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Die Bundeswehr trägt den Sparkurs mit

Heinemann: Wiederaufbau des Balkan - das ist das Thema einer Konferenz, zu der sich europäische Sozialdemokraten heute in Wien treffen werden. Keine Hinterbänkler, sondern Leute in Regierungsverantwortung - Bundeskanzler Schröder wird an der Konferenz teilnehmen und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. Guten Morgen.

    Scharping: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Scharping, Sie sind Vorsitzender der europäischen Sozialdemokraten und damit Leiter der Veranstaltung heute in Wien. Welches Ziel hat das heutige Treffen?

    Scharping: Wir wollen mit den demokratischen Oppositionellen aus der gesamten Balkan-Region sprechen und Wege erörtern, wie man in einer Kombination aus wirtschaftlicher Kooperation, aus dem Suchen nach gemeinsamer Sicherheit und einer Beachtung der Rechte von Menschen und Minderheiten zu einer langfristigen Strategie für den Balkan kommt. Wir haben zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, Parteien entwickeln zu helfen, die Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung aufnehmen. Und es ist ganz bezeichnend zu sehen, daß die einzige multi-ethnische größere Partei in Bosnien und Herzegowina eine sozialdemokratische ist.

    Heinemann: Stichwort ‚sozialdemokratisch': Wäre dieses Thema bei den Regierungschefs - gleich welcher Couleur - nicht besser aufgehoben? Inwiefern ist das ein Thema für Parteipolitiker?

    Scharping: Die europäische Sozialdemokratie führt solche Gespräche schon seit fünf Jahren und es gibt entsprechende Konferenzen. Die helfen bei der Entwicklung demokratischer Strukturen. Sie machen im übrigen klar, daß wir diese Bemühungen - bezogen auf den Balkan - nicht alleine auf sozialdemokratische Politikerinnen oder Politiker beschränken. Es geht uns darum, allen Demokraten eine Unterstützung angedeihen zu lassen. Da auf der anderen Seite die Sozialdemokratie in Europa eine außerordentlich starke Position hat, ist es in meinen Augen sehr vernünftig, wenn man auch auf dieser Ebene seine Position miteinander koordiniert und vor allen Dingen dafür sorgt, daß es auch einmal außerhalb des offiziellen staatlichen Zusammenhangs Gesprächsmöglichkeiten gibt für eine ganz große Zahl von Politikern aus dem Balkan, die nach solchen Möglichkeiten suchen, also zum Beispiel der Präsident von Montenegro Milo Djukanovic, oder Menschen wie Zoran Djindjic, der kürzlich beim Bundeskanzler war, oder andere. Die sind ja nicht von vornherein Sozialdemokraten, aber sie suchen nach Kontakten in die westliche Welt. Es kommt hinzu, daß es ja auf dem Balkan ja durchaus bedeutsame Staaten gibt. Ich will mal ein erfolgreiches Beispiel nehmen - das ist Slovenien, und eines, das uns in der Vergangenheit stark beschäftigen mußte und das uns hoffentlich auch in Zukunft beschäftigen wird - die nötige Aufmerksamkeit findet -, das ist Mazedonien und Albanien, die beiden Länder, die bei der Bewältigung der Kosovo-Krise auf vielfältige Weise außerordentlich hilfreich waren.

    Heinemann: Herr Scharping, als Verteidigungsminister mußten Sie ausbaden, daß es bis heute keine Krisenvorbeugung gibt, daß man Funken nicht austreten kann, bevor sie sich zu Flächenbränden entwickeln. Wie lange - glauben Sie - wird es noch dauern, bis es diese in Europa geben wird und bis einer der reichsten Kontinente nicht jedesmal den amerikanischen Feuerwehrmann rufen muß?

