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"Die Bauern melken sich mit jedem Liter Milch in den Ruin"

Die Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Ulrike Höfken, hat Verständnis für den Boykott der Milchbauern. Die bisherige Mengenregulierung führe zu Überproduktion und müsse daher geändert werden. Der Lieferboykott sei das letzte Mittel, um auf die desaströse finanzielle Lage aufmerksam zu machen, sagte die Grünen-Politikerin.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Heinemann: Die Milchbauern in Deutschland haben mit ihrem angedrohten Lieferboykott begonnen. Damit protestierten sie gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Milchpreise. Langfristig führten niedrige Preise zu einem Betriebssterben, sagte Gerd Sonnleitner, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Die Bauern fordern 40 Cent pro Liter; gegenwärtig erzielen sie zwischen 27 und 35 Cent. Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) erklärte sich mit den Bauern solidarisch. Seehofer hält sich gegenwärtig zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen der anderen EU-Staaten in Slowenien auf, dem Land, das noch bis Ende Juni die Ratspräsidentschaft inne hat.

    Am Telefon ist Ulrike Höfken, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag!

    Höfken: Schönen guten Tag!

    Heinemann: Frau Höfken, Sie sind selbst Agrarwissenschaftlerin. Ist der Protest der Milchbauern gerechtfertigt?

    Höfken: Ja, der ist auf jeden Fall gerechtfertigt. Man muss sehen: Die Bauern melken sich mit jedem Liter Milch in den Ruin. Sie haben nun mal wie in anderen Bereichen auch weit gestiegene Energiekosten, erheblich gestiegene Futtermittelkosten. Düngemittel, Pflanzenschutz, all das hat sich verteuert. Und sie sind gezwungen, diese Erhöhungen auch weiterzugeben und auf die Milchpreise umzulegen. Sonst können sie nicht existieren. Insofern ist der Lieferboykott das letzte Mittel.

    Heinemann: "Es ist genug Milch da", kommentiert heute die "Frankfurter Rundschau". Europaweit seien es rund fünf Prozent zu viel und das drückt nun mal auf die Preise. Also ist das ein rein symbolischer Protest, der den Kunden gar nicht erreichen wird?

    Höfken: Schon lange bemängeln die Bauern beziehungsweise der Bund Deutscher Milchvieh-Halter wie übrigens auch die Grünen, dass diese Milchmengen-Regulierung politisch immer so gesetzt worden ist, dass eine Überproduktion entstanden ist. Die lag bis zu 20 Prozent über dem Bedarf. Das darf natürlich nicht sein. Und völlig zurecht fordern die Bauern - wie wir übrigens auch eben auch - eine vernünftige Mengenregulierungspolitik. Das ist aber genau das Gegenteil von dem, was die Kommission und Minister Seehofer macht, nämlich nun die Milchpolitik völlig zu liberalisieren und überhaupt keine Mengenregulierung mehr zu betreiben.

    Heinemann: Sie fordern mehr Planwirtschaft?

    Höfken: Nein. Wir fordern ein modernes Mengenregulierungsinstrument. Das müssen ja nicht die überbürokratischen deutschen Quoten sein, sondern es gibt Kriseninterventionen in anderen Bereichen auch. Das sind wirksame Instrumente. Nur wenn man die Regulierung völlig fallen lässt, dann hat man auch als Milcherzeuger überhaupt keine Möglichkeit mehr, auf Angebot und Nachfrage zu reagieren. Das ist mit der Milch ja nicht so, dass man dort das Förderband anstellt und dann mal wieder stoppt, sondern das sind längerfristige Planungen. Die Tiere müssen ja gehalten werden. Sie müssen die Milch erzeugen können. Insofern geht es da nicht ohne ein sinnvolles Anpassungsinstrument.

    Heinemann: Wer sollte denn regulieren?

    Höfken: Die Milcherzeuger haben selbst dazu Vorschläge gemacht und ich denke das ist auch ganz gut. Sie sagen, wir wollen selbst auch die Verantwortung übernehmen. Auf europäischer Ebene - natürlich nicht national - haben sie sich bereits auch zusammengeschlossen und können sich vorstellen, quasi so wie die Tarifverhandlungen von Arbeitnehmern und von Arbeitgebern, auch ein solches Instrument im Bereich der Milch einzuführen. Ich denke das kann funktionieren!

    Heinemann: Wenn die Erzeuger selbst regulieren, dann könnten die Verbraucher die Dummen sein.

    Höfken: Na ja, die Verbraucher sind auf jeden Fall die Dummen, wenn die Bauern nicht mehr da sind. Wer beim Produkt eine vernünftige Qualität haben will, der muss ja nun auch - und das kann sich jeder an allen fünf Fingern abzählen - mindestens die Kosten ersetzt bekommen. Das ist im Moment überhaupt nicht der Fall. Wir reden noch nicht mal von Arbeitskosten. Da setzen die Bauern Stundenlöhne an; die sind jenseits von Gut und Böse. Und ich will auch gar nicht von den Arbeitnehmern sprechen; auch die sind absolut unterbezahlt. Also: Verbraucher haben auch ein Interesse an gesunden Betrieben, übrigens auch an den Arbeitsplätzen und am Erhalt der Landschaft. Das ist genauso wichtig. Verbraucher sind dann die Dummen, wenn es ein Dumping gibt. Das zahlt sich halt nicht aus.

    Heinemann: Die Bauern fordern jetzt 40 Cent pro Liter. Was bedeutete das für die Kunden?

    Höfken: Nun ja, das bedeutet wenige Cent Erhöhung, wenn überhaupt beim Endverbraucherpreis, denn die Bauern kriegen zurzeit im Süden 35 Cent, im Norden 27 Cent. Wenn sie in den Laden gehen und gucken mal auf die Packung, dann ist die natürlich erheblich teuerer, wobei klar ist: Natürlich muss auch die Arbeit der Molkereien bezahlt werden und auch der Handel soll ja seinen Teil abkriegen. Aber Abzocke darf dort nicht geduldet werden und für die Verbraucher wäre es eine sehr geringe Erhöhung.

    Heinemann: Frau Höfken, daran hängt ja auch der Preis für Butter, für Käse, für Joghurt. Wir reden in Deutschland über Armut und über arme Kinder. Wie passt dazu Ihre Forderung?

    Höfken: Nein, das ist richtig. Wenn es um Armut geht, dann ist auch der Staat gefordert, die Mittel für die Hartz-IV-Leistungen endlich angemessen anzupassen. Das ist ja immer noch nicht passiert. Wir brauchen auf jeden Fall für Kinder und Jugendliche viel bessere Sätze und wir brauchen Unterstützung von Familien. Nur das kann ja nicht die Aufgabe der Bauern sein, als Wirtschaftszweig betrieblich für die Sozialpolitik zu sorgen, sondern das muss an anderer Stelle passieren.

    Heinemann: Aber insgesamt ist Ihr Politikansatz schon sehr viel Staat, sehr viel Regulierung und sehr wenig Marktelemente?

    Höfken: Na ja, aber das ist nicht marktkonform, wenn man unter den Gestehungskosten arbeiten muss. Das kann nicht funktionieren, sondern Markt ist, wenn Angebot und Nachfrage aufeinander angepasst werden können. Markt ist, wenn gestiegene Kosten umgelegt werden können und der Verbraucher, die Verbraucherin die Möglichkeit hat, eine vernünftige Qualität nachzufragen. Sozialpolitik ist nicht die Aufgabe der Bauern!

    Heinemann: Benötigen die Bauern mehr Geld aus Brüssel?

    Höfken: Nein. Es geht nicht um mehr Geld, sondern es geht darum: In welchen Töpfen wird was eingesetzt und wo wird es sinnvoll verwendet und welche Anforderungen werden an diese Mittel gestellt. Dass die Zahlungen degressiv sind, dass sie sinken, das ist schon längst beschlossen. Es geht jetzt eigentlich nur darum: Wo werden sie eingesetzt? Da würde ich auch sagen, da gehören die Milcherzeuger sicher zu denjenigen, die mehr Unterstützung brauchen. Im Moment sind die Ackerbaubetriebe - das ist ja gerade auch so eine Diskussion -, die großen Betriebe im Osten, die zum Teil ohne Arbeitskräfte oder mit wenigen Arbeitskräften wirtschaften, übervorteilt im Vergleich zu den tierhaltenden Betrieben. Das ist nicht in Ordnung!

    Heinemann: Ist nicht jede Subvention - für die Milchbauern zum Beispiel - eine Aufforderung an den Großhandel, die Preise weiter zu drücken?

    Höfken: Ja. Das ist ja das Dilemma der Agrarsubventionen in den letzten Jahrzehnten gewesen. Man hat politisch diese Subventionen vor allem deswegen gezahlt, um die Verbraucherpreise niedrig zu halten und auf die Art und Weise den Konsum in anderen Bereichen zu befördern. Nur hat eine solche Politik erhebliche Nachteile: Einerseits für die Steuerzahler, weil das ziemlich zielungenau ist und wir uns ja noch erinnern an die Milchberge und Vernichtung von Lebensmitteln. Das führt also auch nicht zu einer vernünftigen Unterstützung und darum sagen wir auch, die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft sollen unterstützt werden. Das hat den Vorteil, auch international anerkannt zu sein.

    Heinemann: Also Subvention?

    Höfken: Da würde ich nicht mehr den Begriff Subvention unbedingt benutzen, sondern da würde ich sagen die Unterstützung der gesellschaftlichen Leistungen für Umwelt, für Naturschutz, für Tierschutz, für die Reinhaltung des Wassers und auch für die Unterstützung der ländlichen Räume, denn was man absolut nicht dulden darf - ich glaube das haben wir in Deutschland auch gesehen, gerade in den neuen Ländern -, das ist, dass ländliche Regionen veröden und sich entkoppeln von der allgemeinen Entwicklung. Das ist für jedes Bundesland negativ gewesen und das dürfen wir nicht dulden. Auch diese Förderung ist Bestandteil der europäischen Agrarpolitik.

    Heinemann: Ulrike Höfken, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Höfken: Vielen Dank auch!