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"Die Basisdemokratie ist auch ein Problem"

Das sei kein gutes Verfahren, urteilt der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi über das Mitgliedervotum zu einer Koalition mit der Union. Er sei kein Freund von Basisdemokratie in Zeiten der Globalisierung und der neuen Informationssysteme. Es könnten allzu leicht Emotionen über das Internet organisiert werden.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Peter Kapern | 28.09.2013
    Peter Kapern: Der SPD-Vorstand traut sich also was, er will Sondierungsgespräche mit der Union führen. Aber er traut sich nicht so richtig, denn sollte es auch zu einem Koalitionsvertrag kommen, dann sollen die Mitglieder über den Einstieg in eine große Koalition entscheiden. Das hat der Parteikonvent gestern Abend so beschlossen. So basisdemokratisch war die Regierungsbildung in Deutschland noch nie!

    Nach dem SPD-Parteikonvent (MP3-Audio) Nach dem SPD- Parteikonvent, Beitrag von Theo Geers

    Und bei uns ist am Telefon Klaus Dohnanyi von der SPD, früher Bildungsminister der Bundesregierung und dann erster Bürgermeister von Hamburg, guten Tag, Herr von Dohnanyi!

    Klaus von Dohnanyi: Guten Tag!

    Kapern: Haben wir es denn nun mit einem starken SPD-Vorstand zu tun, weil er sich in Sondierungsgespräche mit der Union traut, oder handelt es sich um einen schwachen SPD-Vorstand, weil er sich nicht zutraut, einen Koalitionsvertrag ohne Votum der Mitglieder abzuschließen?

    von Dohnanyi: Ich glaube, der SPD-Vorstand ist in einer schwierigen Lage, weil es Leute gibt, die behaupten, dass die Basis dagegen sei. Ich bin da gar nicht so sicher. Und im Übrigen hat natürlich Deutschland, wenn man die Stimmen nimmt und nicht, wer am Ende ins Parlament gekommen ist, und die Wanderungsbewegungen bedenkt, eindeutig etwas knapp, aber doch eindeutig rechts gewählt und nicht links. Und da muss man schon aufpassen, dass man jetzt nicht die eigenen Leute in die Schwierigkeit bringt, dass sie eventuell etwas ablehnen, was auch das Volk im Grunde genommen eigentlich will.

    Kapern: Welche Risiken sehen Sie denn bei dem gestern beschlossenen Verfahren?

    von Dohnanyi: Das wird man sehen, das kommt, glaube ich, jetzt darauf an, wie die Sanierungsgespräche verlaufen. Ich gehe davon aus, dass Frau Merkel nun einlädt, und ich gehe dann davon aus, dass die sozialdemokratische Führung, die ja an diesen Gesprächen teilnimmt und die Gespräche ja auch sehr stark bestimmen wird durch ihre Forderungen, dass die prüfen wird, was die Union machen kann und was die Union auch ihrerseits nicht machen kann. Also, wenn man einen Politikwechsel will, dann muss man natürlich auch wissen, dass die andere Seite vielleicht keinen Politikwechsel will. Und deswegen braucht man Kompromisse. Und ich denke, die Sozialdemokraten waren eigentlich immer vernünftig genug, um am Ende zu vernünftigen Kompromissen zu kommen. Im Übrigen ist die These, dass man, wenn man in die Regierung mit der Union geht oder mit Frau Merkel geht, man notwendigerweise verliert, die halte ich für falsch, sondern man muss dann eben die richtige Politik auch außerhalb der Regierung unterstützen und machen, und das geht ja dann.

    Kapern: Besteht denn nicht die Gefahr, Herr von Dohnanyi, dass ein Koalitionsvertrag der Basis zu einer möglicherweise emotionalisierten Abstimmung vorgelegt wird, schon an einer kleinen Petitesse scheitert, weil beispielsweise die SPD nicht ganz den Mindestlohn erreicht, den sie sich in ihrem Programm vorgenommen hat?

    von Dohnanyi: Das kann passieren und ich bin ja im Grunde genommen kein Freund von Basisdemokratie in Zeiten der Globalisierung und in Zeiten der neuen Informationssysteme. Allzu leicht können Sie über das Internet, über Facebook oder was auch immer Emotionen organisieren, wir haben das gesehen, wir kennen das. Und deswegen glaube ich, die Globalisierung und die neuen Informations- und Kommunikationssysteme verlangen im Grunde genommen eine Stärkung des repräsentativen Systems. Und insofern haben wir ja einen Parteitag, wir haben einen Konvent, wir haben einen Vorstand und am Ende hätte ich es bevorzugt natürlich, wenn man in der Lage gewesen wäre, auf diesen Ebenen die Entscheidungen zu treffen. Aber jetzt hat der Parteivorstand sich so entschieden und der Konvent hat sich so entschieden und ich … Im Prinzip bin ich nicht der Meinung, dass das ein gutes Verfahren ist, weil ich nicht glaube, dass es klug ist, immer wieder zurückzugehen auf die sogenannte Basis. Wir haben in Hamburg diesen Rückkauf der Netze hier gehabt, das kostet anderthalb Milliarden Euro, die wir besser in die Universität gesteckt hätten, wo wir ja im Wettbewerb relativ schwach sind. Also, die Basisdemokratie ist auch ein Problem.

    Kapern: Deutet sich mit dem Parteikonventsbeschluss von gestern Abend an, dass der Kleinmut, der die SPD in der letzten großen Koalition ja doch so sehr gekennzeichnet hat, seine Fortsetzung möglicherweise gleich in der nächsten findet?

    von Dohnanyi: Das weiß ich nicht. Ich glaube, es kommt sehr darauf an, wer wie was in dieser Koalition macht. Am Ende sind alle verantwortlich, in dieser sehr schwierigen Lage, in der Europa, die Welt, sich Deutschland befinden, in dieser sehr schwierigen Lage Vernunft Platz zu machen, und nicht notwendigerweise immer als Allererstes auf die eigene Partei zu schauen. Das ist eine Versuchung, der wir alle mal erlegen sind und auch alle mal erliegen, ich habe auch Verständnis dafür, aber es ist nicht die Hauptfrage. Die Hauptfrage ist, wie kriegen wir unter den so schwierigen Bedingungen in der Welt dieses Land sicher und erfolgreich gesteuert? Und da hat die SPD eine große Mitverantwortung und da darf man nicht an irgendwelchen Vorstellungen hängenbleiben, die man selber vielleicht mal an einer Stelle gehabt hat, aber die sich möglicherweise auch durch die weltwirtschaftliche Entwicklung eigentlich überholt haben.

    Kapern: Sie haben eben gesagt, Herr von Dohnanyi, Sie seien sich gar nicht sicher, dass die Basis tatsächlich so sehr gegen eine große Koalition eingestellt sei, wie das viele SPD-Funktionäre derzeit behaupten. Worauf stützt sich das?

    von Dohnanyi: Das stützt sich eigentlich darauf, dass die Basis in allen Parteien meist sehr vernünftig ist, wenn man sie nicht irgendwie in eine falsche Richtung drängt. Das sind alles sehr vernünftige Leute, da sind Handwerker dabei und kleine Unternehmer dabei, da sind Leute in den freien Berufen dabei, da sind natürlich auch Arbeitnehmer, da sind auch Arbeitslose dabei. Aber die Stärke der SPD bestand eigentlich immer in ihrer Verankerung in einer, sage ich mal, bürgerlichen Vernunft. Und das würde ich … Mich würde es sehr wundern, wenn ein Vorstand der SPD einen Vorschlag macht, mehr haben wir nicht erreichen können und das ist jetzt das Paket, was wir euch anbieten können, wenn dann die Mehrheit unter den Mitgliedern sagen würde, nein. Es sei denn, es gelingt irgendwelchen Leuten, über Internet, Facebook und so weiter, irgendetwas zu organisieren, was man schwer heute überschauen kann. Und wir haben das gesehen, das geht in anderen Bereichen auch, und deswegen bin ich eben, wie gesagt, kein besonderer Freund von basisdemokratischen Entscheidungen. Ich halte sie eigentlich für falsch in Zeiten, in denen die Globalisierung von außen von uns bestimmte Dinge verlangt, die man auf der ganzen Breite der Bürgerinnen und Bürger so nicht verstehen kann. Deswegen wählen die ihre Leute. Ich bin mehr dafür, dass man bei der Auswahl der Kandidaten, bei der Auswahl der zukünftigen Bundestagsabgeordneten sehr sorgfältig offen arbeitet, also mit Stimmung der Partei und der Bürger, aber dann hinterher sich auf die repräsentative Demokratie verlässt.

    Kapern: Klaus von Dohnanyi, der frühere Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Herr von Dohnanyi, vielen Dank, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten, schönen Tag noch!

    von Dohnanyi: Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.