    Scharping: Das Problem ist tatsächlich, daß die europäische Politik - wie übrigens weltweit - zu wenig ernst nimmt, daß man vorbeugend Krisenursachen erkennen und beseitigen muß. Deswegen spielt ja die Frage einer wirtschaftlichen Kooperation im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe eine große Rolle - nicht einfach Geld dahinpumpen, sondern Strukturen entwickeln helfen und Erfahrungen aus der europäischen Integration auch auf Südosteuropa übertragen. Die Erfahrungen zeigen nämlich beispielsweise, daß wirtschaftliche Kooperation nicht gleich Friedenssicherung bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist Krisenvorbeugung, Krisenprävention, ein Schwerpunkt jeder guten Politik, damit man nicht am Ende immer vor der Tatsache steht, daß man alleine nur mit militärischen Mitteln möglicherweise verbrecherische Politik behindern und beseitigen und verhindern kann. Allerdings, wir sollten auch ganz nüchtern sehen: Jede präventive Politik findet ihre Grenze in dem Willen jener Machthaber, die sich ja auf eine solche Entwicklung einlassen und einstellen müssen. Da konnte man von Anfang an bei Milosevic seine Zweifel haben.

    Heinemann: Zur Krisenprävention gehört die militärische Stärke, und das ist ein innenpolitisches Thema. Die Bundeswehr ist zur Zeit in den Schlagzeilen, dort, wo sie die meisten Verteidigungsminister nicht so gerne sehen. Hans Eichel hält die Hand auf. 3,5 Milliarden sollen im nächsten Jahr, 19 Milliarden bis 2003 eingespart werden. Sie selbst haben gesagt, daß Sie den Sparkurs mittragen werden, und das sorgt jetzt ein bißchen doch für Unsicherheit, wobei Sie ja auf der Hardthöhe angetreten sind mit dem Satz: Wir brauchen Sicherheit für die, die Sicherheit produzieren. Wo wird das Geld eingespart?

    Scharping: Also zunächst: Es bleibt bei den Grundlagen, die ich von Anfang an genannt habe: Planerische und soziale Sicherheit für die Soldaten und ihre Familien. Es bleibt dabei, daß es Eingriffe in die Ausrüstung, in die Ausbildung und in die übrigen Faktoren der Motivation, der Leistung, der Verantwortung gerade der Soldaten nicht geben darf, die jetzt auf dem Balkan eingesetzt werden oder sich darauf vorbereiten. Es bleibt auch dabei, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre führende Rolle bei der Entwicklung einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik behalten muß, was im übrigen Konsequenzen hat auch in der Beseitigung von Fähigkeiten, die die Europäer zur Zeit nicht haben - typisches Beispiel ist Aufklärung und Lufttransport. Vor diesem Hintergrund - habe ich gesagt - kann sich der Verteidigungshaushalt nicht den allgemeinen gesamtstaatlichen Erfordernissen entziehen. Das bedeutet, um es sehr präzise zu sagen, daß im Jahre 2000 die Bemühungen der Bundesregierung auch im Verteidigungshaushalt ihren Niederschlag finden werden. Das habe ich von Anfang an gesagt, und das ist auch unter großen Schwierigkeiten mit zum Teil erheblichen Belastungen im Jahr 2000 zu bewältigen. In der Zeit danach sind Diskussionen und Entscheidungen erforderlich in Zusammenhang mit genau den Punkten, die sich aus der Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und aus anderen internationalen Verpflichtungen ergeben. Ich habe gestern noch einmal sowohl im Verteidigungsausschuß wie auch öffentlich deutlich gemacht: Es besteht keine Möglichkeit, wichtige internationale Vorhaben aus den bisherigen Plafonds zu finanzieren. Deshalb ist es bedeutsam, daß die Bundesregierung in der mittelfristigen Finanzplanung sagen wird, daß die Zahlen in der mittelfristigen Finanzplanung unter dem Vorbehalt der Ergebnisse der Zukunftskommission für die Bundeswehr stehen, die ja unter dem Vorsitz von Richard von Weizsäcker arbeitet. Es ist auch wichtig zu wissen, daß die Bundesregierung mit diesem Vorbehalt sehr deutlich sagt: Wir müssen dann Entscheidungen, sowohl im Parlament wie auch in der Regierung, treffen, die die Plafondzahlen verändern können und nach meiner Prognose auch verändern werden.

    Heinemann: Herr Scharping, ist das Ihr Hintertürchen, daß Sie sagen: Teure Investitionen müssen in Zukunft nicht aus dem Wehretat, sondern aus dem Haushalt bezahlt werden, ebenso besondere Einsätze? Also, im Grunde braucht die Bundeswehr gar nicht zu sparen?

    Scharping: Das hängt sehr davon ab, also es gibt keine Festlegung, Das hielte ich auch für unklug, an welcher Stelle man welche Finanzierung vornimmt. Grundsätzlich bevorzuge ich selbstverständlich den Verteidigungshaushalt. Aber das kann man ja dann mit einer gewissen Gelassenheit und auf der Grundlage sehr präziser Informationen und auch politischer Entscheidungen sehen. Es ist nur so - das habe ich dem Finanzminister und allen anderen Beteiligten sehr deutlich gesagt -: Man kann nicht auf der einen Seite zum ersten Mal in diesem Umfang und in dieser Qualität Verantwortung bei internationaler Friedenssicherung übernehmen und dann gleichzeitig einen Kurs verfolgen, der nicht nur von den Soldaten als ‚Tritt in den Hintern' betrachtet werden müßte.

    Heinemann: Herr Scharping, Sie haben eben aufgezählt, was alles beim alten bleiben wird, was unantastbar ist. Was wird sich denn ändern, wo wird gespart?

    Scharping: Es wird Veränderungen beispielsweise geben in Leistungen, die die Bundeswehr für Dritte erbringt. Es ist ja öffentlich leider weitgehend unbekannt - nicht nur, daß die Bundeswehr in den vergangenen 8 Jahren praktisch halbiert worden ist, auch was ihre finanziellen Möglichkeiten angeht, sondern daß die Bundeswehr auch Leistungen für Dritte erbringt in der Größenordnung von mehreren Milliarden Mark. Das wird so nicht weitergehen, jedenfalls nicht kostenlos.

    Heinemann: Wird es Ihrer Planung nach in 10 Jahren noch Wehrpflichtige in der Bundeswehr geben, und wenn ‚ja' - mit welcher Dienstzeit?

    Scharping: Ich halte die Wehrpflicht für ein sehr sinnvolles Prinzip - aus politischen Gründen, aus Gründen der Integration der Bundeswehr, übrigens auch, weil die Bundeswehr damit Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die sie sonst teuer bezahlen müßte. Und nicht zuletzt deshalb, weil eine Berufsarmee weltweiten internationalen Ansprüchen viel stärker ausgesetzt werden wird als eine Wehrpflichtarmee. Also, es gibt da ein ganzes Bündel von Gründen. Über die Dauer der Wehrpflicht zu spekulieren, halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für falsch. Ich will das sehr deutlich sagen, da ich heute wieder Gerüchte in der einen oder anderen deutschen Zeitung sehe, die allesamt falsch sind und die auf eine erstaunliche und in meinen Augen auch ganz unverantwortliche Weise herumspekulieren und damit Unsicherheit zu schüren versuchen, die es in der Bundeswehr nicht gibt und auch nicht geben wird.

    Heinemann: Also keine fünf Monate?

    Scharping: Nein.

    Heinemann: Herr Scharping, die Nation interessiert sich für Ihre politische Zukunft. Es gibt Spekulationen über den künftigen Standort Ihres Schreibtisches. Sie haben gestern gesagt, es gelten die Erklärungen der vergangenen Tage und Monate. Nun geht es wahrscheinlich vielen Hörern so wie mir: Wir hatten einige Tage Urlaub und wissen jetzt nicht mehr genau, was Sie wann gesagt haben. Können Sie uns kurz sagen: Sind Sie an dem Posten bei der NATO interessiert oder bleiben Sie Bundesverteidigungsminister?

    Scharping: Eine besonders charmante Form, noch einmal auf die alte Frage zurückzukommen. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Es ist eine ehrenvolle Spekulation, ganz sicher, und auch eine hoch interessante und wichtige Aufgabe, ebenso sicher. Aber ganz klar: Ich habe eine Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland übernommen und will die auch wahrnehmen.

    Heinemann: Auch völlig unabhängig von der Entwicklung des Wehretats?

    Scharping: Nein, ich will meine Aufgabe wahrnehmen. Ich bin auch sicher, daß ich auf der Grundlage der guten Zusammenarbeit - insbesondere mit dem Kanzler und dem Außenminister in außen- und sicherheitspolitischen Fragen - das erfolgreich tun kann.