Martin Schulz: Ich grüße Sie, Herr Koczian. Guten Morgen.
Koczian: Zunächst handelt es sich ja um die konstituierende Sitzung des neuen Parlamentes, des Parlamentes des erweiterten Europas. Spürten Sie den Mantel der Geschichte wehen oder sorgen schon Geschäftsordnung und der Filter der Dolmetscher, der jede rhetorische Glanzleistung reduziert dafür, dass das Pathos im Keim erstickt wird?
Schulz: Ja, mit dem Historischen muss man vorsichtig sein. Es war eine außergewöhnliche Woche, weil es zum ersten Mal eine ganz normale Arbeitssitzung mit den neuen Kolleginnen und Kollegen aus den beigetretenen Ländern war, aber die historischen Stunden hatten wir ja schon im Frühjahr, als die Kolleginnen und Kollegen beigetreten waren. Insofern überwog in dieser Woche der Arbeitscharakter. Dennoch war es eine spannende und interessante Woche.
Koczian: Wie lässt sich denn die Arbeit mit den Neuen aus den beigetretenen Ländern an? Fremdeln sie sozusagen noch und brauchen sie die Hilfe der alten Hasen?
Schulz: Ja, die Neuen fremdeln teilweise, aber andere Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern auch nicht. Darunter sind ja eine Reihe - nehmen Sie mal den früheren polnischen Ministerpräsidenten Buzek - da sind eine Reihe herausragender Figuren, die im Politikgeschäft seit vielen Jahre zu Hause sind. Die fremdeln vielleicht noch ein bisschen, weil sie nicht genau wissen, wo die Dokumentenausgabe ist und wo sich das Abgeordnetenrestaurant befindet. Aber politisch fremdeln die nicht, die wissen schon, wie man sein Handwerk bewerkstelligen muss.
Koczian: Wie geht man denn mit jenen um, denen die ganze Richtung nicht passt, also jene, die das gemeinsame Europa überhaupt nicht wollen und trotzdem im EP sitzen?
Schulz: Die Zusammenarbeit der großen pro-europäischen Fraktionen in wesentlichen Grundsatzfragen marginalisiert diese Leute. Die kommen ja nicht nur aus den neuen Ländern, die kommen ja vor allen Dingen auch aus Großbritannien und sind ja in der Summe selbst nicht so bedeutend, also lassen Sie es mal zehn zehn bis 15 Prozent aller Parlamentarier sein. Der Rest steht eindeutig gegen diese Gruppierung.
Koczian: Kommen wir zu Personen. Josep Borrell wurde durch Absprachen der Sozialisten mit den Konservativen gewählt. Viele Beobachter sprachen nun von Mauschelei, sahen im liberalen Kandidaten Bronislaw Geremek, gewisse homme de lettre und Pole den Kandidaten mit besserem Standing. Wie glücklich sind Sie mit der Absprache?
Schulz: Ich bekenne mich ja dazu, dass ich einer derjenigen bin, der diese Absprache getroffen hat. Ich habe sie zum Teil auch initiiert. Die Sozialdemokratische Partei stellt die zweitgrößte Parlamentsfraktion. Wir hatten zum letzten Mal einen Parlamentspräsidenten vor zehn Jahren und wenn wir jetzt die Koalition Geremek-Konservative gehabt hätten, dann hätten wir am Ende dieser Wahlperiode 15 Jahre lang als sozialdemokratische Partei keinen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit im europäischen Parlament im Parlamentspräsidium gehabt und ich finde das ist ein wichtiges Argument für uns als Fraktion. Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Bronislaw Geremek hätte im Europaparlament keine Mehrheit auf der Linken gefunden. Er ist eine hochrespektable Persönlichkeit des polnischen politischen Widerstands, aber er ist auch ein Befürworter des Irak-Krieges und ein Verfechter einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die wir nicht an der Spitze des europäischen Parlaments sehen wollten und das war unser Hauptgrund, warum er auch nach seinem Auftritt in unserer Fraktion mehr Skepsis als Befürwortung gefunden hat.
Koczian: Bei der Wahl von José Barroso zum konservativen Komissionspräsidenten sollen viele Sozialisten mit der Stimme schon nicht mehr dabei gewesen sein. Bedeutet das einen Misstrauensvorschuss?
Schulz: Die sozialdemokratische Fraktion hat in ihrer überbreiten Mehrheit Herrn Barroso abgelehnt. Eine Minderheit unserer Fraktion hat ihn aus unterschiedlichen Gründen gewählt, teilweise aus iberischer Solidarität haben unsere spanischen Kollegen, glaube ich, ihm das Vertrauen gegeben. Aber eins ist ganz klar: Wir hatten ihn in unserer Fraktion angehört, wir haben seine Ausführungen im Plenum zweimal gehört und mein Eindruck ist, dass Herr Barroso von unseren Vorstellungen von sozialem Zusammenhalt in Europa, von nachhaltiger Wirtschafts- und Entwicklungspolitik und vor allen Dingen von multilateraler Politik wie die EU sie gegenüber den USA betreiben wollte, meilenweit entfernt ist und deshalb können wir ihm nicht zustimmen.
Koczian: Die Qualifikation Günter Verheugens als Kommissar steht außer Zweifel. Wie hilfreich ist da das doch etwas nassforsche Berliner Imponiergehabe, das ihn als Superkommissar durchdrücken will?
Schulz: Ja es sind ja Etiketten. Das ist klar, wenn man den Begriff "Superkommissar" verwendet immer in der Gefahr ist, dass einer besser sein soll als der andere. Die Kommission ist so strukturiert, dass es einen Präsident und Vizepräsidenten gibt und die Vizepräsidenten habe ja eine exponierte Stellung. Ich denke, Günter Verheugen wird eine exponierte Stellung in der Kommission bekommen. Übrigens nicht, weil er Deutscher ist oder weil ihn irgendeiner nassforsch vorschlägt, sondern weil Günter Verheugen in der jetzt auslaufenden Kommission eine der ganz herausragenden Persönlichkeiten war. Ich will mal darauf hinweisen, dass ja der Erweiterungsprozess vor allen Dingen ein ökonomischer Integrationsprozess ist und den hat Günter Verheugen in einer, wie ich meine, vorbildlichen Art und Weise gemanagt. Deshalb empfiehlt er sich für höhere Aufgaben in der Kommission.
Koczian: Ein Portugiese an der Spitze der Kommission, ein Spanier an der Spitze der Parlaments, die iberischen Jahre Europas beginnen, Sie haben ja bei der Wahl schon darauf hingewiesen. Aber dient das dem regionalen Gleichgewicht?
Schulz: Wir sind ja in der europäischen Union doch schon ein Stück weiter. Es sind auch drei Deutsche, die Vorsitzende der großen Parlamentsfraktionen sind, also mein Kollege Pöttering, ich selbst und Daniel Cohn-Bendit und auch Frau Koch-Merin, die stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion. Das spielt auch mehr oder minder keine Rolle mehr. Und Josep Borrell ist für zweieinhalb Jahre gewählt, also nach zweieinhalb Jahren wird es diese iberische Duo schon nicht mehr geben. Das heißt ich glaube nicht, dass man da von einem iberischen Übergewicht sprechen kann. Andererseits finde ich es gerade in einer Phase, in der die neuen Länder beigetreten sind, die ihre kommunistischen Diktaturen überwunden haben doch auch nicht uninteressant, zwei Leute an der Spitze von Institutionen zu haben, die aus Ländern kommen, die vor knapp 30 Jahren faschistische Diktaturen überwunden haben. Sowohl Borrell, als auch Barroso gehörten zu den Leuten, die in der Umbruchphase doch eine große Rolle gespielt haben. Also das finde ich durchaus auch reizvoll.
Koczian: Die Iberer gelten ja auch zum Beispiel Freunde für einen größeren Haushalt Europas. Es sind ja auch mehr Aufgaben und die sollen mit dem gleichen Geld erledigt werden. Gibt das Konflikte?
Schulz: Mit Sicherheit. Das wäre falsch, wenn man da um den heißen Brei herumredet. Da gibt es zwischen den Nettoeinzahlern und den Nehmerländern erhebliche Konflikte. Es wird innerhalb der Kommission Konflikte geben, es wird im Parlament Konflikte geben und zwar quer durch die Fraktionsbänke, das heißt das Interesser der Südschiene Europas, die jetzige Finanzierungsstruktur zu erhalten oder sogar auszubauen, trifft sich da auch mit dem Desinteresse in einigen anderen Ländern an einer solchen Entwicklung und das ist dann nicht mehr nach Parteienfamilien geordnet. Die sogenannt finanzielle Vorausschau wird eine spannende Runde werden.
Koczian: Zunächst handelt es sich ja um die konstituierende Sitzung des neuen Parlamentes, des Parlamentes des erweiterten Europas. Spürten Sie den Mantel der Geschichte wehen oder sorgen schon Geschäftsordnung und der Filter der Dolmetscher, der jede rhetorische Glanzleistung reduziert dafür, dass das Pathos im Keim erstickt wird?
Schulz: Ja, mit dem Historischen muss man vorsichtig sein. Es war eine außergewöhnliche Woche, weil es zum ersten Mal eine ganz normale Arbeitssitzung mit den neuen Kolleginnen und Kollegen aus den beigetretenen Ländern war, aber die historischen Stunden hatten wir ja schon im Frühjahr, als die Kolleginnen und Kollegen beigetreten waren. Insofern überwog in dieser Woche der Arbeitscharakter. Dennoch war es eine spannende und interessante Woche.
Koczian: Wie lässt sich denn die Arbeit mit den Neuen aus den beigetretenen Ländern an? Fremdeln sie sozusagen noch und brauchen sie die Hilfe der alten Hasen?
Schulz: Ja, die Neuen fremdeln teilweise, aber andere Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern auch nicht. Darunter sind ja eine Reihe - nehmen Sie mal den früheren polnischen Ministerpräsidenten Buzek - da sind eine Reihe herausragender Figuren, die im Politikgeschäft seit vielen Jahre zu Hause sind. Die fremdeln vielleicht noch ein bisschen, weil sie nicht genau wissen, wo die Dokumentenausgabe ist und wo sich das Abgeordnetenrestaurant befindet. Aber politisch fremdeln die nicht, die wissen schon, wie man sein Handwerk bewerkstelligen muss.
Koczian: Wie geht man denn mit jenen um, denen die ganze Richtung nicht passt, also jene, die das gemeinsame Europa überhaupt nicht wollen und trotzdem im EP sitzen?
Schulz: Die Zusammenarbeit der großen pro-europäischen Fraktionen in wesentlichen Grundsatzfragen marginalisiert diese Leute. Die kommen ja nicht nur aus den neuen Ländern, die kommen ja vor allen Dingen auch aus Großbritannien und sind ja in der Summe selbst nicht so bedeutend, also lassen Sie es mal zehn zehn bis 15 Prozent aller Parlamentarier sein. Der Rest steht eindeutig gegen diese Gruppierung.
Koczian: Kommen wir zu Personen. Josep Borrell wurde durch Absprachen der Sozialisten mit den Konservativen gewählt. Viele Beobachter sprachen nun von Mauschelei, sahen im liberalen Kandidaten Bronislaw Geremek, gewisse homme de lettre und Pole den Kandidaten mit besserem Standing. Wie glücklich sind Sie mit der Absprache?
Schulz: Ich bekenne mich ja dazu, dass ich einer derjenigen bin, der diese Absprache getroffen hat. Ich habe sie zum Teil auch initiiert. Die Sozialdemokratische Partei stellt die zweitgrößte Parlamentsfraktion. Wir hatten zum letzten Mal einen Parlamentspräsidenten vor zehn Jahren und wenn wir jetzt die Koalition Geremek-Konservative gehabt hätten, dann hätten wir am Ende dieser Wahlperiode 15 Jahre lang als sozialdemokratische Partei keinen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit im europäischen Parlament im Parlamentspräsidium gehabt und ich finde das ist ein wichtiges Argument für uns als Fraktion. Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Bronislaw Geremek hätte im Europaparlament keine Mehrheit auf der Linken gefunden. Er ist eine hochrespektable Persönlichkeit des polnischen politischen Widerstands, aber er ist auch ein Befürworter des Irak-Krieges und ein Verfechter einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die wir nicht an der Spitze des europäischen Parlaments sehen wollten und das war unser Hauptgrund, warum er auch nach seinem Auftritt in unserer Fraktion mehr Skepsis als Befürwortung gefunden hat.
Koczian: Bei der Wahl von José Barroso zum konservativen Komissionspräsidenten sollen viele Sozialisten mit der Stimme schon nicht mehr dabei gewesen sein. Bedeutet das einen Misstrauensvorschuss?
Schulz: Die sozialdemokratische Fraktion hat in ihrer überbreiten Mehrheit Herrn Barroso abgelehnt. Eine Minderheit unserer Fraktion hat ihn aus unterschiedlichen Gründen gewählt, teilweise aus iberischer Solidarität haben unsere spanischen Kollegen, glaube ich, ihm das Vertrauen gegeben. Aber eins ist ganz klar: Wir hatten ihn in unserer Fraktion angehört, wir haben seine Ausführungen im Plenum zweimal gehört und mein Eindruck ist, dass Herr Barroso von unseren Vorstellungen von sozialem Zusammenhalt in Europa, von nachhaltiger Wirtschafts- und Entwicklungspolitik und vor allen Dingen von multilateraler Politik wie die EU sie gegenüber den USA betreiben wollte, meilenweit entfernt ist und deshalb können wir ihm nicht zustimmen.
Koczian: Die Qualifikation Günter Verheugens als Kommissar steht außer Zweifel. Wie hilfreich ist da das doch etwas nassforsche Berliner Imponiergehabe, das ihn als Superkommissar durchdrücken will?
Schulz: Ja es sind ja Etiketten. Das ist klar, wenn man den Begriff "Superkommissar" verwendet immer in der Gefahr ist, dass einer besser sein soll als der andere. Die Kommission ist so strukturiert, dass es einen Präsident und Vizepräsidenten gibt und die Vizepräsidenten habe ja eine exponierte Stellung. Ich denke, Günter Verheugen wird eine exponierte Stellung in der Kommission bekommen. Übrigens nicht, weil er Deutscher ist oder weil ihn irgendeiner nassforsch vorschlägt, sondern weil Günter Verheugen in der jetzt auslaufenden Kommission eine der ganz herausragenden Persönlichkeiten war. Ich will mal darauf hinweisen, dass ja der Erweiterungsprozess vor allen Dingen ein ökonomischer Integrationsprozess ist und den hat Günter Verheugen in einer, wie ich meine, vorbildlichen Art und Weise gemanagt. Deshalb empfiehlt er sich für höhere Aufgaben in der Kommission.
Koczian: Ein Portugiese an der Spitze der Kommission, ein Spanier an der Spitze der Parlaments, die iberischen Jahre Europas beginnen, Sie haben ja bei der Wahl schon darauf hingewiesen. Aber dient das dem regionalen Gleichgewicht?
Schulz: Wir sind ja in der europäischen Union doch schon ein Stück weiter. Es sind auch drei Deutsche, die Vorsitzende der großen Parlamentsfraktionen sind, also mein Kollege Pöttering, ich selbst und Daniel Cohn-Bendit und auch Frau Koch-Merin, die stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion. Das spielt auch mehr oder minder keine Rolle mehr. Und Josep Borrell ist für zweieinhalb Jahre gewählt, also nach zweieinhalb Jahren wird es diese iberische Duo schon nicht mehr geben. Das heißt ich glaube nicht, dass man da von einem iberischen Übergewicht sprechen kann. Andererseits finde ich es gerade in einer Phase, in der die neuen Länder beigetreten sind, die ihre kommunistischen Diktaturen überwunden haben doch auch nicht uninteressant, zwei Leute an der Spitze von Institutionen zu haben, die aus Ländern kommen, die vor knapp 30 Jahren faschistische Diktaturen überwunden haben. Sowohl Borrell, als auch Barroso gehörten zu den Leuten, die in der Umbruchphase doch eine große Rolle gespielt haben. Also das finde ich durchaus auch reizvoll.
Koczian: Die Iberer gelten ja auch zum Beispiel Freunde für einen größeren Haushalt Europas. Es sind ja auch mehr Aufgaben und die sollen mit dem gleichen Geld erledigt werden. Gibt das Konflikte?
Schulz: Mit Sicherheit. Das wäre falsch, wenn man da um den heißen Brei herumredet. Da gibt es zwischen den Nettoeinzahlern und den Nehmerländern erhebliche Konflikte. Es wird innerhalb der Kommission Konflikte geben, es wird im Parlament Konflikte geben und zwar quer durch die Fraktionsbänke, das heißt das Interesser der Südschiene Europas, die jetzige Finanzierungsstruktur zu erhalten oder sogar auszubauen, trifft sich da auch mit dem Desinteresse in einigen anderen Ländern an einer solchen Entwicklung und das ist dann nicht mehr nach Parteienfamilien geordnet. Die sogenannt finanzielle Vorausschau wird eine spannende Runde werden.