
Florian Fricke: Haben sich WU LYF einvernehmlich aufgelöst, oder war es ihre Entscheidung aus der Band auszutreten, Ellery Roberts?
Ellery Roberts: In den anderthalb Jahren nach dem Debut-Album begann die Band langsam zu implodieren. Und an einem bestimmten Punkt habe ich nicht mehr gezögert und habe hingeschmissen.
Fricke: Und zu diesem Zeitpunkt kannten sie sich beide schon?
Roberts: Ich glaube, wir hatten uns kurz vor dem Ende von WU LYF kennengelernt. Unsere Begegnung hat in mir ganz viele Sachen wieder belebt, vor allem meinen Spirit und meine Gefühle.
"Wir haben es probiert, und ich fand es toll"
Fricke: Haben sie sofort zusammen Musik gemacht?
Ebony Hoorn: Erst einmal haben wir herausgefunden, dass wir ein Paar sein wollen. Dann haben wir im Sommer zwei Monate in Thailand verbracht und zusammen Ideen entwickelt. Uns war klar, dass wir etwas gemeinsam machen wollen, gar nicht unbedingt eine Band. Wir hatten so viele Ideen, die darüber hinausgehen, und so hat sich immer mehr das Konzept von LUH herauskristallisiert.
Fricke: Aber sie hatten nie zuvor gesungen?
Hoorn: Nein, vielleicht mal unter der Dusche, aber eine richtige Sängerin wollte ich nie werden. Aber dann hat mich Ellery gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Wir haben es probiert, und ich fand es toll. Für mich hat sich eine Tür geöffnet, und ich konnte ganz neue Sachen ausprobieren.
Fricke: Schreiben sie denn zusammen die Musik, oder sind sie als der Erfahrene federführend, Ellery Roberts?
Roberts: Bisher haben wir es so gemacht, dass ich die Songs geschrieben habe und diverse Textvarianten. Dann betrachten wir die gemeinsam und tauschen und uns darüber aus. Es gibt Songs wie "Futurism", die ich gezielt für ihre Stimme geschrieben habe. Ich benutze Ebonys Stimme immer öfter als Gegengewicht zu meinem doch sehr expressiven Gesang.
Fricke: Aber es geht ihnen nicht nur um die Musik, sondern sie haben um ihre Musik ein philosophisches Gerüst gebaut?
Hoorn: Es geht um eine Welt, in die der Hörer eintauchen kann, um unser Projekt besser zu verstehen. Wir sind Künstler die sich nicht nur durch die Musik ausdrücken wollen. Ich habe eher einen visuellen Hintergrund. Wir schreiben auch und fotografieren, um nur ein paar Beispiele zu geben. Das macht LUH zu einem Gesamtkunstwerk.
Fricke: Sie geben Buckminster Fuller als wichtige Inspirationsquelle an.
Roberts: Buckminster Fuller war Designer, Architekt und Wissenschaftler, vor allem sein Buch "Critical Path" hat es uns angetan. Er suchte stets nach Lösungen, die uns Menschen als Bewohner des ganzen Planten betreffen. Es geht ihm auch um eine kollektive menschliche Erfahrung. Er entwickelte die Dymaxion Weltkarte, die mehr unseren Sinn für Gemeinschaft betont als unseren Drang zur Abgrenzung. Er sprach auch vom Raumschiff Erde, einem System, das wohl ausbalanciert sein will, aber nun aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Hoorn: Ein wichtiger Aspekt dieser Dymaxion Weltkarte ist auch, dass er die Welt als eine Insel darstellt. Und das entspricht genau dem Gefühl, das wir mit "Lost Under Heaven" vermitteln wollen: die Welt als Insel.
"Wir waren ganz schön unter Stress"
Fricke: Und auf einer kleinen Insel haben sie das Album auch aufgenommen, oder haben sie dort auch geschrieben?
Roberts: Nur aufgenommen. Es gibt da nur dieses eine Haus auf der anderen Seite der Insel. Ich glaube Amy Winehouse hat es einmal als Rückzugsort für eine ihre Entgiftungskuren gemietet, also die ganze Insel, weil sie so isoliert liegt. Alles ist ein bisschen gespenstisch. Man begegnet vielleicht fünf oder sechs Menschen, und die sind alle extrem komisch. Mit dem Rad braucht man vielleicht zehn Minuten von einer Küste zur anderen.
Hoorn: Es gibt dort auch keinen Laden, wir mussten die Lebensmittel selber mitbringen, wie beim campen oder einem Festival. Wir haben dort zwei Wochen verbracht, um alles aufzunehmen. Das ist nicht viel Zeit, und wir waren ganz schön unter Stress. Man kann die Insel wegen des Tidenhubs auch nur zu bestimmten Zeiten erreichen. Wir fanden die Idee aber ziemlich romantisch. Das Studio befand sich in diesem Haus mitten auf einem riesigen Feld, was sehr inspirierend war. Sonst können Studios einen auch ganz schön runterziehen, diese geschlossenen Räume ohne Fenster. Aber so waren wir immer mit der Außenwelt verbunden.
Roberts: Auf einem Song hört man sogar Seemöwen auf dem Gesang.
Hoorn: So konnten wir konstant im Arbeitsflow bleiben und in dieser Welt, die wir schufen. In der Stadt geht jeder abends nach Hause und macht sein Ding. Dort blieben wir immer im Moment.
"Jeder Song beschreibt eine Etappe"
Fricke: Eine weitere Inspirationsquelle war ein Buch des Mythologen Joseph Campbell, "Der Heros in tausend Gestalten".
Roberts: Joseph Campbell war genauso inspirierend wie Buckminster Fuller. Es gibt einen berühmten Satz von ihm: 'Folge deiner Bestimmung. Folge deinem Herzen, folge dem, was für dich das Leben essentiell macht'. Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte das tun. Wir versuchen uns diese Möglichkeit zu erschaffen. In dem Buch "Der Heros in tausend Gestalten" befasst sich Campbell ähnlich wie Buckminster Fuller mit all den Mythen, aus denen sich unsere unterschiedlichen Kulturen zusammensetzen. Und diese sind sich alle ähnlich, im Grunde unterscheiden sie sich nur in Details. Als wir unser fertiges Album einem Freund vorspielten, sagte dieser, dass es ziemlich genau den zwölf Etappen der Reise des Helden entspricht, von denen Joseph Campbell spricht. Jeder Song beschreibt eine Etappe. Und das entsprach wiederum unserer Vorliebe von Liedzyklen, zum Beispiel Marvin Gayes "What's going on".
Hoorn: Es gibt also zwölf Songs auf dem Album, der erste heißt "I and I". Und wenn man das Album in zwei Hälften teilt, dann beschreibt die erste Hälfte die Entfremdung unserer modernen Welt. Die zweite Hälfte dreht sich um die Selbsterkenntnis. Du erkennst das Problem und akzeptierst die Situation. Der Song "Sorrow" ist wahrscheinlich der Tiefpunkt, aber danach geht es wieder bergauf. Du erkennst und akzeptierst die Problematik und arbeitest an einer Lösung. Du glaubst, dass du den Kreis vervollständigt hast. Aber dann taucht ein neues Problem auf und ein neuer Kreislauf der Erkenntnis beginnt. Und so setzt sich das unendlich fort.
Roberts: Ein einfaches Beispiel ist die Revolution. Eine Revolution beschreibt immer eine Kreisbewegung. Es gibt den Tiefpunkt, der die Revolution erst auslöst, dann gibt es einen Höhepunkt, und dann kommt die nächste Revolution. So geht das in alle Ewigkeit, und dieses Muster von Lebenszyklen begegnet einem überall in der Natur. So sehr das auch ein Klischee ist, aber es ist die Grundlage aller Existenz. Und wir haben auch einen Kreislauf geschaffen. Er dreht sich unaufhörlich im CD-Player.
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