Nutz: Nicht nur die Mitgliedstaaten untereinander ringen um bessere Positionierungen; auch die einzelnen Institutionen der Union. So will das Europaparlament in die vitalen Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden und droht mit Abstinenz bei Abstimmungen, die für die Umsetzung der Reformen und der Erweiterung nötig sind. Mit Ingo Friedrich, dem stellvertretenden CSU-Vorsitzenden und Vizepräsident des Europaparlaments, habe ich kurz vor der Sendung über die Erwartungen der Abgeordneten an Nizza gesprochen. Erste Frage: Ist es wie Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine gesagt hat, besser kein Ergebnis als ein schlechtes?
Friedrich: Man soll natürlich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ohne einen Erfolg hier in Nizza kann die Osterweiterung nicht geschultert werden. Wenn ich diese Erwartung insofern etwas herunterziehe und sage, ohne ein wirklich akzeptables und respektables Ergebnis können wir die Erweiterung nicht schultern, ist es wichtig, dass der Gipfel ein Erfolg wird. Ich würde jedoch nicht so übereifrig sagen, dann gehen wir mit gar keinem Ergebnis nach Hause.
Nutz: Was ist denn für Sie ein respektables Ergebnis?
Friedrich: Ein respektables Ergebnis heißt, dass die Europäische Union sich so weit reformiert, dass sie in der Lage ist, auch mit wesentlich mehr Mitgliedern zu funktionieren, und dass sie in der Lage ist, den Bürgern die Legitimität nachzuweisen. Konkret bedeutet dies, dass die Zahl der Entscheidungen auf europäischer Ebene, für die die Einstimmigkeit erforderlich ist, reduziert wird und dass gerade für die großen Länder wie Deutschland glaubhaft und überzeugend dargestellt werden kann, in dieser verschlankten handlungsfähigen Europäischen Union haben die großen Staaten, haben insbesondere Länder wie Deutschland auch wirklich ihre Vertretung und ihr Gewicht auf der europäischen Ebene. Sie finden sich dort in dem Entscheidungsmechanismus wirklich wieder.
Nutz: Herr Friedrich, kommen wir zum ersten Punkt, den Sie genannt haben: das Mehrheitsvotum vorrangig vor dem Einstimmigkeitsprinzip. Gilt das für Sie auch für so sensible Sachbereiche wie Asyl- und Einwanderungsrecht, Steuerharmonisierung, Strukturfonds und Handelsfragen?
Friedrich: Im Prinzip ja. Das heißt konkret: Natürlich hat jedes Land einen Bereich, wo es besondere Schwierigkeiten hat, die Einstimmigkeitserfordernisse aufzugeben. Das ist für uns Deutsche der sensible Bereich der Zuwanderung und des Asylrechts, weil wir ansonsten die Sorge haben müssen, dass noch mehr Menschen zu uns kommen, was wir nicht verkraften können. Das ist zum Beispiel für Luxemburg dieses leidige Problem der Quellensteuer.
Ich würde sagen, wir Deutsche sollten bereit sein, dieses in die Mehrheitsentscheidung dann zu überführen, wenn auch die anderen Länder bereit sind, ihre heiligen Kühe zu schlachten. Wir als Deutsche können nicht alleine unseren Beitrag dazu leisten, und andere Länder würden dann ihre sensiblen Bereiche in dem Teil der Einstimmigkeitserfordernisse nach wie vor halten. Es gilt hier der Grundsatz: wenn ihr bereit seid, einiges aufzugeben, dann wir auch. Und wenn die Stimmengewichtung sowie die Proportionalität im Europäischen Parlament für die Deutschen nachweist, ja, auch wenn dort nicht mehr mit Einstimmigkeit entschieden wird, so finden sich bei einer Mehrheitsentscheidung die wichtigen deutschen Einflüsse - immerhin sind wir mit 80 Millionen Menschen das größte Volk und damit auch die stärkste Wirtschaftsmacht in Europa - bei der Stimmengewichtung im Europäischen Parlament und im Ministerrat deutlich wieder.
