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Die Außenpolitik der USA

    Ensminger: Frankreichs Außenminister Védrine hatte vor zwei Wochen den Stein ins Rollen gebracht und als erster öffentlich Kritik geübt. Die USA machen den Fehler, die Probleme der Welt allein aus dem Blickwinkel der Terrorbekämpfung zu sehen. Diese übermäßige Vereinfachung sein bedrohlich, und Bundesaußenminister Joschka Fischer ergänzte am Wochenende: Die internationale Koalition gegen den Terror sei für sich allein kein Freibrief für eine Invasion in irgendeinem Land. Zwar bekräftigte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern, es gäbe gar keine Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak, doch er gab auch seinem Außenminister Rückendeckung, die Warnung vor einem Alleingang der USA sei richtig gewesen. Am Telefon ist nun John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland. Herr Kornblum, nehmen Sie die Bedenken der Europäer gegenüber einer möglichen Ausweitung des Antiterrorkampfes eigentlich ernst?

    Kornblum: Na ja, es ist ein bisschen überraschend und nicht sehr klar, worüber sie sich beklagen. Der Präsident hat einer sehr triftigen Satz in seiner Rede gehabt. Er hat inzwischen mehrmals klargestellt, dass dieser Satz eher eine Beschreibung einer Zielrichtung ist und keine Pläne für Angriffe oder Ähnliches darstellt. Dann hat es diese sehr starke Reaktion aus Europa gegeben. Ich weiß auch von vielen Gesprächen mit Freunden in Amerika, man war überrascht, und man ist sich immer noch nicht darüber im Klaren, was eigentlich los ist.

    Ensminger: Jetzt haben Sie es gerade gesagt, es war ein Satz in der Rede. Nun hat gestern George Bush das während seines Tokio-Aufenthaltes nochmals bekräftigt, d.h. es ist nicht so ganz abwegig, dass er in der Tat irgendwann den Antiterrorkampf ausweiten möchte.

    Kornblum: Vielleicht, aber dann wird es bestimmt auch eine Konsultation geben. Man hat gesehen, wie der Antiterrorkampf nach dem 11. September geführt wurde. Es wurde in engster Konsultation gemacht, und ich nehme an, dass das auch weiterhin der Fall sein wird.

    Ensminger: Wie wichtig sind denn die Europäer überhaupt für die amerikanische Regierung im Moment?

    Kornblum: Europa ist aus verschiedenen Gründen immer wichtig. Zunächst - und das hat der Präsident auch klargestellt - sieht man das als eine Koalition gegen den Terror, und eine Koalition umfasst jedes Mitglied, das in Gefahr geraten könnte. Diese Koalition aufrecht zu erhalten, ist bestimmt ein sehr wichtiges Ziel.

    Ensminger: Nun hat US-Außenminister Colin Powell zu Védrins Kritik gesagt, der französische Außenminister müsse wohl unter Hitzewallungen leiden. Sie sagen gerade, die Europäer sind wichtig. Kann man ihnen dann so vor den Kopf stoßen, wenn sie Bedenken haben?

    Kornblum: Es kommt darauf an, was man mit Bedenken meint. Ich meine, an solche Sprüchen wie der vom französischen Außenminister, glaube ich, haben sich die Amerikaner gewöhnt. Das war eher eine Bemerkung, die vielleicht im Sinne Védrins war. Aber die Frage ist nicht, ob man Kritik üben darf oder ob man eine offene Debatte haben sollte, das ist selbstverständlich, sondern wie macht man das. Und all diese relativ emotionalen öffentlichen Warnungen gegen ein Gespenst, das vielleicht nur in Ansätzen da ist, das ist vielleicht nicht der optimale Weg. Ich glaube, es wäre viel besser gewesen, wenn man durch Regierungskanäle oder auch in der NATO, die gerade dazu da ist, zu konsultieren, die Sache weiterhin diskutiert hätte.

    Ensminger: Warum ist dann nicht schneller informiert worden, gerade zu diesem Zeitpunkt? Warum gab es keine Gespräche zwischen Berlin und Washington?

    Kornblum: So viel ich weiß, hat es Gespräche gegeben. Aber wir sollten nochmals klarstellen, wir reden hier von drei Worte, die in einer Rede waren, mehr nicht.

    Ensminger: Scharfe Worte.

    Kornblum: Scharfe Worte, aber das darf man machen, immerhin befinden wir uns im Krieg. Und jetzt ganz große Konsequenzen daraus zu ziehen, ist vielleicht etwas voreilig.

    Ensminger: Sie haben von Krieg gesprochen. Ich glaube, in Europa wird dieses Wort in dem Zusammenhang nicht ganz ausgesprochen. Man spricht von Antiterrorkampf, und auch der spanische EU-Ratsvorsitzender Aznar meinte, gegen sogenannte Schurkenstaaten loszugehen sei nicht dasselbe, wie Terrorismus bekämpfen. Ist das vielleicht der Unterschied in der Betrachtungsweise?

    Kornblum: Das kann sein. Sie haben vielleicht Recht. Ich meine, dass die Vereinigten Staaten sich im Krieg fühlen, dafür brauchte man sich nur das Loch in Manhattan anzuschauen, um zu sehen, dass man angegriffen wurde, dass man viele Tote zu verbuchen hatte, und dass man meint, man ist im Krieg. Wie im September von allen, auch von den Europäern beteuert wurde, ist das nicht ein Krieg gegen Amerika, sondern es ist ein Krieg, wenn Sie so wollen, gegen die westliche Welt. Also es kann sein, dass die Amerikaner dieses Wort Krieg ernstnehmen, und dass die Europäer es weniger ernstnehmen. Das weiß ich nicht, das muss man einem Europäer fragen. Aber dass die Amerikaner sich richtig mitten in einem Kampf fühlen, sollte man nicht vergessen.

    Ensminger: Und die Europäer sollen möglichst mitziehen?

    Kornblum: Sie sollen ihre Interessen definieren, und sie sollen sehen, ob sie mitziehen wollen oder nicht. Aber, wie gesagt, das ist eine Frage von sehr genauen Konsultationen.

    Ensminger: Nun sind die Sorgen ja auch dahingehend geäußert worden, dass die USA eventuell einen Alleingang starten könnten. Ist das denn zu befürchten?

    Kornblum: Ich persönlich glaube, dass das ein Teil des Problems ist. Die USA könnten natürlich zu jeder Zeit einen Alleingang starten. Da sind die militärischen Verhältnisse so, dass das möglich sein sollte. Aber ich weiß, dass man das nicht will, und ich nehme an, dass man das aus europäischer Sicht auch nicht haben möchte. Aber man hat den Eindruck, dass nach diesen scharfen Worten, wie Sie sie nennen, viele in Europa sofort Angst hatten, dass dieser Alleingang da stünde. Ich glaube, das ist ein Teil des Problems.

    Ensminger: Sind denn die transatlantischen Beziehungen, zumindest im Ansatz jetzt ein wenig beeinträchtigt?

    Kornblum: Kann sein, aber wissen Sie, ich bin sehr lange dabei, ich habe mindestens ein halbes Dutzend solcher Phasen erlebt, das scheint ein Teil der atlantischen Beziehungen zu sein. Wenn die Amerikaner relativ aggressive Dinge sagen oder tun, dann warnen die Europäer. Ich glaube, das ist vielleicht in dem System so eingebaut, und es ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum es erfolgreich ist.

    Ensminger: Da schwingt so ein wenig mit, dass die Amerikaner diese Drohungen dann doch nicht ernstnehmen.

    Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, sie nehmen sie sehr ernst. Die Frage ist nur, ob sie berechtigt sind. Ich persönlich meine nicht, dass sie berechtigt sind. Und die zweite Frage ist, wie macht man jetzt einen Konsens daraus? Und da gibt es genügend Kanäle, wo man einen Konsens suchen kann.

    Ensminger: Nun ist der amerikanische Präsident Bush zur Zeit in Asien unterwegs. Er hat sich für eine stärkere Zusammenarbeit ausgesprochen. Auch von einem pazifischen Jahrhundert hat er geredet. Sind diese Annäherungen an Asien vielleicht schon ein Zeichen dafür, dass er Asien durchaus benötigt, vielleicht Europa gar nicht mal so sehr momentan im Blick hat?

    Kornblum: Nein, das ist eine sehr europäische Sicht. Sie dürfen nicht vergessen, dass Amerika von Anfang an eine pazifische Nation gewesen ist. Der Pazifik hat für uns eine gleiche Bedeutung wie der Atlantik. Und wie Sie wissen, braucht Japan im Moment Unterstützung, und ich finde es klar, dass der Präsident sagt, wir wollen eine enge Zusammenarbeit mit Japan und China. Es gibt sehr viele und wichtige Nationen in der Region.

    Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio