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Die Bundeswehrreform nimmt Gestalt an

    Durak: Die Bundeswehrreform nimmt Gestalt an. Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat Zwischenbilanz gezogen und Teilerfolge präsentiert. Beim aus der Truppe immer wieder kritisierten Beförderungsstau beispielsweise, bei der Nachwuchsgewinnung, beim Freisetzen auch von Finanzen, die ja dringend für die Ausrüstung gebraucht werden und bei anderem mehr. Darüber will ich jetzt mit ihm sprechen. Auch darüber, inwieweit dies alles den Vorstellungen der militärischen Führung entgegenkommt, die ja in der vergangenen Woche bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Hannover deutlich formuliert wurden. Die Bundeswehrreform soll ja eigentlich 2006 weitestgehend abgeschlossen sein. Ist dieser Termin zu halten?

    Scharping: Ja, wobei ich Sie doch gerne darauf aufmerksam mache, dass wir die Führungsorganisation straffen und diesen Reformprozess praktisch schon abgeschlossen haben, dass wir die Modernisierung der Personalstruktur und ihre Gesundung unverändert uns bis zu dem Zeitraum bis 2010 vorgenommen haben, während die Reform der Truppenstruktur, also alles, was mit Stationierung zu tun hat, bis 2006 planmäßig abgeschlossen sein soll.

    Durak: Wie ist es dann zu verstehen, dass Ihr Generalinspekteur diesen Termin, 2006, wegen der unzureichenden Finanzierung in Frage gestellt hat?

    Scharping: Der Generalinspekteur hat darauf aufmerksam gemacht, dass eine Entscheidung über möglicherweise zusätzlich erforderliche Fähigkeiten als Folge der Terroranschläge des 11. September bedeuten könnte, dass die Personalmaßnahmen, bis 2010 geplant, dann möglicherweise sich bis 2012 hinziehen werden. Das hängt aber damit zusammen - und wir haben da eine gemeinsame Auffassung -, dass wir ja sozusagen auf einem organisch gesundem Personalaufbau achten müssen, damit nicht das entsteht, was wir gerade beseitigen, nämlich ein neuerlicher Stau in Beförderung und Verwendung. Das bauen wir ja gerade in diesem Jahr fast vollständig ab, ein Problem, mit dem sich die Bundeswehr seit, 10, 15 Jahren herumschlagen musste. Dasselbe gilt übrigens für das Fehlen z.B. an Unteroffizieren. Wenn wir nicht sehr sorgfältig darauf achten, dass wir die Personalmaßnahmen, also wie steuern wir Nachwuchsgewinnung?, wie überzeugen wir junge Frauen und Männer von einem Dienst in der Bundeswehr?, dass wir das gesund und organisch aufbauen.

    Durak: Dies sind die Teilerfolge, die Sie uns jetzt hier noch einmal beschreiben. Sie sehen es ja als großen Erfolg an, dass das Personalanpassungsgesetz umgesetzt werden kann. Da ist zu hören, danach können etwa 3.000 Offiziere über 50 vorzeitig in den Ruhestand gehen. Das Interesse daran sei sehr groß. Da fragt sich der Laie: Auf welche Offiziere kann die Bundeswehr so einfach verzichten?

    Scharping: Das hängt mit dem eben erörterten Thema des Staus in Beförderung und Verwendung zusammen. Wenn Sie einen überbesetzten Jahrgang haben, dann sitzen viele Offiziere, aber natürlich auch Unteroffiziere, in diesem Stau, und das frustriert und schlägt sich manchmal auch auf die öffentlich geäußerte Stimmung nieder. Wir hatten uns vorgenommen, das zu beseitigen und ein Angebot zu machen, wo persönliche Interessen des Einzelnen und dienstliche Belange der Bundeswehr harmonisiert werden müssen. Deswegen kann nicht einfach jemand sagen, vielen Dank, auf Wiedersehen, sondern sein persönliches Interesse muss mit den dienstlichen Belangen übereinstimmen, und in diesem Prozess sind wir jetzt. Das ist aber nur ein Aspekt in der Gesundung der Personalstruktur. Das Andere ist der Aufbau von Stellen für Berufs- und Zeitsoldaten, das dritte ist eine ganz gute Nachwuchssituation, und dann kommen Verbesserungen in Beförderung und Besoldung hinzu. So haben wir beispielsweise allen Kompaniechefs um etwa 150 Euro pro Monat Verbesserung gegeben. Das trifft aber auch für viele andere, insbesondere für Unteroffiziere und Feldwebel zu.

    Durak: Sie haben die Stimmung schon erwähnt. Wie fällt denn Ihre Bilanz derzeit aus, was die Stimmung in der Truppe betrifft, die Motivation und die Leistungsbereitschaft?

    Scharping: Insgesamt ist die Bundeswehr intakt, aber ich bin unverändert der Auffassung, wäre ich Kompaniechef oder Feldwebel irgendwo draußen in einer Einheit der Bundeswehr, und ich hatte die Erwartung, zum 1. Juli letzten Jahres befördert zu werden, und das kommt dann ein halbes Jahr später, möglicherweise aus verständlichen Gründen, ich wäre auch sauer gewesen, und diesen Ärger kann ich gut verstehen und nachvollziehen.

    Durak: Der Generalinspekteur sagt es auch, aber etwas anders. Er sagt, die Stimmung wird schlechter, Leistungsbereitschaft, Motivation und Berufszufriedenheit in der Bundeswehr leiden, und er führt dies wieder - und da kommen wir zu den Finanzen zurück - auch auf die finanziellen Nöte zurück, die die Motivation ganz einfach beeinträchtigen, weil es an Material fehlt, Stichwort Kannibalismus, usw. Sehe ich da einen Widerspruch?

    Scharping: Nein, Sie sehen eher etwas Komplementäres, sich gegenseitig Ergänzendes. Der Generalinspekteur geht in vielen Fragen, wie er auch selbst gesagt hat, mehr ins Detail, und das ist auch seine Aufgabe.

    Durak: Noch ein wenig schärfer formuliert es der NATO-Generalsekretär, der ja nicht das erste Mal die EU-Länder aufgefordert hat, ihre Verteidigungsetats aufzustocken, um mit den Amerikanern sozusagen in gleicher Augenhöhe die Aufgaben wahrzunehmen. Sehen Sie irgendwelche Chancen, finanziell nachzulegen?

    Scharping: Ich habe auf der Kommandeurtagung gesagt - Entschuldigung für die Wiederholung -, die Finanzausstattung der Bundeswehr ist alles andere als komfortabel, aber sie reicht hin unter einer Voraussetzung, nämlich dass die Reform der wirtschaftlichen Prozesse wirklich gelingt. Wir haben große Schritte gemacht in der Verbesserung des Managements der Fahrzeugflotte, des Bekleidungswesens. Dort erwarten wir erhebliche wirtschaftliche Ergebnisse, aber das muss auch noch bei Liegenschaften, Informationstechnik und den anderen Bereichen auf dem Weg gebracht werden, noch in diesem Jahr. Dass der Weg erfolgreich ist, zeigt das Ergebnis des Jahres 2001. Wir haben insgesamt 300 Millionen Euro zusätzlich in die Ausrüstung investieren können, also wenn Sie so wollen, überplanmäßig, das war ein Plus von rund 9 Prozent, und das finde ich ein ganz beachtliches Ergebnis. Allerdings weiß ich auch, die Modernisierung der Ausrüstung wird nur gelingen, wenn die Reform der wirtschaftlichen Prozesse gelingt, und da vertraue ich nicht nur auf die Qualität und die Leistung der Bundeswehr, da brauche ich auch die Kooperation des Finanzministeriums und des Parlaments.

    Durak: Wie soll denn diese Kooperation aussehen?

    Scharping: Bisher ist das mit dem Finanzministerium gut gelaufen, wie die Beispiele Fahrzeugflotte und Bekleidung belegen. Das Parlament hat das gebilligt. Jetzt machen wir uns daran, dasselbe für das Liegenschafts-Management zu tun. Eigentlich wollen wir erreichen, dass das Geld des Steuerzahlers effizienter und intelligenter ausgegeben wird, und da sie vom NATO-Generalsekretär sprachen, ich glaube, es wird in Europa eine große Aufgabe werden, dass wir unsere Investitionen in die Ausrüstung steigern und gleichzeitig vom Geld des Steuerzahlers effizienteren, wirtschaftlicheren, produktiveren Gebrauch machen.

