Heinlein: Blockaden und Proteste, der Widerstand der Spediteure, Taxifahrer und Bauern gegen die steigenden Benzinpreise hält an. Auch die Wut der Autofahrer wächst. Gestern nun der Startschuss der CDU-Aktion "weg mit der Ö-K-O-Steuer". Das Preishoch an den Zapfsäulen überlagerte in dieser Woche die Haushaltsdebatte im Bundestag. Die Regierung Schröder gerät immer stärker unter Druck. Inzwischen wird laut nachgedacht über soziale Korrekturen. Doch ob und in welchem Umfang solche Erleichterungen tatsächlich kommen ist offen. Fest steht für den Bundeskanzler: die nächste Stufe der Ökosteuer wird kommen, trotz der wachsenden Proteste und der Oppositionscampagne. - Am Telefon nun der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt. Guten Morgen!
Schmidt: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Schmidt, beeindruckt Sie noch der wachsende Widerstand gegen die Ökosteuer?
Schmidt: Ja, den hätte man nicht unbedingt gebraucht, um beeindruckt zu sein, weil wir natürlich vom Umfeld uns leiten lassen und das ist schon sehr schwierig. Das muss man natürlich zugestehen. Das hat aber mit der Ökosteuer an sich überhaupt nichts zu tun.
Heinlein: Wie groß ist denn Ihre Sorge, dass diese Proteste aus dem Ruder laufen wie in Großbritannien oder zuvor in Frankreich?
Schmidt: Ich glaube man sieht auch an der Entwicklung in Großbritannien und in Belgien und Frankreich, dass sich diese Proteste nur kurze Zeit aufrecht erhalten lassen. Das Leben muss weitergehen. Dass der Eindruck auf die Politik zunächst erweckt werden sollte, das ist in Ordnung und das soll auch so sein. Wir werden das auch hier bei uns registrieren. Am 26. Ist ja eine große Kundgebung vorgesehen. Ich denke aber schon, dass es dieser Dinge nicht bedarf, weil wir wissen, in welchem Umfeld wir leben und deswegen auch unsere Gedanken natürlich darauf verwenden, nun die Konsequenzen zu beleuchten.
Heinlein: Nun gibt es ja, Herr Schmidt, zwei Möglichkeiten, auf die Proteste zu reagieren: nachgeben wie Jospin in Frankreich oder Blockaden brechen wie Blair in Großbritannien. Wie wird denn die Bundesregierung, wie sollte die Bundesregierung auf Dauer reagieren?
Schmidt: Das werden wir ganz in Ruhe besprechen. Wir sind ja mitten drin in diesem Prozess und man muss ja nicht nach einer Woche Protesten glauben, dass man die ganze Politik über den Haufen werfen darf und sollte, die man vorher auf den Weg gebracht hat. Wenn wir das tun, dann sind wir Spielball solcher öffentlicher Reaktionen und dann können wir nächste Woche ein ganz anderes Thema haben. Dann fangen wir auch an, unsere politischen Entscheidungen wieder zu korrigieren. Das geht nicht. Das kann auch der Bürger nicht von uns erwarten. Ich glaube auch, der Bürger erwartet das von uns objektiv nicht. Wir werden uns jetzt ganz in Ruhe dransetzen und werden sehen, was wir für Möglichkeiten haben - da gibt es einige - und ob wir sie nehmen und nutzen werden, oder ob wir gar nichts tun müssen, weil sich zum Beispiel die Benzinpreisentwicklung wieder nach unten bewegt. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Heinlein: Das hört sich so an, Herr Schmidt, als wolle die Bundesregierung dieses Problem aussitzen?
Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Ich sagte Ihnen ja, wir sind in permanenten Gesprächskreisen. Gestern war ich im Kanzleramt dabei. Es ist so, dass wir durchaus uns der Schwierigkeit der Lage bewusst sind, die für viele Bürgerinnen und Bürger und für viele Unternehmen von außen herbeigeführt worden ist. Darum müssen wir das natürlich auch sehr wachsam beobachten und unsere Reaktionen vorbereiten, aber es muss nicht als Schnellschuss sein.
Heinlein: Sowohl der Bundeskanzler als auch sein Finanzminister und andere Stimmen aus dem Regierungslager haben laut nachgedacht über soziale Korrekturen angesichts der hohen Energiepreise. Wie könnten denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht der SPD-Fraktion diese Erleichterungen aussehen?
Schmidt: Ich will das wirklich mit großem Vorbehalt sagen, weil ich wie gesagt unter dem Eindruck stehe, dass wir nicht unbedingt jetzt zu diesem Zeitpunkt schon etwas machen müssen. Ich will auch hinzufügen, dass die Spediteure ja durchaus eine gewisse Entlastung dadurch haben, dass Mehrkosten für Benzinausgaben bei ihnen ja Betriebsausgaben sind und dadurch natürlich die Steuerlast sinkt, denn das können sie ja alles über die Steuer geltend machen. Also ganz so schlimm ist es bei manchem nicht, wie man sich das zunächst erst mal auch in der Öffentlichkeit immer zeigen lassen muss. Bei den Menschen draußen, insbesondere bei den Wohngeldempfängern, bei den Rentnerinnen und Rentnern, die keine anderen Leistungen haben, wissen wir jedoch, dass wenn die Heizkostenspirale sich weiter nach oben dreht die Dinge schon sehr brenzlig werden können. Da gibt es Möglichkeiten. Die hat es schon mal vor mehreren Jahren in solchen Situationen gegeben, vor ungefähr 17, 18 Jahren, eine Heizkostenpauschale auf das Wohngeld zu nehmen, eine einmalige oder auch eine laufende, die man dann nach einiger Zeit wieder beenden könnte. Es gibt die Möglichkeit, bei den Pendlern die Kilometerpauschale anzuheben. Ich will nur von den Möglichkeiten sprechen. Ob wir das tun, vor allen Dingen ob wir es tun müssen, das ist noch offen.
Heinlein: Gibt es denn bereits eine Meinungsbildung innerhalb Ihrer Fraktion, welche Maßnahme denn dann tatsächlich vielleicht zum Jahresbeginn umgesetzt werden soll?
Schmidt: Nein. Es ist über die eben von mir geschilderten Möglichkeiten in der Fraktionssitzung am Montagabend gesprochen worden. Das liegt ja auf der Hand, dass diese Möglichkeiten gegeben sind. Man kann sich auch noch zwei, drei andere vorstellen. Aber es war auch in der Fraktionssitzung noch nicht der Druck bei den Abgeordneten da, das jetzt sofort tun zu müssen, sondern es galt der Auftrag, die Bitte an den Kanzler und die Regierung, sich dieser Dinge nun anzunehmen und sie sorgfältig zu prüfen.
Heinlein: Gibt es denn Stimmen in der SPD-Fraktion, die ein Einlenken der Bundesregierung befürworten?
Schmidt: Ein Einlenken in der Ökosteuerfrage, wenn Sie das meinen, ist nicht gefordert worden. Ein Einlenken der Gestalt, dass man die Ökosteuer aussetzt oder gar abschafft, ist mit der SPD-Fraktion nicht zu machen.
Heinlein: Der Opposition, Herr Schmidt, den Christdemokraten gelingt es derzeit, diese Proteste für sich zu nutzen: gestern der Start einer Campagne. Wie will denn die Bundesregierung aus dieser Defensive wieder herauskommen?
Schmidt: Ich empfinde uns da nicht so sehr in der Defensive. Wir sind unter politischem Handlungszwang, aber in der politischen Defensive sind wir allemal nicht. Wenn Sie sehen, dass an der CDU-Campagne gerade mal 50 Rollerfahrer teilgenommen haben, dann ist das keine Bewegung und dann ist das auch keine Geschichte, die Deutschland nun völlig auf die Fährte der CDU gebracht hat. Ich halte das für sehr vordergründig, was die dort machen, noch dazu im Lichte von Erklärungen von Frau Merkel und Herrn Merz und anderen im Laufe der letzten Monate und Jahre. Ich kann nur sagen: da will jemand als Trittbrettfahrer auf eine Sache aufsteigen, die er selber überhaupt nicht mitzugestalten hat. Darum sind wir unter Handlungszwang, wenn es sich als solchen ergeben sollte, aber nicht dadurch, dass die CDU dort etwas unternimmt.
Heinlein: Nun hat vor drei Jahren, Herr Schmidt, die SPD um Oskar Lafontaine bei den Protesten der Bergleute in Bonn aber sehr ähnlich gehandelt wie die Union derzeit bei den Blockaden. Haben Sie Verständnis für diese Campagne der Union?
Schmidt: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, zumal die Situation mit der damaligen überhaupt nicht zu vergleichen ist.
Heinlein: Wo sind die Unterschiede?
Schmidt: Die Unterschiede sind, dass es bei den Bergleuten darum ging, Subventionen des Bundes, die dort abgebaut werden sollten, zu verhindern. Hier geht es gar nicht darum, Subventionen des Bundes abzubauen, sondern hier geht es darum, Mehrbelastungen, die von außen auf uns zugekommen sind, möglichst zu reduzieren, also eine ganz andere Lage, eine ganz andere Situation als damals. Deswegen will ich eindeutig sagen, halte ich die CDU mit ihrer Campagne für Trittbrettfahrer. Das entlarvt sich von selbst und die Leute werden das schon einordnen können.
Heinlein: Glauben Sie denn, dass diese Sichtweise Ihrer Argumente etwa einen Berufspendler interessieren, der derzeit 50 oder 100 Mark mehr im Monat für seinen Sprit ausgeben muss?
Schmidt: Nein, ich sage ja, dass wir durchaus sehr sorgfältig und sehr sensibel die Dinge beobachten. Ich sage noch einmal: wir können sie aber nicht durch Schnellschüsse lösen, sondern das entscheidende ist für mich, dass wir jetzt die Möglichkeiten eruieren, unter denen wir stehen. Ich sage noch mal: es kann ja sein, dass sich in vier oder acht Wochen der Benzinpreis schon wieder auf ein unteres Niveau eingependelt hat. Der andere Teil ist: dann werden wir auch reagieren. Das werden diejenigen, die es angeht, dann auch schon spüren. Dazu zählen unter anderem auch diejenigen, nämlich die Pendler, die Sie gerade genannt haben.
Heinlein: Als die Ökosteuer beschlossen wurde, Herr Schmidt, waren die Ölpreise - Sie sagten es - wesentlich geringer. Die momentane Entwicklung war nicht absehbar. Die Frage stellt sich nun: warum verschiebt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund nicht den nächsten Schritt der Ökosteuer, bis sich auch der Euro etwas erholt hat oder die Ölpreise wieder sinken?
Schmidt: Weil das zum Beispiel den Pendlern überhaupt nichts nützt, denn die Pendler würden dann beispielsweise einen etwas geringeren Benzinpreis zahlen, wobei ich bezweifle, dass der Entlastungsfaktor von den Ölkonzernen voll auf den Markt weitergegeben würde. Wir haben dort ein großes Misstrauen gegenüber der Ölwirtschaft. Der Faktor würde wahrscheinlich von denen in irgendeiner Form kassiert werden. Der andere Teil ist, dass wir natürlich auch dann damit rechnen müssen - und das ist ja ganz normal, weil es so angelegt ist -, dass die Rentenbeiträge sich anheben würden, denn wir haben ja - und das ist jetzt auch eingehalten worden die ganzen Jahre - alles, was über die Ökosteuer eingenommen worden ist, in die Rentenbeitragskasse gegeben und darum die Rentenbeiträge inzwischen um einen ganzen Prozentpunkt gesenkt. Das würden dann wiederum gerade Pendler, die ja Arbeitnehmer sind, spüren. Die müssten dann höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Ich wüsste nicht, was die uns dadurch erzählen würden.
Heinlein: Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Schmidt, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Schmidt: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Schmidt, beeindruckt Sie noch der wachsende Widerstand gegen die Ökosteuer?
Schmidt: Ja, den hätte man nicht unbedingt gebraucht, um beeindruckt zu sein, weil wir natürlich vom Umfeld uns leiten lassen und das ist schon sehr schwierig. Das muss man natürlich zugestehen. Das hat aber mit der Ökosteuer an sich überhaupt nichts zu tun.
Heinlein: Wie groß ist denn Ihre Sorge, dass diese Proteste aus dem Ruder laufen wie in Großbritannien oder zuvor in Frankreich?
Schmidt: Ich glaube man sieht auch an der Entwicklung in Großbritannien und in Belgien und Frankreich, dass sich diese Proteste nur kurze Zeit aufrecht erhalten lassen. Das Leben muss weitergehen. Dass der Eindruck auf die Politik zunächst erweckt werden sollte, das ist in Ordnung und das soll auch so sein. Wir werden das auch hier bei uns registrieren. Am 26. Ist ja eine große Kundgebung vorgesehen. Ich denke aber schon, dass es dieser Dinge nicht bedarf, weil wir wissen, in welchem Umfeld wir leben und deswegen auch unsere Gedanken natürlich darauf verwenden, nun die Konsequenzen zu beleuchten.
Heinlein: Nun gibt es ja, Herr Schmidt, zwei Möglichkeiten, auf die Proteste zu reagieren: nachgeben wie Jospin in Frankreich oder Blockaden brechen wie Blair in Großbritannien. Wie wird denn die Bundesregierung, wie sollte die Bundesregierung auf Dauer reagieren?
Schmidt: Das werden wir ganz in Ruhe besprechen. Wir sind ja mitten drin in diesem Prozess und man muss ja nicht nach einer Woche Protesten glauben, dass man die ganze Politik über den Haufen werfen darf und sollte, die man vorher auf den Weg gebracht hat. Wenn wir das tun, dann sind wir Spielball solcher öffentlicher Reaktionen und dann können wir nächste Woche ein ganz anderes Thema haben. Dann fangen wir auch an, unsere politischen Entscheidungen wieder zu korrigieren. Das geht nicht. Das kann auch der Bürger nicht von uns erwarten. Ich glaube auch, der Bürger erwartet das von uns objektiv nicht. Wir werden uns jetzt ganz in Ruhe dransetzen und werden sehen, was wir für Möglichkeiten haben - da gibt es einige - und ob wir sie nehmen und nutzen werden, oder ob wir gar nichts tun müssen, weil sich zum Beispiel die Benzinpreisentwicklung wieder nach unten bewegt. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Heinlein: Das hört sich so an, Herr Schmidt, als wolle die Bundesregierung dieses Problem aussitzen?
Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Ich sagte Ihnen ja, wir sind in permanenten Gesprächskreisen. Gestern war ich im Kanzleramt dabei. Es ist so, dass wir durchaus uns der Schwierigkeit der Lage bewusst sind, die für viele Bürgerinnen und Bürger und für viele Unternehmen von außen herbeigeführt worden ist. Darum müssen wir das natürlich auch sehr wachsam beobachten und unsere Reaktionen vorbereiten, aber es muss nicht als Schnellschuss sein.
Heinlein: Sowohl der Bundeskanzler als auch sein Finanzminister und andere Stimmen aus dem Regierungslager haben laut nachgedacht über soziale Korrekturen angesichts der hohen Energiepreise. Wie könnten denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht der SPD-Fraktion diese Erleichterungen aussehen?
Schmidt: Ich will das wirklich mit großem Vorbehalt sagen, weil ich wie gesagt unter dem Eindruck stehe, dass wir nicht unbedingt jetzt zu diesem Zeitpunkt schon etwas machen müssen. Ich will auch hinzufügen, dass die Spediteure ja durchaus eine gewisse Entlastung dadurch haben, dass Mehrkosten für Benzinausgaben bei ihnen ja Betriebsausgaben sind und dadurch natürlich die Steuerlast sinkt, denn das können sie ja alles über die Steuer geltend machen. Also ganz so schlimm ist es bei manchem nicht, wie man sich das zunächst erst mal auch in der Öffentlichkeit immer zeigen lassen muss. Bei den Menschen draußen, insbesondere bei den Wohngeldempfängern, bei den Rentnerinnen und Rentnern, die keine anderen Leistungen haben, wissen wir jedoch, dass wenn die Heizkostenspirale sich weiter nach oben dreht die Dinge schon sehr brenzlig werden können. Da gibt es Möglichkeiten. Die hat es schon mal vor mehreren Jahren in solchen Situationen gegeben, vor ungefähr 17, 18 Jahren, eine Heizkostenpauschale auf das Wohngeld zu nehmen, eine einmalige oder auch eine laufende, die man dann nach einiger Zeit wieder beenden könnte. Es gibt die Möglichkeit, bei den Pendlern die Kilometerpauschale anzuheben. Ich will nur von den Möglichkeiten sprechen. Ob wir das tun, vor allen Dingen ob wir es tun müssen, das ist noch offen.
Heinlein: Gibt es denn bereits eine Meinungsbildung innerhalb Ihrer Fraktion, welche Maßnahme denn dann tatsächlich vielleicht zum Jahresbeginn umgesetzt werden soll?
Schmidt: Nein. Es ist über die eben von mir geschilderten Möglichkeiten in der Fraktionssitzung am Montagabend gesprochen worden. Das liegt ja auf der Hand, dass diese Möglichkeiten gegeben sind. Man kann sich auch noch zwei, drei andere vorstellen. Aber es war auch in der Fraktionssitzung noch nicht der Druck bei den Abgeordneten da, das jetzt sofort tun zu müssen, sondern es galt der Auftrag, die Bitte an den Kanzler und die Regierung, sich dieser Dinge nun anzunehmen und sie sorgfältig zu prüfen.
Heinlein: Gibt es denn Stimmen in der SPD-Fraktion, die ein Einlenken der Bundesregierung befürworten?
Schmidt: Ein Einlenken in der Ökosteuerfrage, wenn Sie das meinen, ist nicht gefordert worden. Ein Einlenken der Gestalt, dass man die Ökosteuer aussetzt oder gar abschafft, ist mit der SPD-Fraktion nicht zu machen.
Heinlein: Der Opposition, Herr Schmidt, den Christdemokraten gelingt es derzeit, diese Proteste für sich zu nutzen: gestern der Start einer Campagne. Wie will denn die Bundesregierung aus dieser Defensive wieder herauskommen?
Schmidt: Ich empfinde uns da nicht so sehr in der Defensive. Wir sind unter politischem Handlungszwang, aber in der politischen Defensive sind wir allemal nicht. Wenn Sie sehen, dass an der CDU-Campagne gerade mal 50 Rollerfahrer teilgenommen haben, dann ist das keine Bewegung und dann ist das auch keine Geschichte, die Deutschland nun völlig auf die Fährte der CDU gebracht hat. Ich halte das für sehr vordergründig, was die dort machen, noch dazu im Lichte von Erklärungen von Frau Merkel und Herrn Merz und anderen im Laufe der letzten Monate und Jahre. Ich kann nur sagen: da will jemand als Trittbrettfahrer auf eine Sache aufsteigen, die er selber überhaupt nicht mitzugestalten hat. Darum sind wir unter Handlungszwang, wenn es sich als solchen ergeben sollte, aber nicht dadurch, dass die CDU dort etwas unternimmt.
Heinlein: Nun hat vor drei Jahren, Herr Schmidt, die SPD um Oskar Lafontaine bei den Protesten der Bergleute in Bonn aber sehr ähnlich gehandelt wie die Union derzeit bei den Blockaden. Haben Sie Verständnis für diese Campagne der Union?
Schmidt: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, zumal die Situation mit der damaligen überhaupt nicht zu vergleichen ist.
Heinlein: Wo sind die Unterschiede?
Schmidt: Die Unterschiede sind, dass es bei den Bergleuten darum ging, Subventionen des Bundes, die dort abgebaut werden sollten, zu verhindern. Hier geht es gar nicht darum, Subventionen des Bundes abzubauen, sondern hier geht es darum, Mehrbelastungen, die von außen auf uns zugekommen sind, möglichst zu reduzieren, also eine ganz andere Lage, eine ganz andere Situation als damals. Deswegen will ich eindeutig sagen, halte ich die CDU mit ihrer Campagne für Trittbrettfahrer. Das entlarvt sich von selbst und die Leute werden das schon einordnen können.
Heinlein: Glauben Sie denn, dass diese Sichtweise Ihrer Argumente etwa einen Berufspendler interessieren, der derzeit 50 oder 100 Mark mehr im Monat für seinen Sprit ausgeben muss?
Schmidt: Nein, ich sage ja, dass wir durchaus sehr sorgfältig und sehr sensibel die Dinge beobachten. Ich sage noch einmal: wir können sie aber nicht durch Schnellschüsse lösen, sondern das entscheidende ist für mich, dass wir jetzt die Möglichkeiten eruieren, unter denen wir stehen. Ich sage noch mal: es kann ja sein, dass sich in vier oder acht Wochen der Benzinpreis schon wieder auf ein unteres Niveau eingependelt hat. Der andere Teil ist: dann werden wir auch reagieren. Das werden diejenigen, die es angeht, dann auch schon spüren. Dazu zählen unter anderem auch diejenigen, nämlich die Pendler, die Sie gerade genannt haben.
Heinlein: Als die Ökosteuer beschlossen wurde, Herr Schmidt, waren die Ölpreise - Sie sagten es - wesentlich geringer. Die momentane Entwicklung war nicht absehbar. Die Frage stellt sich nun: warum verschiebt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund nicht den nächsten Schritt der Ökosteuer, bis sich auch der Euro etwas erholt hat oder die Ölpreise wieder sinken?
Schmidt: Weil das zum Beispiel den Pendlern überhaupt nichts nützt, denn die Pendler würden dann beispielsweise einen etwas geringeren Benzinpreis zahlen, wobei ich bezweifle, dass der Entlastungsfaktor von den Ölkonzernen voll auf den Markt weitergegeben würde. Wir haben dort ein großes Misstrauen gegenüber der Ölwirtschaft. Der Faktor würde wahrscheinlich von denen in irgendeiner Form kassiert werden. Der andere Teil ist, dass wir natürlich auch dann damit rechnen müssen - und das ist ja ganz normal, weil es so angelegt ist -, dass die Rentenbeiträge sich anheben würden, denn wir haben ja - und das ist jetzt auch eingehalten worden die ganzen Jahre - alles, was über die Ökosteuer eingenommen worden ist, in die Rentenbeitragskasse gegeben und darum die Rentenbeiträge inzwischen um einen ganzen Prozentpunkt gesenkt. Das würden dann wiederum gerade Pendler, die ja Arbeitnehmer sind, spüren. Die müssten dann höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Ich wüsste nicht, was die uns dadurch erzählen würden.
Heinlein: Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Schmidt, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio