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Die Bundesregierung tritt für eine Neuentwicklung in Afghanistan ein

    Lange: Der Krieg der Vereinigten Staaten gegen Afghanistan ist nun in der vierten Woche. Die Bombardements haben noch nicht den gewünschten Erfolg gehabt. So sehen es auch führende Politiker in den USA. Deshalb wird der Ruf nach Bodentruppen immer lauter. Die Taliban-Krieger erweisen sich als ziemlich hartnäckig. Die Nordallianz ist offenbar auch nicht der ernstzunehmende militärische Faktor, den man sich von ihr versprochen hat, und mit jedem Blindgänger, der die Rotkreuzlager oder ein Hospital oder sonst welche zivilen Ziele trifft, gerät die Legitimation der USA ein bisschen ins Rutschen. Und aus der islamischen Welt kommt die Warnung, den Bogen bloß nicht zu überspannen und den Fastenmonat Ramadan zu respektieren. Also ein kompliziertes militärisches und politisches Beziehungsgeflecht, in dem die Bundesrepublik ihre Position finden und behaupten muss. Am Telefon in Neu Delhi ist jetzt Ludger Volmer, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen Herr Volmer!

    Volmer: Guten Morgen!

    Lange: Herr Volmer, läuft dieser Krieg noch nach dem Drehbuch ab, das Sie und insbesondere die Grünen vor über drei Wochen glaubten, mittragen zu können?

    Volmer: Die Grünen haben überhaupt kein Drehbuch mitgetragen, sondern sie haben genauso wie die Vereinten Nationen einstimmig anerkannt, dass die Vereinigten Staaten das Recht haben, sich gegen den internationalen Terrorismus zu verteidigen. Nachdem Bin Laden und das Netzwerk von Bin Laden als Täter ausgemacht worden sind, haben die USA Anstrengungen unternommen, um dieses Netzwerk auszuschalten. Man kann im Moment trefflich darüber streiten, inwieweit diese Strategie bisher effektiv war. Ich kann betonen, dass die Grünen und übrigens auch die gesamte Delegation, angeführt vom Bundeskanzler, hier in Pakistan und in Indien insbesondere in den Vordergrund gestellt hat, dass es darauf ankommt, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden. Allerdings muss jede politische Lösung den Sturz der Taliban und die Ausschaltung der Bin-Laden-Gruppe einschließen.

    Lange: Nun steht ja der Fastenmonat Ramadan an. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass diese Antiterrorkoalition dann auseinander fliegt, wenn die Angriffe weitergehen?

    Volmer: Man kann da vielleicht keinen direkten funktionalen Zusammenhang herstellen, aber die Situation wird sicherlich schwieriger. Ich selber war vor drei Tagen in Katar. Katar hat im Moment den Vorsitz der Organisation Islamischer Staaten. Dort habe ich mich kundig gemacht nach der Stimmung in der Bevölkerung und unterhalb der Ebene der offiziellen Regierungsverlautbarungen. Da muss man schon sehr ernst nehmen, dass die muslimische Welt sehr beunruhigt ist, weil zivile Opfer in Afghanistan zu beklagen sind. Dies wollen große Teile der islamischen Welt insbesondere dann nicht mehr akzeptieren, wenn der Ramadan eintritt und damit innerhalb der islamischen Welt Versöhnungsgesten auch zwischen Gegnern und Feinden aktuell werden.

    Lange: Wie groß schätzen Sie den Einfluss der Bundesregierung ein, in dieser Frage auf die Amerikaner einzuwirken, ihnen Rat zu geben und zu sagen, Ramadan solltet ihr nun wirklich ernst nehmen?

    Volmer: In den Vereinigten Staaten selber gibt es ja die Diskussion darüber, was getan werden kann und getan werden muss, um die internationale Allianz zusammen zu halten. Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran, dass dies geschieht, denn das ist die Voraussetzung dafür, auch die politischen Lösungen entwickeln zu können und durchsetzen zu können. Dafür braucht man die Zusammenarbeit der westlichen Welt mit der islamischen Welt und anderen großen Kräften wie Russland, China und anderer. Wir hoffen, dass die Vereinigten Staaten diesen Umstand im Blick haben, wenn sie ihre Taktik besprechen und bewerten.

    Lange: Aber Einfluss haben Sie darauf im Grunde nicht?

    Volmer: Wir stehen mit den Vereinigten Staaten im Gespräch und schon von Beginn des Konfliktes an haben wir Einfluss genommen, denn es standen damals in den USA verschiedene Optionen zur Wahl. Es hätte auch schlechtere gegeben als die jetzige und da hat die Bundesregierung schon ihren Einfluss geltend gemacht.

    Lange: Aber wenn jetzt selbst führende US-Politiker meinen, alleine mit Luftangriffen wird das nichts, so geht das nicht weiter, wir müssen an Bodentruppen denken, muss dann die Bundesregierung ihre Haltung nicht auch überprüfen?

    Volmer: Die Bundesregierung tritt, wie ich gerade schon sagte, insbesondere dafür ein, alles zu tun, damit es zu einer politischen Lösung kommt, das heißt zu einer Neuentwicklung in Afghanistan aus den inneren Kräften heraus. Dabei müssen alle wesentlichen politischen Gruppierungen berücksichtigt werden. Das Hauptgewicht muss bei dem paschtunischen Volk liegen. Der König kann vielleicht eine Rolle spielen als Katalysator, um eine solche große Ratsversammlung und einen verfassungsgebenden Prozess zu Stande zu bringen. Zudem setzen wir uns als Bundesregierung ganz besonders ein für die humanitäre Hilfe, die wir in großem Umfang leisten. Die Reise des Außenministers in den letzten Tagen und auch die Reise des Bundeskanzlers jetzt hat unter anderem auch das Ziel, mit den Nachbarstaaten darüber zu reden, wie über die an sich geschlossenen Grenzen hinweg dennoch die humanitäre Hilfe effektiviert werden kann.

    Lange: Militärisch wird Deutschland ja noch nicht allzu sehr in Anspruch genommen. Wird sich das in den nächsten Tagen ändern?

    Volmer: Das weiß ich nicht. Wenn wir zurückkommen von dieser Reise, dann werden wir die gesamte Situation neu bewerten und wir werden sehen, ob die Amerikaner ihre Strategie oder ihre Taktik ändern und weitere Anforderungen an ihre Partner formulieren werden.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Ludger Volmer, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Volmer: Nichts zu danken!

    Link: Interview als RealAudio