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Die Bezwinger der Eiger-Nordwand

Die Eiger-Nordwand galt lange als unbesteigbar. Trotzdem lockte sie als letzte große Herausforderung der Alpen die besten Bergsteiger Europas an. Die ersten Versuche endeten in furchtbaren Tragödien. Zwei Österreichern und zwei Deutschen gelang schließlich am 24. Juli 1938 die Erstbesteigung.

Von Florian Ehrich | 24.07.2013
    "Von den Tausenden, die jährlich unter dem Schatten dieser grandiosen Mauer vorbeigehen, ist wohl jeder von dem wilden Abbruch zutiefst beeindruckt. Ein Stein, der von der Gratkante abbricht, fällt Hunderte Meter hinunter, ohne einmal aufzuschlagen. Es ist fast verblüffend, dass die Westseite dieses massigen Felsberges verhältnismäßig leicht zu begehen ist, während die Nordwand so jäh in die Tiefe stürzt, als ob hier der ganze Berg abgeschnitten wäre. Glatt und absolut unersteigbar."

    So beschrieb der britische Bergsteiger Adolphus Walburton Moore 1864 die 1650 Meter hohe Eiger-Nordwand. Unersteigbar? In den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gerieten auch die dem Wetter ausgesetzten, ewig verschatteten und oft vereisten Nordwände der Alpen in das Visier der Bergsteiger. Der Nordabsturz des 3970 Meter hohen Eiger in den Berner Alpen galt schließlich als die letzte Herausforderung, wie Anderl Heckmair, einer der Erstbesteiger der Nordwand, erklärte:

    "Alle Gipfel waren erstiegen, alle Grate, alle Wände, auch die Matterhorn-Nordwand und die Grandes Jorasses-Nordwand ist erstiegen, nur die Eiger-Nordwand war noch nicht durchstiegen."

    Die ersten Versuche endeten in furchtbaren Tragödien, die insgesamt acht Todesopfer forderten. Trotzdem wagten die Münchner Anderl Heckmair und Ludwig Vörg nach gründlicher Vorbereitung einen weiteren Anlauf. Sie gehörten zu den besten Kletterern ihrer Zeit und vertrauten auf neuartige Steigeisen, die vor allem das Klettern im Eis sicherer machen sollten.

    Die Männer, die am 21. Juli 1938 in die Wand einsteigen, erwarteten vier Kilometer schwerer Eis- und Felskletterei, Lawinenabgänge und Steinschlag, Unwetter mit Temperaturstürzen und Biwaks ausschließlich im Sitzen auf kleinen Felsvorsprüngen. Unterwegs treffen sie die beiden Österreicher Heinrich Harrer und Fritz Kasparek, mit denen sie später eine Seilschaft bilden. Unter Aufbietung aller Kräfte erreichen sie das große Eisfeld unterhalb des Gipfels, von den Einheimischen die Weiße Spinne genannt. Hier geraten sie in einen Schneesturm.

    "In der Weißen Spinne hat uns das Wetter erwischt. Und von da aus, nach meiner Auffassung, gibt’s kein Umkehren mehr. Wenn man umkehrt und ist schon so weit oben, dann nimmt die Wucht der Lawinen zu. Da hätte ich mehr Angst gehabt beim Hinuntersteigen als beim Hinaufgehen, also es ist schon zu hoch. Ich war eigentlich seelisch befreit, weil ich gewusst hab: Jetzt gibt’s kein Umkehren mehr. Irgendwie kommt man schon durch, wenn man nur die Nerven nicht verliert, und die Nerven hab ich absolut nicht verloren gehabt."

    Nach einem erneuten Biwak auf 3750 Metern Höhe erreicht die Seilschaft am Nachmittag des 24. Juli 1938 den Gipfel des Eigers. Zum ersten Mal ist die Durchsteigung der Nordwand gelungen. Abgekämpft und müde schleppen sich die vier Männer über die Westroute talwärts. Unten erwartet sie eine begeisterte Menschenmenge. Anderl Heckmair:

    "Wir sind unten dann aus dem Nebel herausgekommen, und haben gesehen, da unten hat`s ja gewimmelt wie ein Ameisenhaufen. Und auf einmal ist uns so ein Schweizer Bur entgegen gekommen, das war der Erste, der hat uns groß angeschaut: Kommts ihr aus der Nordwand? – Ja, was ist da unten los? – Das sind eure Freunde von der Bergwacht, hat er gesagt. Und da waren sämtliche Schmerzen jeder Art, wir haben Wehwehchen gehabt, ich hab mir den Knöchel etwas verstaucht, da hat man nichts mehr verspürt …"

    Die Eiger-Nordwand ist seitdem unzählige Male auf verschiedensten Routen durchstiegen worden, forderte aber auch weitere Opfer. Trotz besserer Ausrüstung und alpinistischem Fortschritt bleibt diese Wand für jeden Bergsteiger ein besonderes Wagnis, wie der Grindelwalder Bergführer Godi Egger berichtet:

    "Der Berg ist immer noch der gleiche wie vor 50 oder 100 oder noch mehr Jahren. Natürlich, die Ausrüstung hat sich geändert, man hat heute leichtes Material, sehr gutes Material, das Problem am Eiger ist das: Die Länge dieser Route, wer die Normalroute machen will, und dann eben die Exponiertheit dieses Berges, der ja das Wetter eben von Norden als Erster bekommt. Und es ist gut möglich, dass da ein Gewitter tobt in diesem Eiger, in dieser konkaven Wand, und hier in Grindelwald ist Sonnenschein. Es gibt keine Fluchtwege, weder nach links nach rechts, man kann nicht aussteigen aus der Wand weiter hinauf oder wieder zurück. Und das ist dann eben das, was vielen Mühe bereitet."