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Die Arbeitslosenoper

Mit Oper im klassischen Sinne hat das Projekt "Arbeitslosenoper" wenig zu tun. Es handelt sich dabei um ein kulturell-soziales Netzwerk aus Ausstellung und Videowerkstatt, Lesungen und Aktionen, Talkshow und Filmvorführungen. Zehn Tage lang findet diese "Arbeitslosenoper" in der Berliner "Akademie der Künste" statt und will ergründen, welches Potenzial in jenen Menschen statt, die als so genannte "Erwerbslose" am Rand der Gesellschaft stehen.

Von Georg Friedrich Kühn | 16.06.2005
    "Man ist 15 Jahre frei, ohne Termine, man ist aber auch arm. Da strukturiert sich das Gehirn um. Also, wenn du längere Zeit, 10, 15, 20 Jahre ohne Arbeit bist, und noch der Druck, der Sadismus der Ämter – jeden Tag können sie dich bestellen, dir vorwerfen, dass du nichts bist –, da kommt’s zu ganz manischen, eigenartigen Reaktionen: Dass die Leute ihre Sachen ausbreiten auf der Straße, den Verkehr regeln wollen und solche Sachen."

    Robert Linke, Komponist. Mit anderen Betroffenen, Künstlern, Akademikern mit und ohne Job, hat er eine "Arbeitslosenoper" gegründet.

    " Ich denke, dass die Arbeitslosenoper bis jetzt eine mentale, virtuelle Geschichte ist. Dass unter diesem Begriff mehrere Menschen sich finden und was veranstalten können. Und im klassischen Sinn eine Opernaufführung zu machen – auch das könnten wir. Wir könnten sofort, wenn ein Theater sagt, im nächsten Jahr hätten wir gern, dass ihr eine Aufführung macht mit Orchester, dann würden wir das auch tun. "
    Zehn Tage sind sie jetzt zu Gast in der Berliner Akademie der Künste. In der mittleren Ausstellungshalle am Hanseatenweg haben sie ihre Materialien ausgebreitet, einige Instrumente. Sie wollen ihr Konzept vorstellen, diskutieren. Zeichnungen, Videos, Texte sind zu sehen. Schriftverkehr mit den Ämtern. Bei der Jobless-Zentrale in Nürnberg gab man sich erst aufgeschlossen, wollte prüfen. Ergebnis?

    "Wir haben ein Projekt vorgeschlagen, mit Erwerbslosen umzugehen. Und sie haben festgestellt, dass wir unsere Zeit dafür benutzen und uns nicht bewerben auf dem Arbeitsmarkt. Und das wurde geprüft, und dann wurde uns das Geld entzogen. "

    Die gesammelten Erfahrungen sind gebunden zu einem dicken Buch. Basis für ein mögliches Libretto?

    "Na, es gibt einen Chor der Arbeitslosen. Ich würde mir vorstellen, dass da bestimmte Textstellen von einem Chor gesungen werden. Ich bin gespannt darauf, eine Arbeitslosenoper zu machen. Nicht alleine, mit anderen. Und Texte zu sammeln, auch bürokratische Texte, die gesungen werden können oder gesprochen oder wie auch immer. "
    Es gibt Vorbilder. Gottfried Benn etwa schlug 1932 Paul Hindemith ein derartiges Projekt vor. Brecht-Weills Dreigroschenoper entstand aus einem solchen Impuls.

    Aber man versteht sich auch als ein Forum für sehr viel weiter gehende Überlegungen. Die Themen reichen von der Wasser- bis zur Geldwirtschaft, von der Siedlungs- bis zur Bildungspolitik.

    "Wir wollen auch einen Film machen, einen Horrorfilm oder so. Also, dass die Arbeitslosenoper ein Gebäude oder ein Programm ist, wo verschiedene Gruppen Platz haben, ihre Ideen zu verwirklichen. "

    Eine neue Art Bauhaus schwebt Linke vor. Joseph Beuys, Heiner Müller, John Cage nennt er als seine gleichsam Paten trotz Schwierigkeiten, bei den Verantwortlichen sich begreifbar zu machen.

    "Also in dem "Harz IV"-Konzept ist erwähnt, dass die Profis der Nation aufgerufen sind, sich mit dem Thema Arbeitslosigkeit zu beschäftigen. Und darunter sind auch Künstler als Profis der Nation genannt. Und genau das tun wir. Das heißt, die wirkliche Beschäftigung mit dem Thema Erwerbslosigkeit nach unserer Erfahrung führt dazu, dass man noch mehr diskriminiert wird, wenn man sich so damit beschäftigt, dass man sagt: Es geht nicht um Arbeitsplätze, sondern um Lebensqualitäten. "
    Für Randfiguren der Gesellschaft hat Linke sich immer interessiert, gehörte selbst dazu, schon in der DDR. Es ist sein Thema.

    "Ich finde, es ist ein ganz tolles Thema sich mit der Erwerbslosigkeit zu beschäftigen. Es mag ja wirklich einer Million Leuten schlecht gehen, es geht aber auch zweitausend ziemlich gut. Sie können, auch Akademiker, ohne Termindruck wirklich weiter forschen. Es ist auch ein Wissen entstanden in dieser Zeit. Wenn du keine Termine hast, kommst du zu einem Wissen – das ist unglaublich. Man muss das fast schon elitär nennen. Es gibt auch eine Elite im Erwerbslosenbereich. Eindeutig. "