    Durak: Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie das, was die Bundeswehr an Finanzbedarf hat, aus eigenen Mitteln stemmen?

    Scharping: Nein, nicht aus eigenen Mitteln. Es sind ja dauerhaft 24,4 Milliarden Euro öffentliches Geld.

    Durak: Und die reichen aus?

    Scharping: Die reichen aus unter den genannten Voraussetzungen, und das ist ja auch die stetige und verlässliche Linie bis zum Jahr 2006, also bis zu jenem Zeitpunkt, in dem der Finanzminister aus guten Gründen die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen und einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen will. Bis dahin trägt die Bundeswehr dieses Spannungsverhältnis und auch eine gewisse Belastung aus der einfachen Tatsache heraus, dass jeder öffentliche Bereich zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen im Interesse unserer langfristigen Zukunft ebenso beitragen muss, wie Sicherheit, die soziale, die planerische Sicherheit der Soldaten und ihren Familien ganz selbstverständliche eine langfristige Zukunftsinvestition ist.

    Durak: Auf der Kommandeurtagung in Hannover ist eine maßvolle Nachsteuerung der Reformen angesprochen worden. Die sei erforderlich, weil die Truppe eben eine immer größere Schere zwischen Auftrag und Mitteln sehe. Folgen Sie dieser Einschätzung? Scharping. Uneingeschränkt, denn die Ereignisse des 11. September und der Terrorismus, den man ja an verschiedenen Stellen der Erde mit seinen schrecklichen Auswirkungen sehen und erleben muss, erfordert Antworten. Zu diesen Antworten gehören auch gewisse militärische Fähigkeiten, und das wird bedeuten, dass wir in bestimmten Bereichen spezialisierter Kräfte, z.B. Logistik und Fernmeldewesen, aber auch der Luftverteidigung, der Sicherung des deutschen Luftraumes, oder auch des Schutzes vor atomarer, insbesondere biologischer und chemischer Bedrohung, stärker Fähigkeiten ausprägen müssen, als wir im Jahr 2000 vermutet haben.

    Durak: Und für diesen Antiterrorkampf werden Sie mehr Geld verlangen?

    Scharping: Zunächst werden wir im Rahmen unserer Personalmaßnahmen diese Stellen sorgfältig durchplanen. Dann werden wir zu prüfen haben, ob das im Rahmen des Haushaltes eingepasst werden kann, wovon ich jetzt ausgehe.

    Durak: Warum stellen Sie nicht gleich klipp und klar eine Maximalforderung?

    Scharping: Wissen Sie, ich finde das nicht sonderlich imponierend, wenn man rhetorisch übertreibt. Ich finde es auch unverantwortlich, die Bundeswehr herunterzureden, die in Afghanistan, auf dem Balkan, bei der Rettung von Menschenleben wie zuletzt in Tunesien, und auch hier in Deutschland Hervorragendes leistet. Ich kann verstehen, dass man den Minister kritisieren muss, je näher der Wahltermin rückt. Ich kann weniger verstehen, dass man dabei Tatsachen ignoriert oder verbiegt. Ich will überhaupt nicht verstehen und akzeptieren, dass man die Leistung der Bundeswehr und ihrer Soldaten herunterredet. Das ist nicht in Ordnung.

    Durak: Wer tut denn das?

    Scharping: Wissen Sie, ich habe heute morgen beispielsweise gehört, die Zustände in der Bundeswehr seien desaströs, so hat sich Frau Merkel ausgedrückt. Ich bin sicher, sie versteht von vielen Politikgebieten einiges, von diesem nicht sonderlich viel. Deswegen finde ich, wir sollten bei den langfristigen Zukunftsinteressen Deutschlands uns immer bewusst machen, dass es zwar ein herausziehender Wahlkampf ist, dass dies aber nicht rechtfertigt, langfristige Sicherheitsvorsorge oder die Leistung von Soldaten mitsamt ihren Familien einfach zu ignorieren oder herunterzureden. Das ist, wie gesagt, nicht in Ordnung. Dann soll man den Minister kritisieren, der ist es gewöhnt, da kann man rumhauen, das hält er auch aus, aber die Soldaten haben nicht verdient, dass man ihre Leistung zur Seite schiebt.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio