Geißler: Mitglied für Mitglied hat Unionskanzlerkandidat Stoiber in den vergangenen Wochen sein Kompetenzteam vorgestellt, und eine weitere Benennung steht bevor. Wer soll für die Bereiche Frauen, Jugend und Familie zuständig sein? Die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche, so wie es aussieht. Eine junge Abgeordnete aus Brandenburg, die vielleicht nicht gerade ins klassische Frauenbild konservativer Wählerschichten passt. Doch Kanzlerkandidat Stoiber wollte eventuell auch demonstrieren, wie progressiv die Union nun geworden ist. Doch nun ist fraglich, ob Reiche tatsächlich auch für die Familienpolitik zuständig sein soll. Zweifel habe es gegeben, nicht nur, was ihre Kompetenz in Sachen Familienpolitik angeht. Die 28jährige ist Mutter und unverheiratet. Der CDU-Politiker Heiner Geißler ist nun am Telefon. Was halten Sie denn von der ganzen Diskussion?
Geißler: Das ist eine höchst überflüssige Diskussion. Diejenigen, die Frau Reiche hier die Fähigkeit absprechen, Familienministerin zu ein, entsprechen auch nicht dem Familienbild der CDU. Wo Kinder sind, da ist Familie. Das ist unsere Auffassung. Auch eine alleinstehende Mutter, eine alleinerziehende Mutter oder auch ein alleinerziehender Vater, bei dem die Kinder sind, sie alle bilden eine Familie. Es kommt nicht auf den partnerschaftlichen Rechtsstatus der Eltern an, wenn es um die Frage geht, ob diese Gemeinschaft eine Familie ist.
Ensminger: Nun hat die Vorsitzende der Frauenunion Böhmer dementiert, dass sie die Wortführerin der Kritiker an der CDU-Abgeordneten Reiche gewesen sei, so hieß es ja erst. Woher bläst denn eigentlich der Wind?
Geißler: Wer hier kritisiert, das weiß ich nicht. Ich kann nur aus den Zeitungen entnehmen, dass eine Diskussion im Gang ist. Jedenfalls wäre eine Diskriminierung von alleinstehenden Müttern ein Rückfall in das vorletzte Jahrhundert, wo so genannte uneheliche Kinder und uneheliche Mütter diskriminiert worden sind. Das darf doch heute keine Rolle mehr spielen, wenn es um die Frage der Familie geht. Es geht ja nicht um die Frage der Ehe, sondern es geht um die Frage, wo und wann eine Familie da ist. Und es ist ganz sicher: Frau Reiche hat eine Familie.
Ensminger: Trotzdem war im Gespräch, dass Frau Reiche eventuell jetzt nur noch Frauen- und Jugendpolitik machen soll, nicht aber Familienpolitik. Wenn es so kommt, halten Sie dann die Entscheidung für richtig?
Geißler: Nein. Wenn es so kommt, dann wäre das eine falsche Entscheidung. Ich nehme nicht an, dass sich Edmund Stoiber da nach irgendwelchen religiösen Ajatolas richten wird.
Ensminger: Aber sollte die Union tatsächlich einen Rückzieher beim Aufgabenbereich Familie machen, wäre das natürlich eine Steilvorlage für die SPD, oder?
Geißler: Das wäre auf jeden Fall eine Entscheidung, die sicher insbesondere bei vielen jungen Frauen Unverständnis hervorrufen würde. Und für die Bundestagswahl hat das ganz sicher auch Auswirkungen. Man darf ja auch nicht vergessen: Auch die Älteren, die Angehörigen der mittleren und älteren Generation denken nicht mehr so wie vor 150 Jahren.
Ensminger: Nun berichtete die Bild-Zeitung unter Berufung auf Informationen aus der CDU-Spitze, Reiche solle doch für einige Familienthemen zuständig sein, aber materielle Inhalte der Familienpolitik werde Ex-Gesundheitsminister Seehofer verantworten. Riecht nach einem faulen Kompromiss?
Geißler: Das sind aber alles Gerüchte. Das ist immer eine beliebte Formulierung als Journalist, wenn man nichts weiß. Es kann ja auch eine journalistische Kampagne sein. Ganz sicher wird es den einen oder anderen geben, oder die eine oder andere, die mit dieser Berufung von Frau Reiche nicht einverstanden sind. Es lässt sich ja nie ausschließen. Aber darauf darf es doch nicht ankommen. Ich meine, man muss sich über die Konsequenzen im klaren sein, die eine solche Entscheidung nach sich zieht. Dann könnte eine alleinstehende Mutter oder ein alleinstehender Vater nie Familienminister werden.
Ensminger: Haben Sie denn innerhalb der Diskussion überhaupt über solche Kritik schon mal etwas gehört?
Geißler: Ich persönlich nicht. Es ist in der letzten Woche im Parlament nebenbei gesagt worden, dass es da ein Problem gibt. Aber das waren Gespräche zwischen Abgeordneten.
Ensminger: Jetzt muss man ja schon sagen: Eine Abgeordnete wie Frau Reiche passt vielleicht tatsächlich nicht ins klassische Frauenbild konservativer Wählerschichten. Ist das vielleicht der Grund, warum diese Diskussion aufgekommen ist?
Geißler: Ich weiß nicht, was das konservative Frauenbild ist. Es geht hier um die Frage der Familie, ob jemand Familienministerin werden kann. Es ist ja keine Aussage gemacht über das Verhältnis Ehe und eheähnliche Partnerschaft. Das darf bei dieser Auseinandersetzung überhaupt keine Rolle spielen. Es geht darum, was Familie ist, und ob Frau Reiche eine Familie hat, und das kann konsequenterweise niemand bestreiten.
Ensminger: Sie haben es vorhin selber angesprochen. Die Frage ist natürlich auch: Ist jemand kompetent oder nicht. Es gab ja auch nicht nur Kritik, wenn man der Kritik glauben kann, dass die 28jährige unverheiratet ist, sondern es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob sie die richtige für die Familienpolitik tatsächlich sein kann. In der Tat hatte sie ja bislang andere Schwerpunkte. Wäre das denn für Sie ein akzeptables Argument gegen eine solche Nominierung?
Geißler: Also ich bin selber Familienminister gewesen. Gut, ich hatte mich schon früher mit der Sache befasst. Meine Nachfolgerin war Rita Süssmuth. Sie hatte sich auch vorher mit dem Thema beschäftigt. Andere kamen danach. Da war die Beziehung zur Familienpolitik vielleicht nicht so eng. Angela Merkel hatte mit Sicherheit, bevor sie Familienministerin wurde, auch keine so enge Beziehung zu dem, was familienpolitisch bisher gemacht worden war, und trotzdem ist sie eine gute Familienministerin gewesen. Es kommt ja nicht darauf an, ob ich mich vorher schon intensiv mit einer solchen politischen Sache beschäftigt habe, sondern ob ich insgesamt in der Lage bin, das Problem zu begreifen, daraus die Konsequenzen zu ziehen, und eben auch ein Ministerium leiten zu können. Warum sollen das junge Leute nicht auch können? Als ich Minister wurde, war ich einer der jüngsten, und da gab es viele, die gesagt haben: Jetzt werden die Lausbuben Minister. Aber ich glaube, es war gar nicht so schlecht, was ich in den Ministerien gemacht habe, die ich geleitet habe.
Ensminger: Grundsätzlich, Herr Geißler, würden Sie Herrn Stoiber jetzt raten, dass er die Familienpolitik bei Frau Reiche belassen soll?
Geißler: Das würde ich unbedingt raten. Da darf er keine Abstriche machen.
Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Geißler: Das ist eine höchst überflüssige Diskussion. Diejenigen, die Frau Reiche hier die Fähigkeit absprechen, Familienministerin zu ein, entsprechen auch nicht dem Familienbild der CDU. Wo Kinder sind, da ist Familie. Das ist unsere Auffassung. Auch eine alleinstehende Mutter, eine alleinerziehende Mutter oder auch ein alleinerziehender Vater, bei dem die Kinder sind, sie alle bilden eine Familie. Es kommt nicht auf den partnerschaftlichen Rechtsstatus der Eltern an, wenn es um die Frage geht, ob diese Gemeinschaft eine Familie ist.
Ensminger: Nun hat die Vorsitzende der Frauenunion Böhmer dementiert, dass sie die Wortführerin der Kritiker an der CDU-Abgeordneten Reiche gewesen sei, so hieß es ja erst. Woher bläst denn eigentlich der Wind?
Geißler: Wer hier kritisiert, das weiß ich nicht. Ich kann nur aus den Zeitungen entnehmen, dass eine Diskussion im Gang ist. Jedenfalls wäre eine Diskriminierung von alleinstehenden Müttern ein Rückfall in das vorletzte Jahrhundert, wo so genannte uneheliche Kinder und uneheliche Mütter diskriminiert worden sind. Das darf doch heute keine Rolle mehr spielen, wenn es um die Frage der Familie geht. Es geht ja nicht um die Frage der Ehe, sondern es geht um die Frage, wo und wann eine Familie da ist. Und es ist ganz sicher: Frau Reiche hat eine Familie.
Ensminger: Trotzdem war im Gespräch, dass Frau Reiche eventuell jetzt nur noch Frauen- und Jugendpolitik machen soll, nicht aber Familienpolitik. Wenn es so kommt, halten Sie dann die Entscheidung für richtig?
Geißler: Nein. Wenn es so kommt, dann wäre das eine falsche Entscheidung. Ich nehme nicht an, dass sich Edmund Stoiber da nach irgendwelchen religiösen Ajatolas richten wird.
Ensminger: Aber sollte die Union tatsächlich einen Rückzieher beim Aufgabenbereich Familie machen, wäre das natürlich eine Steilvorlage für die SPD, oder?
Geißler: Das wäre auf jeden Fall eine Entscheidung, die sicher insbesondere bei vielen jungen Frauen Unverständnis hervorrufen würde. Und für die Bundestagswahl hat das ganz sicher auch Auswirkungen. Man darf ja auch nicht vergessen: Auch die Älteren, die Angehörigen der mittleren und älteren Generation denken nicht mehr so wie vor 150 Jahren.
Ensminger: Nun berichtete die Bild-Zeitung unter Berufung auf Informationen aus der CDU-Spitze, Reiche solle doch für einige Familienthemen zuständig sein, aber materielle Inhalte der Familienpolitik werde Ex-Gesundheitsminister Seehofer verantworten. Riecht nach einem faulen Kompromiss?
Geißler: Das sind aber alles Gerüchte. Das ist immer eine beliebte Formulierung als Journalist, wenn man nichts weiß. Es kann ja auch eine journalistische Kampagne sein. Ganz sicher wird es den einen oder anderen geben, oder die eine oder andere, die mit dieser Berufung von Frau Reiche nicht einverstanden sind. Es lässt sich ja nie ausschließen. Aber darauf darf es doch nicht ankommen. Ich meine, man muss sich über die Konsequenzen im klaren sein, die eine solche Entscheidung nach sich zieht. Dann könnte eine alleinstehende Mutter oder ein alleinstehender Vater nie Familienminister werden.
Ensminger: Haben Sie denn innerhalb der Diskussion überhaupt über solche Kritik schon mal etwas gehört?
Geißler: Ich persönlich nicht. Es ist in der letzten Woche im Parlament nebenbei gesagt worden, dass es da ein Problem gibt. Aber das waren Gespräche zwischen Abgeordneten.
Ensminger: Jetzt muss man ja schon sagen: Eine Abgeordnete wie Frau Reiche passt vielleicht tatsächlich nicht ins klassische Frauenbild konservativer Wählerschichten. Ist das vielleicht der Grund, warum diese Diskussion aufgekommen ist?
Geißler: Ich weiß nicht, was das konservative Frauenbild ist. Es geht hier um die Frage der Familie, ob jemand Familienministerin werden kann. Es ist ja keine Aussage gemacht über das Verhältnis Ehe und eheähnliche Partnerschaft. Das darf bei dieser Auseinandersetzung überhaupt keine Rolle spielen. Es geht darum, was Familie ist, und ob Frau Reiche eine Familie hat, und das kann konsequenterweise niemand bestreiten.
Ensminger: Sie haben es vorhin selber angesprochen. Die Frage ist natürlich auch: Ist jemand kompetent oder nicht. Es gab ja auch nicht nur Kritik, wenn man der Kritik glauben kann, dass die 28jährige unverheiratet ist, sondern es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob sie die richtige für die Familienpolitik tatsächlich sein kann. In der Tat hatte sie ja bislang andere Schwerpunkte. Wäre das denn für Sie ein akzeptables Argument gegen eine solche Nominierung?
Geißler: Also ich bin selber Familienminister gewesen. Gut, ich hatte mich schon früher mit der Sache befasst. Meine Nachfolgerin war Rita Süssmuth. Sie hatte sich auch vorher mit dem Thema beschäftigt. Andere kamen danach. Da war die Beziehung zur Familienpolitik vielleicht nicht so eng. Angela Merkel hatte mit Sicherheit, bevor sie Familienministerin wurde, auch keine so enge Beziehung zu dem, was familienpolitisch bisher gemacht worden war, und trotzdem ist sie eine gute Familienministerin gewesen. Es kommt ja nicht darauf an, ob ich mich vorher schon intensiv mit einer solchen politischen Sache beschäftigt habe, sondern ob ich insgesamt in der Lage bin, das Problem zu begreifen, daraus die Konsequenzen zu ziehen, und eben auch ein Ministerium leiten zu können. Warum sollen das junge Leute nicht auch können? Als ich Minister wurde, war ich einer der jüngsten, und da gab es viele, die gesagt haben: Jetzt werden die Lausbuben Minister. Aber ich glaube, es war gar nicht so schlecht, was ich in den Ministerien gemacht habe, die ich geleitet habe.
Ensminger: Grundsätzlich, Herr Geißler, würden Sie Herrn Stoiber jetzt raten, dass er die Familienpolitik bei Frau Reiche belassen soll?
Geißler: Das würde ich unbedingt raten. Da darf er keine Abstriche machen.
Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio