Archiv


Die anstehenden Maßnahmen im Gesundheitswesen

    Simon: Ein Notpaket aus dem Hause Schmidt kommt heute zur ersten Lesung in den Bundestag. Der Rentenbeitrag soll auf 19,5 Prozent steigen und dem Gesundheitswesen wird breite Kostendämpfung verordnet. Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen bis Ende 2003 nur in Ausnahmefällen ihre Beiträge erhöhen. Pharmaindustrie, Großhändler und Apotheken müssen den Krankenkassen höhere Rabatte gewähren. Ärzten und Krankenhäusern wird eine Nullrunde verordnet, von der es aber eine Reihe von Ausnahmen geben wird. Man erhofft sich so Einsparungen von etwa drei Milliarden Euro, ein Vorgeschmack auf eine große Gesundheitsreform, die 2004 kommen soll. - Am Telefon begrüße ich Horst Seehofer, den sozialpolitischen Experten der Unionsfraktion. Guten Morgen!

    Seehofer: Guten Morgen Frau Simon.

    Simon: Herr Seehofer, die Proteste von allen Seiten sind groß. Erinnert Sie das an Ihre Zeit als Bundesgesundheitsminister?

    Seehofer: Ja, sehr wohl, denn ich bin auch 1992 angetreten mit ähnlichen Maßnahmen und wir mussten die Erfahrung machen, dass sie praktisch wirkungslos waren. Am Ende waren die Defizite noch höher und die Versorgung schlechter. Deshalb prophezeie ich, dass den gleichen Weg auch Frau Schmidt gehen wird. Das sind Instrumente, die in der Vergangenheit bereits angewandt wurden und sich als untauglich erwiesen haben.

    Simon: Sie waren damals zu Beginn, als Sie diese Maßnahmen einführten, aber recht stolz und Sie erreichten damals zu Beginn auch eine deutliche Senkung der Kosten im Gesundheitswesen. Trotzdem sagen Sie rückblickend, das war falsch und das was Frau Schmidt heute macht ist auch genauso falsch?

    Seehofer: Ja. Sie haben zurecht von "zu Beginn" gesprochen. "Sie waren zu Beginn stolz" haben Sie gesagt und genauso war es. Wir hatten am Anfang für einige Monate Erfolg. Zum Beispiel haben wir damals auch die Preise für die Arzneimittel abgesenkt durch Gesetz, um festzustellen, dass nach Schluss dieses Preisstopps die Arzneimittelpreise in viel größerem Umfange wieder erhöht wurden. Genauso haben wir zahntechnische Leistungen abgesenkt, um festzustellen, dass dann auf breiter Front nach diesem Preisstopp die Preise galoppiert sind. Aus dem Überschuss der Krankenkassen damals wurde sehr schnell wieder ein gigantisches Defizit. Und was noch schlimmer war, dass sich gleichzeitig die Versorgung der Patienten verschlechtert hat.

    Simon: Was würden Sie heute anders machen, eingerechnet den Widerstand, den Sie ja heftigst auch erlebt haben von allen verschiedenen Seiten, von den Lobbys? Was könnten Sie heute anders durchsetzen?

    Seehofer: Frau Simon, man muss wissen, dass die Krankenversicherung in den letzten zwei, drei Jahren massiv von der Politik mit zusätzlichen Lasten belastet wurde, zum Beispiel dadurch, dass der Bundesfinanzminister für Arbeitslose geringere Krankenversicherungsbeiträge an die gesetzlichen Krankenkassen bezahlt hat. Dieses, was man in der Fachsprache als "Verschiebebahnhof" bezeichnet, also der Bund entlastet sich und schiebt den Krankenkassen neue finanzielle Lasten zu, dieser Verschiebebahnhof soll ja fortgesetzt werden. Es sollen ja etwa zwei Milliarden Euro den Krankenkassen jetzt neu an Lasten aufgebürdet werden, wodurch der Bundeshaushalt entlastet wird. Das ist die erste und wichtigste Maßnahme, dass dieser Verschiebebahnhof beendet wird, denn es ist überhaupt nicht einzusehen, warum gigantische Sparmaßnahmen auf den Weg gesetzt werden und gleichzeitig werden den Krankenkassen neue Lasten zugeschoben.

    Simon: Ist das nicht ein Problem, was man immer schon hatte, wie zum Beispiel auch bei der Rente, die versicherungsfremden Leistungen?

    Seehofer: Ja. Bei der Rente hat man im Laufe der Jahre die versicherungsfremden Leistungen richtig finanziert, nämlich aus Steuermitteln, damit nicht nur die Beitragszahler belastet sind. Niemand kann heute mehr behaupten – das würden wir auch nicht als Opposition tun -, dass die Rentenversicherung noch mit versicherungsfremden Leistungen belastet ist, die nicht aus dem Steuertopf bezahlt werden. Was ganz wichtig ist für die Finanzlage der Krankenversicherung, dass wir viel schneller zu einer anderen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik kommen, denn die Krankenversicherung hat ja vor allem ein Einnahmeproblem. Es sind ja weniger die Ausgaben, die explodieren. Sie haben ein Einnahmeproblem durch die falsche Arbeitsmarktpolitik. Deshalb müsste das viel rascher gehen, mehr Jobs zu schaffen, um mehr Beitragszahler zu bekommen. Das sind zwei ganz wichtige Aufgaben und dann sind halt leider einige Jahre verschlafen worden mit einer großen Strukturreform im Gesundheitswesen, die allerdings nicht so vorgehen kann, dass man mit Nullrunden fährt, sondern wo Strukturen verändert werden müssen, zum Beispiel mehr Transparenz für die Versicherten, also eine Rechnung über die Arztleistung, oder wirklich mal in Deutschland jetzt mehr Prävention zu verwirklichen, um Krankheiten zu vermeiden durch Früherkennung und Gesundheitsvorsorge. Das ist ja unser Vorschlag, einen Beitragsnachlass für jene vorzusehen, die regelmäßig Vorsorge oder Früherkennungsmaßnahmen durchführen. Ein weiteres wäre, die Monopole bei den Kassen und bei den kassenärztlichen Vereinigungen aufzubrechen, damit mehr Vertragswettbewerb entsteht.

    Simon: Was würde das bedeuten, wenn Sie sagen die Monopole aufbrechen?

    Seehofer: Dass eben eine Krankenkasse mit einem Arzt Gruppenverträge machen kann, dass ein Wettbewerb entsteht um die bestmögliche Versorgung von kranken Menschen. Heute ist das alles zentralistisch und einheitlich im wesentlichen in Berlin geregelt, und zwar für ganz Deutschland. Warum sollen nicht die Krankenkassen, die Krankenhäuser und Ärzte für eine Region Verträge über die Organisation der Versorgung von kranken Menschen gestalten können. Das ist heute alles bürokratisch zentralistisch und ohne Selbstbestimmungsmöglichkeit für die Betroffenen.

    Simon: Was halten Sie denn in dem Zusammenhang von Vorschlägen, dass auch die Krankenkassen künftig an den kassenärztlichen Vereinigungen vorbei mit einzelnen Ärzten Verträge abschließen können?

    Seehofer: Prinzipiell halte ich den Vorschlag für richtig. Ich bin ja für das Auflockern von Monopolen. Allerdings muss der Sicherstellungsauftrag für die ärztliche Versorgung bei den kassenärztlichen Vereinigungen bleiben, also für Menschen, die nicht jeden Tag mit dem Sozialgesetzbuch zu tun haben. Die Verantwortung dafür, dass die ärztliche Versorgung der Menschen funktioniert, hat der Gesetzgeber den kassenärztlichen Vereinigungen seit vielen Jahrzehnten übertragen. Also Auflockerung der Vertragsmöglichkeiten, auch mit einzelnen Arztgruppen Verträge schließen, aber die Letztverantwortung, dass eine medizinische Versorgung der Bevölkerung gut funktioniert und mit guter Qualität, die muss bei den kassenärztlichen Vereinigungen bleiben.

    Simon: Herr Seehofer, können Sie sich in den wenigen Punkten im Gesundheitsbereich wie den gerade genannten, in denen Sie einigermaßen mit dem, was die Regierung vor hat, übereinstimmen, vorstellen, auch mit ihr zusammenzuarbeiten, so wie das vor fast zehn Jahren die SPD auch mit Ihnen getan hat?

    Seehofer: Ja, Frau Simon. Die SPD war in der Tat vor zehn Jahren bereit, aber sie hat auch von mir verlangt, dass man von Irrwegen Abstand nimmt. Genauso sage ich heute, Frau Schmidt müsste einfach von den Dingen, die auch in der Vergangenheit sich schon nicht bewährt haben, Abschied nehmen. Sie müsste den Irrweg beenden und einfach offen auf die Opposition zugehen. Dann kann man durchaus in ein Gespräch kommen. Nur nicht auf der Grundlage von staatlicher Reglementierung, Bürokratisierung und Budgetierung, denn diese Instrumente sind nachweislich gescheitert in der Vergangenheit.

    Simon: Also Sie meinen Frau Schmidt hätte aus dem, was Sie erlebt haben, lernen müssen?

    Seehofer: Ja und was sie teilweise selbst erlebt hat. Sie hat ja selbst auch erlebt, dass bei ihr die Beiträge steigen und die Leistung schlechter geworden ist. Deshalb wundert es mich, dass sie an diesen planwirtschaftlichen Instrumenten festhält.

    Simon: Sie haben ja wirklich als Gesundheitsminister erlebt, was die Lobbys im Gesundheits- und Sozialbereich in Deutschland können. Heute schreibt "die Zeit", Partikularinteressen haben Deutschlands Gesundheitssystem ruiniert. Ist das auch Ihre Erfahrung?

    Seehofer: Ich glaube das ist etwas zu polemisch. Ich glaube, dass wir seit Jahren zu stark mit Paragraphen, Richtlinien, Reglementierungen in dieses Gesundheitswesen eingegriffen haben. Ich nehme da meine Amtszeit, jedenfalls die erste Hälfte meiner Amtszeit nicht aus. Ich habe ja Mitte der 90er Jahre selbst einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Jetzt erleben wir halt ein Ergebnis, das immer stattfindet, wenn der Staat Planwirtschaft praktiziert. Am Ende wird es sehr, sehr teuer für alle und die Qualität ist schlechter geworden. Teurer und schlechter, das ist immer das Ergebnis, wenn sich der Staat in Systeme in einem Übermaß einmischt. Genau das erleben wir jetzt im Gesundheitswesen. Deshalb dürfen wir diesen Weg nicht weitergehen, dass der Staat zentral von Berlin aus jeden Winkel im Gesundheitswesen reglementiert.

    Simon: Wann denken Sie wird die Regierung reif sein für Gespräche mit Ihnen?

    Seehofer: Alles deutet darauf hin, dass sie jetzt versuchen wollen, über die vier Landtagswahlen im nächsten Jahr zu kommen. Wir haben ja wichtige Landtagswahlen im Februar, dann die letzte wichtige Landtagswahl im September in Bayern. Ich denke wenn diese Landtagswahlen vorüber sind, dann wird die Regierung auch bereit sein, gegenüber der Öffentlichkeit die volle Wahrheit einzugestehen. Dann wird sie auch versuchen, auf die Opposition zuzugehen.

    Simon: Das war Horst Seehofer, der sozialpolitische Experte der Unionsfraktion. – Vielen Dank für das Gespräch!

    Seehofer: Ich danke auch, Frau Simon!

    Link: Interview als RealAudio