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Die CDU-Spitze bei US-Präsident George Bush

    Simon: Wichtige außenpolitische Stichworte in dieser Zeit sind der Konflikt mit China über das amerikanische Spionageflugzeug, der weitgehende Rückzug Washingtons aus den Bemühungen um einen Frieden im nahen Osten und Bushs Abkehr vom Kyoto-Protokoll, also der Verpflichtung, die Schadstoffbelastung der Luft durch die Industrie deutlich zu verringern. In dieser Woche hat CDU-Chefin Angela Merkel ihren Antrittsbesuch bei der neuen US-Regierung gemacht und ich hatte vor der Sendung Gelegenheit zu einem Gespräch mit Volker Rühe, dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, der Frau Merkel begleitet hat. Ich fragte ihn nach seinem Eindruck: Gibt es eine neue amerikanische Außenpolitik unter George Bush?

    Rühe: Keine völlig neue Außenpolitik. Es gibt Kontinuität, aber es gibt auch neue Ansätze. Wenn ich den Anfang zusammenfassen müsste würde ich sagen, es war ein guter Start des Präsidenten unter schwierigsten Bedingungen. Der Präsident hat in der Außenpolitik neue Akzente gesetzt, indem er anders als Clinton, der versucht hat, durch eine starke Personalisierung sich als Person eingebracht hat, um Arafat und die Israelis zusammenzubringen, sich stärker zurückhält und sagt, die Konfliktparteien müssten jetzt ihren eigenen Beitrag leisten. Was Europa angeht kann ich nicht sehen, dass die Administration Europa den Rücken zukehrt.

    Simon: Sie sagen ein guter Start und nennen die Abkehr Bushs von den Friedensverhandlungen im nahen Osten. Sehen Sie das als ein gutes Zeichen, dass die Amerikaner demnächst ihre Politik vor allem für sich machen wollen?

    Rühe: Sie haben ja gesehen, was aus den letzten Monaten der Bemühungen des Präsidenten Clinton geworden ist. Daraus ist eine Situation der Gewalt entstanden, weil offensichtlich die Verhandlungspartner überfordert waren, zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist ja nicht sehr ermutigend, dies in dieser Weise fortzusetzen. Wahrscheinlich war es auch ein Fehler, sozusagen die letzten Fragen, die schwierigsten Fragen, die finalen Fragen wie Jerusalem in einem kurzen Zeitraum zu einer Lösung zu bringen. Deswegen gibt es glaube ich keine Alternative dazu, als dass jetzt die Konfliktparteien aufgefordert sind, erst einmal wieder mehr Sicherheit und Stabilität zu schaffen und dann einen neuen Anlauf zu machen auch im Friedensprozess.

    Simon: Noch einmal zum Stichwort nationale Interessen zuerst. Findet der Rückzug vom Kyoto-Protokoll Ihre Zustimmung?

    Rühe: Nein! Das ist etwas, was nicht unsere Zustimmung findet, aber wir haben hier auch in den Gesprächen im Kongress doch festgestellt, dass es auch zur Zeit von Präsident Clinton keinerlei Mehrheit im Kongress gab, das zu unterzeichnen. Al Gore hätte ja auch in Den Haag ein Ergebnis herbeiführen können, wenn er sich zugetraut hätte, das hier im Wahlkampf zu vertreten. Insofern haben wir es mit einer Situation in der amerikanischen Politik zu tun, einer Skepsis gegenüber dem Kyoto-Protokoll, vor allem weil große Entwicklungsländer wie China in diesem Zusammenhang eben nicht mit herangezogen werden. Unser Eindruck aus den Gesprächen der letzten Tage ist doch, dass man das Problem der globalen Erwärmung sieht, auch ernst nimmt und dass man dabei ist, eine Politik auszuarbeiten, welches denn amerikanische Beiträge sein könnten.

    Simon: Herr Rühe, Sie sprachen ein sehr aktuelles Thema an: China. George Bush hat dort ja nicht vor Konfrontation zurückgeschreckt. Seine Entscheidung, Taiwan moderne Waffensysteme zu liefern, verschärft ja den Konflikt mit der Volksrepublik China. Was halten Sie denn von dieser Entwicklung?

    Rühe: Ich glaube nicht, dass Sie das so richtig wiedergegeben haben. Der entscheidende Punkt, was die Waffenlieferung angeht, ist eigentlich, dass sie nicht geliefert werden, nämlich die modernsten Systeme.

    Simon: Viele andere von der Wunschliste schon?

    Rühe: Ja gut, das hat die Vorgängerregierung ja auch gemacht. Ich begrüße es, dass man jetzt nicht jedes Jahr einen Bericht vorlegt, aber wir haben auch klar gemacht, dass wir in Deutschland bei unserer Position bleiben. Wir haben ja eine ganz präzise China-Politik betrieben, ganz konsequent auch unter der Regierung von Helmut Kohl. Deswegen haben wir deutlich gemacht, dass hier deutsche Dieselmotoren für etwaige U-Boot-Lieferungen nicht zur Verfügung stehen. Das ist die Meinung der Regierung; das ist auch unsere Meinung.

    Was den Zwischenfall angeht muss man eben auch genauer hinschauen. Hier ist die Sorge geäußert worden, dass das Militär in China nicht präzise zusammenarbeitet mit der politischen Führung. Die Amerikaner haben gesagt, sie hätten schon vor Monaten aufgrund von Aufnahmen, die gemacht worden sind, gewarnt vor den Flügen dieses Piloten, der jetzt diesen Zusammenstoß dort herbeigeführt hat. Ich glaube es ist klar, wenn die Amerikaner Truppen in der Region haben, haben sie auch das Recht, die Sicherheit aufzuklären. Sie haben sicherlich ein großes Interesse daran, dass in Zukunft eben ein größerer Sicherheitsabstand gehalten wird.

    Simon: Von George Bush heißt es ja - Sie sprachen eben Europa an -, dass er eigentlich sehr viel mehr Interesse an Lateinamerika als an Europa hat. Das wurde jetzt auch am Rande des Amerikagipfels in Kanada klar. Wie müsste sich deutsche oder europäische Außenpolitik gegenüber den USA verhalten, mehr lobbying in Washington?

    Rühe: Wir müssen hier präsent sein. Man kann nicht einfach alles voraussetzen. Wir müssen aber auch zu klaren Haltungen kommen. Das lavieren der Bundesregierung in vielen Fragen stärkt nicht gerade unsere Position.

    Simon: Was meinen Sie damit?

    Rühe: Wenn ich an die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität denke, dann ist es vernünftig, dass Europa für Amerika ein stärkerer Partner wird. Aber wenn man dann die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr sieht, die hier überall mit großer Sorge verfolgt wird, dann ist der Bundeskanzler gefordert, hier wirklich einzuschreiten und sicherzustellen, dass auch Worte und Taten übereinstimmen.

    In einem anderen Punkt, das ist die Raketenabwehr, hat es auch bis in diese Tage hinein Töne aus dem Bereich von rot/grün gegeben, das sei ein neuer Rüstungswettlauf, während dessen der Bundeskanzler hier in Washington sich eher positiv geäußert hat. Die deutsche Position ist alles andere als klar. Deswegen ist die Unterstützung der CDU für eine Strategie im 21. Jahrhundert, die eben nicht nur auf Offensivsysteme setzt, hier auch positiv aufgenommen worden.

    Nächster Punkt: Erweiterung der NATO. In den 90er Jahren war Deutschland führend an diesem Prozess beteiligt. Heute spielt die Bundesregierung den toten Mann. Es gibt keine Position der Bundesregierung und auch hier ist aufmerksam zur Kenntnis genommen worden, dass wir selbst einen ganz konkreten Vorschlag gemacht haben.

    Simon: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang, dass der neue US-Botschafter in Berlin anders als seine Vorgänger weder ein ausgewiesener Deutschland-Kenner ist noch ein Schwergewicht der amerikanischen Diplomatie? Sagt das schon etwas aus über die Bedeutung, die man inzwischen in Washington Berlin zumisst?

    Rühe: Die Amerikaner haben ja eine Tradition, nicht nur Diplomaten zu schicken. Das war ein Mann, der im Gespräch war als Verteidigungsminister, und er war Senator über eine längere Zeit. Insofern ist er schon ein politisches Schwergewicht. Im übrigen würde ich mal abwarten, welche Rolle er dann in Berlin spielt.

    Simon: Sie haben nicht das Gefühl bei Ihren Gesprächen gehabt, dass Deutschland jetzt in der zweiten Reihe steht?

    Rühe: Überhaupt nicht, nein. Wir schon gar nicht, aber ich muss schon sagen, die Bundesregierung muss aufpassen, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Wenn man den herzlichen Umgang zwischen Schröder und Putin sieht, die gemeinsamen Schlittenfahrten und, wie hier gesagt wurde, die Gerhard- und Wladimir-Schau, die dort abgezogen wurde auch in der Kirche, und dann doch diese sehr kühlen Signale, das Fremdeln eigentlich zwischen Schröder und dem neuen amerikanischen Präsidenten, dann muss Deutschland aufpassen, dass es nicht an Einfluss verliert. Potenziell sind wir der entscheidende Partner in Europa für die Amerikaner. Dazu brauchen wir klare Positionen und Glaubwürdigkeit. Daran mangelt es in dem einen oder anderen Bereich.

    Simon: Das war Volker Rühe, der stellvertretende CDU-Vorsitzende, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio