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Die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Spiegel medialer Debatten

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr finden vielfach ihren publizistischen Niederschlag. Nur selten aber werden die Debatten über und der mediale Umgang mit den neuen Kriegen in Deutschland selbst einer kritischen Analyse unterzogen. Diese Lücke schließt der Sammelband "Heimatdiskurs".

Von Martin Gerner | 07.01.2013
    Ob Balkankrieg, Kongo oder Afghanistan. Auf dem Buchmarkt gibt es wenige Analysen über die Inhalte, die zum Thema Out-of-area-Einsätze durch unsere Medien geschleust werden. Also über Worte und Begriffe in der Debatte und die diversen Subtexte, die dabei mitschwingen. Michael Daxner grenzt "Heimatdiskurs" daher bewusst ab von Büchern der Afghanistan- oder Balkan-Rückkehrer:

    "Dies ist kein populäres Buch in dem Sinne, wie es die ganze Heimkehrer-Literatur ist."

    Daxner ist emeritierter Soziologe und Konfliktforscher an der Freien Universität Berlin, und so etwas wie der Kopf des Sammelbandes "Heimat-Diskurs". Sein Vorwort leitet zehn Aufsätze von Politik- und Medienwissenschaftlern ein, die fragen, wie die weltweiten Einsätze der Bundeswehr unser Selbstverständnis verändern, besonders am Beispiel Afghanistan.

    Michael Daxner: "Die einen sind dagegen und wissen teilweise nicht warum. Und die anderen sind dafür, und wissen im Grunde auch nicht warum. Das kann man gut untersuchen. Dazu muss man keine Seelenforschung machen."

    Der Band betreibt deshalb nüchterne aber umso tiefschürfendere Text- und Bild-Analyse. Hinzu kommt die Auswertung empirischer Befunde. So beschäftigt sich Berit Bliesmann, Expertin für Interventionspolitik, mit den Ergebnissen von Truppenbesuchen deutscher Politiker in Afghanistan. Ausgewiesene Forscher zur Kriegsberichterstattung, wie die Mitherausgeberin und Medienexpertin Hannah Neumann, leiten Aufsätze zu weiteren Dimensionen der militärischen Interventionen ein. Einige davon sind als Gruppenarbeit junger Politikstudenten der FU Berlin verfasst, andere von ausgewiesenen Fachkennern, was das Buch zu einer Begegnung der Generationen macht.

    So argumentiert Florian Kühn gegen den allgemeinen Tenor, der "Krieg gegen den Terror" sei keinesfalls die existenzielle Bedrohung unserer Zivilisation, als die sie gemeinhin dargestellt wird.

    "Wenn Terrorismus eine 'Provokation der Macht' ist, dann hat das Zurückschlagen nach dem 11. September die Glaubwürdigkeit westlicher Werte erheblich untergraben."

    Kühn rät zu mehr Gelassenheit angesichts bekannter Feindbilder. Das ist bemerkenswert, denn Kühn ist Mitarbeiter der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr. Weitere Aufsätze befassen sich mit der Darstellung deutscher Soldaten in Auslandseinsätzen, wie auch der lokalen Bevölkerung in Afghanistan. Die Herausgeber sprechen hier von einer Vielzahl von Verzerrungen über die "Intervenierten", lies: Afghanen und Balkanvölker:

    "Wenn wir bloß die Stereotypen, Vorurteile und Erfindungen, die wir zu den Kosovaren oder Afghanen täglich reproduzieren, auf den Prüfstand stellen, dann erkennen wir, wie wenig wir uns von der vor-aufgeklärten Weltsicht kolonialen Klassifizierens entfernt haben. In welche Zivilisation gehört die Freude über Osamas Tod? Was macht die Rückständigkeit einer "Stammesgesellschaft" aus, wenn wir bei uns den Proporz zwischen Bayern und Franken hochleben lassen, und zudem den Unterschied von Ethnien und Stämmen gar nicht benennen können?"

    Derlei Stereotypen finden sich nicht nur im Boulevard. Oft seien die Medien Getriebene in der Debatte, wie Politiker und Kulturschaffende, nur sich dessen nicht bewusst. Eine Kontrollfunktion der sogenannten vierten Gewalt falle damit aus, so Hannah Neumann. Michael Daxner bemängelt außerdem Sprachregelungen in den besten Hörfunk-Sendern der Republik:

    "Seit wenigstens fünf Jahren ist beim öffentlichen Rundfunk die Formel vorgegeben: 'radikal-islamische Taliban'. Beides ist falsch. Ich denke, wenn man schon die Taliban beschreibt, dann sind die meisten extremistisch und islamistisch, aber nicht islamisch."

    Der Band untersucht im Printbereich vor allem Beiträge von Leitmedien wie Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung und Spiegel. Dessen Titelbilder über Deutschland im Krieg werden historische Radierungen von Goya und Kupferstichen de Bruys gegenübergestellt. Das macht das Buch, das sich ansonsten vergleichsweise trocken liest, abwechslungsreicher.
    Der Heimatbegriff, wie ihn die Autoren allesamt verwenden, ist als ambivalent verstanden.

    Michael Daxner: "Ein Soldatenbegräbnis hat auf der einen Seite etwas unheimlich Pathetisches, und – man mag mir verzeihen – auch etwas sehr Komisches. Weil hier im Grunde genommen Rituale praktiziert werden, die längst nicht mehr in unserer Gesellschaft ankommen."

    Womöglich sind damit die jüngeren Forscher der Studie gemeint. Manchmal scheint es, als wünschten sie sich den pazifistischen Konsens der Nachkriegsjahre zurück, der maßgebend war für einen Teil der Bevölkerung war. Ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung leitete die neue Zeitrechnung der Interventionen ein. Mit dem Balkankrieg zunächst, dann mit Afghanistan, so die Herausgeber, seien Argumente in der Debatte längst in ihr Gegenteil verkehrt. So sei Deutschland immer sorgsam darauf bedacht gewesen:

    "…dass die anderen foltern mögen und Menschenrechte verletzen, man selbst aber nicht. Man kritisiert andere, wenn sie Unrecht tun, indem man sich nur innerhalb der Bündnisverpflichtung beteiligt und genau das zu machen, was man an anderen kritisiert. Bis eben zum Bombardement in Kunduz, bis zum ersten erschossenen Afghanen an einem Checkpoint, bis zur ersten öffentlichen Wahrnehmung von Fehlverhalten unserer Soldaten zum Beispiel bei der Totenkopfaffäre. Die tugendhafte Rolle ist ausgespielt."

    Politische Kommentierungen sind rar im Buch. "Heimatdiskurs" ist weder ein linkes oder pazifistisches Projekt noch ein realistisch-affirmatives Buch. Es ist vor allem eine Arbeit, die genau hinschaut, Worte und Inszenierungen entlarvt.

    Den Autoren gebührt das Privileg unsere Wahrnehmung hier zu schärfen, angesichts eines neuerdings weltweit intervenierenden Deutschlands. Mal gelingt das extrem gut, mal bleibt es bei Andeutungen. Mehr Bestand als die Heimkehrer-Literatur hat "Heimatdiskurs" allemal. Michael Daxner wagt folgende Prognose:

    "Je mehr Interventionen, desto mehr Tote auf allen Seiten. Das ist klar. Und auf der anderen Seite ist der Ausnahmefall Intervention als letzte Ratio einer Konfliktregulierung in Gefahr, abgeschliffen zu werden und wenn Interventionen normal werden, dann bekommen wir natürlich ein ganz anderes Selbstverständnis von uns als friedlicher, vermittelnder, ausgleichender Mittelmacht."


    Michael Daxner/Hannah Neumann (Hg): Heimatdiskurs. Wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland verändern.
    Verlag: Transcript (Reihe Edition Politik) 337 Seiten, 32,80 Euro
    ISBN 978-3-8376-2219-5