Christoph Heinemann: Gute Nachrichten aus Warschau: Das polnische Autobahnnetz soll bis 2010 an den Grenzübergang Frankfurt/Oder angebunden werden, das kündigte Polens Verkehrsstaatssekretär Kowalski in dieser Woche an. Im politischen Verhältnis zwischen Warschau und Berlin hätten Straßen- und Brückenbauer gegenwärtig viel zu tun - Steine sind aus dem Weg zu räumen und Gräben zu überwinden. Ein in Berlin geplantes Zentrum gegen Vertreibung wird auf polnischer Seite heftig kritisiert; die polnische Führung vergreift sich regelmäßig im Ton. Wir haben vor dieser Sendung mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Bronislaw Geremek gesprochen, er ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Ich habe ihn zunächst nach dem gegenwärtigen Stand der deutsch-polnischen Beziehungen gefragt.
Bronislaw Geremek: Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland haben sich in den letzten 16 Jahren, seit 1989, mit der Unterzeichnung der beiden deutsch-polnischen Verträge gewandelt. Damals wurde eine Veränderung eingeleitet, die mir fast als wunderbar erscheint. Die deutsch-polnische Aussöhnung vollzog sich in einem viel kürzeren Zeitraum als in zwei anderen Fällen, die mit den Franzosen und mit den Juden. Diese Aussöhnung war Teil der europäischen Erweiterung von 2004 und ist Teil der Vereinigung von Europa, die gegenwärtig stattfindet. Im Augenblick ist allerdings eine unerwartete Verschlechterung der Beziehungen zu beobachten. Die Aussöhnung ist gefährdet.
Heinemann: Wer trägt die Verantwortung dafür?
Geremek: Die ist geteilt. Da ist zum einen die Erinnerung, die Hinwendung zur Geschichte, das, was man mit einem unglücklichen Begriff "Geschichtspolitik" bezeichnet. Das Vorhaben, in Berlin ein Museum über die Leiden der Deutschen, der von ihren Geburtsorten Vertriebenen zu gründen, wird von polnischer Seite als eine Umkehrung der geschichtlichen Bewertung verstanden.
Heinemann: Sehen Sie das auch so?
Geremek: Ja. Ich meine, dass wenn die Deutschen als Opfer dargestellt werden, und zwar als Opfer der Polen oder der Tschechen, dies nicht nur ungerechtfertigt ist, sondern dies auch Zweifel aufkommen lässt an der Stabilität der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland.
Heinemann: Aber es gab doch Opfer der Vertreibung. Warum sollte man dieser Opfer nicht gedenken?
Geremek: Ich glaube nicht, dass die Leiden eines Volkes oder einer Gruppe bezweifelt werden. Die polnischen Bischöfe haben sich vor 40 Jahren an die deutschen Bischöfe gewandt und haben gesagt: "Wir vergeben euch und wir bitten um Vergebung." Sie wurden damals von dem kommunistischen Regime beschuldigt, die nationale Sache Polens zu verraten.
Heinemann: Haben Sie den Eindruck, dass man in Deutschland die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umschreiben will?
Geremek: Das Deutschland, welches Frau Erika Steinbach vertritt, möchte dies tun. Sie ist Tochter eines deutschen Unteroffiziers, der polnischen Boden besetzt hatte - und sie nennt sich nun "Vertriebene". Auf der anderen Seite gibt es die würdigen und wahrheitsgerechten Worte von Bundespräsident Horst Köhler, der kürzlich bei einer Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen gesagt hat: "Ich fühle mich nicht als Vertriebener." Man muss klarstellen, wer für dieses Unglück und diese Leiden verantwortlich ist: Es war Nazi-Deutschland, welches den Krieg begonnen hat. Und dann kann man auch der Leiden derjenigen gedenken, die von ihrem Boden vertrieben wurden. Etwa im Rahmen des Projektes der ehemaligen Präsidenten Johannes Rau und Alexander Kwasniewski eines europäischen Netzwerks der Erinnerung. Aber nicht in der Hauptstadt Deutschlands.
Heinemann: Wenn man etwa die Aktivitäten der nationalistischen Organisation Endetia berücksichtigt, gab es vor dem Krieg in Polen die Idee oder das Vorhaben, die deutsche Minderheit zu vertreiben?
Geremek: Ich kenne kein Vorhaben von Vertreibung. Ich stelle mit Bitterkeit fest, dass nun eine politische Gruppierung in Polen die Rechte der deutschen Minderheit zerstören will. Auf eine solche Art Politik sollte man niemals zurückgreifen. Auf polnischer Seite kehrt gegenwärtig eine gewisse nationalistische Aggressivität zurück, die schmerzlich ist. Ein anderes Problem, das die deutsch-polnischen Beziehungen belastet, ist dieser Plan einer Gas-Pipeline durch die Ostsee, um Polen, Litauen und die Ukraine zu umgehen. Dies wurde nicht nur von der deutschen Regierung unterstützt, sondern der ehemalige Bundeskanzler wurde auch noch Präsident des zuständigen russischen Unternehmens. Dies hat zur Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen beigetragen. Aber zur Wahrheit gehört auch - und ich beobachte dies höchst beunruhigt -, dass in Polen im vergangenen Jahr eine antideutsche Propaganda zurückgekehrt ist, die vor dem Krieg von einer bestimmten politischen Bewegung benutzt wurde - Sie haben Endetia erwähnt. Diese Propaganda bildete auch eine Daseinsgrundlage der kommunistischen Macht, die ihre Legitimität aus einer deutschen Gefahr bezog. Ich möchte, dass dieses Kapitel ein für alle Mal geschlossen sein möge.
Heinemann: In Spanien hat eine moderne politische Rechte das Land reformiert. Ist dies mit der gegenwärtigen polnischen Rechten möglich?
Geremek: Ich bin Bürger meines Landes und möchte deshalb, dass es dazu kommt. Aber wenn ich nachdenke, dann stelle ich beunruhigt fest, dass gegenwärtig nicht die Rechte das Land regiert, sondern extremistische Tendenzen, die zum Vorschein gekommen sind, da zur gegenwärtigen Regierungskoalition auch extremistische Elemente gehören. Polen benötigte eine vernünftige Politik, die in der Lage wäre, mit Hilfe der europäischen Solidarität das Land zu modernisieren. Außerdem müsste gewährleistet sein, wie es Premierminister Jarosław Kaczynski kürzlich in Warschau vor dem diplomatischen Korps gesagt hat, dass Polen eine proeuropäische Politik verfolgen wird, dass sich Polen für ein starkes Europa einsetzt und gute Beziehungen zu Deutschland unterhalten möchte. Ich hoffe, dass es eher diese Erklärung ist, an der sich die künftige polnische Politik ausrichten wird, anstelle der Propaganda, die durch gewisse Akzente eine Rückkehr zu einer Epoche bedeutet, von der ich glaubte, dass sie für immer hinter uns liegen würde: Die Zeit des deutsch-polnischen Gegensatzes, der durch das kommunistische System und seine staatliche Propaganda verstärkt wurde.
Bronislaw Geremek: Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland haben sich in den letzten 16 Jahren, seit 1989, mit der Unterzeichnung der beiden deutsch-polnischen Verträge gewandelt. Damals wurde eine Veränderung eingeleitet, die mir fast als wunderbar erscheint. Die deutsch-polnische Aussöhnung vollzog sich in einem viel kürzeren Zeitraum als in zwei anderen Fällen, die mit den Franzosen und mit den Juden. Diese Aussöhnung war Teil der europäischen Erweiterung von 2004 und ist Teil der Vereinigung von Europa, die gegenwärtig stattfindet. Im Augenblick ist allerdings eine unerwartete Verschlechterung der Beziehungen zu beobachten. Die Aussöhnung ist gefährdet.
Heinemann: Wer trägt die Verantwortung dafür?
Geremek: Die ist geteilt. Da ist zum einen die Erinnerung, die Hinwendung zur Geschichte, das, was man mit einem unglücklichen Begriff "Geschichtspolitik" bezeichnet. Das Vorhaben, in Berlin ein Museum über die Leiden der Deutschen, der von ihren Geburtsorten Vertriebenen zu gründen, wird von polnischer Seite als eine Umkehrung der geschichtlichen Bewertung verstanden.
Heinemann: Sehen Sie das auch so?
Geremek: Ja. Ich meine, dass wenn die Deutschen als Opfer dargestellt werden, und zwar als Opfer der Polen oder der Tschechen, dies nicht nur ungerechtfertigt ist, sondern dies auch Zweifel aufkommen lässt an der Stabilität der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland.
Heinemann: Aber es gab doch Opfer der Vertreibung. Warum sollte man dieser Opfer nicht gedenken?
Geremek: Ich glaube nicht, dass die Leiden eines Volkes oder einer Gruppe bezweifelt werden. Die polnischen Bischöfe haben sich vor 40 Jahren an die deutschen Bischöfe gewandt und haben gesagt: "Wir vergeben euch und wir bitten um Vergebung." Sie wurden damals von dem kommunistischen Regime beschuldigt, die nationale Sache Polens zu verraten.
Heinemann: Haben Sie den Eindruck, dass man in Deutschland die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umschreiben will?
Geremek: Das Deutschland, welches Frau Erika Steinbach vertritt, möchte dies tun. Sie ist Tochter eines deutschen Unteroffiziers, der polnischen Boden besetzt hatte - und sie nennt sich nun "Vertriebene". Auf der anderen Seite gibt es die würdigen und wahrheitsgerechten Worte von Bundespräsident Horst Köhler, der kürzlich bei einer Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen gesagt hat: "Ich fühle mich nicht als Vertriebener." Man muss klarstellen, wer für dieses Unglück und diese Leiden verantwortlich ist: Es war Nazi-Deutschland, welches den Krieg begonnen hat. Und dann kann man auch der Leiden derjenigen gedenken, die von ihrem Boden vertrieben wurden. Etwa im Rahmen des Projektes der ehemaligen Präsidenten Johannes Rau und Alexander Kwasniewski eines europäischen Netzwerks der Erinnerung. Aber nicht in der Hauptstadt Deutschlands.
Heinemann: Wenn man etwa die Aktivitäten der nationalistischen Organisation Endetia berücksichtigt, gab es vor dem Krieg in Polen die Idee oder das Vorhaben, die deutsche Minderheit zu vertreiben?
Geremek: Ich kenne kein Vorhaben von Vertreibung. Ich stelle mit Bitterkeit fest, dass nun eine politische Gruppierung in Polen die Rechte der deutschen Minderheit zerstören will. Auf eine solche Art Politik sollte man niemals zurückgreifen. Auf polnischer Seite kehrt gegenwärtig eine gewisse nationalistische Aggressivität zurück, die schmerzlich ist. Ein anderes Problem, das die deutsch-polnischen Beziehungen belastet, ist dieser Plan einer Gas-Pipeline durch die Ostsee, um Polen, Litauen und die Ukraine zu umgehen. Dies wurde nicht nur von der deutschen Regierung unterstützt, sondern der ehemalige Bundeskanzler wurde auch noch Präsident des zuständigen russischen Unternehmens. Dies hat zur Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen beigetragen. Aber zur Wahrheit gehört auch - und ich beobachte dies höchst beunruhigt -, dass in Polen im vergangenen Jahr eine antideutsche Propaganda zurückgekehrt ist, die vor dem Krieg von einer bestimmten politischen Bewegung benutzt wurde - Sie haben Endetia erwähnt. Diese Propaganda bildete auch eine Daseinsgrundlage der kommunistischen Macht, die ihre Legitimität aus einer deutschen Gefahr bezog. Ich möchte, dass dieses Kapitel ein für alle Mal geschlossen sein möge.
Heinemann: In Spanien hat eine moderne politische Rechte das Land reformiert. Ist dies mit der gegenwärtigen polnischen Rechten möglich?
Geremek: Ich bin Bürger meines Landes und möchte deshalb, dass es dazu kommt. Aber wenn ich nachdenke, dann stelle ich beunruhigt fest, dass gegenwärtig nicht die Rechte das Land regiert, sondern extremistische Tendenzen, die zum Vorschein gekommen sind, da zur gegenwärtigen Regierungskoalition auch extremistische Elemente gehören. Polen benötigte eine vernünftige Politik, die in der Lage wäre, mit Hilfe der europäischen Solidarität das Land zu modernisieren. Außerdem müsste gewährleistet sein, wie es Premierminister Jarosław Kaczynski kürzlich in Warschau vor dem diplomatischen Korps gesagt hat, dass Polen eine proeuropäische Politik verfolgen wird, dass sich Polen für ein starkes Europa einsetzt und gute Beziehungen zu Deutschland unterhalten möchte. Ich hoffe, dass es eher diese Erklärung ist, an der sich die künftige polnische Politik ausrichten wird, anstelle der Propaganda, die durch gewisse Akzente eine Rückkehr zu einer Epoche bedeutet, von der ich glaubte, dass sie für immer hinter uns liegen würde: Die Zeit des deutsch-polnischen Gegensatzes, der durch das kommunistische System und seine staatliche Propaganda verstärkt wurde.