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Die anstehenden Fragen im Verteidigungsbereich

    Engels: Bundeskanzler Schröder ist strikt gegen ein militärisches Engagement deutscher Soldaten in einem etwaigen Krieg gegen den Irak. Diese klare Aussage hat er mehrfach unterstrichen und das verhalf ihm wohl auch zu einem erheblichen Teil zu seiner Wiederwahl. Doch die strikte Ablehnung macht in der praktischen Umsetzung zunehmend Schwierigkeiten. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete gestern, dass die USA für einen Kriegsfall bei der NATO um die Bereitstellung von Bündnis-Flugzeugen gebeten habe. Betroffen davon seien auch Aufklärungsflugzeuge des Typs AWACS. Das sind nun Maschinen, die in Deutschland stationiert sind und zu einem Drittel auch von deutschen Soldaten geflogen werden. Also, im Ernstfall doch deutsche Soldaten in Richtung Irak? Am Telefon ist nun Kerstin Müller von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Frau Müller.

    Müller: Guten Morgen.

    Engels: Gibt es diese Anfrage nach AWACS-Maschinen?

    Müller: Die USA konsultieren hier eben auch im NATO-Rat zur Zeit die Verbündeten für den Fall, dass es, wie wir nicht hoffen, keine friedliche Lösung im Irak gibt. Es gibt aber keine formelle Anfrage, insofern auch keinen Entscheidungsbedarf.

    Engels: Ein NATO-Sprecher hat wohl gegenüber der Sonntagszeitung bestätigt, dass es eine Anfrage gäbe. Was würden Sie machen, wenn sie käme?

    Müller: Darüber kann ich jetzt nicht spekulieren. Es gibt zur Zeit keine formelle Anfrage, erst Recht nicht an uns, und insofern gibt es keinen Entscheidungsbedarf und auch keinen Bedarf, über irgendetwas zu spekulieren. Es bleibt bei unserer Position: Keine deutsche Beteiligung an einer Irak-Intervention. Ich finde, die öffentliche Debatte sollte sich mal darauf konzentrieren, dass man hier zu einer friedlichen Lösung im Irak kommt. Es gibt die Resolution. Es wurde diese Nacht der 12000-seitige Bericht des Iraks übergeben. Der wird jetzt untersucht, und wir hoffen eben immer noch und setzen dabei sehr auf die Waffeninspektoren - gute Leute dort -, dass es zu einer friedlichen Abrüstung, zu einer friedlichen Lösung im Irak-Krieg kommt. Hier hat Saddam Hussein das in der Hand, für Sicherheit und Stabilität in der Region zu sorgen.

    Engels: Darauf kommen wir gleich bestimmt ausführlicher zu sprechen. Noch einmal eine Frage nach diesen Maschinen: Wenn eine Anfrage käme - ich weiß, ich spekuliere -, würden Sie dann den deutschen Soldaten den Mitflug verbieten? So was überlegt man doch bestimmt schon mal im Vorfeld, oder?

    Müller: Ich sagte Ihnen doch schon - die Frage habe ich doch gerade schon beantwortet -, dass es keinen Entscheidungsbedarf gibt, weil keine Anfrage vorliegt, und deshalb werde ich da jetzt sicher nicht darüber spekulieren. Unsere Position ist klar: Wir werden uns nicht an einem möglichen Irak-Krieg beteiligen. Aber, wie gesagt, ich finde das nicht sehr hilfreich, dass man öffentlich immer nur darüber spekuliert, dass es vielleicht doch zu einem Irak-Krieg kommt, sondern wir wollen ja von der deutschen Seite alles dazu tun, dass es nicht dazu kommt, dass es zu einer friedlichen Lösung kommt. Wir werden die Waffeninspektoren bei ihrer Arbeit, bei allem was uns möglich ist, unterstützen. Wir müssen jetzt abwarten: Was hat dieser Bericht gebracht? Ist er umfassend? Belegt er, dass der Irak umfassend kooperiert? Das wird jetzt abgeglichen mit dem, was die UN für Daten und Informationen hat. Die UN-Resolution ist ein echter Kompromiss gewesen, der die Chance für eine friedlichen Lösung im Irak gibt, und deshalb hoffe ich, es kommt gar nicht erst dazu. Dann muss man auch nicht darüber spekulieren: Was wäre wenn?

    Engels: Welche Signale erhalten Sie denn dazu aus Washington, denn es hängt ja zu einem erheblichen Teil davon ab, was die Vereinigten Staaten von dem Bericht halten. Bis jetzt war da ja Skepsis angesagt. Glauben Sie wirklich, die Amerikaner lassen sich von dem Bericht überzeugen?

    Müller: Zunächst muss dieser Bericht ja erst einmal angeschaut und geprüft werden. Er ist sehr umfangreich und es ist ja sehr deutlich von der IAEA und auch von den Inspektoren gesagt worden, dass niemand zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbindlich sagen kann, was in diesem Bericht steht. Die Untersuchung wird aber in den nächsten Tagen erfolgen.

    Engels: Was wäre denn, wenn die Inspektoren beziehungsweise die Prüfer nicht zufrieden sind? Welche kommenden Schritte könnte dann die Bundesregierung noch mittragen?

    Müller: Also, jetzt schauen wir erst mal, was bei diesem Bericht herauskommt. Die Resolution ist sehr deutlich. Sie sagt: Wenn es hier eine Verletzung gibt, also wenn der Irak nicht eng und bedingungslos kooperiert, wenn er hier nicht darlegt, was seine Waffenprogramme sind - der Irak behauptet, er verfüge nicht über Massenvernichtungswaffen und auch nicht über das Potenzial -, dann wird das auch im Irak untersucht werden, und sollten die Waffeninspektoren zu einem anderen Ergebnis kommen als der vorgelegte Bericht, dann wird darüber im Sicherheitsrat beraten. Es muss noch einmal beraten werden - das sieht die Resolution vor, und dann entscheiden die Sicherheitsratsmitglieder was zu tun ist.

    Engels: Frau Müller, bleiben wir beim militärischen Material, verschieben aber den Blickwinkel, und zwar in Richtung Israel. Derzeit besucht der israelische Präsident Katzav Deutschland und er hat im Vorfeld noch einmal deutlich gemacht, dass Israel sehr gerne die angefragten Fuchs-Transport-Panzer hätte. Sie haben das abgelehnt. Bleiben Sie dabei?

    Müller: Der Verteidigungsminister hat, glaube ich, das Nötige dazu gesagt, dass zur Zeit keine Fuchspanzer verfügbar sind und insofern erübrigt sich hier eine weitere Prüfung.

    Engels: Würden Sie denn Ihre Haltung ändern, wenn garantiert würde, dass diese Panzer nicht zum Einsatz - möglicherweise gegen Palästinenser - käme?

    Müller: Ich meine, dass das eine ziemlich absurde Frage ist, weil, wie gesagt, dadurch dass der Verteidigungsminister gesagt hat, dass wir zur Zeit keine Fuchspanzer verfügbar haben, das auch nicht weiter geprüft werden können. Davon gehe ich aus. Ansonsten ist ganz klar: Die Grundlage für solche Prüfungen sind die Rüstungsexportrichtlinien. Entschieden wird das Ganze in einem geheimtagenden Gremium, nämlich dem Bundessicherheitsrat. Natürlich ist es immer so, dass wir ein besonders Verhältnis zu Israel aufgrund unserer Geschichte und unserer Verpflichtungen haben, und diese Dinge fließen in solche Entscheidungen ein. Aber hier gibt es ja eine andere Sachlage.

    Engels: Belastet denn diese Panzerfrage das deutsch-israelische Verhältnis?

    Müller: Nein, nein. Das würde ich überhaupt nicht so sehen. Das deutsch-israelische Verhältnis ist ja von vielen Dingen geprägt. Von den gesellschaftlichen Beziehungen: Wir haben heute den Besuch des Präsidenten Katzav, der gestern eine Synagoge in Wuppertal eingeweiht hat - ein historisches Ereignis. Das sind wichtige Fragen, glaube ich, für die israelische Seite, für die israelische Gesellschaft. Man hat sich dort vor allen Dingen zu Wahlkampfzeiten Sorgen darüber gemacht, dass es einen wiedererstarkenden Antisemitismus gibt aufgrund bestimmter Äußerungen, die etwa Herr Möllemann gemacht hat, der sogar mit dieser Frage versucht hat, auf Stimmenfang zu gehen. Das ist etwas, was die israelische Öffentlichkeit sehr beunruhigt hat, und, das wir und alle Teile der Bundesregierung - insbesondere auch als Grüne -, glaube ich, sehr klar gestellt haben, dass wir der Meinung sind, dass man mit Antisemitismus nicht auf Stimmenfang gehen darf und dass wir dafür sorgen wollen, dass Juden in Deutschland hier auch ihre Heimat haben und dass es nie wieder passieren darf, dass sie darüber nachdenken, das Land zu verlassen.

    Engels: Präsident Katzav hat gestern schon auch Deutschland zu mehr Unterstützung Israels im Kampf gegen mögliche Anschläge aufgefordert. Werden Sie dem nachkommen?

    Müller: Zu dieser generellen Frage kann ich nur sagen: Wir setzen uns ja sehr nachdrücklich für eine friedliche Lösung, auch im Nahen Osten, ein. Auch hier gilt, glaube ich, dass Gewalt und Gewalteskalationen nicht zum Frieden führen, sondern dass es unbedingt notwendig ist, dass zügig Verhandlungen aufgenommen werden, dass die verschiedenen Konfliktfragen zwischen Palästinensern und Israelis im Zuge solcher Verhandlungen versucht werden zu lösen. Also, die Frage der Anerkennung eines eigenständigen Staates, die Frage des Rückzuges aus den Siedlungen auf israelischer Seite, die Reformen in palästinensischen Autonomiegebieten, Flüchtlingsrückkehr, Jerusalem. Das alles ist ja schon lange bekannt. Es gibt das Quartett, das hier darauf drängt, dass es endlich zu Friedensverhandlungen kommt.

    Engels: Frau Müller, zum Abschluss noch ein Wort zur spektakulären Grünen-Parteitagslogik gestern. Sind die Grünen nach diesem Umbruch geschwächt?

    Müller: Nein. Ich bedaure sicherlich die Entscheidung, dass es hier nicht zu einer Übergangsregelung gekommen ist, aber wir haben einen guten Vorstand gewählt, und dieser Vorstand wird vom Parteirat, aus der Partei, von der Fraktion alle Unterstützung erhalten. Wir werden uns jetzt wieder darauf konzentrieren, was vor uns liegt, die Reformpolitik in Deutschland voranzubringen. Das ist die große Erwartung von unseren Wählerinnen und Wählern, und ich bin sehr zuversichtlich, dass auch dieser Vorstand genau diese Fragen anpacken wird.

    Engels: Vielen Dank. Das war Kerstin Müller. Sie gehört Bündnis 90/Den Grünen an, und ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio