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Die CDU und das Grundvertrauen

Mit Christean Wagner gibt es im Wiesbadener Landtag noch einen richtig Konservativen Unionspolitiker. Doch allzu viel Gesellschaft scheint auch er in seiner Partei nicht mehr zu haben.

Von Anke Petermann |
    Der hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner ist besorgt. Über die Lage seiner Partei. Niederlagen-Serien bei Landtagswahlen und ein permanentes Umfragetief sind für ihn deutliche Zeichen. Und so schreibt er in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Anfang des Monats.

    "Die Hauptursache für die unzureichende Akzeptanz der Union ist in ihrem Defizit an programmatischer Erkennbarkeit zu suchen. Das Grundvertrauen ihrer Anhänger ist erschüttert",

    meint der 68-Jährige, der dem rechten Flügel der Partei zugerechnet wird.

    Das sieht man am Stammtisch der Jungen Union Bad Vilbel nordöstlich von Frankfurt am Main anders. Da werden im Lokal "Down under" soeben riesige Teller mit Burgern und Chicken Wings gereicht. Der christdemokratische Nachwuchs lässt sich von der angeblichen Krise der Partei den Appetit nicht verderben. Christian Reitz ist noch gar nicht lang dabei, bis vor einem Jahr war er Bundeswehrsoldat, die Haare sind immer noch kurz.

    "Also mein Grundvertrauen in die Partei ist noch nicht erschüttert. Zum Punkt Atomausstieg kann man sicherlich sagen, dass das ziemlich kurz nach der Verlängerung der Laufzeiten beschlossen wurde, von daher ist es verständlich, wenn manche Bürger meinen, es wäre ein Zickzackkurs, aber auf der anderen Seite ist das dann auch verständlich, wenn man seine Meinung dann noch mal überdenkt."

    Genau das hat die CDU-Bundesvorsitzende getan und vor einer Woche im Bundestag verkündet, Fukushima habe ihre Haltung zur Kernenergie verändert. Merkels parteiinterner Kritiker Christean Wagner war langjähriger Gefolgsmann von Roland Koch. Der hatte als hessischer Ministerpräsident sogar gefordert, über den Bau neuer Meiler nachzudenken. Jetzt beklagt Wagner, die Union habe beim Thema Atomenergie ihre Erkennbarkeit verloren. Zeigt es Wankelmut oder Führungsstärke, wenn die Kanzlerin aufgrund der japanischen Katastrophe ihre Meinung ändert? Am Stammtisch der Bad Vilbeler Jungen Union bringt Sebastian Wysocki die Mehrheitsmeinung so auf den Punkt.

    "Das ist konsequent, man kann ja nicht so tun, als ob nach Fukushima alles so ist wie's vorher war. Das ist in Japan passiert, einem hoch technologisierten Land, das genauso ist wie Deutschland. Dass man dann sagt, wir überdenken noch mal, das finde ich n ganz normalen Prozess eines politisch Verantwortlichen."

    Christean Wagner, konservativer Kritiker des derzeitigen Unionskurses, sieht dagegen mit dem schnellen Schwenk zum Abschalten das eigene Lager überstrapaziert und schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

    "Unberechenbar und beliebig zu werden, ist für die Union eine Todsünde. Sie gefährdet, was ihren Kernwählern am allerwichtigsten ist, nämlich die Grundsatztreue. Sie läuft Gefahr, ihre Stellung als politischer Resonanzboden des Bürgertums zu verlieren."

    Doch welches Bürgertum meint der CDU-Fraktionschef im Wiesbadener Landtag? Wohl kaum das Wut-Bürgertum, das gegen Stuttgart 21 demonstriert. Und auch nicht den großen Teil, der erleichtert ist über das atomare Ausstiegsszenario. In so kritischen Phasen sollte man die Parteibasis mit Regionalkonferenzen einbinden, meint beim Bad Vilbeler Stammtisch Fridolin Pflugmann. Der Landestag der Jungen Union Hessen forderte am Wochenende außerdem,

    "dass entsprechend Mitgliederbefragungen auf Landesebene durchgeführt werden können, um ein Stück weit eine größere Breite in der Diskussionskultur gewährleisten zu können."


    Mehr basisdemokratische Elemente in der CDU? Das klingt schon wieder nach grüner Inspiration. In der Bad Vilbeler Kneipe "Down under" beißen die jungen Christdemokraten in Burger, gabeln Nachos und schütteln energisch den Kopf. Nein - "Greenwashing", die schleichende Angleichung an die Grünen wollen sie sich nicht permanent vorhalten lassen. Aber als Koalitionspartner, der Machtoptionen sichert, kommt die Ökopartei schon in Frage - schon länger, betont Fridolin Pflugmann,

    "insofern zwei Bedingungen erfüllt werden: insofern die Inhalte stimmen und man mit den Personen zusammenarbeiten kann."

    Die nahe Großstadt Frankfurt am Main zeigt, wie harmonisch Schwarzgrün sein kann. Christean Wagner aber, der als Fraktionschef in Hessen die christliberale Koalition managt, ist von diesen Bündnis-Überlegungen nicht begeistert. Für den Lieblingsfeind der hessischen Grünen zählen diese Gedankenspiele zum beklagenswerten Zickzackkurs führender Unionspolitiker. Wagner pocht auf Abgrenzung, auf Bekenntnis zu Christentum und Nation, Heimat und Tradition. Als "selbst ernannte Glaubenskongregation der Hessen-CDU" verspotten ihn dafür die Wiesbadener Grünen. Die Stammtisch-Besucher der Bad Vilbeler Jungen Union halten Wagner dagegen pflichtgemäß die Stange. Nach dem Motto "Kontroverse bringt die Partei voran". Selbst aber gibt sich der christdemokratische Nachwuchs pragmatisch, flexibel und liberal: In einer schnelllebigen Zeit müsse man den ein oder anderen Polit-Schwenk schon verkraften können, sagt Sebastian Wysocki. Für diese Herausforderung stärkt sich der Kreischef der Jungen Union Wetterau schon mal mit noch einem Bissen in den Spezial-Burger.