Nutz: Herr Friedrich, hoffentlich habe ich Sie jetzt richtig verstanden. Sie sind ja auch stellvertretender CSU-Vorsitzender. Sie teilen also nicht die Kritik von Herrn Stoiber an der Strategie der Bundesregierung, bei dieser Stimmengewichtung auf einer größeren Gewichtung auf Grund der Demographie zu bestehen?
Friedrich: Dann haben Sie irgendwo eine Äußerung gefunden, die so nicht richtig ist.
Nutz: Herr Stoiber hat das gestern ganz massiv und stark kritisiert.
Friedrich: Es ist zu kritisieren, dass Bundeskanzler Schröder diesen Gipfel sehr lieblos vorbereitet hat. Da gab es eine Schwierigkeit, dass in Frankreich die Verbindung von einem sozialistischen Ministerpräsidenten zu einem christdemokratisch-konservativen Staatspräsidenten problematisch ist. In Deutschland hat man den Gipfel lange Zeit nicht als Chefsache behandelt. Wir von der CSU wollen das Gewicht der Deutschen stärken. Wir wollen keinen unnötigen Streit mit dem französischen Staatspräsidenten. Diese Stimmengewichtung kann auch in einer anderen Form korrekt zum Ausdruck gebracht werden, zum Beispiel wenn bei der Entscheidung innerhalb des Ministerrates jedes Land eine Stimme hat, aber nur wenn die Mehrheit der Bevölkerung durch diese Stimmenzahl auch repräsentiert wird, dass dann diese Entscheidung gilt. Das heißt es gibt nicht nur eine Methode, das Gewicht der Deutschen in der Zahl der Stimmen zum Ausdruck zu bringen, sondern es gibt auch eine zweite Methode mit der sogenannten doppelten Mehrheit. Für beide Fälle sind wir bereit mitzuarbeiten, aber einer dieser Fälle muss eintreten. Es kann nicht so bleiben wie es ist.
Nutz: Herr Friedrich, politische Beobachter sehen für das Parlament beispielsweise unheilvolle Zeichen für die Kräfteverhältnisse in der Union. Das Parlament, so fürchten sie, könnte zur Manövriermasse verkommen. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Friedrich: Diese Befürchtung muss gesehen werden, denn das Parlament - und die Christdemokraten haben ja derzeit als größte Fraktion eine ganz wichtige Schaltfunktion in diesem Parlament - muss darauf bestehen, dass in den Bereichen, in denen die Entscheidungsbefugnisse der Europäischen Union von der Einstimmigkeitserfordernis in die bloße Mehrheitsentscheidung überführt wird, die Mitentscheidungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments ebenfalls eingeführt wird. Es ist bisher so, dass in allen Bereichen, wo im Ministerrat mit Mehrheit entschieden wird, das Europäische Parlament die Mitentscheidungsmöglichkeit hat, also eine stärkere Einflussmöglichkeit als die bloße Anhörung, wie es beim Einstimmigkeitserfordernis der Fall ist. Natürlich muss das Parlament hier aufpassen, dass seine Rechte - und es geht hier ja nicht um die Rechte der Abgeordneten, sondern es geht um die Rechte der Vertretung der Bürger, der Vertreter der Bürger, denn die Abgeordneten müssen sich ja verstehen und verstehen sich auch als Vertreter der Bürger - gewahrt bleiben. Das heißt die Möglichkeit der Bürger, via und mit Hilfe ihrer Abgeordneten auf den europäischen Entscheidungsprozess Einfluss zu nehmen, muss gewahrt werden.
Nutz: Als Vertreter der Bürger, als was Sie sich betrachten, hat es ja bereits auch Drohungen gegeben, zum Beispiel in der Person des CDU-Abgeordneten Elmar Brok, der Nizza für das Parlament vorbereitet hat. Da heißt es, wir wollen Druck ausüben, notfalls auch über die nationalen Parlamente, die eine Ratifizierung verhindern könnten. Ist das eigentlich Konsens unter den Abgeordneten?
Friedrich: Es gibt bei 626 Abgeordneten nicht nur Einstimmigkeit innerhalb dieser großen Zahl von Volksvertretern, aber eine deutliche Mehrheit ist in der Tat der Meinung, dass wenn der Vertrag von Nizza, der hier ausgehandelt werden soll, nicht ein respektables Ergebnis, ein gutes Ergebnis erzielt, wenn also die Handlungs- und Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union nicht gegeben ist, dann werden wir in der Diskussion dieser Vertragsergebnisse sicher auch die Möglichkeit einer Ablehnung ins Auge fassen. Sicher haben wir da auch viele Freunde in den nationalen Parlamenten. Die nationalen Volksvertreter sind natürlich an einem respektablen und guten Ergebnis von Nizza interessiert. Spätestens wenn es um die Erweiterung geht, wo ja die Erfordernis vorhanden ist, dass das Europäische Parlament mit absoluter Mehrheit zustimmt, dann wird sich zeigen, dass das Europäische Parlament nur bereit, die Erweiterung vorzunehmen, wenn vorher diese Voraussetzungen durch einen guten Vertrag, durch ein respektables Ergebnis von Nizza wirklich gegeben ist.
Nutz: Also notfalls auch eine Stimmverweigerung oder Zustimmungsverweigerung für die EU-Erweiterung?
Friedrich: Selbstverständlich. Ohne Handlungs- und Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union wäre es unverantwortlich, dann einer Erweiterung zuzustimmen. Die Bedingungen müssen stimmen. Das heißt die Kandidaten müssen ihre Bedingungen erfüllen und die Europäische Union muss in der Lage sein, eine solche riesige Aufgabe wie die Erweiterung zu schultern, indem sie erweiterungsfähig ist.
Nutz: Noch kurz, Herr Friedrich: Wie will sich Straßburg, wie will sich das Parlament auf die Erweiterung einstellen? Es soll ja nicht mehr als 700 Sitze geben. Wie viel ist etwa Deutschland bereit abzugeben? Es sind Zahlen zu lesen, dass nach der Erweiterung die Deutschen zwischen 10 und fast 30 Sitze abgeben müssen. Ist die Bereitschaft hierzu vorhanden?
Friedrich: Nein. Das sind übertriebene Zahlen. Das Parlament hat eine klare Linie beschlossen, nämlich vier Abgeordnete für jedes Land als Mindestzahl. Kleine Länder wie Luxemburg oder Malta sollten vier Abgeordnete haben, obwohl sie rein nach der Proportionalität vielleicht nur einen oder zwei bekommen sollten. Darüber hinaus gilt die Proportionalität. Für die nächste Runde kann es daher durchaus sein, dass wir fünf oder acht Abgeordnete weniger haben könnten, aber es bedeutet auch, dass andere Länder deutlich mehr Abgeordnete abgeben müssen als die Deutschen, weil bisher die Proportionalität, die nunmehr durch Parlamentsbeschluss verlangt wird, viel zu wenig gegeben ist. Wir haben bisher eine sogenannte degressive Proportionalität. Das heißt gerade die Deutschen haben deutlich weniger Abgeordnete, als ihnen nach der Bevölkerungszahl zustünde. Dies muss im Rahmen dieses Prozesses ebenfalls korrigiert werden.
Nutz: Dort gibt es aber noch keinen wirklichen Konsens? Das muss später auch noch verhandelt werden?
Friedrich: Innerhalb des Ministerrates ist dazu noch kein endgültiger Konsens vorhanden, aber die Ministerpräsidenten sind, wie ich es gestern Abend gehört habe, durchaus bereit, in die Richtung zu gehen, wie es das Parlament in seinem Beschluss dazu festgelegt hat.
Nutz: Im Gespräch war das Ingo Friedrich, der Vizepräsident des Europaparlaments, zum Beginn des EU-Gipfels in Nizza. - Auf Wiederhören und danke!
Link: Interview als RealAudio
Friedrich: Man soll natürlich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ohne einen Erfolg hier in Nizza kann die Osterweiterung nicht geschultert werden. Wenn ich diese Erwartung insofern etwas herunterziehe und sage, ohne ein wirklich akzeptables und respektables Ergebnis können wir die Erweiterung nicht schultern, ist es wichtig, dass der Gipfel ein Erfolg wird. Ich würde jedoch nicht so übereifrig sagen, dann gehen wir mit gar keinem Ergebnis nach Hause.
Nutz: Was ist denn für Sie ein respektables Ergebnis?
Friedrich: Ein respektables Ergebnis heißt, dass die Europäische Union sich so weit reformiert, dass sie in der Lage ist, auch mit wesentlich mehr Mitgliedern zu funktionieren, und dass sie in der Lage ist, den Bürgern die Legitimität nachzuweisen. Konkret bedeutet dies, dass die Zahl der Entscheidungen auf europäischer Ebene, für die die Einstimmigkeit erforderlich ist, reduziert wird und dass gerade für die großen Länder wie Deutschland glaubhaft und überzeugend dargestellt werden kann, in dieser verschlankten handlungsfähigen Europäischen Union haben die großen Staaten, haben insbesondere Länder wie Deutschland auch wirklich ihre Vertretung und ihr Gewicht auf der europäischen Ebene. Sie finden sich dort in dem Entscheidungsmechanismus wirklich wieder.
Nutz: Herr Friedrich, kommen wir zum ersten Punkt, den Sie genannt haben: das Mehrheitsvotum vorrangig vor dem Einstimmigkeitsprinzip. Gilt das für Sie auch für so sensible Sachbereiche wie Asyl- und Einwanderungsrecht, Steuerharmonisierung, Strukturfonds und Handelsfragen?
Friedrich: Im Prinzip ja. Das heißt konkret: Natürlich hat jedes Land einen Bereich, wo es besondere Schwierigkeiten hat, die Einstimmigkeitserfordernisse aufzugeben. Das ist für uns Deutsche der sensible Bereich der Zuwanderung und des Asylrechts, weil wir ansonsten die Sorge haben müssen, dass noch mehr Menschen zu uns kommen, was wir nicht verkraften können. Das ist zum Beispiel für Luxemburg dieses leidige Problem der Quellensteuer.
Ich würde sagen, wir Deutsche sollten bereit sein, dieses in die Mehrheitsentscheidung dann zu überführen, wenn auch die anderen Länder bereit sind, ihre heiligen Kühe zu schlachten. Wir als Deutsche können nicht alleine unseren Beitrag dazu leisten, und andere Länder würden dann ihre sensiblen Bereiche in dem Teil der Einstimmigkeitserfordernisse nach wie vor halten. Es gilt hier der Grundsatz: wenn ihr bereit seid, einiges aufzugeben, dann wir auch. Und wenn die Stimmengewichtung sowie die Proportionalität im Europäischen Parlament für die Deutschen nachweist, ja, auch wenn dort nicht mehr mit Einstimmigkeit entschieden wird, so finden sich bei einer Mehrheitsentscheidung die wichtigen deutschen Einflüsse - immerhin sind wir mit 80 Millionen Menschen das größte Volk und damit auch die stärkste Wirtschaftsmacht in Europa - bei der Stimmengewichtung im Europäischen Parlament und im Ministerrat deutlich wieder.
Nutz: Herr Friedrich, hoffentlich habe ich Sie jetzt richtig verstanden. Sie sind ja auch stellvertretender CSU-Vorsitzender. Sie teilen also nicht die Kritik von Herrn Stoiber an der Strategie der Bundesregierung, bei dieser Stimmengewichtung auf einer größeren Gewichtung auf Grund der Demographie zu bestehen?
Friedrich: Dann haben Sie irgendwo eine Äußerung gefunden, die so nicht richtig ist.
Nutz: Herr Stoiber hat das gestern ganz massiv und stark kritisiert.
Friedrich: Es ist zu kritisieren, dass Bundeskanzler Schröder diesen Gipfel sehr lieblos vorbereitet hat. Da gab es eine Schwierigkeit, dass in Frankreich die Verbindung von einem sozialistischen Ministerpräsidenten zu einem christdemokratisch-konservativen Staatspräsidenten problematisch ist. In Deutschland hat man den Gipfel lange Zeit nicht als Chefsache behandelt. Wir von der CSU wollen das Gewicht der Deutschen stärken. Wir wollen keinen unnötigen Streit mit dem französischen Staatspräsidenten. Diese Stimmengewichtung kann auch in einer anderen Form korrekt zum Ausdruck gebracht werden, zum Beispiel wenn bei der Entscheidung innerhalb des Ministerrates jedes Land eine Stimme hat, aber nur wenn die Mehrheit der Bevölkerung durch diese Stimmenzahl auch repräsentiert wird, dass dann diese Entscheidung gilt. Das heißt es gibt nicht nur eine Methode, das Gewicht der Deutschen in der Zahl der Stimmen zum Ausdruck zu bringen, sondern es gibt auch eine zweite Methode mit der sogenannten doppelten Mehrheit. Für beide Fälle sind wir bereit mitzuarbeiten, aber einer dieser Fälle muss eintreten. Es kann nicht so bleiben wie es ist.
Nutz: Herr Friedrich, politische Beobachter sehen für das Parlament beispielsweise unheilvolle Zeichen für die Kräfteverhältnisse in der Union. Das Parlament, so fürchten sie, könnte zur Manövriermasse verkommen. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Friedrich: Diese Befürchtung muss gesehen werden, denn das Parlament - und die Christdemokraten haben ja derzeit als größte Fraktion eine ganz wichtige Schaltfunktion in diesem Parlament - muss darauf bestehen, dass in den Bereichen, in denen die Entscheidungsbefugnisse der Europäischen Union von der Einstimmigkeitserfordernis in die bloße Mehrheitsentscheidung überführt wird, die Mitentscheidungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments ebenfalls eingeführt wird. Es ist bisher so, dass in allen Bereichen, wo im Ministerrat mit Mehrheit entschieden wird, das Europäische Parlament die Mitentscheidungsmöglichkeit hat, also eine stärkere Einflussmöglichkeit als die bloße Anhörung, wie es beim Einstimmigkeitserfordernis der Fall ist. Natürlich muss das Parlament hier aufpassen, dass seine Rechte - und es geht hier ja nicht um die Rechte der Abgeordneten, sondern es geht um die Rechte der Vertretung der Bürger, der Vertreter der Bürger, denn die Abgeordneten müssen sich ja verstehen und verstehen sich auch als Vertreter der Bürger - gewahrt bleiben. Das heißt die Möglichkeit der Bürger, via und mit Hilfe ihrer Abgeordneten auf den europäischen Entscheidungsprozess Einfluss zu nehmen, muss gewahrt werden.
Nutz: Als Vertreter der Bürger, als was Sie sich betrachten, hat es ja bereits auch Drohungen gegeben, zum Beispiel in der Person des CDU-Abgeordneten Elmar Brok, der Nizza für das Parlament vorbereitet hat. Da heißt es, wir wollen Druck ausüben, notfalls auch über die nationalen Parlamente, die eine Ratifizierung verhindern könnten. Ist das eigentlich Konsens unter den Abgeordneten?
Friedrich: Es gibt bei 626 Abgeordneten nicht nur Einstimmigkeit innerhalb dieser großen Zahl von Volksvertretern, aber eine deutliche Mehrheit ist in der Tat der Meinung, dass wenn der Vertrag von Nizza, der hier ausgehandelt werden soll, nicht ein respektables Ergebnis, ein gutes Ergebnis erzielt, wenn also die Handlungs- und Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union nicht gegeben ist, dann werden wir in der Diskussion dieser Vertragsergebnisse sicher auch die Möglichkeit einer Ablehnung ins Auge fassen. Sicher haben wir da auch viele Freunde in den nationalen Parlamenten. Die nationalen Volksvertreter sind natürlich an einem respektablen und guten Ergebnis von Nizza interessiert. Spätestens wenn es um die Erweiterung geht, wo ja die Erfordernis vorhanden ist, dass das Europäische Parlament mit absoluter Mehrheit zustimmt, dann wird sich zeigen, dass das Europäische Parlament nur bereit, die Erweiterung vorzunehmen, wenn vorher diese Voraussetzungen durch einen guten Vertrag, durch ein respektables Ergebnis von Nizza wirklich gegeben ist.
Nutz: Also notfalls auch eine Stimmverweigerung oder Zustimmungsverweigerung für die EU-Erweiterung?
Friedrich: Selbstverständlich. Ohne Handlungs- und Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union wäre es unverantwortlich, dann einer Erweiterung zuzustimmen. Die Bedingungen müssen stimmen. Das heißt die Kandidaten müssen ihre Bedingungen erfüllen und die Europäische Union muss in der Lage sein, eine solche riesige Aufgabe wie die Erweiterung zu schultern, indem sie erweiterungsfähig ist.
Nutz: Noch kurz, Herr Friedrich: Wie will sich Straßburg, wie will sich das Parlament auf die Erweiterung einstellen? Es soll ja nicht mehr als 700 Sitze geben. Wie viel ist etwa Deutschland bereit abzugeben? Es sind Zahlen zu lesen, dass nach der Erweiterung die Deutschen zwischen 10 und fast 30 Sitze abgeben müssen. Ist die Bereitschaft hierzu vorhanden?
Friedrich: Nein. Das sind übertriebene Zahlen. Das Parlament hat eine klare Linie beschlossen, nämlich vier Abgeordnete für jedes Land als Mindestzahl. Kleine Länder wie Luxemburg oder Malta sollten vier Abgeordnete haben, obwohl sie rein nach der Proportionalität vielleicht nur einen oder zwei bekommen sollten. Darüber hinaus gilt die Proportionalität. Für die nächste Runde kann es daher durchaus sein, dass wir fünf oder acht Abgeordnete weniger haben könnten, aber es bedeutet auch, dass andere Länder deutlich mehr Abgeordnete abgeben müssen als die Deutschen, weil bisher die Proportionalität, die nunmehr durch Parlamentsbeschluss verlangt wird, viel zu wenig gegeben ist. Wir haben bisher eine sogenannte degressive Proportionalität. Das heißt gerade die Deutschen haben deutlich weniger Abgeordnete, als ihnen nach der Bevölkerungszahl zustünde. Dies muss im Rahmen dieses Prozesses ebenfalls korrigiert werden.
Nutz: Dort gibt es aber noch keinen wirklichen Konsens? Das muss später auch noch verhandelt werden?
Friedrich: Innerhalb des Ministerrates ist dazu noch kein endgültiger Konsens vorhanden, aber die Ministerpräsidenten sind, wie ich es gestern Abend gehört habe, durchaus bereit, in die Richtung zu gehen, wie es das Parlament in seinem Beschluss dazu festgelegt hat.
Nutz: Im Gespräch war das Ingo Friedrich, der Vizepräsident des Europaparlaments, zum Beginn des EU-Gipfels in Nizza. - Auf Wiederhören und danke!
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