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"Die Bürger sind wieder im politischen Spiel"

Amr Hamzawy, ägyptischer Politikwissenschaftler und Oppositioneller, hält die Frage, wann Präsident Mubarak abtritt, nicht für zentral. Die Übergangsphase werde lang und schwierig werden. Im Mittelpunkt stünde die Frage, wie ägyptische Politik neu gestaltet werden könne.

Amr Hamzawy im Gespräch mit Silvia Engels | 08.02.2011
    Silvia Engels: Wir kehren nach Ägypten zurück, denn dort stellt sich nach wie vor die Frage, wohin die seit Tagen anhaltenden Proteste in Kairo führen: zu einem schnellen Sturz des Regimes Mubarak, oder am Ende doch nur zu einem Austausch einiger weniger Führungsfiguren. Alles scheint in diesen Tagen möglich. Für heute hat die Opposition erneut zu Großdemonstrationen aufgerufen, um den Druck auf die Regierung aufrecht zu erhalten. Daneben sprechen Vertreter von Regierung und Opposition über einen Machtübergang. – Zugeschaltet ist uns Amr Hamzawy, er ist ägyptischer Politikwissenschaftler, zurzeit in Ägypten und dort Mitglied im selbst ernannten Rat der Weisen. Das ist ein Gremium, das versucht, verschiedene Oppositionsgruppen ins Gespräch mit der Regierung zu bringen. Guten Morgen, Herr Hamzawy.

    Amr Hamzawy: Guten Morgen.

    Engels: Sie waren bei der Eröffnung der Gespräche am Wochenende dabei. Was haben Sie dort erreicht?

    Hamzawy: Bis heute haben wir nicht so viel erreicht. Das was uns vom Vizepräsidenten angeboten wurde, vorgeschlagen wurde, sind Schritte, die in die richtige Richtung gehen, aber die zusammen genommen stellen kein Paket der Reform dar. Wir sind weiterhin bemüht, ägyptische Politik demokratisch zu gestalten, neu zu gestalten, und wir sind, basierend auf dem, was vom Vizepräsidenten vorgeschlagen wurde, noch weit entfernt davon.

    Engels: Sehen Sie denn den Weg eher in einem raschen Sturz Mubaraks, oder den Weg eines langsamen Übergangs?

    Hamzawy: Nein, es handelt sich nicht um den Sturz Mubaraks. Meines Erachtens ist das nicht die zentrale Frage im Moment. Die zentrale Frage ist, wie ägyptische Politik neu gestaltet werden kann, sodass eine demokratische Öffnung ernsthaft passiert und garantiert wird. Um das zu machen, brauchen wir eine Reihe von Verfassungsänderungen, von Änderungen in ägyptischen Gesetzen, von politischen Änderungen, und bis jetzt ist alles, was vom Vizepräsidenten gesagt wird, versprochen wird, noch mal kleine Schritte.

    Zum Beispiel: Uns wird gesagt, wir werden die zwei Verfassungsartikel, die die Präsidentschaftswahlen organisieren, ändern, um einen demokratischen Wettbewerb um das Präsidialamt zu haben. Gut, aber das reicht ja nicht. Wir haben mehrere andere Artikel, sei es Wahlsystem oder Wahlbeobachtung, oder Gesetze, die im Zusammenhang mit dem Notstandsgesetz stehen, mit dem Notstand, in dem wir ja seit 1981 leben. Es gibt so viel, was noch geändert werden muss, und wir hören bis jetzt nur kleine Schritte, kleine Akzente. Hinzu kommt, dass der Staat sich ja nicht nur einheitlich verhält. Es gibt so viele Organe, die im Moment im Staatsgebilde agieren. Einige sprechen schon das, was wir hören wollen, andere verhaften die jungen Demonstranten. Also es ist immer noch ein konfuser Zustand, in dem wir sind.

    Engels: Sie sagen, konfuser Zustand, Herr Hamzawy. Das heißt, der Punkt, dass es wirklich in Richtung Wandel geht, ist noch nicht erreicht? Noch ist das alte Regime zu starr?

    Hamzawy: Ja. Das alte Regime ist stark, das alte Regime ist noch da, das alte Regime regiert das Land. Das was seit dem 25. Januar in Ägypten passiert ist und Ägypten verändert hat ist, dass die Bürger, jetzt nicht nur die oppositionellen Kräfte, die im Grunde genommen sehr wenig Repräsentativität haben im Land, dass die Bürger wieder im politischen Spiel aktiv sind, Kraft ihrer Protestaktivitäten, Kraft ihrer Demonstrationen, groß und klein, und Kraft ihrer Standhaftigkeit. Die Bürger sind wieder im politischen Spiel. Alle versuchen, sich daran zu orientieren, mit kleinen Zugeständnissen auf der Seite der Regierung, mit den Vorschlägen, die in Richtung große Zugeständnisse und eine Neugestaltung der ägyptischen Politik von den oppositionellen Kräften, aber das Spiel läuft noch und die Übergangsphase ist lang und wird sehr schwierig sein. Da machen wir einen Schritt nach vorne und werden zwei, drei Schritte nach hinten auch zurückgepuscht.

    Engels: Es wird lange dauern, sagen Sie. Aber wie lange können die Demonstranten auf der Straße den Druck aufrecht erhalten? Ist es nicht Geschick vom Regime, auf Zeit zu spielen?

    Hamzawy: Es ist aber auch geschickt von den Demonstranten, auf Zeit zu spielen. Die Normalisierung des Lebens in Ägypten ist wieder da. Die Menschen gehen zu ihren Jobs, gehen ihren Jobs nach, Krankenhäuser sind wieder da und so weiter und so fort. Diese Normalisierung des Alltags ist nicht nur im Sinne des Regimes, sondern auch im Sinne der Demonstranten, die im Moment bemüht sind, A sich zu organisieren, dass niemand in ihrem Namen spricht, sondern dass sie selbst in ihrem eigenen Namen sprechen, und das wollen sie demokratisch machen. Ich bin ja in permanentem Kontakt mit mehreren Gruppen und Netzwerken. Und zweitens: Sie wollen auch ihre Protestaktivitäten erweitern, und da gibt es viele Möglichkeiten. Man muss ja nicht unbedingt am Tahrir-Platz bleiben. Da gibt es mehrere Möglichkeiten in Kairo, außerhalb Kairos. Mehrere von diesen Organisationen wurden nicht zu dem Dialog mit dem Vizepräsidenten eingeladen und die wollen jetzt ihren eigenen Runden Tisch machen, in Anlehnung an Erfahrungen in Osteuropa, in Südafrika und in mehreren südamerikanischen Ländern. Ich glaube, sie sind sehr kreativ, sie wollen weiterhin dieses Land demokratisch gestalten und sie werden nicht so schnell aufgeben.

    Engels: Das ist der Druck auf der Straße. Sie selbst haben schon mit dem Vizepräsidenten zusammengesessen. Wie verlaufen denn die Gespräche? Sehen Sie bei Herrn Suleiman wirklich Begeisterung für den Wandel, oder ist da doch mehr Blockieren im Gefühl dabei?

    Hamzawy: Das ist schwierig einzuschätzen, weil sie hören einige Versprechen, die uns alle motivieren, zufriedenstellen, aber wenn sie die Umsetzung sehen, oder wenn sie das Versprochene ernsthaft lesen und das vergleichen mit dem, was nötig ist, um Ägypten demokratisch zu gestalten, dann merken sie, dass sich hier vielleicht beim Vizepräsidenten, aber auch beim Premierminister, also beim Staatsgebilde insgesamt es nicht um einen Demokratisierungspfad handelt, sondern um einen Konsolidierungspfad. Sie wollen weiterhin dieses Regime, das Ägypten im Grunde genommen seit 1952 regiert, autoritär regiert, aufrecht erhalten mit minimalen Zugeständnissen. Also ich sehe vielmehr einen Konsolidierungsversuch und nicht einen Demokratisierungsversuch bis heute.

    Aber das haben Übergangsphasen an sich. Diese Prozesse sind sehr schwierig und niemand auf unserer Seite, auf der Seite der demokratischen Kräfte, darf so schnell aufgeben. Es gibt eine Öffnung, die muss aber erweitert werden und die muss richtig verfassungsrechtlich, aber auch legal wie politisch richtig gestaltet werden.

    Engels: Herr Hamzawy, Sie sagen, die Person Mubaraks sei nicht so wichtig, aber das ist die Forderung der Demonstranten. Ist das schon thematisiert worden in den Gesprächen, die Rolle und die Zukunft Mubaraks?

    Hamzawy: Ja, das ist thematisiert worden, und ich sage Ihnen auch, dass unter den Demonstranten in Ägypten da kein Konsens herrscht. Viele wären damit zufrieden, wenn der Präsident den Vizepräsidenten mit den Befugnissen ausstattet, um die Übergangsphase zu gestalten. Viele wollen nicht, dass er sein Amt niederlegt vor September 2011. Einige wollen das. Also es ist keine so zentrale Frage und ich glaube – und das sage ich auch an die Adresse der Demonstranten immer wieder -, man darf nicht alles auf diese eine Frage reduzieren, ob er geht oder ob er bleibt.

    Wir wollen das Land demokratisch gestalten, und da gibt es noch viel, viel mehr, was wichtiger ist, was bearbeitet werden muss. Sie müssen an ihrer Repräsentation arbeiten, an ihrem Runden Tisch arbeiten, und die Frage, ob Mubarak bleibt, regiert, oder ob Omar Suleiman die Befugnisse hat, um die Übergangsphase zu gestalten, ist eine Frage, die nicht nur einheitlich beantwortet wird im Sinne von Mubarak soll jetzt gehen. Das ist im Moment jetzt am 14. Tag anders.

    Engels: Wir sprachen mit Amr Hamzawy, er ist der ägyptische Politikwissenschaftler, der zurzeit versucht, im selbsternannten Rat der Weisen im Gespräch zu bleiben zwischen Opposition und Regierung. Vielen Dank für dieses Interview.

    Hamzawy: Bitte sehr.