgesehen. Es ist bei Naturkatastrophen, aber nicht bei Sicherheitskatastrophen vorgesehen.
Zagatta: Das heißt, Sie wollen jetzt in Bremen einbringen, dass das Grundgesetz geändert werden muss.
Beckstein: Wir wollen diese Frage jedenfalls intensiv diskutieren. Nachdem die Bundesregierung nach unserer Meinung sowieso gegen den Schutz durch biologische Angriffe durch Terroristen sehr viel weniger getan hat als unsere EU-Partner und als die Amerikaner, müssen wir uns darüber abstimmen und die Bundesregierung auffordern, hier das Notwendige zu tun, damit die Bevölkerung hier auch den erforderlichen Schutz hat.
Zagatta: Ich muss es jetzt zugeben, dass es mir diesen Artikel 87 des Grundgesetzes nicht ausdrücklich durchgelesen habe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man in eine Situation kommen könnte, in die die Bundeswehr gar nicht eingreifen könnte.
Beckstein: Also, ich kann Ihnen folgendes sagen. Wir haben ja Erfahrungen mit Milzbrand. Im letzten Jahr sind ja Milzbrandbriefe aufgetaucht, bei denen sich ja Gott sei dank herausgestellt hat, dass sie allesamt nicht echt waren. Aber der Versuch, die Bundeswehr zum Beispiel mit ihren Kenntnissen der Untersuchung von Milzbrandbriefen durch das Bundeswehrlabor zur Hilfe zu nehmen, waren allesamt vergeblich. Dass nach über einem Jahr, eine derartige Einbindung nicht möglich war, zeigt allein, wie schwierig das ist. Das kann nach unserer Auffassung nicht so bleiben.
Zagatta: Glauben Sie denn, dass Sie sich da auf irgendetwas einigen können?
Beckstein: Wir haben uns nach dem 11. September in der Runde der Innenminister durch Schaltkonferenzen unterhalten. Unmittelbar nach dem 11. September waren die SPD-Kollegen einschließlich des Bundesinnenministers der Auffassung, dass man hier jedenfalls in bestimmten Bereichen Einsatzmöglichkeiten schaffen solle. Das ist dann unter der ideologischen Vorgabe von Rot-Grün reduziert worden. Wir meinen aber, dass wir über solche ideologischen Vorgaben hinweg das Notwendige tun müssen. Ich will eines aber auch deutlich sagen. Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr bei Demonstrationen im Inneren eingesetzt wird. Aber in ganz speziellen Bereichen, wo die Bundeswehr Fähigkeiten hat, meinen wir, dass sie auch bei Sicherheits- und nicht nur bei Naturkatastrophen einsetzbar ist.
Zagatta: Ein zweites wichtiges Thema bei dieser Innenministerkonferenz ist ein Thema, das auch für Aufregung sorgt. Das ist die mögliche Abschiebung von Flüchtlingen zurück in das Kosovo. Da warnen Hilfsorganisationen jetzt schon davor, ethnische Minderheiten wie Serben oder Roma, in das mehrheitlich von Albanern bewohnte Gebiet wieder zurückzuschicken. Sie seien dort nach wie vor nicht sicher. Wollen Sie diese Menschen trotzdem abschieben?
Beckstein: Wir wollen diese Menschen tatsächlich in den Kosovo zurückführen, allerdings nur in Abstimmung mit den örtlichen Behörden und internationalen Organisationen. Deswegen war einer unserer Kollegen im Kosovo und hat festgestellt, dass hier Rückführungsmöglichkeiten bestehen. Die wollen wir dann auch anwenden, natürlich nur mit der erforderlichen Sensibilität. Das soll weder geschehen, um den Kosovo zu destabilisieren, noch um einzelne in Gefahr zu bringen.
Zagatta: Aber da sagte ja auch der Beauftragte der UNO oder auch der Bundesregierung, dass er dennoch Bedenken habe. Kann man denn die Menschen zur Rückkehr zwingen, solange es solche Bedenken gibt? Oder müsste man nicht den Flüchtlingen im Zweifelsfalle das Bleiben ermöglichen?
Beckstein: Also die Hilfsorganisationen wollen ja ein dauerhaftes Bleiberecht. Da müssen wir deutlich sagen, dass es das nicht geben wird und kann.
Zagatta: Wird es denn ein zeitlich befristetes Bleiberecht geben?
Beckstein: Dass wir bei der Rückführung auf die Belange der Betroffenen Rücksicht nehmen, haben wir in den letzten Jahren gezeigt. Das werden wir auch in den nächsten Monaten zeigen. Wir wollen den Kosovo nicht destabilisieren. Aber dass eine Rückführung nicht in Tausenden, aber in einer nennenswerten Zahl von Einzelfällen in Abstimmung mit den Behörden möglich ist, wurde unserem Kollegen bei seiner Reise in den Kosovo gesagt. Das wird, so nehme ich an, auch der Bundesinnenminister heute bestätigen. Wenn das möglich ist, sollte es in dieser Form, noch mal mit Rücksicht auf die internationalen Behörden des Kosovo und auf die Einzelnen erfolgen.
Zagatta: Ob der mögliche EU-Beitritt der Türkei die Innenminister heute auch beschäftigt, weiß ich nicht. Aber das ist ja ein Thema, das Ihre Partei jetzt ganz besonders umtreibt. Jetzt haben Schröder und Frankreichs Präsident Chirac gestern Abend zusammen in einer gemeinsamen Erklärung dafür plädiert, der Türkei beim EU-Gipfel nächste Woche eine konkrete Perspektive zu nennen. Kommt man denn jetzt daran überhaupt noch vorbei?
Beckstein: Die CDU und CSU halten es für falsch. Ich halte es auch für falsch, wenn wir der Türkei in den nächsten Jahren die volle Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben. Jeder muss wissen, dass die Türkei nicht nur flächenmäßig mit Abstand das größte Land in der Europäischen Union, sondern bis zum Beitrittszeitpunkt auch bevölkerungsmäßig das größte Land ist. Das bedeutet auch, dass die EU auch die größte Zahl von Abgeordneten in europäischen Parlament hat. Gleichzeitig ist die Türkei das Land mit der niedrigsten wirtschaftlichen Entwicklung. Gleichzeit ist sie ein Land, das eine deutlich unterschiedliche kulturelle Vergangenheit hat. Wir wollen ein besonders freundschaftliches und eng angebundenes Verhältnis der Türkei an die EU über die Assoziation hinaus, aber wir halten eine volle Mitgliedschaft für falsch.
Zagatta: Sie haben die CDU und CSU genannt. Bei der CDU gibt es jetzt auch Stimmen, der CDU-Politiker Volker Rühe hat sich geäußert und gesagt, er will der Türkei die EU-Mitgliedschaft offen halten.
Beckstein: Ich weiß, dass Volker Rühe, das ist keine neue Einschätzung, es unter außenpolitischen Gründen für wichtig hält, die Türkei an die Europäische Union anzubinden und ihr auch die Perspektive auf eine volle Mitgliedschaft zu geben. Bei den Gesprächen mit uns hat er aber auch gesagt, dass er es für falsch halte, so etwas in den nächsten 10 Jahren anzugehen. Aber die große und übereinstimmende Meinung ist, dass wir in diesem Monat Dezember 10 Mitgliedsländer mit 100 Millionen in die EU aufnehmen. Wenn dann gleichzeitig eine weitere Aufnahme der EU, wie das von Schröder durchgeboxt werden soll, mit der Türkei geplant ist, dann wird das die EU in Turbulenzen bringen und den deutschen Interessen nicht entsprechen.
Zagatta: Aber der Kanzler beruft sich da ja ausdrücklich auch die Politik von Helmut Kohl. Der hat das ja als Kanzler auch öffentlich erklärt. Das hat Schröder ja gestern in der Haushaltsdebatte ausdrücklich angeführt.
Beckstein: Das ist aber falsch. Jeder, der sich ein bisschen mit den Dingen beschäftigt hat, weiß, dass Helmut Kohl sehr deutlich gemacht hat, dass die Türkei nicht Vollmitglieder der EU werden kann. Da gibt es auch diesen Satz, den die Türken Kohl vorwerfen. Sie sagen nämlich, er wolle die EU zu einem Christen-Club reduzieren. Kohl hat hier deutlich gemacht, dass das in überschaubarer Zeit nicht in Frage kommt. Schröder ist die treibende Kraft des Beitritts in die EU, und zwar einerseits weil er Wiedergutmachung an die Amerikaner zu leisten hat und möglicherweise andererseits, weil er sich auch Wahlinteressen verspricht. Aber ich bin überzeugt und die Union ist überzeugt, dass es deutschen Interessen nicht entspricht, wenn wir in den nächsten Jahren - ich rede nicht von 2020 - das heißt in 2005 oder 2006 die Türkei als Vollmitglied hat. Wir müssten zu engsten Kontakten kommen. Ich habe die Aufhebung der Visumsfreiheit vorgeschlagen, wenn ein Rückführungsabkommen bezüglich derer möglich ist, die sich illegal hier aufhalten oder Sozialleistungen haben. Aber weiter wollen wir nicht gehen.
Link: Interview als RealAudio
Beckstein: Guten Morgen!
Zagatta: Die Bundeswehr im Inland einzusetzen, wie Sie das wünschen, wird ja von den SPD-regierten Ländern und von Bundesinnenminister Schily eindeutig abgelehnt. Hat Ihr Vorstoß da überhaupt Aussichten auf Erfolg?
Beckstein: Wir wissen, dass es hier ideologische Bedenken gibt, aber wir meinen, dass es unter allen Umständen notwendig ist, wenn man die Gefahr der Bedrohung zum Beispiel mit ABC-Waffen durch Terroristen für möglich hält. Deshalb wollen wir, dass man die Fähigkeiten der Bundeswehr zur Bekämpfung solcher Gefahren einsetzt. Die Bundeswehr hat hier eine hohe spezialisierte Ausbildung, wird weltweit eingesetzt, um ABC-Gefahren abzuwehren. Sie wird von Afghanistan bis Kuwait und Balkan eingesetzt. Es macht aus unserer Sicht wenig Sinn, die besondere Fähigkeit zur ABC-Abwehr dann in Deutschland nicht einsetzen zu können.
Zagatta: Stellt sich die Frage in der Praxis? Denn SPD-Politiker argumentieren, dass man bei extremer Gefahr eine Notstandstandssituation nach Paragraph 87 des Grundgesetzes erklären müsse. Dann könnte die Bundeswehr bei jetziger Rechtslage genauso eingesetzt werden. Warum reicht Ihnen das nicht?
Beckstein: Ich halte es nicht für vertretbar, dass man in einer Notlage die Verfassung bricht.
Zagatta: Aber das ist doch in der Verfassung in Notstandssituationen vorgesehen.
Beckstein: In einer echten Notstandssituation ist das nicht vorgesehen. Es ist bei Naturkatastrophen, aber nicht bei Sicherheitskatastrophen vorgesehen.
Zagatta: Das heißt, Sie wollen jetzt in Bremen einbringen, dass das Grundgesetz geändert werden muss.
Beckstein: Wir wollen diese Frage jedenfalls intensiv diskutieren. Nachdem die Bundesregierung nach unserer Meinung sowieso gegen den Schutz durch biologische Angriffe durch Terroristen sehr viel weniger getan hat als unsere EU-Partner und als die Amerikaner, müssen wir uns darüber abstimmen und die Bundesregierung auffordern, hier das Notwendige zu tun, damit die Bevölkerung hier auch den erforderlichen Schutz hat.
Zagatta: Ich muss es jetzt zugeben, dass es mir diesen Artikel 87 des Grundgesetzes nicht ausdrücklich durchgelesen habe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man in eine Situation kommen könnte, in die die Bundeswehr gar nicht eingreifen könnte.
Beckstein: Also, ich kann Ihnen folgendes sagen. Wir haben ja Erfahrungen mit Milzbrand. Im letzten Jahr sind ja Milzbrandbriefe aufgetaucht, bei denen sich ja Gott sei dank herausgestellt hat, dass sie allesamt nicht echt waren. Aber der Versuch, die Bundeswehr zum Beispiel mit ihren Kenntnissen der Untersuchung von Milzbrandbriefen durch das Bundeswehrlabor zur Hilfe zu nehmen, waren allesamt vergeblich. Dass nach über einem Jahr, eine derartige Einbindung nicht möglich war, zeigt allein, wie schwierig das ist. Das kann nach unserer Auffassung nicht so bleiben.
Zagatta: Glauben Sie denn, dass Sie sich da auf irgendetwas einigen können?
Beckstein: Wir haben uns nach dem 11. September in der Runde der Innenminister durch Schaltkonferenzen unterhalten. Unmittelbar nach dem 11. September waren die SPD-Kollegen einschließlich des Bundesinnenministers der Auffassung, dass man hier jedenfalls in bestimmten Bereichen Einsatzmöglichkeiten schaffen solle. Das ist dann unter der ideologischen Vorgabe von Rot-Grün reduziert worden. Wir meinen aber, dass wir über solche ideologischen Vorgaben hinweg das Notwendige tun müssen. Ich will eines aber auch deutlich sagen. Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr bei Demonstrationen im Inneren eingesetzt wird. Aber in ganz speziellen Bereichen, wo die Bundeswehr Fähigkeiten hat, meinen wir, dass sie auch bei Sicherheits- und nicht nur bei Naturkatastrophen einsetzbar ist.
Zagatta: Ein zweites wichtiges Thema bei dieser Innenministerkonferenz ist ein Thema, das auch für Aufregung sorgt. Das ist die mögliche Abschiebung von Flüchtlingen zurück in das Kosovo. Da warnen Hilfsorganisationen jetzt schon davor, ethnische Minderheiten wie Serben oder Roma, in das mehrheitlich von Albanern bewohnte Gebiet wieder zurückzuschicken. Sie seien dort nach wie vor nicht sicher. Wollen Sie diese Menschen trotzdem abschieben?
Beckstein: Wir wollen diese Menschen tatsächlich in den Kosovo zurückführen, allerdings nur in Abstimmung mit den örtlichen Behörden und internationalen Organisationen. Deswegen war einer unserer Kollegen im Kosovo und hat festgestellt, dass hier Rückführungsmöglichkeiten bestehen. Die wollen wir dann auch anwenden, natürlich nur mit der erforderlichen Sensibilität. Das soll weder geschehen, um den Kosovo zu destabilisieren, noch um einzelne in Gefahr zu bringen.
Zagatta: Aber da sagte ja auch der Beauftragte der UNO oder auch der Bundesregierung, dass er dennoch Bedenken habe. Kann man denn die Menschen zur Rückkehr zwingen, solange es solche Bedenken gibt? Oder müsste man nicht den Flüchtlingen im Zweifelsfalle das Bleiben ermöglichen?
Beckstein: Also die Hilfsorganisationen wollen ja ein dauerhaftes Bleiberecht. Da müssen wir deutlich sagen, dass es das nicht geben wird und kann.
Zagatta: Wird es denn ein zeitlich befristetes Bleiberecht geben?
Beckstein: Dass wir bei der Rückführung auf die Belange der Betroffenen Rücksicht nehmen, haben wir in den letzten Jahren gezeigt. Das werden wir auch in den nächsten Monaten zeigen. Wir wollen den Kosovo nicht destabilisieren. Aber dass eine Rückführung nicht in Tausenden, aber in einer nennenswerten Zahl von Einzelfällen in Abstimmung mit den Behörden möglich ist, wurde unserem Kollegen bei seiner Reise in den Kosovo gesagt. Das wird, so nehme ich an, auch der Bundesinnenminister heute bestätigen. Wenn das möglich ist, sollte es in dieser Form, noch mal mit Rücksicht auf die internationalen Behörden des Kosovo und auf die Einzelnen erfolgen.
Zagatta: Ob der mögliche EU-Beitritt der Türkei die Innenminister heute auch beschäftigt, weiß ich nicht. Aber das ist ja ein Thema, das Ihre Partei jetzt ganz besonders umtreibt. Jetzt haben Schröder und Frankreichs Präsident Chirac gestern Abend zusammen in einer gemeinsamen Erklärung dafür plädiert, der Türkei beim EU-Gipfel nächste Woche eine konkrete Perspektive zu nennen. Kommt man denn jetzt daran überhaupt noch vorbei?
Beckstein: Die CDU und CSU halten es für falsch. Ich halte es auch für falsch, wenn wir der Türkei in den nächsten Jahren die volle Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben. Jeder muss wissen, dass die Türkei nicht nur flächenmäßig mit Abstand das größte Land in der Europäischen Union, sondern bis zum Beitrittszeitpunkt auch bevölkerungsmäßig das größte Land ist. Das bedeutet auch, dass die EU auch die größte Zahl von Abgeordneten in europäischen Parlament hat. Gleichzeitig ist die Türkei das Land mit der niedrigsten wirtschaftlichen Entwicklung. Gleichzeit ist sie ein Land, das eine deutlich unterschiedliche kulturelle Vergangenheit hat. Wir wollen ein besonders freundschaftliches und eng angebundenes Verhältnis der Türkei an die EU über die Assoziation hinaus, aber wir halten eine volle Mitgliedschaft für falsch.
Zagatta: Sie haben die CDU und CSU genannt. Bei der CDU gibt es jetzt auch Stimmen, der CDU-Politiker Volker Rühe hat sich geäußert und gesagt, er will der Türkei die EU-Mitgliedschaft offen halten.
Beckstein: Ich weiß, dass Volker Rühe, das ist keine neue Einschätzung, es unter außenpolitischen Gründen für wichtig hält, die Türkei an die Europäische Union anzubinden und ihr auch die Perspektive auf eine volle Mitgliedschaft zu geben. Bei den Gesprächen mit uns hat er aber auch gesagt, dass er es für falsch halte, so etwas in den nächsten 10 Jahren anzugehen. Aber die große und übereinstimmende Meinung ist, dass wir in diesem Monat Dezember 10 Mitgliedsländer mit 100 Millionen in die EU aufnehmen. Wenn dann gleichzeitig eine weitere Aufnahme der EU, wie das von Schröder durchgeboxt werden soll, mit der Türkei geplant ist, dann wird das die EU in Turbulenzen bringen und den deutschen Interessen nicht entsprechen.
Zagatta: Aber der Kanzler beruft sich da ja ausdrücklich auch die Politik von Helmut Kohl. Der hat das ja als Kanzler auch öffentlich erklärt. Das hat Schröder ja gestern in der Haushaltsdebatte ausdrücklich angeführt.
Beckstein: Das ist aber falsch. Jeder, der sich ein bisschen mit den Dingen beschäftigt hat, weiß, dass Helmut Kohl sehr deutlich gemacht hat, dass die Türkei nicht Vollmitglieder der EU werden kann. Da gibt es auch diesen Satz, den die Türken Kohl vorwerfen. Sie sagen nämlich, er wolle die EU zu einem Christen-Club reduzieren. Kohl hat hier deutlich gemacht, dass das in überschaubarer Zeit nicht in Frage kommt. Schröder ist die treibende Kraft des Beitritts in die EU, und zwar einerseits weil er Wiedergutmachung an die Amerikaner zu leisten hat und möglicherweise andererseits, weil er sich auch Wahlinteressen verspricht. Aber ich bin überzeugt und die Union ist überzeugt, dass es deutschen Interessen nicht entspricht, wenn wir in den nächsten Jahren - ich rede nicht von 2020 - das heißt in 2005 oder 2006 die Türkei als Vollmitglied hat. Wir müssten zu engsten Kontakten kommen. Ich habe die Aufhebung der Visumsfreiheit vorgeschlagen, wenn ein Rückführungsabkommen bezüglich derer möglich ist, die sich illegal hier aufhalten oder Sozialleistungen haben. Aber weiter wollen wir nicht gehen.
Link: Interview als RealAudio